Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.08.2009, Az.: 14 U 37/09
Rechtsfolgen der vorübergehenden Geschäftsunfähigkeit einer Partei bei Abschluss eines Prozessvergleichs im Anwaltsprozess
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.08.2009
- Aktenzeichen
- 14 U 37/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 20257
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0805.14U37.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.01.2009 - AZ: 16 O 291/07
Rechtsgrundlagen
- § 105 Abs. 2 BGB
- § 166 BGB
- § 779 Abs. 1 BGB
- § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
Fundstellen
- MDR 2009, 1186-1187
- OLGR Celle 2009, 830-832
Amtlicher Leitsatz
Ein vom Prozessbevollmächtigten abgeschlossener Prozessvergleich ist nicht deshalb unwirksam, weil die im Termin anwesende Partei bei Vergleichsschluss vorübergehend geschäftsunfähig war.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 2. Januar 2009 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Er trägt ferner die den Streithelfern zu 1 bis 12 im Berufungsverfahren und die der Streithelferin zu 1 im ersten Rechtszug entstandenen Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des 1,1-fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines im ersten Rechtszug zur Gesamtabgeltung aller Schäden des Klägers aus einem Verkehrsunfall am 28. August 2002 auf der L 352 in der Gemarkung N. geschlossenen Vergleiches.
Für die Folgen des Unfalls, der sich beim Linksabbiegen des dem Kläger entgegenkommenden, vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 versicherten Traktorgespanns mit dem auf seinem Motorrad geradeaus fahrenden Kläger ereignete, haben die Beklagten unstreitig allein einzustehen. Bei dem Unfall wurde der Kläger erheblich verletzt. Er erlitt mehrere Frakturen des rechten Oberschenkels und Schienbeines sowie eine Verletzung des rechten Kniegelenks. Die Frakturen wurden operativ behandelt. Der Kläger wurde im Krankenhaus eine Woche in ein künstliches Koma versetzt und befand sich vom Unfalltag bis zum 4. Oktober 2002 in stationärer Behandlung in der M. H.. anschließend nahm er für die Dauer von sechs Wochen an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teil. Aufgrund einer Pseudarthrosenbildung mit falscher Gelenkbeweglichkeit musste er sich im Frühjahr 2004 einer weiteren operativen Nachbehandlung (sog. Spongiosaplastik) unterziehen. Nach einem unfallchirurgischen Gutachten der M. H. vom 21. Januar 2005 ist unfallbedingt eine geringgradig eingeschränkte Kniegelenksbeweglichkeit rechts sowie eine geringgradig eingeschränkte Beweglichkeit des oberen Sprunggelenkes rechts zurückgeblieben. Ferner leidet der Kläger unfallbedingt unter einem Wackelknie rechts mit posteromedialer Kniegelenkinstabilität. Andeutungsweise zeigte sich zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung eine Peronaeusparese rechts (d. h. eine unvollständige Lähmung von Nerven im Wadenbeinbereich). Die Frakturen sind mit einer Beinverkürzung rechts von 1,9 cm ausgeheilt.
