Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 17.04.2012, Az.: 5 A 25/11

Mitwirkungsverbot Ratssitzung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
17.04.2012
Aktenzeichen
5 A 25/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44406
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei der Aufstellung der Tagesordnung für eine Ratssitzung ist zu beachten, dass das Mitwirkungsverbot eines Ratsherrn nur soweit eingeschränkt wird, wie dies unbedingt notwendig ist.
2. Bezieht sich das Mitwirkungsverbot nur auf einen von mehrern Beschlussvorschlägen, die unter einem Tagesordnungspunkt zusammengefasst sind, so ist ein Ausschluss der Mitwirkung von der Beratung und Beschlussfassung des gesamten Tagesordnungspunktes nur rechtmäßig, wenn die vorgesehehen Beschlüsse in einem sachlich oder rechtlich so engen Zusammenhang stehen, dass über sie nur einheitlich entschieden werden kann.

Tatbestand:

Der Kläger ist Mitglied des beklagten Rates der Stadt F.. Er begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses von den Beratungen und Beschlussfassungen zum Tagesordnungspunkt 13.1 in der Sitzung am 10. Februar 2011, mit denen unter anderem die Benennung der Namen von drei Straßen in F. aufgehoben worden ist. Weiter begehrt er mit der Klage die Feststellung, dass die Beschlüsse des Beklagten zum Tagesordnungspunkt 13.1 rechtswidrig sind.

Der Beklagte beschloss am 25. September 2007 und am 29. Mai 2008 die Straßennamen "G. " und "H. " in der Stadt F. umzubenennen, weil beide frühere Oberbürgermeister aktiv an Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes beteiligt waren. Nach vorbereitenden Arbeiten der Verwaltung der Stadt F. erstellte im Jahre 2009 der Historiker Dr. I. mehrere Gutachten darüber, ob weitere Straßenumbenennungen in F. wegen Verstrickungen der Namensgeber mit dem NS-Regime erforderlich seien. Eine nach Vorlage der Gutachten von der Stadt F. eingesetzte unabhängige Expertenkommission zur Erarbeitung von Vorschlägen über die Umbenennung von Straßennamen schlug vor, die "J. -Straße", den "K. -Weg" und den "L. -Weg" in F. umzubenennen. Dr. M., der 1993 verstorbene Vater des Klägers, war von 1973 bis 1985 Oberbürgermeister der Stadt F..

Nach Anhörung und Vorberatung der betroffenen drei Ortsräte wurden vom Verwaltungsausschuss der Stadt F. in der Sitzung vom 8. Februar 2011 unter "BV/0570/10", "BV/0570/10-1"und "BV/0570/10-1-1" folgende Beschlussvorlagen für die Ratssitzung am 10. Februar 2011 erstellt:

"1. Der Rat beschließt, zur Umbenennung des K. -Weges keine Bürgerbefragung gemäß § 22 d NGO durchzuführen und erklärt damit den Antrag Nr. 15/2011 für erledigt.

2. Der Rat beschließt, dass die in den Anträgen Nr. 5/2011 und Nr. 14/2011 angeführten Stellungnahmen zur Umbenennung des K. -Weges bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben und erklärt sie damit als erledigt.

3. Der Rat beschließt, die Beschlüsse über die Benennung folgender Straßen und Wege aufzuheben:
a) "J. -Straße"
b) "L. -Weg"
c) "K. -Weg".

4. Der Rat beschließt folgende Neubenennungen für die Straßen und Wege und erklärt damit den Antrag Nr. 8/2011 teilweise für erledigt:
a) "die J. -Straße " in N. wird umbenannt in ….
b) "der L. -Weg" in O. wird umbenannt in …
c) "der K. -Weg" im Ortsteil P. /Q. wird umbenannt in …"

Die vom Beklagten am Anfang seiner Sitzung am 10. Februar 2011 beschlossene Tagesordnung enthielt unter dem öffentlichen Teil u.a. folgende Tagesordnungspunkte:

"13. Straßennamen in F. und personelle Verbindungen zum Nationalsozialismus: mögliche Umbenennung von Straßen

