Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.08.2009, Az.: 13 Verg 4/09
Ermittlung des Vergabewerts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.08.2009
- Aktenzeichen
- 13 Verg 4/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 20809
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0819.13VERG4.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 100 Abs. 1 GWB
- § 127 Abs. 1 GWB
- § 2 VgV
Fundstellen
- GK/BW 2010, 238-240
- GK/Bay 2010, 211-214
- IBR 2010, 40
- OLGR Celle 2009, 738-741
- VS 2009, 71
Amtlicher Leitsatz
1. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswerts durch den Auftraggeber zum maßgebenden Zeitpunkt, hat der Vergabesenat den Auftragswert eigenständig zu schätzen. Dafür kommt neben den Angeboten der anderen Bieter vor allem dem Angebot, das in diesem Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hat, entscheidende Bedeutung zu.
2. Erfolgt im Rahmen einer Gesamtauftrags, der den maßgeblichen Schwellenwert nach § 127 Abs.1 GWB i.V.m. § 2 VgV nicht erreicht, die Ausschreibung eines Loses trotzdem europaweit im offenen Verfahren, bindet diese Entscheidung den Auftraggeber nicht hinsichtlich der Wahl des Vergabeverfahrens für weitere Lose.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung L. - vom 12. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der durch das Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB entstandenen Mehrkosten zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 104.499,33 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb am 19. Dezember 2008 die Baumaßnahme Rückbau und Sanierung der S. Kaserne L., Abbruchphase II nach der VOB/A bundesweit öffentlich aus.
Am 9. Oktober 2008 hatte die Antragstellerin in dem europaweit ausgeschriebenen offenen Vergabeverfahren für die Abbruchphase I den Zuschlag auf ihr Angebot in Höhe von 2.479.442,95 EUR brutto erhalten. Die Antraggegnerin hatte dafür den Nettoauftragswert basierend auf einer Kostenschätzung von Dezember 2007, die für beide Abbruchphasen eine Gesamtnettosumme in Höhe von 5.678.515 EUR ermittelt hatte, auf zwischen 4,5 Mio. bis 7 Mio. EUR geschätzt. Bei einer neuen Kostenschätzung im August 2008 errechnete die Antragsgegnerin eine Gesamtsumme für beide Abbruchphasen in Höhe von 4.689.870 EUR netto, wobei auf die Abbruchphase II ca. 1.829.000 EUR entfielen.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2009 rügte die Antragstellerin die fehlende europaweite Ausschreibung der Abbruchphase II. Diese Rüge wies die Antragsgegnerin mit der Begründung zurück, selbst bei Annahme einer einheitlichen Baumaßnahme und Zusammenrechnung der Auftragswerte liege der Gesamtwert nunmehr unterhalb des einschlägigen Schwellenwertes. Daraufhin leitete die Antragstellerin wegen der unterbliebenen europaweiten Ausschreibung das Nachprüfungsverfahren ein. Zur Begründung führte sie aus, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Schätzung des Gesamtauftragswerts die Einleitung des ersten Vergabeverfahrens und damit der Tag der Absendung der ersten Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe - hier der 1. Juli 2008 - gewesen sei.
Mit Beschluss vom 12. März 2009 hat die Vergabekammer den auf Untersagung der Zuschlagserteilung im anhängigen Verfahren und Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Vergabe der Leistungen der Abbruchphase II in einem europaweiten Vergabeverfahren gerichteten Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Vergabekammer im Wesentlichen ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil der Auftrag nicht den für ihre Zuständigkeit maßgeblichen Schwellenwert von 5.150.000 EUR erreiche. Neue Erkenntnisse zu den Abbruchkosten hätten Auswirkungen auf den Schwellenwert gehabt, der ausweislich der im August 2008 ermittelten Gesamtsumme für beide Abbruchphasen in Höhe von 4.689.870 EUR netto nicht mehr erreicht werde.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 30. März 2009 beim Oberlandesgericht Celle eingegangenen sofortigen Beschwerde. Ergänzend führt sie aus, die Antragsgegnerin habe sich mit ihrer zum maßgebenden Zeitpunkt am 1. Juli 2008 getroffenen Wahl für eine europaweite Ausschreibung selbst gebunden und habe von dieser Entscheidung nicht mehr abweichen dürfen. Zudem seien auch keine Fehler bei der ersten Schätzung des Gesamtauftragswerts feststellbar.