Ferner erlitt der Kläger bei dem Unfall ein Schädelhirntrauma mindestens ersten Grades, eventuell auch ein mittelschweres Schädelhirntrauma. Seit dem Unfall leidet er unter Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen, die er auf das unfallbedingte Schädelhirntrauma zurückführt. In einem neurologischen Gutachten der H.-stiftung H. vom 13. Dezember 2004 heißt es dazu, die vom Kläger geschilderten Beschwerden seien glaubhaft. insbesondere bestätigten die ärztlichen Verlaufsbefunde in den Behandlungsunterlagen und die neuropsychologischen Testverfahren das Vorliegen kognitiver Störungen und eine zerebrale Funktionsminderung, die zwar insgesamt leicht, aber doch testpsychologisch fassbar sei. Namentlich habe eine Belastungserprobung über einen Arbeitstag in der Tagesklinik am 17. Juni 2004 gezeigt, dass sich nach rd. 3 Stunden eine deutliche Abnahme der Leistungsfähigkeit im sog. D2-Test (Aufmerksamkeit und Belastung) ergeben habe, wobei jedoch der Intelligenzquotient erhalten geblieben sei. Das korrespondiere mit früheren Testungen. insgesamt seien danach keine Beeinträchtigungen im Lesen, Schreiben und Rechnen festzustellen, und auch alle sonstigen Werte befänden sich im Normalbereich. Objektiv feststellbar sei demnach eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit und vermehrte kognitive Ermüdbarkeit mit zunehmendem Nachlassen der Konzentration und der Merkfähigkeit. Gleichzeitig bestünden leichte Kopfschmerzen und eine depressive Reaktion als posttraumatische Belastungsstörung. Darüber hinaus bestehe noch eine leichte Einschränkung der Motorik des rechten Beines mit sensiblen Missempfindungen im rechten Bein und im Bereich des rechten Beckenkammes. Für die Vergangenheit habe im ausgeübten Beruf des Klägers im ersten Jahr nach dem Unfall eine unfallbedingte Erwerbsminderung von 100 % und im zweiten Jahr eine solche von 70 % bestanden. Zum Begutachtungszeitpunkt bedingten die kognitiven Einschränkungen und Konzentrationsmängel noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von etwa 40 %. Insgesamt sei für die Zukunft die unfallbedingte Erwerbsminderung im bisher ausgeübten Beruf durch die traumatische Hirnschädigung in Kombination mit den leichten motorischen Beeinträchtigungen des rechten Beines auf etwa 50 % zu bemessen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünden ähnliche Einschränkungen.
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, tatsächlich sei seine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 60 % zu bemessen. Das führe dazu, dass er dauerhaft nicht mehr seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer nachgehen könne. In dem von ihm als Einzelfirma betriebenen Unternehmen "S. Datentechnik" hätten sich wegen des Verkehrsunfalls nachhaltige Umsatz und Gewinneinbußen ergeben. Der Kläger hat diese für den streitgegenständlichen Zeitraum von 2002 bis 2006 auf 368.312,46 EUR beziffert und nach Abzug vorgerichtlich geleisteter Zahlungen der Beklagten, die er mit 166.940 EUR angegeben hat, einen offenen Verdienstausfallschaden in Höhe von 201.372,46 EUR ermittelt. Er hat dazu vorgetragen, sein mit dem Vertrieb von Hard- und Software, der Netzwerkbetreuung sowie dem Erbringen von Service und Notdiensten befasstes Unternehmen habe sich zum Unfallzeitpunkt in einer Umstrukturierungsphase befunden. Deren Auswirkungen habe der von der Beklagten zu 2 eingeschaltete Wirtschaftssachverständige unzutreffend bewertet. Infolgedessen gingen die Beklagten fehlerhaft davon aus, dass die Neuausrichtung des Unternehmens vor dem Unfall durch Anbindung an einen neuen Vertriebspartner keine substantiellen Impulse für Umsatzsteigerungen ergeben hätte. Aus diesem Grund sei das Wachstumspotenzial des klägerischen Unternehmens zu gering bemessen worden. Auch die von der fiktiven Umsatzentwicklung abzusetzenden ersparten Kosten seien unzutreffend ermittelt worden.
Darüber hinaus hat der Kläger Fahrtkosten zu Heilbehandlungen in Höhe restlicher 1.532,90 EUR geltend gemacht und hierzu die Auffassung vertreten, entgegen der vorgerichtlichen Abrechnung der Beklagten zu 2 seien die zu erstattenden Fahrtkosten nicht mit einem Kilometersatz von 0,21 bzw. 0,25 EUR zu berechnen, sondern mit 0,30 EUR. Außerdem hat der Kläger Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden begehrt und insoweit darauf verwiesen, es könne bislang der Erwerbsschaden für das Jahr 2007 nicht abschließend beziffert werden, außerdem sei in Anbetracht der erlittenen Verletzungen auch zukünftig mit dem Auftreten weiterer materieller und immaterieller Schäden zu rechnen.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt.
