Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.02.2012, Az.: 3 B 10/12
Cannabis; Cannabiskonsum; Daldrup-Tabelle; Drogenkonsum; Erkennungsdienstliche Behandlung; Haschisch; Rauschgiftkonsum; THC; THC-COOH
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 29.02.2012
- Aktenzeichen
- 3 B 10/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44512
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 BtMG
- § 31a BtMG
- § 81b StPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das Führen eines KFZ unter Cannabis-Einfluss als solches ist kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine erkennungsdienstliche Behandlung. Die Behandlung ist keine Sanktion für "geschehenes Unrecht".
Eine erkennungsdienstliche Behandlung kann nur gerechtfertigt sein, um bei einem künftig zu besorgenden Handel mit Rauschgift die Ermittlungsarbeiten zu erleichtern. Es müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass speziell der von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene als Verdächtiger eines strafbaren Handelns in die Ermittlungen einbezogen werden könnte.
Die Besorgnis zukünftiger strafrechtlicher Ermittlungen können etwa anknüpfen an die bei der Anlasstat aufgefunden Drogenmenge, an wiederholten Drogenbesitz, an die gemessenen Blutwerte, aber auch an weitere Gesichtspunkte.
Die Werte der sog. Daldrup-Tabelle sind taugliche Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum, einen gelegentlichen Konsum oder aber einen Probierkonsum von Cannabis.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin ordnete mit Verfügung vom 16. Dezember 2011 gegenüber dem 53 Jahre alten Antragsteller die erkennungsdienstliche Behandlung an und lud ihn zugleich zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung in das Polizeikommissariat Bergen vor. Als Begründung wurde angegeben:
Erwerb / Besitz von Haschisch gemäß §§ 1, 3, 29 BtMG, am Fr., 25.11.2011, 18:15 Uhr in 29614 Soltau, Ellingen.
Die Antragsgegnerin hat die erkennungsdienstliche Behandlung aus folgenden Gründen für notwendig erklärt: Gegen den Antragsteller werde ein Ermittlungsverfahren wegen Erwerbs und Besitzes von 9 g Haschisch geführt. Er habe unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt. Allein der Besitz von 9 g Haschisch deute darauf hin, dass es sich nicht um einen erstmaligen Erwerb gehandelt habe, da zum Ausprobieren der Droge eine wesentliche geringere Menge ausgereicht hätte. Es könne davon ausgegangen werden, dass diese Menge entweder für mehrere Einheiten zum Eigenkonsum oder zur Abgabe bzw. den Verkauf an andere Konsumenten gedacht gewesen sei. Bei Bewertung dieser Kriterien bestehe die Gefahr, dass der Antragsteller auch künftig Betäubungsmittel erwerbe und damit strafrechtlich in Erscheinung treten könne.
Aus den von der Antragsgegnerin überreichten Unterlagen geht hervor, dass beim Antragsteller ein Wert von 1,6 ng/ml THC gemessen worden ist und ein Wert von 22,1 ng/ml THC-COOH, die Blutprobe wurde weniger als eine Stunde nach Verkehrskontrolle durchgeführt. Beim Antragsteller selbst wurden 9,0 Gramm Haschisch gefunden, in seiner Wohnung ein Tabakbeutel mit Cannabissamen und Konsumutensilien. Wegen Erwerbs und Besitz von Drogen wurde der Antragsteller am 20. Januar 2012 zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 30 EUR verurteilt.
Gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung hat der Antragsteller Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz begehrt.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag hat Erfolg. Das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung überwiegt unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Verfügung.
Gem. § 81 b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke eines Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Vorschrift räumt der Behörde ein Ermessen ein.
