Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.08.2009, Az.: 21 UF 67/09
Unzulässigkeit der Anrechnung eines erhöhten Fiktiveinkommens i.R. der Unterhaltsverpflichtung eines Leistungsempfängers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei ungünstiger Erwerbsbiografie
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.08.2009
- Aktenzeichen
- 21 UF 67/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 38053
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0814.21UF67.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Elze - 25.02.2009 - AZ: 8 F 322/08
Rechtsgrundlage
- § 1603 Abs. 2 BGB
Fundstellen
- FamRZ 2010, 128
- ZFE 2010, 106-107
Verfahrensgegenstand
Kindesunterhalt
In der Familiensache
...
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen -
des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2009
durch
den Richter am Oberlandesgericht Palzer,
die Richterin am Oberlandesgericht Bronisch-Holtze und
den Richter am Oberlandesgericht Kohlenberg
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Elze vom 25. Februar 2009 teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Kinder C. S., geb. am 20. August 1992, und J. S., geb. am 25. November 1995, für die Zeit von November 2008 bis Februar 2009 jeweils 400 EUR nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 4. Februar 2009 und ab März 2009 monatlich jeweils 100 EUR im Voraus bis zum 3. Werktag eines jeden Monats zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert in der Berufungsinstanz beträgt 5.042 EUR (2 x[1.166 EUR - 400 EUR] + 2 x 9 x [295 EUR -100 EUR]).
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten, mit der er sich gegen die Verurteilung zur Zahlung des Mindestunterhaltes für seine beiden minderjährigen Kinder für die Zeit ab Dezember 2008 wegen jeweils 100 EUR monatlich übersteigender Beträge wehrt, ist in vollem Umfang begründet.
Der Beklagte ist wegen jeweils 100 EUR monatlich übersteigender Beträge tatsächlich und fiktiv absolut leistungsunfähig.
Tatsächlich lebt der Beklagte von SGB II- Leistungen (einschließlich Zuschuss zum Wohnen) in Höhe von insgesamt monatlich 382,95 EUR und ca. 160 EUR monatlich die er als 20%-igen Gewinnanteil aus der Mitarbeit in der gemeinsam als GbR mit seiner Lebensgefährtin auf deren Namen betriebenen Gaststätte erwirtschaftet.
Zwar trifft den Beklagten als Vater zweier minderjähriger Kinder gemäß § 1603 Abs. 2 BGB eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Das heißt, er müsste sich grundsätzlich intensiv durch entsprechende Bewerbungen (ca. zweimal wöchentlich auf konkret angebotene, seinen Fähigkeiten entsprechende Stellenangebote) um eine Erwerbstätigkeit bemühen, was er unstreitig bisher unterlassen hat. Gleichwohl können dem heute 44-jährigen Beklagten aufgrund seiner Erwerbsbiografie und sonstigen persönlichen Verhältnisse nicht fiktiv höhere Einkünfte zugerechnet werden.
Nach Abschluss einer Ausbildung zum Konditor war der Beklagte nur ein halbes Jahr bis Januar 1986 in diesem Beruf tätig. Seither fehlt ihm jegliche Praxis in dem einstmals erlernten Beruf. In der Folgezeit war er zunächst als selbständiger Kurierfahrer, dann als ungelernter Arbeiter im Messebau und später im Ladenbau tätig, wo er bis zur fristlosen Kündigung seiner Anstellung durch die Firma .... sogar trotz fehlender Berufsausbildung zum Bauleiter aufstieg. Hernach war er als Servicekraft in der Gastronomie und sodann in einer auf dem Namen der Klägerin betriebenen Gaststätte tätig.
Der Beklagte befindet sich in Insolvenz (Beschluss AG Hildesheim - 51 IN 59/08 vom 14. Juli 2008). Gegen ihn ist ein umfangreiches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg (Az. 5701 Js 508/05) unter anderem wegen des Vorwurfes der Untreue und Schmiergeldzahlung hinsichtlich von Taten anhängig, die er während des ehelichen Zusammenlebens mit der Klägerin in seiner Eigenschaft als Bauleiter der Firma ..... begangen haben soll. Insoweit droht ihm nach eigener Einschätzung eine Haftstrafe, wobei er auf eine Strafaussetzung zur Bewährung hofft.
Vor dem Hintergrund der Insolvenz und des laufenden Strafverfahrens - insbesondere der Art der ihm zur Last gelegten Taten - scheidet eine selbstständige Erwerbstätigkeit mangels Kreditwürdigkeit und der fehlenden Voraussetzung für etwa erforderliche Konzessionen von vorn herein aus. Entsprechendes gilt - abgesehen von der fehlenden Qualifikation durch entsprechend Berufsabschlüsse - für alle abhängigen Beschäftigungen im kaufmännischen Bereich. Aber selbst bei allen ungelernten Beschäftigungen hat der Beklagte bei pflichtgemäßer Offenbarung seiner Erwerbsbiografie gegenüber etwaigen Arbeitgebern auf dem freien Arbeitsmarkt keine reale Beschäftigungschance; dies gilt insbesondere mit Blick auf vielfach jüngere Konkurrenten.
Dem Beklagten kann daher unabhängig von der Frage einer etwaigen Absenkung seines Selbstbehaltes wegen des Zusammenlebens mit seiner Lebensgefährtin derzeit auch unter Berücksichtigung der SGB II Leistungen kein höheres Einkommen fiktiv zugerechnet werden, als es notwendig ist, um nach Wahrung auch nur des abgesenkten Selbstbehaltes mehr als die anerkannten insgesamt monatlich 200 EUR für beide Kinder aufzubringen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Ziffer 10, 713 ZPO. Für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass.
Bronisch-Holtze
Kohlenberg