Zum einen haben sie bestritten, dass die vom Kläger geltend gemachten Einschränkungen in körperlicher und intellektueller Hinsicht ausschließlich Unfallfolge seien. insbesondere die unfallunabhängig bestehende Migräne könne sich ebenfalls erheblich negativ auswirken und zu Konzentrationsstörungen führen sowie die intellektuelle und psychische Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit deutlich einschränken.
Zum Verdienstausfall haben die Beklagten das Zahlenwerk des Klägers bestritten. Sie haben unter Hinweis auf das von ihnen vorgerichtlich eingeholte Privatgutachten eines Wirtschaftssachverständigen behauptet, für den Zeitraum 2002 bis 2006 errechne sich lediglich ein Schaden in Höhe von 176.100 EUR. Hiervon seien vorgerichtlich erbrachte Zahlungen der Beklagten zu 2 in Höhe von 178.930 EUR sowie das - unstreitig - vom Kläger bezogene Krankengeld in Höhe von 16.450 EUR abzusetzen, sodass sich sogar eine Überzahlung des Klägers von 19.280 EUR ergebe. Die Beklagten haben im Übrigen den vom Kläger behaupteten Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und den nach dem Unfall eingetretenen Umsatz und Gewinneinbußen in seinem Unternehmen bestritten. Diese seien vielmehr auf eine grundsätzliche Strukturschwäche des klägerischen Betriebs und die schlechte allgemeine Marktentwicklung für Kleinbetriebe im IT-Bereich zurückzuführen.
Hinsichtlich des Fahrtkostenanspruchs haben die Beklagten an ihrer vorgerichtlichen Abrechnung mit 0,21 bzw. 0,25 EUR pro Kilometer festgehalten und ergänzend darauf verwiesen, der Kläger müsse sich ohnehin vorrangig an seine Krankenversicherung halten, da es lediglich um Fahrten zu notwendigen Heilbehandlungen gehe.
In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 5. Juni 2008, an der der Kläger persönlich mit seinem damaligen Bevollmächtigten, dem Streithelfer zu 5, teilnahm, schlossen die Parteien nach Erörterung der Sach- und Rechtslage auf dringendes Anraten des Gerichts zur Vermeidung einer eventuellen aufwendigen Beweisaufnahme einen Vergleich. Darin verpflichteten sich die Beklagten, an den Kläger noch weitere 100.000 EUR zu zahlen. Damit sollten sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 28. August 2002 erledigt sein. Den Beklagten wurde ein Widerrufsrecht bis 26. Juni 2008 eingeräumt, von dem sie keinen Gebrauch gemacht haben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5. Juni 2008 (Bl. 143 ff. d. A.) verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2008, der am gleichen Tag beim Landgericht eingegangen ist (Bl. 147 d. A.), hat der Kläger Fortsetzung des Rechtsstreits begehrt. Er hat vorgetragen, der geschlossene Vergleich sei unwirksam, weil er auf einer nichtigen Anweisung seinerseits an seinen ihn im Termin vertretenden Prozessbevollmächtigten beruhe. Ausweislich des Attestes der Neurologin C. vom 26. Juni 2008 (Bl. 149 d. A.) sei er - der Kläger - geschäftsunfähig im Sinne des § 105 Abs. 2 BGB gewesen. Denn seine kognitiven Fähigkeiten seien in der Prozesssituation aufgrund zusätzlicher medikamentöser Beeinflussung soweit eingeschränkt gewesen, dass er keine adäquate Entscheidung mehr habe treffen können. Da er vor dem Termin nicht nur die ihm zur regelmäßigen Einnahme verordneten Medikamente "Citalopram 40 mg" und "Saroten 25 mg" eingenommen habe, sondern zusätzlich auch noch eine weitere Tablette des Medikaments "Opipramal 50 mg", sei er im Termin für alle anderen Beteiligten unerkannt nicht in der Lage gewesen, der Sitzung zu folgen und die Auswirkungen des Vergleichs zu erfassen. Hierzu beziehe er sich auf Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass der Prozess durch den Vergleich vom 5. Juni 2008 nicht beendet ist.