13.1 Straßennamen in F. und personelle Verbindungen zum Nationalsozialismus: mögliche Umbenennung von Straßen

Vorlage: BV/0570/10+BV/570/10-1+BV/0570/10-1-1

13.2 Straßennamen in F. und personelle Verbindungen zum Nationalsozialismus: mögliche Umbenennung von Straßen

Vorlage: BV/0570/10+BV/570/10-1+BV/0570/10-1-1"

Nach der Niederschrift zur Sitzung des Beklagten zum Tagesordnungspunkt 13 wies der Ratsvorsitzende zunächst darauf hin, dass zu diesem Tagesordnungspunkt eine weitere Ergänzungsvorlage BV/0570/10-1-1 erstellt worden sei. Danach seien die Punkte 1 bis 3 des Beschlussvorschlages unter Tagesordnungspunkt 13.1 zu behandeln. Der Punkt 4. des Beschlussvorschlages sei unter Tagesordnungspunkt 13.2 zur Abstimmung zu stellen.

Auf den Antrag eines Ratsherrn, den Tagesordnungspunkt 13.1 zu ändern und ein Verfahren zu wählen, dass der Kläger bei der Umbenennung der "J. -Straße" und dem "L. -Weg" mitwirken könne, erklärte der Vorsitzende des Rates, die drei Beschlüsse zur Aufhebung der jeweiligen Straßennamen stünden in einem sachlich sehr engen und inneren logischen Zusammenhang. Eine klare Abgrenzung sei nicht möglich. Aus diesem Grund sehe er keine Möglichkeit, dem Kläger eine Mitwirkung bei den Umbenennungen der "J. -Straße" und des "L. -Weg" zu ermöglichen.

Auf einen Antrag zur Änderung der Tagesordnung erklärte der Ratsvorsitzende, es gebe

"einen Tagesordnungspunkt 13.1; Gegenstand sei hier die Umbenennung der drei in Rede stehenden Straßen. Über die Aufhebung der Beschlüsse zur Benennung der Straßen und Wege "J. -Straße", "L. -Weg" und "K. -Straße" könne daher nur insgesamt beraten und abgestimmt werden. Die Tagesordnung könne nach § 4 Ziff. 5 der Geschäftsordnung nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Ratsmitglieder geändert werden. Diese Mehrheit sei nicht erreicht. Es verbleibe daher bei der zu Beginn der Sitzung festgestellten Tagesordnung.

Abschließend stellte der Ratsvorsitzende fest, dass

- Ratsherr Dr. A. gemäß § 26 NGO bei der Beratung und Beschlussfassung zu den Punkten 1 bis 3 des Beschlussvorschlags der Ergänzungsvorlage BV/0570/10-1-1 (= TOP 13.1) nicht mitwirken darf,

- Ratsherr Dr. A. an der Beratung und Beschlussfassung zu dem Punkt 4. des Beschlussvorschlags der Ergänzungsvorlage BV/0570/10-1-1 (= TOP 13.2) teilnehmen darf."

Nach dem Aufruf des Tagesordnungspunktes 13.1 begab sich der Kläger in den Zuschauerbereich und nahm an der weiteren Beratung und Beschlussfassung zu den Punkten 1 bis 3 des Beschlussvorschlags der Vorlage BV/0570/10-1-1 nicht teil.

Nach Abschluss der Beratung fasste der Beklagte zu Tagesordnungspunkt 13.1 folgende Beschlüsse:

1. "Der Rat beschließt mehrheitlich bei 5 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen, zur Umbenennung des "K. -Weg" keine Bürgerbefragung gemäß § 22 d NGO durchzuführen und erklärt damit den Antrag Nr. 15/2011 für erledigt.

2. Der Rat beschließt mehrheitlich bei 2 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen, dass die in den Anträgen Nr. 5/2011 und Nr. 14/2011 angeführten Stellungnahmen zur Umbenennung des "K. -Weg" bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben und erklärt sie damit als erledigt.

3. Nach der Beendigung der Auszählung gibt Ratsvorsitzender R. die folgenden Abstimmungsergebnisse bekannt:

a) Der Rat beschließt mehrheitlich mit 26 JA-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen, den Beschluss über die Benennung "J. -Straße" aufzuheben.

b) Der Rat beschließt mehrheitlich mit 30 JA-Stimmen, 8 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen, den Beschluss über die Benennung "L. -Weg" aufzuheben.

c) Der Rat beschließt mehrheitlich mit 23 JA-Stimmen, 17 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung, den Beschluss über die Benennung "K. -Weg" aufzuheben."

