Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.11.2009, Az.: 3 WF 101/09

Verfahren bei Selbstablehnung eines Richters

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.11.2009
Aktenzeichen
3 WF 101/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 34806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2009:1123.3WF101.09.0A

Redaktioneller Leitsatz

1. Hält ein Richter beim Amtsgericht sich für befangen, so hat er die Akte unter Mitteilung der Befangenheitsgründe seinem geschäftsplanmäßigen Vertreter vorzulegen, damit dieserüber die Selbstablehnung entscheiden kann. Das gilt auch dann, wenn eine Partei die Anzeige von möglichen Befangenheitsgründen durch den zuständigen Richter am Amtsgericht zum Anlass nimmt, ein Ablehnungsgesuch zu stellen.

2. In beiden Fällen ist die Anwendung des § 45 Abs. 2 S. 2 ZPO ausgeschlossen.

3. Zwar hat im Falle eines Zuständigkeitsstreits zwischen einzelnen Richtern desselben Gerichts über die Stattgabe eines Ablehnungsgesuchs durch den abgelehnten Richter (§ 42 Abs. 2 S. 2 ZPO) das im Rechtszug zunächst höhere Gericht in entsprechender Anwendung von§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO den zuständigen Richter zu bestimmen. Dies setzt jedoch eine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch voraus.

Tenor:

Das Gesuch des Amtsgerichts - Familiengerichts - ... auf Bestimmung des zuständigen Richters in den Verfahren ... F .../07 und ... F .../05 wird abgelehnt.

Die Verfahren werden mit der Maßgabe an das Amtsgericht zurückgegeben, dass gemäß §§ 48, 45 Abs. 2 Satz 1 ZPOüber die Selbstablehnung des Richters am Amtsgericht B. durch den hierfür geschäftsplanmäßig zuständigen anderen Richter bzw. die andere Richterin zu entscheiden ist.

Gründe

1

I. Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Das Ehescheidungsverfahren ... F .../05 ist seit Januar 2006 beim Amtsgericht - Familiengericht - ... rechtshängig und hat im Verbund neben dem Versorgungsausgleich auch den Zugewinnausgleich und nachehelichen Unterhalt der Klägerin zum Gegenstand. Daneben streiten die Parteien in dem Unterhaltsverfahren ... F .../07 um die Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs zum Trennungsunterhalt und Unterhalt für zwei aus der Ehe hervorgegangene Kinder. Geschäftsplanmäßig zuständiger Richter für beide Verfahren ist Richter am Amtsgericht B.

2

Mit Verfügung vom 24.8.2009 teilte der zuständige Richter den Prozessbevollmächtigten in beiden Verfahren mit, es sei anlässlich eines Elternabends in der von seinen Kindern besuchten Schule festgestellt worden, dass seine Zwillinge dieselbe Klasse besuchten wie das gemeinsame Kind der Parteien ... . Er forderte die Parteien auf, binnen 1 Woche mitzuteilen, soweit hieraus die Besorgnis resultieren sollte, der erkennende Richter werde nicht unparteiisch und unvoreingenommen über den Rechtsstreit entscheiden. Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 1.9.2009 zum Unterhaltsverfahren, das Verfahren an einen anderen Richter des Amtsgerichts abzugeben, da sein Mandant aufgrund der vom Amtsrichter dargestellten Umstände befürchte, dass dieser nicht unparteiisch und unvoreingenommen über den Rechtsstreit entscheiden werde.

3

Am 3.9.2009 fertigte der zuständige Richter eine dienstliche Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch, in der er sich mit den Voraussetzungen einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter dem Gesichtspunkt der besonderen Beziehungen zu einer Partei auseinandersetzte. Mit dieser dienstlichen Stellungnahme legte er die Akten beider Verfahren der für Entscheidungen über Ablehnungsgesuche zuständigen "anderen Richterin" des Amtsgerichts (§ 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO) vor. Diese sandte die Akten ohne Entscheidung über das Ablehnungsgesuchs zurück, da aus der dienstlichen Stellungnahme zu entnehmen sei, dass der abgelehnte Richter das Gesuch für zulässig und begründet halte; es bedürfe daher gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO keiner Entscheidung; die Akten seien dem ordentlichen Vertreter vorzulegen.