Die Beklagten haben beantragt,
den Antrag des Klägers auf Feststellung der Vergleichsunwirksamkeit zurückzuweisen,
hilfsweise,
festzustellen, dass das Prozessverfahren der Parteien durch den Vergleich vom 5. Juni 2008 wirksam beendet ist.
Diesen Anträgen hat sich die Streithelferin zu 1 angeschlossen.
Die Beklagten haben bestritten, dass der Kläger im Verhandlungstermin partiell geschäftsunfähig gewesen sei. Sie haben gemeint, das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest vom 26. Juni 2008 sei in dieser Hinsicht untauglich und im Übrigen auch inhaltlich unrichtig. Außerdem werde die Einnahme der vom Kläger behaupteten Medikamente bestritten. Zudem sei nach dem klägerischen Vorbringen völlig unklar geblieben, wann und wie konkret er die behaupteten Medikamente zu sich genommen habe.
Auch die Streithelferin zu 1 der Beklagten hat ausdrücklich eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Verhandlungstermin am 5. Juni 2008 in Abrede genommen. Sie hat ferner mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger vor dem Gerichtstermin eine Tablette Opipramal eingenommen habe. Im Übrigen hätten weder die Medikamente Citalopram und Saroten noch das Medikament Opipramal eine Geschäftsunfähigkeit zur Folge.
Der Kläger hat sich daraufhin zum Beweis für die Einnahme einer weiteren Tablette Opipramal 50 mg auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufen.
Das Landgericht hat mit am 2. Januar 2009 verkündeten Urteil, auf das der Senat zur weiteren Sachdarstellung Bezug nimmt, festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den am 5. Juni 2008 geschlossenen Vergleich erledigt ist. Es hat ausgeführt, wegen der unstreitig wirksamen Bevollmächtigung des im Termin für den Kläger aufgetretenen Prozessbevollmächtigten sei der dort geschlossene Vergleich rechtswirksam, weil es gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf die Geschäftsfähigkeit des Klägers selbst nicht ankomme. Der gegenteiligen, vom OLG Braunschweig in einem Obiter Dictum eines Urteils aus dem Jahr 1975 vertretenen Auffassung, sei nicht zu folgen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er weiterhin Feststellung der Unwirksamkeit des vor dem Landgericht geschlossenen Vergleiches begehrt und im Übrigen seine ursprünglichen Klaganträge weiterverfolgt. Der Kläger rügt, entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Vergleich gemäß § 105 BGB nichtig. Da er im Moment des Vergleichsabschlusses durch seinen Prozessbevollmächtigten geschäftsunfähig gewesen sei, habe er diesen nicht wirksam zur Zustimmung zu dem Vergleich bevollmächtigen können. Es habe sich insoweit im Außenverhältnis eindeutig erkennbar um eine Einzelvollmacht an den im Termin auftretenden Anwalt auf dessen ausdrückliche Nachfrage gehandelt.