Zur Rechtfertigung einer Maßnahme nach dieser Vorschrift kommt es - neben der Beschuldigteneigenschaft - inhaltlich entscheidend darauf an, ob an dem Betroffenen wegen der Art und Schwere seiner Straftaten ein besonderes kriminalistisches Interesse besteht. Dies ist dann der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gegen den Beschuldigten in Zukunft erneut strafrechtlich ermittelt wird (also eine Wiederholungsgefahr vorliegt) und die erkennungsdienstlichen Unterlagen dann die strafrechtlichen Ermittlungen erleichtern können. Die Wiederholungsgefahr muss sich auch aus der sog. Anlasstat ergeben (Nds. OVG, u.a. Beschl. v. 31.8.2010 - 11 ME 288/10 -). Der mit der Maßnahme verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des Tatverdachtes stehen. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen. Insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist wiederholt von den Gerichten hervorgehoben worden. Eine erkennungsdienstliche Behandlung zu präventiv-polizeilichen Zwecken setzt damit voraus, dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene zukünftig eine Straftat begehen wird. Deren Feststellung ist einer schematischen Betrachtung nicht zugänglich, sondern bedarf der Würdigung aller hierfür relevanten Umstände des Einzelfalls. Dabei sind die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten zu würdigen, seine Persönlichkeit sowie die zeitliche Abfolge mehrerer Tatvorwürfe (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29.79 -).
Die Rechtmäßigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung ist nicht offensichtlich und zweifelsfrei zu bejahen. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten kann dem Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz der Erfolg nicht versagt bleiben.
1. Zunächst einmal kann die festgestellte einmalige Fahrt unter Drogen die erkennungsdienstliche Behandlung nicht rechtfertigen. Denn eine erkennungsdienstliche Behandlung ist nicht eine Sanktion für geschehenes Unrecht, vielmehr ist sie „zukunftsgerichtet“ und nur gerechtfertigt, wenn Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Betroffene „künftig“ in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte (BVerwG, Urteil v. 19.10.1982 a.a.O.). Es sind also hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass der Betroffene zukünftig erneut unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug führen und damit eine Straftat begehen wird.
Die Gefahr, dass eine Person, die unter Drogen ein Fahrzeug gefahren hat, das erneut tun werde, besteht immer. Selbst aber wenn die Gefahr neuer Drogenfahrten nie ausgeschlossen werden kann, müsste die Frage beantwortet werden, inwieweit „die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführen oder entlastend - fördern könnten“ (so die Formulierung des BVerwG, Urteil v. 19.10.1982 a.a.O.). Das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinfluss wird - ebenso wie das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss - regelmäßig bei einer Verkehrskontrolle festgestellt. Bei dieser Verkehrskontrolle kann die Identität des Betroffenen festgestellt werden, ohne dass es eines Rückgriffs auf früher gefertigte erkennungsdienstliche Behandlungen bedarf.
2. Eine erkennungsdienstliche Behandlung nach festgestelltem Führen eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinfluss kann deshalb nur gerechtfertigt sein, um bei einem künftig zu besorgenden Handel mit Rauschgift die Ermittlungsarbeiten zu erleichtern. Dabei geht es aber nicht um Ermittlungen im Rauschgifthandel schlechthin, vielmehr müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass speziell der von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene als Verdächtiger eines strafbaren Handelns in die Ermittlungen einbezogen werden könnte. Dies ist auch die eigentliche Begründung der Antragsgegnerin, wenn in der Verfügung ausgeführt wird, dass die Gefahr besteht, dass der Antragsteller auch künftig Betäubungsmittel erwerben und damit strafrechtlich in Erscheinung treten könnte.
Die Besorgnis zukünftiger strafrechtlicher Ermittlungen gegen den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen bei Drogendelikten können etwa anknüpfen an die bei der Anlasstat aufgefunden Drogenmenge, an früheren wiederholten Drogenbesitz, an die gemessenen Blutwerte, aber auch an weitere Gesichtspunkte.
a. Bei einem Anknüpfen an die bei der Anlasstat aufgefunden Drogenmenge ist davon auszugehen, dass der unerlaubte Erwerb und der dem Erwerb nachfolgende Besitz von Cannabis strafbar ist. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG wird mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft, wer u. a. Betäubungsmittel erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft. Nach § 31 a BtMG kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung aber absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft hat oder besitzt.
