Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.11.2009, Az.: 1 W 57/09
Gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag inÜbergangsfällen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 26.11.2009
- Aktenzeichen
- 1 W 57/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 34808
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2009:1126.1W57.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - AZ: 7 O 959/09
Rechtsgrundlagen
- Art. 111 Abs. 1 FGG-RG
- § 111 Nr. 10 FamFG
- § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG
- § 38 Abs. 1 FamFG
- § 76 Abs. 1 FamFG
- § 17a Abs. 2 GVG
- § 17a Abs. 6 GVG
- § 281 Abs. 2 Nr. 3 ZPO
- § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO
Fundstellen
- AGS 2010, 136-137
- FF 2010, 217
- FGPrax 2010, 104
- FPR 2010, 99-100
- FamFR 2010, 42
- FamRB 2010, 113
- FamRZ 2010, 1101-1102
- NJW 2010, 8
- NJW 2010, 452-453
Amtlicher Leitsatz
Wurde vor dem 1. September 2009 ein Antrag auf Prozesskostenhilfe in einer Zivilsache gestellt, für die seit dem 1. September 2009 das Familiengericht zuständig ist, hat nunmehr das Familiengericht über den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden.
Tenor:
Das Amtsgericht Wolfsburg - Familiengericht - wird zum zuständigen Gericht zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 8.4.2009 bestimmt.
Gründe
I. Antragsteller beabsichtigt gegen die Antragsgegnerin, seine geschiedene Ehefrau, eine Klage auf Gesamtschuldnerausgleich wegen zwei in der Ehezeit gemeinsam aufgenommener Darlehen zu verklagen. Hierfür hat er beim Landgericht Braunschweig im April 2009 seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht. Über diesen hat das Landgericht noch nicht entscheiden. Der Klageentwurf wurde bis heute nicht zugestellt.
Das Landgericht hat mit Verfügung vom 15.9.2009 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass durch Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 nicht mehr das Landgericht, sondern das Familiengericht zuständig sei. Der Antragsteller beantragte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 28.9.2009 die Abgabe an das zuständige Familiengericht beantragt. Die Antragsgegnerin teilte unter dem 8.10.2009 mit, gegen die Verweisung bestünden keine Bedenken. Mit Beschluss vom 14.10.2009 hat das Landgericht Braunschweig beschlossen: "Das Landgericht Braunschweig gibt die Sache innerhalb des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens ... auf Antrag des Antragstellers ... an das Amtsgericht - Familiengericht - Wolfsburg ab." Im Beschluss ist zur Begründung ausgeführt, dass seit dem 1.9.2009 gem. Art. 111 FGG-RG das Familiengericht zuständig sei, weil der Prozesskostenhilfeantrag vom 8.4.2009 "keine relevante Verfahrenseinleitung" darstelle.
Mit Beschluss vom 23.10.2009 hat sich das Amtsgericht - Familiengericht - Wolfsburg für ebenfalls unzuständig erklärt. Es vertritt in dem Beschluss die Auffassung, der Prozesskostenhilfeantrag sei eine Einleitung des Verfahrens im Sinne von Art. 111 Abs. 1 FGG-RG auch bezüglich der Klage. Mit Schriftsatz vom 29.10.2009 hat sich der Antragsteller an das Oberlandesgericht mit dem Antrag gewandt, das zuständige Gericht zu bestimmen.
II. Der Antrag ist zulässig. Dass er vom Antragsteller und nicht unmittelbar durch eines der am negativen Kompetenzkonflikt nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO beteiligten Gerichte gestellt worden ist, ist unschädlich (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 2021; Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl.,§ 37 Rn. 1).
Das Oberlandesgericht Braunschweig ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, da es für beide am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte das im Rechtszug zunächst höhere Gericht ist.
Zuständig ist das Amtsgericht - Familiengericht - Wolfsburg.
1. Das Amtsgericht - Familiengericht - ist schon deshalb zuständig, weil das Landgericht das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nach Anhörung der Parteien durch mit einer Begründung versehenen Beschluss an das Amtsgericht - Familiengericht - verwiesen und nicht lediglich formlos abgegeben hat. In der Sache liegt damit ein entsprechend §§ 17a Abs. 2 i. V. m. Abs. 6 GVG, 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bindender Verweisungsbeschluss vor (vgl. Musielak/Wittschier, ZPO, 7. Aufl., § 17a GVG Rn. 23). Dass darin "§ 281 ZPO" nicht zusätzlich ausdrücklich angeführt worden ist, ist insoweit unerheblich (vgl. Musielak/Foerste, aaO., § 281 ZPO Rn. 15). Auch eine im Verfahren über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ausgesprochene Verweisung ist für das Gericht, an das verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend (BGH NJW-RR 2004, 1437 [BGH 13.07.2004 - VI ZB 12/04]; BGH NJW 2001, 3633; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 281 Rn. 9 mwNw; Prütting/Gehrlein, ZPO, § 281 Rn. 8).
2. Der Verweisungsbeschluss auch nicht wegen objektiver Willkürlichkeit ohne Bindungswirkung. Das Landgericht hat die förmlichen Voraussetzungen der Verweisung (§§ 17a Abs. 2 i. V. m. Abs. 6 GVG, 281 ZPO) eingehalten. Die Begründung des Verweisungsbeschlusses, bei dem Prozesskostenhilfeantrag vom 8.4.2009 handele es sich um keine Verfahrenseinleitung i. S. v. Art. 111 FGG-RG ist zutreffend, zumindest aber vertretbar, was für die vorliegende Entscheidung nach§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO maßgeblich ist.