Der Kläger trägt vor, den Mangel seiner Bewusstseinslage habe er erst im Anschluss an den Termin zur mündlichen Verhandlung nach ausführlicher Rücksprache mit seiner Ehefrau, weiterem Bedenken über das Wochenende hinweg und anschließender Rücksprache mit verschiedenen Ärzten erkennen können. Aufgrund des durch die tägliche Einnahme der Medikamente "Citalopram 40 mg" und "Saroten 25 mg" sowie der Unfallfolgen mit kognitiven Störungen, Merkfähigkeitsstörungen und zunehmender Ermüdung bestehenden körperlichen Zustandes sei er - der Kläger - am Terminstag nicht in der Lage gewesen, dem Prozess zu folgen. Er habe sich durch die Situation beunruhigt gefühlt. Die Rechtsanwälte hätten untereinander und sodann auch auf ihn eingeredet, sodass er dem Gespräch in der kurzen Zeitspanne nicht gewachsen gewesen sei. Er habe der komplexen Situation nicht folgen und die Konsequenzen nicht begreifen können. Seine unfallbedingte Erkrankung und die eingenommenen Medikamente hätten dazu geführt, dass sein Urteilsvermögen seinerzeit und auch jetzt eingeschränkt sei. In kurzer Zeit sei er nicht in der Lage, adäquate Entscheidungen zu treffen. Die ihm dazu am 5. Juni 2008 zugebilligte Zeit einer Rücksprache mit seiner vor dem Gerichtssaal wartenden Ehefrau von lediglich 10 Minuten habe hierzu nicht ausgereicht. Dann sei auf Drängen des gegnerischen Prozessbevollmächtigten die Verhandlung bereits fortgesetzt worden. Im Gerichtssaal habe er sich sodann "von der ganzen Meute wieder überfallen" gefühlt. Sein seinerzeitiger Prozessbevollmächtigter habe massiv auf ihn eingeredet und ihn zu einer schnellen Entscheidung gedrängt. Daraufhin habe er - der Kläger - lediglich erklärt, dann müsse er das wohl tun. Deshalb sei für alle Beteiligten im Gerichtssaal offensichtlich erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Kläger um einen unterdrückten und verunsicherten Menschen gehandelt habe.
Der Kläger macht mit seiner Berufung ferner geltend, der Vergleich erweise sich im Übrigen auch aufgrund Wegfalls der seinerzeitigen Geschäftsgrundlage als unwirksam. Denn er - der Kläger - habe zwischenzeitlich erkennen müssen, dass es zukünftig zu weiteren Verschlimmerungen seiner gesundheitlichen Situation kommen werde. Insoweit sei im rechten Sprunggelenk mit einer Versteifung zu rechnen, das Kniegelenk müsse wegen eines durch die zahlreichen Operationen entstandenen Knorpelschadens durch ein künstliches ersetzt werden und auch mit einer Gelenkprothese für die rechte Hüfte sei zu rechnen. Dies sei im Termin vor dem Landgericht Hannover nicht absehbar gewesen, weshalb ihm ein Festhalten an dem Vergleich nicht länger zuzumuten sei.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den vor dem Landgericht Hannover am 5. Juni 2008 geschlossenen Vergleich nicht beendet worden ist,
2. die Beklagten zu verurteilen, ihm als Gesamtschuldner 202.905,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm alle weiteren Schäden materieller und immaterieller Art aus dem Verkehrsunfall vom 28. August 2002 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten und die Streithelfer zu 1 bis 12 beantragen,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Insbesondere verweisen sie darauf, dass nach den im Verhandlungstermin am 5. Juni 2008 gewonnenen Erkenntnissen ihrer dort anwesenden Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht in seiner Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Es sei im allgemein üblichen Umfang über die Klagforderung diskutiert worden. Der Kläger sei in keiner Weise zum Vergleichsschluss gedrängt worden. Vielmehr habe er selbst gebeten, den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichsbetrag mit seiner vor dem Gerichtssaal wartenden Frau besprechen zu können. Diese Besprechung sei auch nicht vorzeitig unterbrochen worden.
Die Beklagten und die Streithelferin zu 1 bestreiten sodann nochmals den klägerischen Vortrag zur Medikamenteneinnahme. Die Beklagten verweisen in diesem Zusammenhang darauf, es sei nach wie vor unklar, welche der Medikamente der Kläger im Einzelnen wann in welcher Dosierung genommen habe. Deshalb fehle es an der Grundlage für die Einholung eines pharmakologischen Sachverständigengutachtens. Die Beklagten und die Streitverkündete zu 1 vertreten außerdem die Auffassung, eine Anpassung des Vergleichs nach § 313 BGB wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage könne nicht erfolgen. Insoweit bestreiten sie den in der Berufungsbegründung des Klägers erstmals gehaltenen Sachvortrag zu den zu erwartenden weiteren gesundheitlichen Folgeschäden. Im Übrigen verweisen sie darauf, dass der Kläger bereits in der Klagschrift und mit Schriftsatz vom 29. Februar 2008 (Bl. 10 und Bl. 73 d. A.) eine angebliche Ungewissheit über die zukünftige medizinische Entwicklung geltend gemacht habe. Hierauf sei der ausdrücklich gestellte Feststellungsantrag gestützt gewesen.