Nachdem der Senat mit Beschluss vom 9. April 2009 den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde abgelehnt hatte, hat die Antragsgegnerin am 14. April 2009 den Zuschlag in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren erteilt.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Entscheidung der Vergabekammer Niedersachsen vom 12. März 2008 (Az.: VgK09/2009) aufzuheben,
2. der Vergabestelle zu untersagen, im anhängigen Verfahren der öffentlichen Ausschreibung den Zuschlag für die Leistungen der Abbruchphase II des Rückbaus der S. Kaserne L. zu erteilen,
3. die Vergabestelle zu verpflichten, die Leistungen der Abbruchphase II des Rückbaus der S. Kaserne L. in einem europaweiten Vergabeverfahren zu vergeben,
hilfsweise,
die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden,
festzustellen, dass die Antragsstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt wurde.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung L. - vom 12. März 2009 ist zulässig, insbesondere form und fristgerecht gemäß § 117 Abs. 1 GWB eingelegt. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist bereits wegen Unterschreitung des seit 1. Januar 2008 geltenden Schwellenwerts gemäß § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 127 Nr. 1 GWB, § 2 Nr. 4 VgV, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 der Kommission vom 4. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren (ABl. EU L 317 vom 5. Dezember 2007, S. 34 f.), in Höhe von 5.150.000 EUR unzulässig.
Insoweit kann dahinstehen, ob es sich bei den beiden Abbruchphasen des Bauvorhabens "Rückbau der S. Kaserne/L." um eigenständige Baumaßnamen oder um Lose eines einheitlichen Bauwerks handelt mit der Folge, dass gemäß § 3 Abs. 1 und 5 VgV bei der Schätzung von den Gesamtkosten beider Abbruchphasen auszugehen ist. Selbst wenn man letzteres zu Gunsten der Antragstellerin unterstellte, wäre der Schwellenwert von 5.150.000 EUR nicht erreicht.
a) Maßgebender Zeitpunkt für die Schätzung des Gesamtauftrags ist nach § 3 Abs.10 VgV der Tag der Absendung der Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe oder die sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens. Für die Vergabe von baulichen Anlagen, bei der mehrere Ausschreibungen durchgeführt werden, konkretisiert § 1a Nr. 3 VOB/A den Zeitpunkt dahingehend, dass es auf die Einleitung des ersten Vergabeverfahrens, also auf den Tag der Bekanntmachung des ersten Verfahrens, ankommt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. August 2001 - 2 Verg 3/01, NZBau 2002, 292, 293). Entscheidend ist demnach hier der 1. Juli 2008, der Tag der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens für die Abbruchphase I.
b) Zu diesem maßgebenden Zeitpunkt war der Schwellenwert gemäß § 2 Nr. 4 VgV von 5.150.000 EUR nicht erreicht.
aa) Bei Bauaufträgen errechnet sich der zu schätzende Gesamtauftragswert aus der Summe der Auftragswerte aller für die Erstellung der baulichen Anlage erforderlichen Bauleistungen ohne Umsatzsteuer (§§ 1, 3 Abs.1 VgV). Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist dabei der Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und auf dem Boden einer betriebswirtschaftlichen Finanzplanung veranschlagen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juli 2003, Verg 5/03, zitiert nach juris, Tz. 4. OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 809 f.. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008 - 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200, 203 f.). Zur ordnungsgemäßen Schätzung gehört auch die ordentliche Ermittlung der Schätzungsgrundlage (OLG Celle, a.a.O. Tz. 32).
