Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.01.2013, Az.: 6 U 193/12

Voraussetzungen für die Haftung eines Tierarztes wegen der Verletzung eines Pferdes nach einer Operation

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.01.2013
Aktenzeichen
6 U 193/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 39003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2013:0108.6U193.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - AZ: 9 O 1490/09

Redaktioneller Leitsatz

Ein Tierarzt verstößt nicht gegen anerkannte Behandlungsstandards, wenn er ein Pferd nach einer unter Narkose durchgeführten Operation nicht mit Aufstehhilfen unterstützt, da diese in Europa nicht zum tiermedizinischen Standard gehören.

In dem Rechtsstreit

Y .... D ...., ................, ...................., ....T....,

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Dr. O....& Partner, ....................., .....

L .....,

Geschäftszeichen: ...................

gegen

Dr. med. vet. M .... K ...., ......................., .....B ....-L ....,

Beklagter und Berufungsbeklagter,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwältin Dr. jur. R ...... J ....., ....................., ..............B ..........,

Geschäftszeichen: .......................

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den ...................................., den ......................................... und die ..........................

am 8. Januar 2013

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I.

Die Klägerin wird gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass ihre Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, weil das Landgericht ihre Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, abgewiesen hat. Die gegen die angefochtene Entscheidung gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

Wegen des Sachverhalts nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21.09.2012 (Az. 9 O 1490/09) Bezug; Änderungen oder Ergänzungen waren nicht veranlasst (vgl. § 522 Abs. ZPO n. F.).

Auch nach der Bewertung des Senats stehen der Klägerin keinerlei Ansprüche gegen den Beklagten zu.

Bei seiner Entscheidung ist das Landgericht von zutreffenden Feststellungen ausgegangen, Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen i. S. v. §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehen nicht, und auch Rechtsfehler sind nicht erkennbar (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Die gegen die angefochtene Entscheidung gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten aus einer schuldhaften Verletzung des Behandlungsvertrages oder aus deliktsrechtlichen Gesichtspunkten. Sie hat die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht bewiesen.

Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten bei Vornahme der Operation ist nicht feststellbar. Die Operation als solche wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Es ist auch nicht mehr im Streit, dass der Transport der Stute zu und vom Operationstisch ohne eine Verletzung des Tieres erfolgte. Im Rahmen der Berufung hält die Klägerin ihre Zweifel an der Unfallrekonstruktion durch die gerichtlich bestellte Gutachterin nicht mehr aufrecht. Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Tier die Verletzungen, die schließlich zur Notwendigkeit der Euthanasie führten, im Rahmen der Aufwachphase durch Stürze in der Aufwachbox zugezogen hat.

Eine Pflichtverletzung des Beklagten ist auch nicht darin zu sehen, dass er das Tier nach der Operation zunächst ohne assistierte Aufstehhilfen aufstehen ließ.

Die Gutachterin hat ausgeführt, dass es in Europa nicht zum tiermedizinischen Standard gehört, Pferde nach einer Anästhesie mit Aufstehhilfen zu unterstützen. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem aufgrund des Charakters des Tieres und der Art der Operation keine besonderen Komplikationen zu erwarten waren, hatte der Beklagte keinen Anlass, von dem Grundsatz, dass Austehhilfen kein notwendiger Teil einer Behandlung lege artis darstellen, abzuweichen. Auch die Klägerin geht nicht davon aus, dass nach der Narkose von Pferden grundsätzlich Aufstehilfen indiziert seien. Allein die Tatsache, dass es sich vorliegend um ein wertvolles Tier handelte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Nach den Ausführungen der Sachverständigen lag bei der Art des vorgenommenen Eingriffs keine Indikation für eine a priori Aufstehhilfe vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die tiermedizinischen Standards in Bezug auf den Einsatz von Aufstehhilfen beim Pferd in der Fachwelt in Abhängigkeit zum Wert des behandelten Tieres unterschiedlich bewertet werden. Die Entscheidung des Arztes für oder gegen eine Aufstehhilfe im individuellen Fall ist vielmehr abhängig von der Natur des Tieres und der Art der Operation. Beides hat vorliegend nicht dazu geführt, dass allein die Nutzung von Aufstehhilfen als Behandlung lege artis anzusehen wäre.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Arten von Aufstehhilfen ihrerseits Gefahren bergen und keinesfalls als Garantie für ein gefahrloses Aufstehen angesehen werden können. So werden Aufstehhilfen zum Teil auch von den Tieren nicht toleriert und können dann zu erheblichen Verletzungen beitragen. Die Nutzung von Aufstehhilfen ist daher nicht in jedem Falle als vorzugswürdig einzuordnen. Die Entscheidung für oder gegen ihren Einsatz hat vielmehr einzelfallbezogen zu erfolgen. Die Sachverständige hat im Rahmen ihrer Anhörung ebenfalls ausgeführt, dass es nicht sicher sei, dass im vorliegenden Falle eine Aufstehilfe das Verletzungsrisiko verringert hätte. Auch der Einsatz eines Kopfschutzes hätte die schwerwiegende Verletzung an den Wirbeln nicht verhindern können. Auch vor diesem Hintergrund ist die vom Beklagten gewählte Aufstehmethode nicht zu beanstanden.