Nach Ansicht der Beklagten fehle es außerdem auch an der vom Kläger behaupteten Inadäquanz des Vergleichs, da die Beklagten ihrerseits durch die Zustimmung zu dem Vergleich in erheblichem Umfang finanzielle Zugeständnisse gemacht hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Ferner wird auf den Aktenvermerk der Richterin am Landgericht S. vom 23. Juni 2006 über den Verlauf der Sitzung am 5. Juni 2008 (Bl. 142 d. A.) verwiesen.
B.
I.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den in der mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2008 zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich erledigt ist. Infolge der Abgeltungswirkung dieses Vergleichs, der sämtliche gegenwärtigen und künftigen Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfall am 28. August 2002 erfasst, hat der Kläger keine weiteren Ansprüche gegen die Beklagten auf Zahlung von Verdienstausfall und Fahrtkosten sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Zukunftsschäden.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Vergleich vom 5. Juni 2008 wirksam und hat zur Beendigung des über die Klagforderungen anhängig gewesenen Rechtsstreits geführt.
a) Der Vergleich ist nicht wegen Geschäftsunfähigkeit des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 5. Juni 2008 unwirksam.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit zunächst auf die Ausführungen in seinem Hinweisbeschluss vom 16. April 2009. Auch nach neuerlicher Überprüfung hält der Senat daran fest, der Rechtsauffassung des Landgerichts zur Nichtanwendbarkeit von § 166 Abs. 2 BGB zu folgen. Diese Norm ist in Fällen wie dem vorliegenden nicht einschlägig. Sie bezweckt den Schutz des Geschäftspartners (davor, dass durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes umgangen wird) und nicht den Schutz des Vertretenen (so zutreffend OLG Hamm, MDR 2009, 194 und LAG Hessen, Urteil vom 7. Juli 2006 - 3 Sa 1546/05. ebenso LG Schweinfurt, MDR 1983, 64 [LG Schweinfurt 11.03.1982 - 2 O 219/81] m. w. N.). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 1968 (WM 1969, 471) gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung, weil der jener Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist. Der Bundesgerichtshof hat entscheidend darauf abgestellt, es sei unerträglich, wenn im Fall einer arglistigen Täuschung der bei Vergleichsschluss anwesenden Partei, durch die deren Weisung an ihren anwaltlichen Vertreter zum Vergleichsschluss beeinflusst worden sei, die gegnerische Partei als Frucht ihrer Täuschungshandlung eine nicht angreifbare Rechtsposition erwerben und behalten könnte. Dem ist jedoch die vorliegende Konstellation einer von der Gegenpartei nicht erkannten und auch nicht erkennbaren vorübergehenden Geschäftsunfähigkeit des anwaltlich vertretenen Klägers nicht vergleichbar. Dies verkennt auch das Oberlandesgericht Braunschweig in dem Obiter Dictum zu seinem Urteil vom 4. April 1975 (OLGZ 75, 441). Vielmehr würde - wie insbesondere das Landgericht Schweinfurt (MDR 1983, 64) zutreffend ausgeführt hat - eine uneingeschränkte Anwendung von § 166 Abs. 2 BGB zugunsten des Vertretenen in allen Fällen, in denen seine Weisungen an den Vertreter von Willensmängeln beeinflusst sind, zu einem Leerlauf des vom Gesetzgeber gewollten Trennungs- und Repräsentationsprinzips führen.
Deshalb ist der Einwand des Klägers, bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs nicht geschäftsfähig gewesen zu sein, unerheblich, weil insoweit auf die - zweifelsfrei gegebene - Geschäftsfähigkeit seines Prozessbevollmächtigten abzustellen ist.