Gemäß §§ 111 Nr. 10, 266 Abs. 1 Nr. 3 des zum 1.9.2009 in Kraft getretenen FamFG handelt es sich bei der beabsichtigten Klage auf Gesamtschuldnerausgleich wegen zwei in der Ehezeit gemeinsam aufgenommener Darlehen, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, um eine Familiensache (Keidel/Giers, FamFG, 16. Aufl., § 266 Rn. 14).
Nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 117 Abs. 1 ZPO ist das Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über die für eine beabsichtigte Klage beantragte Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe zuständig. Diese Zuständigkeit ist mit Ablauf des 31.8.2009 vom Landgericht Braunschweig auf das Amtsgericht - Familiengericht - Wolfsburg übergegangen, da eine anderslautende Übergangsvorschrift nicht eingreift.
Gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG sind auf die Verfahren, deren Einleitung bis zum 1.9.2009 beantragt worden ist, weiterhin die bis zum 1.9.2009 geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden. Laut Art. 111 Abs. 2 FGG-RG sind die von Art. 111 Abs. 1 FGG-RG erfassten selbständigen Verfahren solche gerichtliche Verfahren, die mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden.
Das - wie hier lediglich eingeleitete - Verfahren zur Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist kein Verfahren i. S. der Übergangsregelung des Art. 111 Abs. 1 FGG-RG. Es ist kein Verfahren, das mit einer Endentscheidung gemäß § 111 Abs. 2 FGG-RG abschließt.
Endentscheidungen sind nach der Legaldefinition in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG diejenigen, durch die der Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird (Engelhardt in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, Art. 111 FGG-RG Rdnr. 3). Danach liegt eine Endentscheidung nur vor, wenn sich der gesamte Verfahrensgegenstand oder ein selbstständiger Teil davon im Hinblick auf das zu regelnde Rechtsverhältnis als entscheidungsreif darstellt, d. h. wenn aus der Sicht des Gerichts der Verfahrenszweck erfüllt ist und deshalb die Anhängigkeit der Sache bzw. die Instanz durch den Rechtsprechungsakt beendet wird (Meyer-Holz in Keidel, aaO., § 38 FamFG Rdnr. 4). Dieser Funktion der unmittelbaren Verfahrensbeendigung steht diejenige von Neben- und Zwischenentscheidungen gegenüber, die sich nicht auf die Hauptsache beziehen bzw. erst zur Herbeiführung ihrer Entscheidungsreife bestimmt sind und deshalb der Endentscheidung vorausgehen (Meyer-Holz aaO.).
Die Entscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch ergeht zwar durch einen Beschluss, der im Falle der Erfolglosigkeit anfechtbar ist. Hierdurch wird allenfalls das (eine) Prozesskostenhilfeverfahren - imÜbrigen ohne Rechtskraftwirkung - beendet, nicht aber eine Entscheidungüber das zu regelnde Rechtsverhältnis getroffen, das vorliegend in dem angestrebten Gesamtschuldnerausgleich besteht.
Ein Prozesskostenhilfeantrag als solcher hat für die Hauptsache zunächst einmal keinerlei Bedeutung. Das beabsichtigte Verfahren wird durch ihn nicht eingeleitet (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 117 Rn. 24). Daher ist auch insoweit eine Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag keine Endentscheidung im Sinne der familienverfahrensrechtlichen Vorschriften wie Art. 111 Abs. 2 FGG-RG, § 38 Abs. 1 FamFG, § 621e Abs. 1 ZPO a. F. (vgl. OLG Dresden für § 621e ZPO a. F. in FamRZ 2004, 1979, 1980 [OLG Dresden 18.03.2004 - 22 WF 3/04]; von AG Meldorf in Beschl. v. 10.11.2009 - 81 C 33/09 - übersehen, vgl. Rn. 9, hier zit. n. juris). Das Einreichen einer Antragsschrift zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe, in der - wie hier - zu dem gleichzeitig beigefügten Entwurf einer Klage ausdrücklich klargestellt wird, dass diese nur für den Fall der Prozesskostenhilfe erhoben werden soll, ist folglich auch keine von der Übergangsvorschrift des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG erfasste Verfahrenseinleitung (so auch obiter dictum in OLG Naumburg, Beschl. v. 26.3.2009 - 3 WF 66/09, Leitsatz Satz 2, hier zit. n. juris).
Dass vorliegend eine verfahrensförderndere Sachbehandlung durch das Landgericht den Wechsel der Zuständigkeit womöglich verhindert hätte, rechtfertigt keine andere Entscheidung, da zur Heranziehung dieses Umstands als Entscheidungskriterium im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO eine gesetzliche Grundlage fehlt.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da im Verfahren nach § 36 ZPO vor dem Oberlandesgericht Gerichtskosten nicht entstehen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 36 Rn. 33) und die anwaltlichen Kosten zum Rechtszug der Hauptsache gehören (OLG Dresden RPfleger 2006, 44; OLG München MDR 2007, 1153, 1154; Zöller/Vollkommer, aaO.).