Am Ende des Tagesordnungspunktes ließ der Ratsvorsitzende über den zu Beginn der Sitzung eingebrachten Antrag des Ratsherrn Dr. S. abstimmen:

"Der Rat möge beschließen, dass Ratsherr Dr. A., wenn er nach § 26 NGO bei der Aberkennung von Straßennamen von der Mitwirkung ausgeschlossen sei, gemäß § 12 Ziff. 3 GO zu Tagesordnungspunkt 13. gehört wird."

Diesem Antrag stimmte der Rat einstimmig zu. Danach erklärte der Kläger, dass "er nicht erfreut über dieses Abstimmungsergebnis sei". Er werde rechtlich prüfen lassen, ob er zu Recht von der Mitwirkung ausgeschlossen worden sei und ob die strittigen Punkte zur Tagesordnung und zu den Anträgen Nr. 5/2011, Nr. 14/2011 und Nr. 15/2011 einschließlich der damit verbundenen Rederechte zu beanstanden seien.

An der Beratung und Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 13.2, unter dem die Straßen vom Beklagten neu benannt wurden, nahm der Kläger wieder teil.

Die neuen Straßenschilder sind im April 2011 angebracht worden.

Mit der am 24. März 2011 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Klage sei im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits als Feststellungsklage zulässig. Er habe das erforderliche Feststellungsinteresse, weil er sowohl ein Rehabilitationsinteresse habe als auch eine Wiederholungsgefahr bestehe. Das Rehabilitationsinteresse ergebe sich u.a. daraus, dass der Beklagte die Stellung des Klägers als demokratisch gewähltes Ratsmitglied und die damit verbundenen Rechte zukünftig besser respektieren werde. Es sei auch nicht auszuschließen, dass sowohl die Anwendung des Mitwirkungsverbotes als auch die Abstimmung über mehrere Gegenstände en-bloc zukünftig vorsichtiger gehandhabt würden. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sachbeschlüsse bestehe ebenfalls ein Rehabilitationsinteresse des Klägers.

Sein Ausschluss von den Entscheidungen des Tagesordnungspunktes 13.1 sei rechtswidrig. Es könne dahinstehen, ob er bei der Umbenennung des nach seinem Vater benannten Weges tatsächlich ausgeschlossen werden konnte. Darauf komme es nicht entscheidend an, weil sich der Ausschluss auch auf die Umbenennung der zwei weiteren Straßen bezogen habe. Es habe kein Grund bestanden, ihn von dem Beschluss über die Umbenennung dieser Straßen auszuschließen. Die unter dem Tagesordnungspunkt 13.1 zu fassenden Beschlüsse hätten auch nicht in einem so engen Zusammenhang gestanden, dass über sie nur einheitlich beschlossen werden konnte. Durch die Zusammenfassung der drei Beschlüsse unter einem Tagesordnungspunkt sei in seine Rechtsstellung als Ratsmitglied rechtswidrig eingegriffen worden.

Damit sei auch die Sachentscheidung insgesamt rechtswidrig. Weil über die Umbenennung der Straßen einzeln abgestimmt worden sei, liege keine klassische en-bloc-Abstimmung vor. Von einem inneren Zusammenhang der Beschlüsse mit der Konsequenz, dass nur eine einheitliche Abstimmung möglich gewesen sei, könne keine Rede sein. Eine Aufspaltung in mitwirkungsfreie und nicht mitwirkungsfreie Teile hätte ohne weiteres erfolgen können. Dementsprechend sei es nicht geboten gewesen, die Umbenennung der drei Straßen in einem Tagesordnungspunkt abzuhandeln. Der Beklagte hätte über die Trennung der Tagesordnungspunkte noch während der Ratssitzung beschließen können. Er habe nicht freiwillig auf seine Mitwirkung an der Beratung und Beschlussfassung zu dem Tagesordnungspunkt 13.1 verzichtet.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten in der Sitzung vom 10. Februar 2011 über den Ausschluss des Klägers von der Beratung und Beschlussfassung des Tagesordnungspunktes 13.1 rechtswidrig gewesen ist,

2. festzustellen, dass die unter Tagesordnungspunkt 13.1 gefassten Beschlüsse des Beklagten in der Sitzung vom 10. Februar 2011 rechtswidrig gewesen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert, die Klage sei unzulässig. Für den Antrag zu 1. fehle das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Der Kläger sei in der Sitzung des Beklagten am 10. Februar 2011 nicht ausgeschlossen worden. Der Oberbürgermeister der Stadt F. habe den Kläger lediglich auf die geltende Rechtslage hingewiesen. Der Kläger habe daraufhin freiwillig den für Zuhörerinnen und Zuhörer bestimmten Teil des Beratungsraumes aufgesucht.

Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet. Der Kläger habe hinsichtlich des Tagesordnungspunktes 13.1 in der Sitzung vom 10. Februar 2011 dem Mitwirkungsverbot des § 26 NGO unterlegen. Für den Kläger bestehe ein Mitwirkungsverbot an der Umbenennung der nach seinem Vater benannten Straße, weil in die mit der Straßenbenennung verbundene Ehrung seines Vaters eingegriffen und damit auch das Ansehen der Familie des Klägers betroffen worden sei. Auch im Jahre 1999 habe der Kläger an der Beratung und Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt "Benennung des K. -Weges" nicht teilgenommen.

Das Mitwirkungsverbot erstrecke sich auf alle Beratungen und Entscheidungen in der betreffenden Angelegenheit. Es erstrecke sich auf die gesamte Behandlung der Angelegenheit durch den Beklagten und betreffe den gesamten Tagesordnungspunkt. Die Aufteilung des Tagesordnungspunktes 13.1 in einen "mitwirkungsfreien Teil" und einen "nicht mitwirkungsfreien Teil" sei nicht möglich. Dementsprechend habe der Ratsvorsitzende zu Recht den Kläger darauf hingewiesen, dass das Mitwirkungsverbot den gesamten Tagesordnungspunkt 13.1 in der Sitzung vom 10. Februar 2011 umfasst habe. Die Beratung und Beschlussfassung zur Umbenennung der drei Straßen in einem Tagesordnungspunkt sei auch in Anbetracht des entsprechenden Vorschlags der Kommission allein sinnvoll und zweckmäßig gewesen. Hierfür hätten auch die Redebeiträge in der Ratssitzung am 10. Februar 2011 zum Tagesordnungspunkt 13.1. gesprochen. Die vorbereiteten und hochqualifizierten Reden, die von großer Bedeutung für die Aufarbeitung der Zeitgeschichte der Stadt F. gewesen seien, hätten bei einer Aufteilung des Tagesordnungspunktes in der Ratssitzung nicht mehr gehalten werden können. Die Redner hätten ihre Reden auf drei Tagesordnungspunkte aufteilen müssen, was in Anbetracht der Vorbereitungen für die Ratssitzung nicht mehr möglich gewesen wäre.

In rechtlicher Hinsicht wäre eine Änderung der Tagesordnung möglich gewesen. Der Beklagte habe aber keinen Beschluss über die Änderung der Tagesordnungspunkte gefasst. Während der Sitzung sei eine Erweiterung der Tagesordnung grundsätzlich nicht zulässig. Bei der dennoch vom Ratsvorsitzenden durchgeführten Abstimmung über die Erweiterung der Tagesordnung sei die für die Änderung der Tagesordnung erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht worden. Es habe keine "en-bloc-Abstimmung" stattgefunden, weil über die Umbenennung jeder Straße einzeln abgestimmt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Ausschluss des Klägers von der Beratung und Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 13.1 in der Sitzung des Beklagten vom 10. Februar 2011 ist rechtswidrig. Die unter diesem Tagesordnungspunkt gefassten Beschlüsse des Beklagten sind deshalb ebenfalls rechtswidrig.

Die Klage ist zulässig.

