Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.01.2013, Az.: 3 U 88/12

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
11.01.2013
Aktenzeichen
3 U 88/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64323
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 21.09.2012 - AZ: 1 O 1223/10

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Schadensschätzung gem. § 287 ZPO bei Ausfall von Triebwagen eines Bahnunternehmens nach einem Unfall und anschließendem Einsatz von Reserve- bzw. Mietfahrzeugen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. September 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des  Landgerichts Oldenburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 86.686,76 Euro.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch.

In den Jahren 2007 bis 2009 kam es in insgesamt fünf Fällen an unbeschränkten Bahnübergängen zu Zusammenstößen von Triebwagen der Klägerin mit bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugen. Die Triebwagen wurden dabei jeweils beschädigt und konnten bis zum Abschluss ihrer Reparatur nicht mehr eingesetzt werden.

Die vollständige Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Die Beklagte hat vorgerichtlich bereits Schadensersatzzahlungen an die Klägerin erbracht.

Die Auseinandersetzung der Parteien bezieht sich vor allem auf die Frage, ob für die ausgefallenen Triebwagen („Module“) Reservefahrzeuge der Klägerin eingesetzt wurden und damit Vorhaltekosten von 490,- Euro je Kalendertag als Schadensersatz verlangt werden können. Soweit anstelle von Vorhaltekosten von der Klägerin zum Teil die Erstattung von Kosten für die Anmietung von Triebwagen verlangt wird, hat die Beklagte den Einsatz von Mietfahrzeugen als Ersatz für die beschädigten Triebwagen bestritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§  522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 107.651,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 16.713,71 Euro seit dem 22. Oktober 2008, von 7.328,80 Euro seit dem 23. Oktober 2008, von 31.110,- Euro seit dem 1. November 2008, von 1.832,19 Euro seit dem 25. Oktober 2008 und von 50.666,64 Euro seit dem 30. Oktober 2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend, zu einem Betrag von 86.686,76 Euro nebst Zinsen, stattgegeben. Auf die Gründe der Entscheidung wird verwiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass die Klägerin lediglich pauschal vorgetragen und nicht dargelegt habe, wie in den einzelnen Schadensfällen das jeweils beschädigte Modul konkret ersetzt worden sei. Die vom Landgericht trotz des unzulänglichen Vortrages der Klägerin durchgeführte Beweisaufnahme habe den Kausalzusammenhang zwischen dem unfallbedingten Ausfall von Triebwagen und dem Einsatz von Reserve- bzw. Mietfahrzeugen und damit die Berechtigung der Geltendmachung von Vorhalte- und Mietkosten ebenfalls nicht belegt. Zudem seien die Kosten der Reservehaltung ohnehin in den Fahrpreisen der Klägerin enthalten, so dass von vorneherein kein Schaden entstanden sein könne.

Was die Höhe der Vorhaltekosten angehe, habe das Landgericht außerdem gegen die Bestimmung des § 287 ZPO verstoßen, da ausreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung nicht vorgelegen hätten. Der Gerichtssachverständige G …. habe in seiner mündlichen Anhörung erklärt, dass es gerade keine Mindestwerte für die im Rahmen der Berechnung der Vorhaltekosten (u. a.) anzusetzenden Instandhaltungskosten der Triebwagen gebe.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen

II.

Der Senat weist die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurück, weil sie offensichtlich unbegründet ist.

Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 3. Dezember 2012 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

Der Senat hat darin Folgendes ausgeführt:

„Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Was die Ersatzfähigkeit der Vorhaltekosten zur Entschädigung der entgangenen Nutzung der beschädigten Triebwagens gemäß §§ 249, 251 Abs. 1 BGB dem Grunde nach angeht, kommt es entgegen der Ansicht der Berufung von vorneherein nicht darauf an, ob jeweils tatsächlich einer der vorgehaltenen Triebwagen als Ersatz eingesetzt worden ist oder ob der Ausfall anderweitig - z. B. durch die von der Beklagten (allerdings nur unsubstantiiert) behauptete „Verkürzung“ der Züge um das beschädigte Modul - aufgefangen worden ist. Die Hinnahme derartiger, seitens der Geschädigten nicht geschuldeter, Vertragsstrafen auslösender und ihrem geschäftlichen Ruf bei den Fahrgästen abträglicher Einschränkungen ihres Fahrbetriebes würde den Schädiger nämlich nicht entlasten (vgl. BGHZ 70, 199 Juris Rn. 19). Sollte im Einzelfall nicht ein Fahrzeug aus der Betriebsreserve eingesetzt worden sein, wäre vielmehr auf die entsprechenden Vorhaltekosten gerade für das beschädigte und zeitweise ungenutzte Fahrzeug selbst abzustellen (BGH, a. a. O.; vgl. auch BGHZ 56, 214). Der Grund für die Ersatzpflicht liegt darin, dass die durch die Beschädigung entgangenen Nutzungen eines Fahrzeugs in Abgrenzung zu § 253 Abs. 1 BGB als solche einen Vermögenswert darstellen, mithin - hier konkret infolge der Vorhaltekosten - „kommerzialisiert“ sind (vgl. GrS BGHZ 98, 212).

Da sowohl die vorgehaltenen wie auch die beschädigten Fahrzeuge dem Typ „Lint 41“ unterfallen (dazu noch unten) macht es rechnerisch keinen Unterschied zum Nachteil der Beklagten, ob hinsichtlich der Vorhaltekosten auf die vorgehaltenen oder die im Einzelfall beschädigten Fahrzeuge abgestellt wird.

Im Übrigen hat das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO über Entstehung und Höhe des von der Klägerin behaupteten Schadens (sog. haftungsausfüllender Tatbestand) nach freier Überzeugung zu entscheiden. Als Beweismaß genügt bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der behaupteten Tatsachen (vgl. BGH NJW 1993, 734 [BGH 05.11.1992 - IX ZR 12/92]; 2000, 509; Grüneberg, in: Palandt, 71. Aufl., vor § 249 Rn. 136). An Beweisanträge und die Beweislastverteilung ist das Gericht nicht gebunden (vgl. BGH NJW 1958, 1579 [BGH 10.06.1958 - VI ZR 120/57]; VersR 1962, 1099 [BGH 28.06.1962 - III ZR 166/60]; Grüneberg, a. a. O.)

Jedenfalls unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat es das Landgericht zutreffend und rechtsfehlerfrei als bewiesen angesehen, dass in den behaupteten Fällen und Zeiträumen auch tatsächlich jeweils ein Reservefahrzeug der Klägerin eingesetzt wurde. Zu den im Urteil zitierten Angaben der Zeuge P ….  und K …. ist  ergänzend auf die Aussage des Gerichtssachverständigen G …. in seiner mündlichen Anhörung zu verweisen. Dieser hat bestätigt, dass Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Strafen zu rechnen haben, wenn sie die gegenüber dem Land im Nahverkehr vertraglich zugesagten Beförderungskapazitäten nicht zur Verfügung stellen. Die Annahme, dass zur Verfügung stehende Reserven im Schadensfall auch eingesetzt werden, entspricht darüber hinaus auch der wirtschaftlichen Vernunft. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass der entsprechende Vortrag der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutrifft.

Auch die Berechnung der Vorhaltekosten mit mindestens 490,- Euro pro Ausfalltag ist nicht zu beanstanden. Es ist höchstrichterlich entschieden, dass die Vorhaltekosten gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen sind (BGHZ 70,199).

Da die im hiesigen Bereich eingesetzten 34 Triebwagen („Module“) der Klägerin von der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen angemietet sind, ist zunächst der Mietzins anzusetzen. Gemäß den vorgelegten Verträgen ist mit dem Landgericht von einem Mietzins je Triebwagen von (durchschnittlich) 359,12 Euro kalendertäglich auszugehen. Dem Grunde nach unstreitig ist, dass als weitere Vorhaltekosten Instandhaltungskosten, Kosten für die Hauptuntersuchungen, Versicherungsprämien und Unterstellkosten anfallen. Dass diese Positionen zusammen sich insgesamt mindestens auf etwa 131,- Euro täglich je Triebwagen belaufen, ist auch nach Ansicht des Senats wenigstens überwiegend wahrscheinlich.