Damit stellt sich die Frage, ob unter Berücksichtigung des § 31 a BtMG eine erkennungsdienstliche Behandlung unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung einer „Straftat“ gerechtfertigt sein kann, wenn davon ausgegangen werden muss, dass der Betroffene stets nur geringe Mengen Cannabis erwerben wird. Zum Einen ist zu berücksichtigen, dass Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz kriminelles Unrecht darstellen und aus Gründen des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) eine konsequente Strafverfolgung notwendig machen. Andererseits eröffnet § 31 a BtMG den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, differenziert auf Drogendelinquenz zu reagieren, um den Betäubungsmittelhandel (einschließlich des Klein- und Straßenhandels) von den nicht handeltreibenden Rauschgiftkonsumenten in der justiziellen Reaktion abzugrenzen. Der Poenalisierung des Betäubungsmittelkonsumenten soll so begegnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon mit Beschluss vom 9. März 1994 (- 2 BvL 43/92 -, NJW 1994 S. 1577, insoweit Leitsatz 3) entschieden, dass bei „Verhaltensweisen …, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, … die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31 a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben“. Nach dem Anwendungserlass des Niedersächsischen Justiz- und Innenministeriums (vom 21.02.2007, Nds. Ministerialblatt Seite 235) kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 31 a BtMG einstellen, wenn die geringen Mengen zum Eigenverbrauch 6 g nicht überschreiten und die Tat keine Fremdgefährdung verursacht. Eine Einstellung kommt allerdings nicht in Betracht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für ein Handeltreiben bestehen. Die Menge von 6 g zum Eigenverbrauch ist in vielen Bundesländern derselbe. In Berlin allerdings ist nach einer gemeinsamen Allgemeinen Verfügung zur Umsetzung des § 31 a BtMG das Ermittlungsverfahren einzustellen bei einer Bruttomenge von nicht mehr als 10 Gramm. Zum Juni 2011 wurden vom Justizministerium Nordhein-Westfalen neue Eigenbedarfsgrenzen festgelegt, der Besitz von Marihuana ist jetzt bis maximal 10 Gramm (vorher 6 Gramm) straffrei. Strafprozessual wird also der Verfolgung der in diesem Umfang eingegrenzten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nur ein geringes Gewicht beigemessen und deshalb weitgehend auf in die Tiefe gehende Ermittlungen verzichtet. Das Nieders. Oberverwaltungsgericht wirft deshalb die Frage auf, ob in solchen Fällen schon von vornherein die Notwendigkeit entfällt, von potentiell Betroffenen überhaupt erkennungsdienstliche Unterlagen vorsorglich für spätere Ermittlungsverfahren vorzuhalten, oder ob die Fertigung solcher Unterlagen im Hinblick auf das nach dem Runderlass ohnehin nur geringe staatliche Verfolgungsinteresse unverhältnismäßig ist (Nds. OVG, Beschl. v. 24.11.2010 - 11 LA 468/10 -). Erst jüngst hat das Nieders. Oberverwaltungsgericht wiederholt (Beschl. v. 6.2.2012 - 11 ME 421/11 -), dass die erkennungsdienstliche Behandlung eines Betroffenen, der wegen eines oder mehrerer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz negativ aufgefallen ist, unverhältnismäßig sein kann, wenn dieser zu der Gruppe der noch nicht strafrechtlich nachweisbar aufgefallenen und allenfalls gelegentlichen Cannabiskonsumenten gehört. Eine Unverhältnismäßigkeit ist allerdings nicht gegeben, wenn ein weitergehender Verdacht, etwa des regelmäßigen Cannabiskonsums (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 26.10.2010 - 11 PA 360/10 -, v. 28.6.2010 - 11 ME 121/10 - und allgemein v. 13.11.2009 - 11 ME 440/09 -, Nds. VBl. 2010, 52) oder eines anderen ("härteren") Betäubungsmittelmissbrauchs (vgl. Senatsbeschl. v. 22.11.2010 - 11 LA 440/10 -) oder einer anderen Form des strafbaren Umgangs mit Betäubungsmitteln außer dem Eigenverbrauch (vgl. Senatsbeschl. v. 24.2.2011 - 11 ME 15/11 -) besteht. In diesem Zusammenhang kann auch nicht der Schluss gezogen werden, ein Cannabis-Konsument bleibe stets straffrei, und für eine erkennungsdienstliche Behandlung bestehe kein Anlass, weil er immer nur geringe Mengen Cannabis erwerben werde, so dass eine künftige „Straftat“ deshalb nicht zu befürchten sei. Nach dem genannten Anwendungserlass des Niedersächsischen Justiz- und Innenministeriums kann eine geringe Schuld i.S.d. § 31 a BtMG, die zur Verfahrenseinstellung führen kann, in der Regel nur „im ersten oder zweiten Fall“ angenommen werden, „während bei wiederholtem Antreffen mit unerlaubten Betäubungsmitteln eine Einstellung nach § 31 a BtMG nur ausnahmsweise, etwa bei Vorliegen eines größeren Tatzwischenraumes, sowie unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots in Betracht kommt“.
Bei isolierter Betrachtung der bei der Anlasstat aufgefunden Drogenmenge ist in die Überlegungen einzubeziehen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung nicht eine Sanktion für geschehenes Unrecht sein darf, die erkennungsdienstliche Behandlung vielmehr „zukunftsgerichtet“ und nur gerechtfertigt ist, wenn Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Betroffene „künftig“ in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte (BVerwG, Urteil v. 19.10.1982 a.a.O.). Diese Annahme darf sich nicht auf allgemeine Vermutungen stützen, sie muss auf tragfähigen Tatsachen und einer sachgemäßen Prognose beruhen. Gleichwohl kann von der vorgefundenen Menge Cannabis auf eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden, d.h. auf die Wahrscheinlichkeit, der Betroffene werde erneut in der Zukunft Cannabis erwerben, und gegen den Betroffenen könnten erneut strafrechtliche Ermittlungen ergriffen werden. Derjenige, bei dem erhebliche Mengen Cannabis aufgefunden werden, steht eher im Verdacht, damit zu handeln und Teilmengen weiter zu veräußern, als derjenige, bei dem nur geringe Mengen aufgefunden werden. Größere Mengen, wenn sie denn nur zum Eigenverbrauch bestimmt sein sollten, zeigen ein erheblich größeres Suchtpotential auf als kleinere Mengen, die auf einen Probierkonsum oder nur gelegentlichen Konsum hindeuten. Bei einem Konsumenten, der größere Mengen Cannabis hat, und bei dem deshalb ein Handel oder eine stärkere Abhängigkeit zu vermuten ist, ist eher damit zu rechnen, dass er später erneut Rauschmittel erwerben wird als beim Probierkonsumenten.
Aus dem Besitz von 9 g Cannabis beim Antragsteller kann nicht geschlossen werden, er sei aktiv im Rauschmittelhandel eingebunden und werde davon Teilmengen weiterveräußern. 9 g sind bei isolierter Betrachtung auch noch kein „angemessener Vorrat“ für einen abhängigen Konsumenten. Die Menge entspricht wenigen Konsumeinheiten. Unter einer Konsumeinheit ist eine BtM-Ration zu verstehen, die für die Erzielung eines Rauschzustandes ausreicht. Zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Cannabiszubereitung sind im Durchschnitt 15 mg THC notwendig (Nds. OVG, Beschl. v. 11.7.2003 - 12 ME 287/03 -). Das wiederum hängt vom Wirkstoffgehalt, von der Qualität des Cannabis ab. Bei Zugrundelegung einer äußerst schlechten Qualität lassen sich aus 6 Gramm Haschisch noch 3 Konsumrationen gewinnen (Quelle: internet, hanfverband.de).