Der Kläger stellt selbst nicht in Abrede, diesem bei der Mandatierung Anfang 2008 wirksam eine umfassende Prozessvollmacht erteilt zu haben. Diese Vollmacht wird in ihrem Bestand durch eine etwaige spätere Geschäftsunfähigkeit des Klägers als Vollmachtgeber nicht berührt (vgl. § 86 ZPO). Nach ihrem gesetzlichen Umfang (§ 81 ZPO) hat die ursprüngliche Prozessvollmacht den Prozessbevollmächtigten des Klägers auch zur Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich ermächtigt. Eine - grundsätzlich mögliche - Beschränkung der Prozessvollmacht gemäß § 83 Abs. 1 ZPO ist hier nicht offengelegt worden. Denn dies hätte eine unzweideutige Mitteilung erfordert (vgl. dazu Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 83 Rdnr. 1 m. w. N.. BGHZ 16, 167. BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79), an der es hier fehlt. Deshalb ist der vom Landgericht protokollierte Vergleich durch die im Namen des Klägers abgegebene Zustimmungserklärung seines Prozessbevollmächtigten wirksam geworden.
Die Berufung des Klägers hat schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg.
b) Im Übrigen hat der Kläger trotz der Hinweise des Senats im Beschluss vom 16. April 2009 nicht mit Substanz dargelegt, dass er zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses geschäftsunfähig war. Hierzu wird zunächst auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 16. April 2009 verwiesen. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Die unfallbedingten Konzentrations, Merk und Aufmerksamkeitsstörungen machen sich nach den Ergebnissen der medizinischen Testungen erst nach zusammenhängender 3-stündiger Anstrengung bemerkbar. so lange hat die Verhandlung vor dem Landgericht aber bei weitem nicht gedauert. Der Medikamentenkonsum soll nach dem eigenen Berufungsvorbringen des Klägers nur zu einer "Einschränkung" seines Urteilsvermögens geführt haben, während eine Geschäftsunfähigkeit nach § 105 Abs. 2 Fall 2 BGB einen vollständigen Ausschluss der freien Willensbestimmung erfordert. In dem vorgelegten ärztlichen Attest ist von einer derartigen Wirkung der betreffenden Medikamente ebenfalls nicht die Rede. Auch ansonsten gibt es - wie schon im Hinweisbeschluss des Senats vom 16. April 2009 näher dargelegt - keine objektivierbaren äußeren Anzeichen, die auf eine die freie Willensbestimmung des Klägers gänzlich ausschließende Bewusstseinstrübung hindeuten würden. Damit ist eine Geschäftsunfähigkeit schon nicht schlüssig vorgetragen, weshalb es der Einholung des dazu beantragten Sachverständigengutachtens nicht bedurfte.
Unabhängig davon fehlt es im Übrigen hierfür auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen. Denn der Kläger hatte trotz entsprechender Aufforderung seitens der Beklagten und der Streithelferin weder in erster Instanz noch in der Berufungsbegründung oder in der Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Senats den konkreten Zeitpunkt der Einnahme der verschiedenen Medikamente mitgeteilt. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierzu aufgestellten Behauptungen sind von den Beklagten und den Streithelfern bestritten worden. einen Beweis dafür hat der Kläger nicht angetreten. Abgesehen davon könnte sein diesbezüglicher Vortrag gemäß § 530 i. V. m. § 296 Abs. 1, 4 ZPO ohnehin keine Berücksichtigung mehr finden.
c) Eine Unwirksamkeit des Vergleichs gemäß § 779 BGB im Hinblick auf die mit der Berufungsbegründung erstmals vorgetragenen weiteren körperlichen Unfallfolgen (mögliche Folgeoperationen wegen künstlicher Gelenke und Gefahr einer Versteifung des rechten Sprunggelenks) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Denn es ist nicht dargelegt, dass beide Parteien bei Vergleichsschluss übereinstimmend als unstreitig zugrunde gelegt haben, solche Entwicklungen könnten nicht eintreten. Vielmehr hatte der Kläger gerade im Hinblick auf mögliche weitere gesundheitliche Folgen seiner unfallbedingten Verletzungen die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige immaterielle Folgeschäden beantragt.