Allein die Instandhaltungskosten betragen mindestens 131,- Euro täglich. Der Gerichtssachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten (dort Anlage 1) pauschale Instandhaltungskosten von jährlich 58.535 (täglich: 160,36) Euro angenommen. Dabei hat er nachvollziehbar im Ausgangspunkt einen Betrag von 9 % der Anschaffungskosten als üblichen jährlichen Instandhaltungsaufwand angesetzt, den sich danach ergebenden Betrag aber noch um 70% reduziert, um - da es hier nur um Vorhaltekosten geht - zutreffend die leistungsabhängigen Kosten herauszurechnen.

In seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige diese Berechnungsmethode bestätigt. Er hat allerdings erläutert, dass die Anschaffungskosten und damit auch die anzunehmenden pauschalen Reparaturkosten je nach Fahrzeugtyp variieren können. Bei der Gutachtenerstellung sei ihm aufgrund der vorliegenden Schadensgutachten nur der Typ der fünf verunfallten Fahrzeuge bekannt gewesen. Für die Berechnung der Vorhaltekosten müsse aber richtigerweise auf den Durchschnittswert aller 34 Triebwagen abgestellt werden. Nur auf diesen Umstand bezieht sich die in der Berufungsbegründung zitierte Erklärung des Sachverständigen G …., er könne „insofern“ keine Mindestwerte für die Instandhaltungskosten angeben.

Aus den nach dem Termin vorgelegten Mietverträgen der Klägerin mit der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachen hat das Landgericht in seiner Entscheidung jedoch richtig den Schluss gezogen, dass tatsächlich alle Fahrzeuge zum Typ „Lint 41“ gehören (wenn auch aus unterschiedlichen Herstellungsserien). Auch der einheitliche Mietzins erlaubt den Schluss, dass sich die der Landesnahverkehrsgesellschaft entstandenen Anschaffungskosten und damit auch die Instandhaltungskosten der einzelnen Triebwagen nicht wesentlich unterscheiden.

Jedenfalls liegt im Ergebnis vor dem Hintergrund der sachverständigen Ausführungen eine hinreichend tragfähige Grundlage vor, um die Instandhaltungskosten je Triebfahrzeug und Tag auf mindestens 131,- Euro zu schätzen.

Dass die Vorhaltekosten in das der Klägerin vom Land Niedersachsen zugestandene Beförderungsentgelt eingepreist sein mögen, ist unerheblich. Zum einen ist der schadensersatzrechtliche Grundsatz zu beachten, dass Leistungen Dritter den Schädiger nicht entlasten können. Zudem und vor allem ist anzunehmen, dass der Gewinn der Klägerin aus den Fahrpreiseinnahmen ohne die im Interesse der Schadensminderung gemäß § 254 Abs. 2 BGB eingegangenen Vorhaltekosten entsprechend höher wäre.

Was die Mietzinszahlungen für zwei von der Muttergesellschaft als Ersatz angemietete Triebwagen (anderen Typs) angeht, hat die Klägerin durch die Vorlage der entsprechenden Verträge und Buchauszüge nachgewiesen, dass ihr entsprechende Kosten entstanden sind. Für den Nachweis des von der Beklagten bezweifelten Zusammenhangs dieser Kosten mit den Schadensereignissen gilt wiederum § 287 ZPO. Das heißt, von der erforderlichen haftungsausfüllenden Kausalität ist schon dann auszugehen, wenn ein solcher Zusammenhang überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. BGH NJW 1959,1079 [BGH 16.03.1959 - III ZR 20/58]; 2000; 509; Grüneberg, ebenda).

Aufgrund der Aussagen des Zeugen K ….und der weiteren Umstände besteht jedenfalls eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Auch über die Angriffe in der Berufungsbegründung hinaus unterliegt das angefochtene Urteil keinen Bedenken.“

Zu dieser Würdigung des Senats in seinem Hinweisbeschluss hat sich die Beklagte auch nach erfolgter Verlängerung der gesetzten Stellungnahmefrist nicht mehr geäußert. Der Senat hält an seinen vorgenannten Ausführungen auch nach erneuter Prüfung und Beratung fest.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.