Landgericht Oldenburg
Urt. v. 10.11.1992, Az.: 1 S 245/92
Erstattung von erforderlichen Abschleppkosten aufgrund eines Kaskoversicherungsvertrages bei Totalbeschädigung des Fahrzeugs; Erstattungsfähigkeit von Bergungskosten bei Totalschaden ; Erstrecken des Versicherungsschutzes auf die Bergungskosten
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 10.11.1992
- Aktenzeichen
- 1 S 245/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 21764
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1992:1110.1S245.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wilhelmshaven - 18.02.1992 - AZ: 7 C 700/91 (2139)
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 2b AKB
- § 13 Abs. 3b AKB
- § 62 VVG
- § 63 VVG
Fundstellen
- DAR 1993, 355-356 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1993, 29-30 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1993, 352 (Volltext mit red. LS)
- zfs 1993, 18-19 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wullert sowie
die Richter am Landgericht Maniak und vom Brocke
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18. Februar 1992 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.055,38 DM zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Entscheidungsgründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen. Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils. Die Beklagte ist aufgrund des Kaskoversicherungsvertrages verpflichtet, dem Kläger die Abschleppkosten, die zur Bergung des Lkw erforderlich waren, zu erstatten.
Zutreffend ist allerdings, daß § 13 AKB eine Ersatzleistung der Abschleppkosten im Falle der Totalbeschädigung des Fahrzeugs nicht ausdrücklich vorsieht, weil - streng genommen - diese Kosten nicht der Wiederherstellung dienen. Dementsprechend hat die Versicherungswirtschaft auch in ihrer Regulierungspraxis überwiegend die Erstattung derartiger Kosten abgelehnt. Soweit ersichtlich, ist zu diesem Problem bisher noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen. In der Literatur wird überwiegend die Meinung vertreten, daß die Abschleppkosten für das total beschädigte Fahrzeug jedenfalls dann erstattungsfähig sind, wenn der Versicherungsnehmer am Unfallort den Totalschaden nicht erkennen konnte (Pienitz/Flöter, 2. Aufl. § 13 AKB S. 11; Bauer, Die Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl., Rn. 737; Tretsch/Zersch, Der Kraftfahrzeugkaskoschaden, Rn. 234; Seeliger "Abschleppkosten bei Kasko-Totalschäden" in VersR 78, 607). Ruch bei Stiefel-Hofmann (Kraftfahrtversicherung, 14. Aufl. § 13 AKB Rn. 62) wird die grundsätzlich ablehnende Meinung durch die Überlegung eingeschränkt, ob nicht "der Aufwand von Bergungskosten im Interesse der Altteilverwertung nach § 13 Abs. 2 b AKB angemessen und in diesem Falle bei der Errechnung der zu zahlenden Kaskoentschädigung beachtenswert" sein kann.
Die Kammer schließt sich der überwiegenden Literaturmeinung an. Zunächst einmal dürfte es schon im Interesse der Versicherungswirtschaft liegen, wenn sich der Versicherungsschutz auch auf die Bergungskosten erstreckt, weil sich, bliebe das Fahrzeug am Unfallort liegen, das Risiko eines Diebstahls und der weiteren Beschädigung der Restteile erheblich erhöhen würde. Der Versicherungsnehmer verstieße zudem in einem solchen Fall auch gegen seine Obliegenheit aus § 62 VVG (Schadensminderungspflicht). Zum anderen ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, daß sich der Versicherungsnehmer nach § 13 Abs. 3 b AKB den Veräußerungswert der Restteile auf die Ersatzleistung anrechnen lassen muß, ohne daß die Kosten für deren Bergung, ohne die eine Verwertung überhaupt gar nicht möglich wäre, bei der Wertermittlung Berücksichtigung finden. Eine objektiv-wirtschaftliche Betrachtungsweise müßte vielmehr zu der Schlußfolgerung führen, daß der Veräußerungswert der Restteile um denjenigen Wert zu mindern ist, der den Kosten für deren Bergung entspricht. Denn der Veräußerungswert wird durch die Verkaufsmöglichkeit der Restteile und deshalb unmittelbar dadurch beeinflußt, daß noch Kosten für die Bergung entstehen (vgl. auch Stiefel-Hofmann, a.a.O., Rn. 49).
Ob die Bergungskosten nun in jedem Totalschadensfalle zu erstatten sind oder ob das - entsprechend dem Grundgedanken aus § 63 VVG - nur für jene Fälle gelten kann, in denen der Versicherungsnehmer den Totalschaden am Unfallort nicht erkennen konnte, bedarf hier keiner grundsätzlichen Entscheidung. Hier konnte nämlich die Klägerin bzw. ihr Vertreter schuldlos davon ausgehen, daß die Bergung der Restteile im eigenen Interesse und damit auch im Interesse der Versicherung lag. Denn wie sich aus dem später angefertigten Gutachten der DEKRA AG ergibt, wurden die Wiederbeschaffungskosten auf 45.000,- DM netto, die Instandsetzungskosten auf rd. 54.650,- DM netto und der Restwert auf 11.000,- DM geschätzt. Daß insoweit noch Veränderungen dieser jeweiligen Werte nach oben oder unten möglich erscheinen, Liegt auf der Hand. Hinzu kommt, daß bei der Ermittlung der Instandsetzungskosten in erheblichem Umfange Lohn- und Lackierkosten zuguche geschlagen sind. Derartige Kosten sind von einem Laien kaum zu schätzen - schon gar nicht am Unfallort. Es erscheint deshalb nicht schuldhaft, wenn die Bergung des Fahrzeugwracks zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes für wirtschaftlich vertretbar gehalten wurde. Daß im vorliegenden Falle nicht die Klägerin selbst oder deren schwerverletzter Fahrer, sondern die Polizei die Bergung veranlaßt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil die Polizei auch im wirtschaftlichen Interesse der Klägerin gehandelt hat und sich dazu auch - zumindest nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag - für befugt halten durfte.
Nach alledem war das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Maniak ist erkrankt und kann daher nicht unterschreiben.
vom Brocke