Die im Rahmen des Kommunalverfassungsstreitverfahrens vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis über organschaftliche Mitwirkungsrechte betreffen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 17. Aufl. 2011, § 43 Rdnr. 10 m.w.N.). Der Kläger hat das für die Klage erforderliche Feststellungsinteresse. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Hier ergibt sich das Feststellungsinteresse aus der die Rechtsstellung des Klägers als Mitglied des Beklagten unmittelbar berührenden Frage, ob er zu Recht von der Beratung und Beschlussfassung des Rates am 10. Februar 2011 zum Tagesordnungspunkt 13.1 ausgeschlossen worden ist. Er kann geltend machen, dass durch diese Maßnahme in seine Rechte gemäß § 39 Abs. 2 der hier noch maßgeblichen Niedersächsischen Gemeindeordnung in der Fassung vom 28.10.2006 (Nds.GVBl. 2006, 473) - NGO -, wonach niemand gehindert werden darf, das Amt eines Ratsmitgliedes auszuüben, eingegriffen worden ist. Dementsprechend kann er auch geltend machen, dass der ohne seine Mitwirkung gefasste Beschluss an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet und deshalb ebenfalls rechtswidrig ist.

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger nach Auffassung des Beklagten freiwillig den für Zuhörerinnen und Zuhörer bestimmten Teil des Beratungsraumes aufgesucht hat, nachdem der Ratsvorsitzende den Kläger auf die geltende Rechtslage hingewiesen habe. Aus der Niederschrift über die Sitzung des Beklagten am 10. Februar 2011 ergibt sich, dass der Ratsvorsitzende in der Sitzung öffentlich die "Feststellung" verkündet hat, dass der Kläger gemäß § 26 NGO bei der Beratung und Beschlussfassung zu den Punkten 1 bis 3 des Beschlussvorschlags zum TOP 13.1 nicht mitwirken dürfe. Bei verständiger Würdigung ist damit gegen den Kläger ein in die Form einer "Feststellung" gekleidetes Mitwirkungsverbot vom Ratvorsitzenden ausgesprochen worden. Aus dem Umstand, dass der Kläger daraufhin von sich aus den Zuschauerbereich aufgesucht hat, ist deshalb weder zu schließen, dass er dies freiwillig getan hat, noch, dass er mit seinem Ausschluss aus der weiteren Ratssitzung einverstanden gewesen ist. Vielmehr hat der Kläger offensichtlich lediglich die in Form einer Feststellung gekleidete Aufforderung des Ratsvorsitzenden befolgt. Dass dies gegen seinen Willen und nicht freiwillig geschah, ergibt sich auch daraus, dass er noch in der Ratssitzung erklärt hat, dass er rechtlich prüfen lassen werde, ob er zu Recht "dem Mitwirkungsverbot unterlegen war". Damit hat der Kläger deutlich zu erkennen gegeben, dass entgegen der Auffassung des Beklagten von einem freiwilligen, das Rechtsschutzinteresse in Frage stellenden Verzicht des Klägers, am Tagesordnungspunkt 13. 1 teilzunehmen, keine Rede sein kann.

Deshalb ist es für die Zulässigkeit der Klage auch unerheblich, dass in der Sitzung am 10. Februar 2011 kein förmlicher Beschluss des dafür gem. § 26 Abs. 4 NGO sachlich zuständigen Beklagten über den Ausschluss des Klägers von der Beratung und Beschlussfassung über den Tagesordnungspunkt 13. 1 gefasst worden ist (vgl. dazu Behrens in: KVR-NGO § 26 Rdnr. 68). Der Kläger hat vielmehr, wie er in der mündlichen Verhandlung der Kammer erklärt hat, auf die eindeutige und unmissverständliche "Feststellung" des Ratsvorsitzenden am Ende der Erörterung des Tagesordnungspunktes 13. den Zuschauerbereich aufgesucht, ohne auf einem förmlichen Beschluss über sein Mitwirkungsverbot zu bestehen. Deshalb hat auch der Ratsvorsitzende, offenbar unter Billigung aller Mitglieder des Rates, von der an sich erforderlichen Herbeiführung eines entsprechenden Beschlusses Abstand genommen. Diese Verfahrensweise begründet für den Kläger das Rechtsschutzinteresse für die Feststellung, dass die vom Ratsvorsitzenden getroffene "Feststellung" über das Mitwirkungsverbot rechtswidrig war, weil diese hier unmittelbar ursächlich für den tatsächlich vollzogenen Ausschluss des Klägers von der Beratung und Entscheidung des Tagesordnungspunktes 13. 1 gewesen ist.

Die Klage ist auch begründet.

Der in Form der "Feststellung" ausgesprochene Ausschluss des Klägers von der Mitwirkung an dem Tagesordnungspunkt 13.1 in der Sitzung am 10. Februar 2011 ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten als Ratsmitglied.