Nach den Ausführungen der Sachverständigen, denen sich der Senat anschließt, war auch die Organisation der Überwachung während der Aufstehphase sachgerecht. Der Beklagte hat sich an das in einer Tierarztpraxis übliche Prozedere gehalten und eine intermittierende Überwachung der Stute in der Aufwachbox über eine Kamera sichergestellt. Eine Überwachung über das Guckloch ist unüblich und hätte im Übrigen auch keine vollständige Überwachung des Tieres gewährleistet. Über die Kamera war eine bessere Sicht auf die Stute möglich. Eine ununterbrochene Beobachtung war - da dies nicht üblich ist - nicht geschuldet. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass eine ununterbrochene Beobachtung und ein möglicherweise früheres Einschreiten die Verletzungen der Stute hätte verhindern können. Nach den Ausführungen der Sachverständigen war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der ersten Stürze in der Aufwachox ursächlich für die Verletzungen. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Schadensursache bereits gesetzt war, bevor für einen Beobachter in irgendeiner Weise ersichtlich war, dass die Stute nicht von allein würde aufstehen können und Veranlassung bestanden hätte, in den natürlichen Aufwach- und Aufstehprozess einzugreifen.

Dem Beklagten ist auch keine Verletzung von Aufklärungs- oder Beratungspflichten anzulasten. Zwar schuldet der Tierarzt die Darstellung des geplanten Eingriffs in groben Zügen sowie seiner Erfolgsaussichten und Risiken. Die Klägerin hat jedoch eine Verletzung solcher Pflichten durch den Beklagten nicht bewiesen.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine objektive Pflichtverletzung und für deren Schadensursächlichkeit obliegt auch hier, wie im Delikts- und Vertragsrecht im allgemeinen, der Klägerin als Anspruchsgläubigerin (vgl. BGH NJW 1982, 1327 ff. [BGH 19.01.1982 - VI ZR 281/79]; OLG München, VersR 2005, 1546 ff.; Schulze, Die Haftung des Tierarztes, Berlin 1992, S. 139). Hierfür im Bereich des tierärztlichen Handelns etwa in Anlehnung an die Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht im Bereich der Humanmedizin eine Ausnahme zu machen, besteht kein Anlass, weil das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in der Tiermedizin keine Rolle spielt (BGH aaO.).

Der Beklagte war verpflichtet, auf das Operationsrisiko hinzuweisen. Der Beklagte hat der Klägerin unstreitig die geplante Behandlungsmethode erklärt und darauf hingewiesen, dass auch eine konservative Behandlung ohne Operation möglich sei. Die Klägerin hat in Kenntnis dieser Tatsache die Behandlung mit Operation gewählt. Sie kann sich daher nicht darauf berufen, sie hätte sich bei Kenntnis der Möglichkeit, dass sich das Pferd in der Aufstehphase infaust verletzen könne, für die konservative Behandlungsmethode entschieden, sie hätte ja bei Fehlschlagen dieser Methode letztlich immer noch eine Operation in Auftrag geben können. Es versteht sich von selbst, dass eine Operation stets mit Risiken behaftet ist. Hätte die Klägerin tatsächlich den ungefährlichsten Weg gehen wollen, hätte sie unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer mit der Operation verbundenen Komplikation zunächst die konservative Methode wählen können.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte die Klägerin nicht hinreichend über das Narkoserisiko aufgeklärt hätte. Es ist bereits zweifelhaft, ob eine solche Aufklärung überhaupt zu erfolgen hat, da die Kenntnis des Narkoserisikos üblicherweise bei einem Pferdebesitzer vorausgesetzt werden kann (vgl. BGH NJW 1980, 1904 f. [BGH 18.03.1980 - VI ZR 39/79]; Leitlinien zur Aufklärungspflicht in der Pferdepraxis der Bundestierärztekammer). Die Klägerin kann ihre Behauptung, über eine Narkose sei gar nicht gesprochen worden, aber ohnehin nicht beweisen. Bereits ihre Unterschrift auf dem Aufnahmeschein spricht dafür, dass eine diesbezügliche Aufklärung erfolgte. Hier heißt es, der Besitzer sei "auf die Risiken einer Operation und der erforderlichen Narkose hingewiesen worden". Bereits angesichts des Wertes der Stute ist es wenig plausibel, wenn die Klägerin behauptet, den Aufnahmeschein ungelesen unterschrieben zu haben. Der Beklagte hat darüber hinaus angegeben, er habe die Klägerin auf das Narkoserisiko hingewiesen. Auch die Zeugin W.... hat bestätigt, dass das Narkoserisiko erwähnt wurde.