b. Die Besorgnis künftigen Handeltreibens durch den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen kann sich aus den Werten der anlässlich der Drogenfahrt angeordneten und durchgeführten Blutentnahme ergeben. Insoweit ist beim Antragsteller ein Wert von 1,6 ng/ml THC gemessen worden und ein Wert von 22,1 ng/ml THC-COOH, wobei die Blutprobe weniger als eine Stunde nach Verkehrskontrolle durchgeführt worden ist.
Haschisch ist wegen des Wirkstoffes THC ein berauschendes psychoaktives Mittel. Aktives THC lässt sich infolge seines chemischen Abbaues nur während einer sehr begrenzten Zeit nach dem Konsum nachweisen. Bei einem THC-Wert ab 1,0 ng/ml wird allgemein die Fahruntüchtigkeit einer Person wegen akuten Cannabisrausches bis zur Dauer einer mehrstündigen Abklingphase angenommen (Nds. OVG, Beschluss v. 11.07.2003 - 12 ME 287/03 -; BVerfG, Beschluss v. 21.12.2004 - 1 BvR 2652/03 -).
Der Wert des THC-COOH hat keinen direkten Einfluss auf die Fahreignung, ist aber ein Hinweis für einen Probierkonsum, einen gelegentlichen Konsum oder einen regelmäßigen Konsum. THC-COOH ist ein Metabolit, ein (rauschunwirksames) Abbauprodukt von THC. Aus Sicht des Konsumenten hat es die unangenehme Eigenschaft, dass es sich sehr langsam abbaut. Wenn ein Mensch einmal einen Joint konsumiert, wird sich das konsumierte THC unter anderem in THC-Carbonsäure umwandeln. Wird in der Folgezeit nichts konsumiert, wird die Carbonsäure auf natürlichem Weg ausgeschieden. Wird am zweiten Tag aber wieder ein Joint geraucht, steigt der Carbonsäurespiegel, um dann irgendwann ein Niveau zu erreichen, das Vermutungen auf „regelmäßigen“ Konsum zulässt. Mit anderen Worten: Je intensiver und häufiger konsumiert wurde, ein desto höherer THC-COOH-Spiegel ist zu erwarten. Bei Blutproben, die nur wenige Stunden nach dem letzten Konsum abgenommen wurden, kann ab einer THC-COOH-Konzentration von 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum als gesichert angesehen werden. Wird die Blutprobe dagegen aufgrund der Aufforderung durch die Straßenverkehrsbehörde entnommen, so ist von regelmäßigem Konsum auszugehen, sobald eine Konzentration von mindestens 75 ng/ml THC-COOH im Blut nachgewiesen wird. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Betroffenen bis zu 8 Tage nach Aufforderung durch die Straßenverkehrsbehörde Zeit haben, sich einer Blutentnahme zu unterziehen. Während dieser Zeit haben sie die Möglichkeit, ganz auf den Konsum von Cannabis zu verzichten. Legt man die Halbwertszeit von rund 6 Tagen von THC-COOH zugrunde, so reichen bereits weniger als 3 Tage aus, bis die Konzentration von beispielsweise 100 ng/ml auf 75 ng/ml abfällt, und bei 6 Tagen werden die Werte halbiert (nach Gehrmann in NZV 2002, 201, 2,6, wurde die durchschnittliche Halbwertzeit von THC-COOH mit 5,2 Tagen ermittelt).
Aufbauend auf Studien von Daldrup wird von folgenden Werten ausgegangen, die auf einer Blutentnahme beruhen, die nach der Ankündigung in einem Zeitraum bis zu 8 Tagen erfolgen. Bei einer Blutentnahme unmittelbar nach Feststellung der Drogenfahrt müssen die Werte - wie dargestellt - verdoppelt werden.