Ist der Wert des beabsichtigten Auftrags ordnungsgemäß geschätzt worden, bestimmt ausschließlich dieser Schätzwert über die Geltung oder Nichtgeltung des Vergaberechts. Das gilt selbst dann, wenn sich im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens - insbesondere aufgrund der abgegebenen Angebote - herausstellt, dass der Wert der benötigten Leistung tatsächlich unterhalb oder oberhalb des maßgeblichen Schwellenwertes liegt (Kühnen, in: Byok/Jaeger, VergR 2. Aufl. Rdn. 1500. Glahs, in: Reidt/Stickler/Glahs, VergR 2. Aufl. § 3 Rdn. 5). Insoweit steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen beachtet werden muss (OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 809 f.. Lausen, in: jurisPKVergR 2. Aufl. § 3 Rdn.14). Wegen der Bedeutung des Schwellenwertes ist es erforderlich, dass die Vergabestelle die ordnungsgemäße Ermittlung des geschätzten Auftragswertes in einem Aktenvermerk festhält. Zwar dürfen an die Schätzung selbst keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2002 Verg W 4/02 zitiert nach juris Tz. 61. BayObLG, Beschluss vom 18. Juni 2002 Verg 8/02, VergabeR 2002, 657). Die Anforderungen an die Genauigkeit der Wertermittlung und der Dokumentation steigen aber, je mehr sich der Auftragswert an den Schwellenwert annähert (OLG Celle, a. a. O.).
bb) Den dargestellten Erfordernissen an eine ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswertes genügt die von der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Absendung der Bekanntmachung des ersten Vergabeverfahrens vorgenommene Ermittlung des Auftragswerts nicht, weil die erforderliche Aktualisierung der auf dem Stand Dezember 2007 basierenden Schätzung zu dem nach § 3 Abs. 10 VgV maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Juli 2008 unterblieben ist und die Schätzung relevante Kostenelemente, wie z.B. Schrotterlöse und die zum Zeitpunkt der Ausschreibung verbesserten Verwertungserlöse für Bauschutt, nicht berücksichtigt.
Gemessen an den vorgenannten Kriterien musste hier eine erneute Aktualisierung der zuletzt im Dezember 2007 aktualisierten Schätzung der Antragsgegnerin zum 1. Juli 2008 erfolgen. So ist grundsätzlich eine Aktualisierung zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens erforderlich, wenn eine Kostenermittlung bereits frühzeitig erfolgt ist. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen zweifelhaft ist, ob der Schwellenwert über oder unterschritten wird, wenn es sich also um einen Grenzfall handelt (vgl. VgK BadenWürttemberg , Beschluss vom 15.07.2002 - 1 VK 35/02, zitiert nach juris, Tz. 38. VgK des Freistaates Sachsen, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 1/SVK/04907, zitiert nach juris Tz. 48). Davon ist nach den maßgebenden Umständen des zu beurteilenden Sachverhalts auszugehen. Ausweislich des Vergabevermerks nach § 30 a VOB/A in dem abgeschlossenen Vergabeverfahren über die Abbruchphase I vom 13./14. Oktober 2008 hat die Antragsgegnerin den Wert der Gesamtauftragsleistungen anhand der Aktualisierung der vom Büro W. in 2006 vorgenommenen Kostenschätzung in Höhe von 6.839.050 EUR netto durch das Büro W. im Dezember 2007 auf 5.678.515 EUR netto geschätzt. Dieser Wert lag damit nicht mehr wesentlich über dem Schwellenwert von 5.150.000 EUR. Der Einwand der Antragstellerin, es handele sich hier deshalb nicht um einen "Grenzfall", weil der im Dezember 2007 geschätzte Auftragswert den Schwellenwert nur etwa um 10% (exakt: 9,3%) überschreite, wird angesichts der schon im Dezember 2007 erfolgten Korrektur der ursprünglich ermittelten Kosten um 17% den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht gerecht.