Im Übrigen ist das zugrundeliegende Tatsachenvorbringen ohnehin gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO im Berufungsverfahren ausgeschlossen, weil die Beklagten und die Streithelferin zu 1 die Möglichkeit des Eintretens der behaupteten Unfallfolgen bestritten haben und der Kläger nicht dargelegt hat, weshalb ihm ein entsprechend vereinzelter Sachvortrag nicht bereits im ersten Rechtszug möglich war.
d) Die Unwirksamkeit des Vergleichs kann auch nicht aus § 142 Abs. 1 BGB hergeleitet werden. Abgesehen davon, dass es schon an einer dazu erforderlichen Anfechtungserklärung des Klägers fehlt, liegt auch kein beachtlicher Anfechtungsgrund vor. Eine Täuschung oder Drohung im Sinne des § 123 BGB ist nicht ersichtlich. Eine Anfechtung gemäß § 119 BGB wegen Inhaltsirrtums ist schon wegen Versäumens der Anfechtungsfrist (§ 121 BGB) ausgeschlossen.
e) Der Vergleich ist schließlich auch nicht gemäß § 138 BGB wegen eines Missverhältnisses zwischen Abfindungssumme und dem Gesamtschaden nichtig. Selbst wenn man ein entsprechendes Missverhältnis hier unterstellen würde (obwohl der Vortrag des Klägers hierzu ohne Substanz ist), wäre weitere Voraussetzung einer Nichtigkeit des Vergleichs, dass die Beklagten eine erhebliche Willensschwäche des Klägers ausgenutzt hätten, um diesen zum Vergleichsschluss zu bewegen. Daran fehlt es, nachdem der Kläger selbst vorgetragen hat, auch den Beklagten sei seine zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 5. Juni 2008 bestehende Willensbeeinträchtigung nicht bekannt gewesen. Außerdem muss sich der Kläger auch insoweit die Vertretung durch den in seiner Willensfreiheit nicht beeinträchtigten Prozessbevollmächtigten entgegenhalten lassen.
2. Soweit der Kläger seine Berufung ergänzend auf den Einwand einer Störung der Geschäftsgrundlage des Vergleiches stützt, bleibt das Rechtsmittel ebenfalls ohne Erfolg. Wie bereits in dem Senatsbeschluss vom 16. April 2009 ausgeführt worden ist, könnte dieses Vorbringen - sofern es im Berufungsverfahren überhaupt noch zu berücksichtigen wäre (was aus den oben unter 1. Buchstabe c) ausgeführten Gründen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO allerdings nicht der Fall ist) - gemäß § 313 Abs. 1 BGB allenfalls Ansprüche auf Anpassung des Vergleichs begründen. Dagegen würde die behauptete Äquivalenzstörung die Wirksamkeit des Vergleichs und seine den Rechtsstreit beendende Wirkung nicht in Frage stellen. Darüber ist deshalb nicht durch Fortsetzung des durch den Vergleich erledigten Rechtsstreits zu entscheiden (vgl. BGH, NJW 1966, 1658 und NJW-RR 1986, 677).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO. Der Senat hat hierbei auch die vom Landgericht übersehene Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten der Streithelferin zu 1 nachgeholt. Insoweit bedurfte es keiner Urteilsergänzung durch das Landgericht nach § 321 ZPO, da aufgrund der Berufung des Klägers im Berufungsverfahren von Amts wegen über sämtliche Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden war.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht vorliegen. Denn der Senat weicht nicht von tragenden Erwägungen in einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts ab. die Ausführungen des Oberlandesgerichts Braunschweig in dessen Urteil aus dem Jahre 1975 betrafen lediglich eine für die eigentliche Sachentscheidung nicht erhebliche Vorfrage. Alle anschließend veröffentlichten neueren Entscheidungen anderer Gerichte decken sich hingegen mit der Rechtsauffassung des Senats.