Gemäß § 39 Abs. 3 i.V.m § 26 Abs. 1 NGO darf in Angelegenheiten der Gemeinde ein Ratsmitglied nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung unter anderem ihm selbst, seinem Ehegatten oder seinen Verwandten bis zum dritten Grade einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 NGO gilt nur derjenige Vorteil oder Nachteil als unmittelbar, der sich aus der Entscheidung ergibt, ohne dass, von der Ausführung von Beschlüssen nach § 62 Abs.1 Nr. 2 NGO abgesehen, weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen.

Der hier allein streitbefangene Tagesordnungspunkt 13.1 in der Sitzung des Beklagten vom 10. Februar 2011 umfasste fünf einzelne Beschlussvorschläge. Zu den Nrn. 1. und 2. des Beschlussvorschlages "BV/0570/10-1-1", auf den in der Tagesordnung 13.1 Bezug genommenen wird, war über formale Fragen im Zusammenhang mit der Umbenennung des "K. -Weges" zu beschließen. Unter Nr. 3. des Beschlussvorschlages war vom Beklagten über die Aufhebung der Benennung von drei unter den Buchstaben a) bis c) einzelnen aufgeführten Straßen und Wegen zu entscheiden.

Der Ausschluss des Klägers von der Beratung und Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 13.1 war rechtswidrig, weil für den Kläger kein Mitwirkungsverbot nach § 26 NGO für den gesamten Tagesordnungspunkt bestand und kein sachlicher Grund dafür erkennbar ist, dass insbesondere über die unter Ziff. 3 a bis c) zur Beratung und Beschlussfassung anstehenden Punkte nur einheitlich vom Beklagten entschieden werden konnte. Vielmehr war die Aufteilung der zur Beratung und Beschlussfassung der unter Ziff. 3 a bis c) anstehenden Punkte in einzelne Tagesordnungspunkte nicht nur ohne weiteres möglich, sondern unter Berücksichtigung des für den Kläger insoweit nur für Ziff. 3 c) bestehenden Mitwirkungsverbotes rechtlich geboten.

Der Kläger war gemäß § 39 Abs. 3 i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 NGO von der Beratung und Entscheidung über die Umbenennung des "K. -Weges" ausgeschlossen. Die Entscheidung war für ihn als Sohn des ehemaligen Oberbürgermeisters der Stadt F., nach dem der Weg benannt war, nachteilig. Die öffentliche Debatte und die Entscheidung über die Umbenennung des Weges beeinträchtigten erheblich das Ansehen und das Andenken an den bislang offenbar als unbescholten und verdienstvoll geltenden Vater des Klägers, wodurch auch die Interessen der Familie des Klägers in Celle berührt wurden. Das wird auch daraus deutlich, dass der Kläger im Anschluss an die Entscheidung des Rates über die Umbenennung seine Enttäuschung über das Abstimmungsergebnis bekundet hat. Der Ausschluss des Klägers von der Beratung und Entscheidung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 26 NGO. Die Regelung über das Mitwirkungsverbot ist Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass Amtsträger unbefangen und uneigennützig handeln sollen und sich an der Mitwirkung in einer Angelegenheit, an der sie ein persönliches Interesse haben, zu enthalten haben (vgl. Behrens a.a.O., § 26 Rdnrn. 19, 20 m.w.N.). Das gilt in besonderem Maße auch für Entscheidungen, bei denen - wie hier - erhebliche familiäre Verhältnisse betroffen sind.

Die Beschlussfassung über die Umbenennung des "K. -Weges" ist für den Kläger auch mit einem unmittelbaren Nachteil im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 3 NGO verbunden, weil sich der Ratsbeschluss ohne weitere Umsetzung als nachteilig für den Kläger auswirkt.

Die Feststellung über das Mitwirkungsverbot des Klägers erstreckte sich in der Sitzung am 10. Februar 2011 auf alle Beschlüsse des Beklagten, die sich mit der Umbenennung des "K. -Weges" befassten. Es bezog sich damit auf die in der Vorlage "BV/0570/10-1-1" aufgeführten und unter TOP 13.1 zur Beschlussfassung gestellten Ziffern 1., 2. und 3. c. Die Beschlussfassungen über diese Punkte im Rahmen des Tagesordnungspunktes 13.1 betrafen alle das Verfahren und die Entscheidung über die Umbenennung des "K. -Weges".