Auch wenn an eine ordnungsgemäße Kostenschätzung keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, durfte die Antragsgegnerin angesichts der dargestellten Schwankungen in der Kostenschätzung und im Hinblick auf den Zeitablauf von über einem halben Jahr (vgl. VgK BadenWürttemberg , Beschluss vom 15. Juli 2002 - 1 Vk 35/02, zitiert nach juris Tz.38. VgK Sachen, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 1/SVK/049/07, zitiert nach juris Tz. 48) bei der Ermittlung des Auftragswertes nicht mehr die Kostenschätzung aus Dezember 2007 zu Grunde legen, ohne diese zum 1. Juli 2008 zu aktualisieren. Diesbezüglich ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich im Bereich der Verwertung von Abfällen nach den Erfahrungen des Senats um einen außerordentlich volatilen Markt handelt. Das hat sich auch in der Kostenschätzung vom August 2008 niedergeschlagen. Dort wurden neben den erstmals berücksichtigten Schrotterlösen in Höhe von 120.000 EUR verbesserte Verwertungserlöse für Bauschutt in Höhe von 748.000 EUR eingestellt, die zu einer Reduzierung des Auftragswertes führten.
Dass die Kostenschätzung der Antragsgegnerin vom Dezember 2007 auch in ihrem Ansatz nicht den Erfordernissen an eine pflichtgemäße Ermittlung des Auftragswertes genügte, wird ferner durch die dem Vergabevermerk beigefügte tabellarische Zusammenstellung der Kostenschätzungen der Jahre 2006, 2007 und 2008 belegt. Danach hat die Antragsgegnerin erzielbare Schrotterlöse in den Schätzungen aus 2006 und vom Dezember 2007 überhaupt nicht berücksichtigt. Der Hinweis der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe von diesen Erlösen erst im Rahmen der Submission der ersten Ausschreibung am 5. August 2008 Kenntnis erlangt, belegt ebenfalls die auch im Übrigen nicht ordnungsgemäße Ermittlung des Auftragswerts durch die Antragsgegnerin.
cc) Da es somit an einer ordnungsgemäßen Schätzung durch den Auftraggeber zum maßgebenden Zeitpunkt fehlt, hat der Vergabesenat den Auftragswert eigenständig zu schätzen (OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 810. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008 - 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200, 205 f.).
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin entspricht die danach vorzunehmende Bestimmung des Auftragswertes allerdings nicht zwangsläufig dem aus den addierten Durchschnittswerten aller Angebote für beide Abbruchphasen zu ermittelnden durchschnittlichen Gesamtangebotspreis. Denn neben den Angeboten der anderen Bieter in den beiden Vergabeverfahren kommt vor allem dem zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin für die Abbruchphase I abgeschlossenen Vertrag entscheidende Bedeutung zu (vgl. OLG Celle, a.a.O, Lausen, in: jurisPK 2. Aufl. § 3 VgV Rdn.36). Dies gilt umso mehr, als für den Zuschlag in dem Vergabeverfahren für die Abbruchphase I allein der Preis das entscheidende Kriterium darstellte.