- THC-COOH unter 5,0 ng/ml: Einmaliger Konsum oder Verdacht auf gelegentlichen Konsum
- THC-COOH zwischen 5 und 75 ng/ml: Gelegentlicher Konsum erwiesen / Verdacht auf regelmäßigen Konsum (je höher, desto regelmäßiger)
- THC-COOH über 75 ng/ml: Regelmäßiger Konsum von Cannabis
Die Werte sind nicht unumstritten. Es wird - vor allem in Verfahren nach dem Fahrerlaubnisrecht - vertreten, dass eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum von Cannabis im Bereich eines THC-COOH-Wertes bis zu 100 ng/ml aus wissenschaftlicher Sicht bei zeitnah zur Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss genommenen Blutproben grundsätzlich nicht möglich erscheint (vgl. OVG Greifswald, Beschluss v. 19.12.2006 - 1 M 142/06 -; Zwerger in ZfS 2007, 551; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 02.03.2011 - 10 B 11400/10 -).
Bei der Frage der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist ein Rückgriff auf die THC-COOH-Werte und daraus ableitbar der Hinweis für einen regelmäßigen Konsum oder einen gelegentlichen Konsum oder aber einen Probierkonsum jedoch durch die Niedersächsische Rechtsprechung anerkannt (vgl. Nds. OVG, Beschluss v. 24.11.2010 - 11 LA 468/10; Beschluss v. 07.01.2010 - 11 ME 439/09 -; Beschluss v. 28.06.2010 - 11 ME 121/10 -; Beschluss v. 06.02.2012 - 11 ME 421/11 -). Bei einem „regelmäßigen Konsumenten“ kann eher künftiger erneuter Drogenerwerb ernsthaft erwartet werden als bei jemandem, bei dem bloßer „Probierkonsum“ vorliegt. Bei einem regelmäßigen Konsum ist dann auch eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht unverhältnismäßig (Nds. OVG, Beschl. v. 6.2.2012 a.a.O.). Bei Drogendelikten ist die Wiederholungsgefahr groß, wenn typischerweise der Drogenkonsum zu einem Abhängigkeitsverhalten geführt hat, welches die Begehung weiterer strafrechtlich relevanter Verstöße gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sehr wahrscheinlich macht.
Ausgehend von einem THC-COOH-Wert beim Antragsteller von 22,1 ng/ml aufgrund einer Blutprobe im direkten Anschluss an die Verkehrskontrolle ist aufgrund der von Daldrup aufgestellten Werte eher von einem nur gelegentlichen Konsum auszugehen. Bei einem gelegentlichen Konsum bewegen sich die Werte nach Daldrup zwischen 10 und 150 ng/ml bei zeitnaher Blutentnahme. Die Werte sind daher weit entfernt von den Werten für einen regelmäßigen Konsum.