Kein Mitwirkungsverbot für den Kläger bestand jedoch für die unter dem Tagesordnungspunkt 13.1 ebenfalls zur Beschlussfassung vorgeschlagenen Umbenennungen der Straßen "J. -Straße" und "L. -Weg". Bezüglich dieser zwei, unter den Ziff. 3. a und b) aufgeführten Straßen ist weder erkennbar noch von dem Beklagten vorgetragen, dass der Kläger durch die Umbenennung dieser Straßen ebenfalls einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 NGO hatte. Das bedeutet, dass es dem Kläger insoweit grundsätzlich rechtswidrig verwehrt worden ist, bei der Umbenennung dieser Straßen seine Rechte aus § 39 Abs. 2 Satz 1 NGO zur Mitwirkung an der Beratung und Entscheidung in der Ratssitzung am 10. Februar 2011 wahrzunehmen.

Die gegen den Kläger ausgesprochene Feststellung über das Mitwirkungsverbot an der Beratung und Beschlussfassung zur Umbenennung der "J. -Straße" und des "L. -Weges" wird ausnahmsweise auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Beschlussfassung über die Umbenennung der drei Straßen in dem Tagesordnungspunkt 13.1 zusammengefasst war. Die Zusammenfassung von einzelnen zur Beschlussfassung anstehenden Entscheidungen unter einem Tagesordnungspunkt, für die nur teilweise ein Mitwirkungsverbot eines Ratsmitgliedes besteht, ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn die vom Rat zu beschließenden Angelegenheiten sachlich oder rechtlich in einem so engen Zusammenhang stehen, dass über sie nur einheitlich entschieden werden kann. Wegen der in einem solchen Fall anzunehmenden engen Verkopplung der einzelnen Fragen kann es ausnahmsweise sachlich und rechtlich geboten sein, dass sich das nur für einen einzelnen Punkt bestehende Mitwirkungsverbot auf alle zur Beschlussfassung anstehenden Entscheidungen erstreckt. Voraussetzung dafür wäre aber, dass tatsächlich oder rechtlich eine inhaltliche Trennung der entsprechenden Punkte oder deren Aufteilung auf einzelne Tagesordnungspunkte nicht möglich ist. Besteht jedoch die Möglichkeit, die Beratung und Beschlussfassung auch auf einzelne Tagesordnungspunkte auseinanderzuziehen, so gebietet es das Recht des Ratsmitgliedes, nur in dem unbedingt notwendigen Umfang von der Mitwirkung an Ratsentscheidungen ausgeschlossen zu werden, dass die Tagesordnung einer Ratssitzung von vornherein so gestaltet werden muss, dass der durch das Mitwirkungsverbot bewirkte Ausschluss an der Mitwirkung an der Ratsarbeit auf das unabweisbare Maß beschränkt wird.

Hier war der Beklagte wegen der Beschränkung des Mitwirkungsverbotes des Klägers auf die mit der Umbenennung des "K. -Weges" befassten Beschlüsse bei der Aufstellung der Tagesordnung verpflichtet, die Tagesordnungspunkte so zu gestalten, dass sich das Mitwirkungsverbot des Klägers nur auf die Umbenennung des nach seinem Vater benannten Weges beschränkte und sich nicht auch auf die weiteren zur Umbenennung gestellten Straßennamen bezog. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten bestanden keine zwingenden sachlichen oder rechtlichen Gründe, die einer das Mitwirkungsverbot beachtenden Gestaltung der Tagesordnung entgegen standen.