Unter Berücksichtigung der danach maßgebenden Umstände ist hier von einem Auftragswert für beide Abbruchphasen unterhalb des Schwellenwertes auszugehen: Das Angebot der Antragstellerin für die erste Abbruchphase, dass sich dort als das wirtschaftlichste herausstellte und dementsprechend bezuschlagt wurde, belief sich auf eine Angebotssumme in Höhe von 2.479.442,95 EUR brutto bzw. 2.083.565,50 EUR netto. Für die Abbruchphase II betrug die ungeprüfte, an zehnter Stelle liegende Angebotssumme der Antragstellerin 2.089.986,59 EUR brutto bzw. 1.756.291,26 EUR netto, wonach sich für beide Abbruchphasen insgesamt eine Summe von 4.569.429,54 EUR brutto bzw. 3.839.856,76 EUR netto errechnet. Dem Vergabevermerk der Antragsgegnerin zur ersten Abbruchphase, für die der Preis - anders als für die Abbruchphase II - das alleinige Zuschlagskriterium bildete, ist zu entnehmen, dass die Berechnung des gemittelten Gesamtpreises der günstigsten drei Bieter einen Betrag von 2.251.295,23 EUR netto ergab. Addiert man den Durchschnittswert aller für die zweite Abbruchphase abgegebenen Angebote, folgt daraus insgesamt ebenfalls keine Überschreitung des Schwellenwertes.
c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus einer - in den von ihr zitierten Entscheidungen des BayObLG (Beschluss vom 1. Oktober 2001 - Verg 6/01, VergabeR 2002, 63, 66) und des Thüringer OLG (Beschluss vom 16. Januar 2002 - 6 Verg 7/01, zitiert nach juris Tz.21) angenommenen - "Selbstbindung der Verwaltung". Eine solche Wirkung hat das BayObLG bei einem über dem Schwellenwert liegenden Gesamtauftrag ausschließlich für die in das Ermessen des Auftragsgebers fallende Zuordnung eines unter dem Wert von 1 Millionen EUR zu beziffernden Einzelloses zum 80 %Kontingent nach § 2 Nr.7 VgV bejaht (BayObLG, Beschluss vom 1. Oktober 202 - Verg 6/01, a.a.O. und ausdrücklich: Beschluss vom 23. Mai 2002, Verg 7/02, VergabeR 2002, 510, 513). Diese ausschließlich auf die Zuordnung zum 80%Kontingent beschränkte Selbstbindung der Verwaltung im Rahmens des ihr eingeräumten Ermessens ist folglich nicht auf den hiesigen Sachverhalt übertragbar. Durch die europaweite Ausschreibung der Abbruchphase I, die aufgrund der Unterschreitung des Schwellenwertes für den - unterstellt - Gesamtauftrag nicht erforderlich gewesen wäre, hat sich die Antragsstellerin nicht zugleich auch für die Vergabe der Leistungen für die Abbruchphase II gebunden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem obiter dictum des Thüringer OLG in seinem Beschluss vom 16. Januar 2002 (6 Verg 7/01, zitiert nach juris Tz. 21), weil im Gegensatz zum dortigen Fall die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Leistungen der Abbruchphase II gerade nicht europaweit ausgeschrieben hat.
d) Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen kann dahinstehen, ob der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin auch wegen fehlender Antragsbefugnis nach § 107 Abs.2 GWB (vgl. dazu: OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Februar 2009 - 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682, 684 f.. OLG Celle, Vorlagebeschluss vom 17. Juli 2009 - 13 Verg 3/09, Umdruck S.11) oder Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB unzulässig ist. Auch auf die Frage, ob der Nachprüfungsantrag dadurch unzulässig geworden ist, dass die Antragsgegnerin am 14. April 2009 den Zuschlag erteilt hat, kam es nicht mehr an.
2. Der hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 GWB ist aus den unter Ziffer II.1. dargestellten Erwägungen ebenfalls unzulässig.
III.
Der Antrag auf Akteneinsicht durch die Antragstellerin gemäß § 120 Abs.2 GWB i.V.m. §§ 70 Abs.2, 111 Abs.1 GWB ist abzulehnen. Das Akteneinsichtsrecht ist nur in dem Umfang gegeben, in dem es zur Durchsetzung der Rechte der Antragstellerin aus § 97 Abs.7 GWB erforderlich ist. Das ist bei einem unzulässigen Nachprüfungsantrag nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO (analog).
Die Entscheidung über die Kosten des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 Satz 1 GKG (5% der Bruttoauftragssumme gemäß dem von der Antragstellerin abgegebenen Angebot).