Landgericht Oldenburg
Urt. v. 18.02.1992, Az.: 11 O 3081/92
Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss einer Aktionärsversammlung; Abstimmung ener Hauptversammlung ohne Hinweis auf Beschlussfassung auf der Tagesordnung; Versäumnisse bei der Bekanntmachung der Tagesordnung und Relevanz des Versäumnis; Beschluss der Hauptversammlung über die Neuordnung des Grundkapitals
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 18.02.1992
- Aktenzeichen
- 11 O 3081/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 22312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1992:0218.11O3081.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 4 AktG
- § 244 AktG
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 11. Zivilkammer - 1. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Handelsrichter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 13. August 1992 über die Übertragung der eigenen Anteile der Beklagten (Punkt 1 der Tagesordnung) wird für nichtig erklärt.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.800,- DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten. Deren Hauptversammlung faßte am 13. August 1992 folgenden Beschluß:
"Die Hauptversammlung soll über eine Frage der Geschäftsführung entscheiden.
Danach sollen die eigenen Anteile der Gesellschaft im Nominalbetrag von 1.288.350,- DM an einen Interessenten zu DM 1,- übertragen werden, der bereit ist, in mindestens der Höhe des Nominalbetrages der Gesellschaft Eigenmittel zuzuführen. Hierüber soll gem. § 119 Ziff. 2 AktG abgestimmt werden."
Das Grundkapital der Beklagten belief sich damals auf 3.375.000,- DM. Es bestand aus 67.500 Aktien zu je 50,- DM. In der Hauptversammlung waren Aktien im Nennbetrag von 1.549.600,- DM mit 30.992 Stimmen vertreten. Der Beschluß wurde mit 23.678 Ja-Stimmen gegen 185 Nein-Stimmen bei 7.179 Enthaltungen gefaßt. Der Kläger stimmte gegen den Beschluß und erklärte seinen Widerspruch zur Niederschrift.
Der Kläger hält den Beschluß aus verschiedenen Gründen für rechtswidrig. Er hat deshalb eine Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben, mit der er im einzelnen beanstandet: Die vorgesehene Beschlußfassung sei in der Einladung zur Hauptversammlung nicht erwähnt worden. Der Beschluß ermögliche es dem Vorstand, sich quasi nach Belieben unter Einsatz eigener Aktien der Gesellschaft einen Großaktionär auszusuchen, der dann über 55 % des Grundkapitals verfüge. Zu einer solchen Ermächtigung sei die Hauptversammlung nicht befugt. Sie sei in ihrer Tragweite nicht zu überblicken und führe zu einer Kapitalneuordnung, über die nur die Hauptversammlung selbst befinden könne. Mit dem Verschenken der eigenen Aktien erhalte ein Erwerber zudem zu Lasten der übrigen Aktionäre einen Sondervorteil, überdies sei unklar, in welcher Weise ein Erwerber der Gesellschaft Eigenmittel zuzuführen habe. Außerdem habe sich der Aktionär ... an der Abstimmung beteiligt, obwohl er nach § 20 Abs. 7 AktG nicht stimmberechtigt gewesen. Schließlich habe sich der Vorstand vor der Abstimmung zu Unrecht geweigert, die für eine sachgerechtigte Entscheidung vorgereifliche Frage nach den stillen Reserven der Gesellschaft zu beantworten.
In der Folgezeit veräußerte die Beklagte ihre eigenen Aktien zu je 1/4 an vier Erwerber. Die Hauptversammlung beschloß dann am 2. November 1992 gegen die Stimmen des Klägers und anderer Aktionäre, das Grundkapital im Verhältnis 15: 2 von 3.375.000,- DM um 2.925.000,- DM auf 450.000,- DM herabzusetzen und das herabgesetzte Grundkapital um 1.350.000,- DM auf 1.800.000,- DM gegen Bareinlage durch die Ausgabe von 27.000 Stück neuer, auf den Inhaber lautender Aktien mit einem Nennbetrag von je 50,- DM zu erhöhen. Gegen diesen Beschluß hat u.a. der Kläger ebenfalls Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben (Az. 11 O 4033/92 LG Oldenburg).