Bei der Beschlussfassung über die Umbenennung der drei Straßen waren drei einzelne Entscheidungen zu treffen, bei denen für jeden Einzelfall beraten und beschlossen werden musste, ob und wieweit die entsprechenden Personen im nationalsozialistischen Staat verankert waren, sie Unrechtstaten begangen haben und daher unwürdig sind, durch eine Straßenbenennung geehrt zu werden. Es liegt auf der Hand, dass hier die Personen, die ganz unterschiedliche Bezüge zum NS Regime hatten, einzeln zu beurteilen waren und die Entscheidungen auch unterschiedlich ausfallen konnten. Das ergibt sich sowohl aus den Gutachten des Historikers Dr. I. als auch den teilweise intern durchaus kontrovers diskutierten Vorschlägen der von der Stadt F. eingesetzten Expertenkommission. Dass auch der Rat erkannt hatte, dass es sachlich unangemessen war, "en-bloc" und einheitlich über die Umbenennung der drei Straßen abzustimmen, ergibt sich daraus, dass einzeln über die unter den Ziffern 3 a bis c) aufgeführten Vorschläge abgestimmt wurde und es dabei auch zu unterschiedlichen Stimmverhältnissen gekommen ist. Dies zeigt, dass es sachlich auch möglich gewesen wäre, in drei getrennten Tagesordnungspunkten über die Umbenennung der einzelnen Straßen zu beraten und zu beschließen. Eine sachlich oder rechtlich zwingende Notwendigkeit, über die Aufhebung der Straßennamen unter einem Tagesordnungspunkt zu beraten und zu entscheiden, bestand jedenfalls nicht.

Der möglichen Aufteilung der Beschlüsse auf einzelne Tagesordnungspunkte stand entgegen der Auffassung des Beklagten nicht entgegen, dass die Expertenkommission einheitlich die drei Straßen zur Umbenennung vorgeschlagen hatte. Ebenso rechtlich unbeachtlich ist der Umstand, dass die Redebeiträge für die Ratssitzung am 10. Februar 2011 zu dem einheitlichen Tagesordnungspunkt 13.1 vorbereitet waren. Die grundsätzlichen Redebeiträge hätten ohne weiteres im vorgesehenen Tagesordnungspunkt 13 gehalten werden können.

Weil der Kläger damit ohne sachliche oder rechtliche Rechtfertigung durch die Feststellung des Ratsvorsitzenden von der Beratung und Beschlussfassung des gesamten Tagesordnungspunktes 13.1 ausgeschlossen worden ist, ist sein Recht auf Teilnahme an der Ratsarbeit gemäß § 39 Abs. 2 NGO rechtwidrig verletzt worden. Damit ist die Feststellung über sein Mitwirkungsverbot an diesem Tagesordnungspunkt insgesamt rechtswidrig gewesen. Eine Aufspaltung dahingehend, dass die Feststellung nur hinsichtlich der Beratung und Beschlussfassung des "K. -Weges" rechtmäßig, im Übrigen aber rechtswidrig war, ist nicht möglich, weil sich die Feststellung über das Mitwirkungsverbot auf den gesamten Tagesordnungspunkt 13.1 bezogen hat und in diesem Umfang, und dies ist vom Gericht nur zu überprüfen, rechtswidrig gewesen ist.

Weil der Kläger zu Unrecht nicht an der Beratung und Entscheidung über den gesamten Tagesordnungspunkt 13.1 teilnehmen konnte, ist die Beschlussfassung des Beklagten unter dem Tagesordnungspunkt 13.1, auch wenn darüber in mehreren Durchgängen beschlossen worden ist, rechtswidrig. § 26 Abs. 6 Satz 1 NGO sieht zwar vor, dass ein Beschluss, der unter Verletzung der Vorschriften der Absätze 1 und 2 gefasst worden ist, nur dann unwirksam ist, wenn die Mitwirkung für das Abstimmungsergebnis entscheidend war. Dies gilt jedoch nur für den Fall, dass ein Mitglied des Rates an der Abstimmung teilgenommen hat, obwohl tatsächlich ein Mitwirkungsverbot bestand. In dem Fall, in dem ein Ratsmitglied zu Unrecht ausgeschlossen worden ist, ist demgegenüber die getroffene Sachentscheidung rechtswidrig, weil der Rat in diesem Fall nicht in der ordnungsgemäßen Besetzung entschieden hat (vgl. Behrens, a.a.O., § 26 Rdnr. 85; Thiele, NGO, 8. Aufl. 2007, § 26 Anm. 8 m.w.N.). Deshalb kommt es hier nicht darauf an, ob die Mitwirkung des Klägers das Abstimmungsergebnis maßgeblich beeinflusst hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Berufung zuzulassen, weil die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden, wie sich ein Mitwirkungsverbot in einzelnen Fragen auswirkt, wenn unter demselben Tagesordnungspunkt auch weitere Punkte vom Rat beraten und beschlossen werden.