4

Mit Verfügung vom 14.9.2009 legte Richter am Amtsgericht B. die Akten beider Verfahren seinem Vertreter unter Hinweis auf § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur Übernahme vor und vermerkte hierzu, er halte das Ablehnungsgesuch aus den Gründen seiner dienstlichen Stellungnahme für zulässig und begründet. Der Vertreter hat die Übernahme der Verfahren abgelehnt und die Akten dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Richters vorgelegt. Er sieht in eventuellen Kontakten, die zukünftig zwischen den Kindern entstehen könnten, keinen Grund, der eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertige.

5

II. Die Vorlage ist grundsätzlich zulässig; in der Sache ist der Senat hier jedoch an einer Entscheidung gehindert, weil die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nicht vorliegen. Das Amtsgericht hat vielmehr in eigener Zuständigkeit über die Selbstablehnung des Richters am Amtsgericht B. zu entscheiden. Zu diesem Zweck werden die Verfahren an das Amtsgericht zurückgegeben (vgl. KG, OLGR 2008, 951, 952).

6

Es ist allgemein anerkannt, dass im Fall eines Zuständigkeitsstreits zwischen einzelnen Richtern desselben Gerichtsüber die Stattgabe eines Ablehnungsgesuchs durch den abgelehnten Richter (§ 42 Abs. 2 Satz 2 ZPO) das im Rechtszug zunächst höhere Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO den zuständigen Richter zu bestimmten hat (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1989, 518; Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 36 Rz. 11, 29; Baumbach/Hartmann, 68. Aufl., § 45 Rz. 12, der § 36 Abs. 1 Nr. 1 für anwendbar hält). Der Senat als das für das Amtsgericht - Familiengericht - zunächst höhere Gericht ist damit zwar zur Bestimmung des zuständigen Richters berufen, muss sich aber im vorliegenden Fall darauf beschränken, dem Amtsgericht Gelegenheit zu geben, durch förmlichen Beschluss über die Zulässigkeit und Begründetheit der Selbstablehnung des Richters am Amtsgericht B. vom 24.8. und 3.9.2009 zu entscheiden. Denn das Amtsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass Richter am Amtsgericht B. durch die Annahme des Ablehnungsgesuchs nach § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO aus dem Verfahren ausgeschieden und an seine Stelle sein Vertreter getreten ist.

7

Nach einhelliger Auffassung ist der geschäftsplanmäßige Vertreter des abgelehnten Richters im amtsgerichtlichen Verfahren an die Stattgabe des Ablehnungsgesuchs durch den abgelehnten Richter gebunden (OLG Frankfurt aaO.; Zöller-Vollkomer, aaO.,§ 45 Rz. 7; Stein-Jonas/Bork, aaO., § 45 Rz. 5; Prütting/Gehrlein/Mannebeck, ZPO, § 46 Rz. 10; Musielak-Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 45 Rz. 5; MünchKommZPO-Gehrlein, 3. Aufl., § 45 Rz. 7; im Ergebnis ebenso Baumbach-Hartmann, aaO., § 45 Rz. 12). Das gilt allerdings nur dann, wenn die verfahrensmäßigen Voraussetzungen des§ 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorliegen. Diese Voraussetzungen hat der Vertreter des abgelehnten Richters zu prüfen und im Fall eines Kompetenzkonflikts eine Zuständigkeitsbestimmung durch das zunächst höhere Gericht herbeizuführen (OLG Frankfurt, aaO., Stein-Jonas/Bork, aaO.; MünchKommZPO-Gehrlein, aaO.; Musielak-Heinrich, aaO.).

8

Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen, unter denen der abgelehnte Richter selbst über das Ablehnungsgesuch befinden darf, nicht erfüllt. Denn dem Ablehnungsgesuch des Beklagten war eine Selbstablehnung des zuständigen Richters vorausgegangen, über die nach § 48 ZPO ein anderer Richter des Amtsgerichts hätte entscheiden müssen.