c. Die Besorgnis zukünftiger strafrechtlicher Ermittlungen gegen den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen bei Drogendelikten können auch an weitere Gesichtspunkte anknüpfen, etwa wenn beim Betroffenen „Konsumutensilien“ gefunden werden („Kawumm“ oder „Bong“), die gegen einen bloßen Probierkonsum sprechen. Eine Besorgnis kann sich auch ergeben, wenn objektive Anhaltspunkte für eine weitergehende feste Einbindung in die Drogenszene bestehen. So können festgestellte wiederholte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz die Besorgnis zukünftiger strafrechtlicher Ermittlungen begründen. Demgegenüber reicht es bei einmaliger Auffälligkeit nicht aus, dass sich der Betroffene zum Drogenerwerb kurz in einem Randbereich des Drogenmilieus bewegt hat und Quellen kennt, wo Drogen erhältlich sind. Dies ist bei allen Drogenkonsumenten der Fall, selbst bei den „Probierkonsumenten“, und kann deshalb kein allein entscheidendes Kriterium für die Befürchtung späterer Straftaten sein. Anhaltspunkte für eine Einbeziehung in die Drogenszene sind gegeben, wenn Verdachtsmomente vorliegen, dass sich der Betroffene als Zwischenhändler betätigt. Dies kann - wie oben bereits dargelegt - aus der Menge des bei der Kontrolle vorgefundenen Haschischs geschlossen werden; auch andere Gesichtspunkte (Zeugenaussagen) können einen ernsthaften Verdacht begründen, in den Klein- und Straßenhandel eingebunden zu sein. In diesem Zusammenhang ist nicht von der Hand zu weisen, dass schon der unerlaubte Erwerb und der unerlaubte Besitz als solcher fremde Rechtsgüter gefährdet, weil er die Möglichkeit einer unkontrollierten kostenlosen Weitergabe der Droge an Dritte eröffnet. Die unentgeltliche Abgabe der Droge - auch der „gemeinsame Joint“ - findet nicht selten in einem sozialen Umfeld statt, in dem sich gefährdete Personen wie etwa Jugendliche oder psychisch Labile oder Dauerkonsumenten von Cannabisprodukten befinden, die Abgabe der Droge eröffnet in solchen Fällen ein Gemeinschaftserlebnis, durch das bisher nicht zum Kreis der Konsumenten gehörende Personen zum Drogenkonsum verleitet oder bestehende psychische Abhängigkeiten von der Droge verfestigt werden können. Dies sind aber nur allgemeine Erwägungen und allgemeine Gefahren, die mit der Gesetzesvorschrift des § 31 a BtMG in Kauf genommen werden. Sie stehen auch nicht in konkretem Zusammenhang mit dem jeweils von der erkennungsdienstlichen Behandlung betroffenen Menschen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings weiter, dass das Ausmaß der Betäubungsmittelkriminalität und des Drogenmissbrauchs weitgehend verborgen bleibt. Die Aufklärungsquote von Straftaten in diesem Bereich hängt häufig vom Ausmaß polizeilicher Aktivitäten, z. B. von Kontrollen ab. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, Cannabis-Konsumenten gleichsam „einem Generalverdacht“ wiederholter Straffälligkeit zu unterstellen. Dies wäre mit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, auch nicht mit Sinn und Zweck des Nieders. Anwendungserlasses zu § 31 a BtMG. Allerdings kann die Besorgnis zukünftiger strafrechtlicher Ermittlungen gegen den von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffenen bei Drogendelikten anknüpfen auch an die Persönlichkeit des Täters, seine persönlichen und sozialen Verhältnisse, aus denen auf eine Fremdgefährdung geschlossen werden kann. Hiervon kann insbesondere ausgegangen werden, wenn zu besorgen ist, dass der Betroffene Betäubungsmittel in einer Weise gebraucht, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Jugendliche und Heranwachsende haben kann oder wenn etwa zu besorgen ist, dass der Betroffene Betäubungsmittel in der Öffentlichkeit ostentativ vor besonders schutzbedürftigen Personen (z. B. Kindern und Jugendlichen) oder vor Einrichtungen wie Kindergärten, Spielplätzen, Schulen, Jugendheimen, Jugendwohnungen oder Bahnhöfen, konsumiert. Wenn zu besorgen ist, dass Drogen in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Kinder, Jugendliche und Heranwachsende haben kann, ist schon bei einem „minder schweren Fall“ des Drogenumgangs die erkennungsdienstliche Behandlung angezeigt. Bereits nach dem genannten Nieders. Anwendungserlass besteht