Eine ausführliche Beschreibung, welche Gefahren im Einzelnen eine Vollnarkose mit sich bringen kann, war nicht geschuldet. Zu Recht weist das Landgericht darauf hin, dass von einem Tierarzt nicht erwartet werden kann, dass er über alle möglichen peri- und postoperativen Risiken aufklärt und ungefragt Angaben über den Ablauf und die Überwachung der Aufwachphase zu machen. Es liegt zudem auf der Hand und muss jedem Pferdeeigentümer klar sein, dass es bei einem so schweren Tier wie einem Pferd in der Phase zwischen Aufwachen und Stabilisierung zu Stürzen kommen kann, bei denen erhebliche Kräfte freigesetzt werden und daher auch die Gefahr von Brüchen besteht. Zwar wird nach den genannten Leitlinien zur Aufklärungspflicht in der Pferdepraxis empfohlen, den Pferdebesitzer auf das perioperative Risiko (Narkose- und Operationsrisiko) aufmerksam zu machen, eine solche Verpflichtung besteht allerdings nicht. Auch wenn das Operations- und Narkoserisiko, wie es in den Leitlinien heißt, mit 0,9% der Fälle nicht ganz unwesentlich ist, so ist auch zu berücksichtigen, dass von diesen Todesfällen nur ein Teil (nach Wolff, Risiko Narkosepatient in: hundkatzepferd 05/08, Bl. 142 Bd. I GA sind dies 23% der Fälle) auf Frakturen während der Aufwachphase zurückzuführen ist. Es würde die Anforderungen überspannen, wollte man neben dem Hinweis auf die Tatsache, dass eine Narkose Risiken birgt, darüber hinaus noch eine Aufschlüsselung der einzelnen Narkoserisiken und ihrer Wahrscheinlichkeit fordern.

Dem Beklagten kann auch keine mangelhafte Dokumentation der Behandlung der Stute vorgeworfen werden. Das Narkoseprotokoll (Anlagenband) und die Entlassungsanweisung (Bl. 147 Bd. I GA) beschreiben die Maßnahmen der Klinik umfassend. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die Anzahl der Aufstehversuche hätte dokumentiert werden müssen.

Zu Recht weist das Landgericht schließlich auch darauf hin, dass der Klägerin ohnehin der Nachweis, sie hätte in Kenntnis der Risiken in der Aufstehphase von einer Operation Abstand genommen, nicht gelungen ist. Die Rechtsprechung zum Entscheidungskonflikt bei unterlassener Eingriffsaufklärung in der Humanmedizin ist nicht anwendbar. Bei der Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs ist auf die Entscheidung eines "vernünftigen" Pferdebesitzers abzustellen (vgl. OLG München, VersR 2005, 1546 f. [OLG München 09.10.2003 - 1 U 2308/03]). Angesichts der Tatsache, dass das Pferd abgesehen von dem Gelenkchip gesund und gut in Form war und dass die Entfernung des Chips eine Routineoperation darstellte, die - anders als die konservative Methode - eine sichere Behandlung des taktunreinen Laufens versprach, ist davon auszugehen, dass die Klägerin sich in jedem Falle für die Operation entschieden hätte. Die anderweitige Behauptung der Klägerin erscheint dem Senat nicht plausibel und dürfte der Kenntnis der eingetretenen Komplikationen geschuldet sein.

II.

Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert, beabsichtigt der Senat, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Senat hält im Hinblick auf die Neufassung des § 522 ZPO (vgl. Bundesrats-Drucksache 485/11 vom 02.09.2011) eine mündliche Verhandlung nicht für geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass die ein Rechtsgespräch anlässlich einer mündlichen Verhandlung möglicherweise zu einer Änderung der Rechtsauffassung des Senats als Berufungsgericht führt. Substantielle Einwendungen gegen die Tatsachenfeststellungen sind nicht erhoben.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zweier Wochen nach Zustellung des Beschlusses.