9

Nach allgemeiner Auffassung ist die Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen, wenn der zuständige Richter Umstände anzeigt, die seine Ablehnung rechtfertigen könnten, und er damit das Verfahren der Selbstablehnung nach § 48 ZPO einleitet (Zöller-Vollkommer, aaO., § 45 Rz. 7; § 48 Rz., 4, 8; MünchKommZPO-Gehrlein, aaO., § 45 Rz. 7; Musielak-Heinrich, aaO.,§ 45 Rz. 5; § 48 Rz. 5; Baumbach-Hartmann, aaO., § 48 Rz. 2). Er hat in diesem Fall die Akten zusammen mit einer dienstlichen Äußerung (§ 44 Abs. 3 ZPO) dem für die Erledigung des Ablehnungsgesuchs geschäftsplanmäßig zuständigen "anderen Richter" des Amtsgerichts gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Entscheidung vorzulegen. Dieser hat den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren und sodann über die Selbstablehnung zu entscheiden. Das gilt auch dann, wenn eine Partei die Anzeige von möglichen Befangenheitsgründen durch den zuständigen Richter am Amtsgericht zum Anlass nimmt, ein Ablehnungsgesuch zu stellen. Denn würde hier der abgelehnte Richter das Gesuch gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO für begründet erachten, hätte er im Ergebnis selbst über seine Selbstablehnung entschieden und damit den Parteien die Entscheidung durch den zuständigen "anderen Richter" der §§ 48, 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO genommen (Zöller-Vollkommer, aaO.; MünchKommZPO-Gehrlein, aaO., beide unter Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 41 Nr. 6 ZPO; a. A. wohl Baumbach-Hartmann, aaO.).

10

Ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn die Gründe, die im Ablehnungsgesuch vorgetragen werden, von den gemäß § 48 ZPO angezeigten Umständen verschieden sind, bedarf hier keine Entscheidung. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

11

Richter am Amtsgericht B. hat demnach zutreffender Weise zunächst versucht, eine Entscheidung über seine Anzeige möglicher Befangenheitsgründe durch die gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuständige Richterin zu erlangen. Diese wird nunmehr gemäß § 48 ZPOüber die Selbstablehnung zu entscheiden haben. Der Senat ist an einer eigenen Entscheidung gehindert, da im Vorlageverfahren nach § 36 Nr. 6 ZPO grundsätzlich keine Prüfung vorgenommen werden kann, ob die im Verfahren der Selbstablehnung vorgetragenen Umstände die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. OLG Frankfurt, aaO., auch zum Ausnahmefall einer willkürlichen oder grob fehlerhaften Annahme eines Ablehnungsgrundes durch den an sich zuständigen Richter). Diese Entscheidung muss dem hierfür zuständigen Gericht, d. h. zunächst dem geschäftsplanmäßigen anderen Richter am Amtsgericht vorbehalten bleiben, da andernfalls das Rechtsmittelsystem des § 46 Abs. 2 ZPO umgangen würde. Der Senat ist nur dann dazu berufen,über die Begründetheit einer Ablehnung wegen Befangenheit zu entschieden, wenn das Familiengericht sie für unbegründet erklärt und eine Partei gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt hat; ist die Ablehnung dagegen für begründet erklärt worden, findet kein Rechtsmittel statt (§ 46 Abs. 2 ZPO). Würde der Senat bereits im Rahmen des Vorlageverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPOüber die Begründetheit der Ablehnung entscheiden und diese verneinen, führte das dazu, dass er der an sich zuständigen Richterin die Möglichkeit nehmen würde, die Selbstablehnung für begründet zu erklären und das Ablehnungsverfahren auf diese Weise zu beenden. Da imÜbrigen das Vorlageverfahren nicht als weiterer Rechtszug im Ablehnungsverfahren dienen kann, muss es bei der gesetzlich vorgesehenen Entscheidung durch den hierfür zuständigen erstinstanzlichen Richter bleiben.

12

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Zöller-Herget, aaO., § 91 Rz. 13, "Bestimmung des zuständigen Gerichts").