in solchen Fällen ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, so dass auch bei dem Auffinden von geringen Mengen Cannabis eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 31 a BtMG nicht in Betracht kommt. Gibt der konkrete Fall dazu Anlass, sind bei jungen Menschen ihre Persönlichkeitsentwicklung und die hier besonders zu bekämpfenden Gesundheitsgefahren auch bei der Frage der Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung einzubeziehen. Der Umstand, dass erkennungsdienstliche Unterlagen über Rauschgiftkonsumenten „immer irgendwie“ geeignet sind, polizeiliche Ermittlungen zur Identifizierung von Dealern und Rauschmittelabnehmern zu fördern und damit zur Eindämmung und Aufklärung entsprechender Straftaten beizutragen, ist richtig, darf aber nicht von dem Erfordernis ablenken, dass Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, dass speziell der von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene als Verdächtiger eines strafbaren Handelns in die Ermittlungen einbezogen werden können muss. Auch insoweit bedarf es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht allgemeiner Erwägungen zur Aufklärung und Verhinderung von Rauschmittelmissbrauch, sondern konkreter Erwägungen gerade zum Betroffenen, dem gegenüber die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet worden ist. § 81 b StPO rechtfertigt nicht die Anlegung einer „allgemeinen Kifferkartei“ zur Abschreckung, vielmehr dient die Vorschrift der Gewinnung von Unterlagen zur Vorsorge künftiger polizeilicher Arbeit und vereinfachter Aufklärung bei späteren Straftaten, in denen ein Bezug gerade zum Betroffenen der erkennungsdienstlichen Behandlung besteht.
d. Bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalles ist davon auszugehen, dass beim Antragsteller 9 g Haschisch aufgefunden worden sind, 50 % mehr als die strafrechtlich unbedenkliche Menge. Seine Blutwerte haben jedoch auf einen eher gelegentlichen Konsum schließen lassen. Bei einer Hausdurchsuchung sind Cannabissamen von nicht genannter Menge und nicht näher umschriebene „Konsumutensilien“ gefunden worden. Aus diesem nur unsubstantiierten Hinweis in der Antragserwiderung - in der Verfügung werden diese Umstände gar nicht erwähnt - kann nicht der Schluss gezogen werden, der Antragsteller sei entgegen der Vermutung aufgrund der Blutwerte stärker in den Drogenkonsum oder in die Drogenszene allgemein eingebunden. Eine engere Einbeziehung in die Drogenszene ist von der Antragsgegnerin nicht behauptet worden, auch nicht besonders sozialschädliche Verhaltensweisen des Antragstellers. Die allgemeine Möglichkeit, er werde zukünftig erneut Cannabis erwerben bzw. besitzen, kann zwar nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl ist in die Abwägung der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen der benannte Nieders. Anwendungserlass, in welchem unter Ziff. 2.2 ausgeführt wird: „Bei nicht betäubungsmittelabhängigen Beschuldigten kann eine geringe Schuld in der Regel im ersten oder zweiten Fall angenommen werden, während bei wiederholtem Antreffen mit unerlaubten Betäubungsmitteln eine Einstellung nach § 31 a BtMG nur ausnahmsweise, etwa bei Vorliegen eines größeren Tatzwischenraumes, sowie unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots in Betracht kommt.“ Insoweit handelt es sich - was den ersten Fall des Antreffens mit unerlaubten Betäubungsmitteln angeht - nicht allein um eine strafrechtliche Bewertung des Drogengebrauchs, sondern um einen Ausfluss des Übermaßverbotes, worauf das Bundesverfassungsgericht (in seinem Beschl. vom 9. 3. 1994 – 2 BvL 43/92 - NJW 1994 S. 1577; zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelstrafrechts) hingewiesen hat, was bei der Frage der Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht ignoriert werden kann. Aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls - auch unter Berücksichtigung dessen, dass bei dem Antragsteller geringfügig mehr als die „unschädlichen“ 6 g Cannabis vorgefunden worden sind - überwiegt im vorliegenden Fall das Interesse des Antragstellers noch das öffentliche Interesse am Sofortvollzug und der Durchsetzung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.