Der Kläger beantragt,
festzustellen, daß der erwähnte Beschluß der Hauptversammlung vom 13. August 1992 nichtig ist,
hilfsweise,
ihn für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, ein etwaiger Formfehler bei der Bekanntmachung der Hauptversammlung habe sich bei den Mehrheitsverhältnisses auf das Ergebnis der Abstimmung nicht ausgewirkt. Der Beschluß selbst sei erforderlich gewesen, um das Unternehmen zu sanieren, und rechtlich nicht zu beanstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst den Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Dahinstehen kann dabei, ob der Inhalt des beanstandeten Beschlusses einer rechtlichen Überprüfung standhält. Er kann nämlich jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil er in einem fehlerhaften Verfahren zustandegekommen ist: Nach § 124 Abs. 4 AktG darf eine Hauptversammlung keine Beschlüsse über Gegenstände der Tagesordnung fassen, die nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht waren. "Gegenstand der Tagesordnung" war hier eine Entscheidung über die Verwertung der eigenen Anteile der Beklagten. Dies hätte daher bei der Einberufung der Hauptversammlung mitgeteilt werden müssen (§ 124 Abs. 1 AktG). Das ist jedoch unterblieben. Die Einladung enthielt als Tagesordnungspunkt in diesem Zusammenhang lediglich eine Verlustanzeige nach § 92 Abs. 1 AktG. Daraus war nicht zu ersehen, daß eine Kapitalneuordnung beabsichtigt war und beschlossen werden sollte.
Ob dieser Verfahrensfehler nach § 241 AktG ohne weiteres zur Nichtigkeit des dennoch gefaßten Beschlusses geführt hat oder nach § 243 Abs. 1 AktG nur zur Vernichtbarkeit im Wege der Anfechtungsklage, kann offenbleiben. Die Nichtigkeits- und die Anfechtungsklage verfolgen dasselbe Ziel, nämlich eine richterliche Klärung der Nichtigkeit eines Beschlusses. Deshalb ist es nicht geboten, zwischen einem Nichtigkeits- und einem Anfechtungsantrag zu differenzieren, wenn die weiteren formellen Voraussetzungen für eine Anfechtungsklage vorliegen (vgl. dazu Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hüffer, AktG, § 246 Rdnrn. 19 ff). Das ist hier der Fall: Der Kläger hat die Anfechtungsklage rechtzeitig erhoben (§ 246 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 270 Abs. 3 ZPO) und er ist auch zur Anfechtung befugt (§ 245 Nr. 1 AktG).
Vor allem in der Rechtsprechung wird allerdings der Standpunkt vertreten, eine Anfechtungsklage könne nicht auf einen Verfahrensfehler gestützt werden, wenn dieser - was die Gesellschaft zu beweisen habe - ganz offensichtlich ohne Einfluß auf den Beschluß der Hauptversammlung geblieben sei (vgl. z.B. BGH NJW 1988, 1579 [BGH 01.02.1988 - II ZR 75/87] und die weiteren Nachweise bei Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hüffer a.a.O. § 243 Rdnr. 25). Ob dem zu folgen oder eher auf die "Relevanz" der Verfahrensfehler abzustellen ist, weil sonst Verfahrensvorschriften zur Disposition der Mehrheit einer Hauptversammlung stehen (so vor allem Zöllner im Kölner Kommentar zum AktG, § 243 Rdnrn. 76 ff), kann dahinstehen. Versäumnisse bei der Bekanntmachung der Tagesordnung sind gewiß "relevant". Sinn der Bekanntmachung ist es, Aktionäre darüber zu informieren, worüber verhandelt und Beschluß gefaßt werden soll, damit sie entscheiden können, ob sie selbst an der Hauptversammlung teilnehmen oder einem Vertreter Weisungen für die Ausübung des Stimmrechts erteilen wollen. Eine Beschlußfassung über nicht angekündigte Tagesordnungspunkte beeinträchtigt dieses Recht des Aktionärs, an der Willensbildung der Gesellschaft teilzuhaben. Zu einer anderen Beurteilung führen hier aber auch nicht Erwägungen über die "Kausalität" des Verfahrensverstoßes. Für den Beschlußvorschlag haben Aktionäre gestimmt und Vertreter von Aktionären, vor allem also Kreditinstitute. Wäre der Tagesordnungspunkt ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, dann hätten Depotbanken, die das Stimmrecht für Aktionäre ausüben wollten, den von ihnen vertretenen Aktionären vorher mitteilen müssen, wie sie abstimmen wollten (§ 128 Abs. 2 AktG). Die Aktionäre hätten den Kreditinstituten dann Weisungen für die Abstimmung erteilen oder ihnen die Vollmacht entziehen können (§ 135 AktG). Ob dies im vorliegenden Fall das Ergebnis der Abstimmung beeinflußt hätte, mag zweifelhaft sein. Ganz offensichtlich ist dies aber nicht. Die unterbliebene Bekanntmachung hätte sich allenfalls dann offensichtlich nicht auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt, wenn Aktionäre mit der erforderlichen Mehrheit aller Stimmen der Beschlußvorlage zugestimmt hätten. Daß dies geschehen ist, hat die Beklagte nicht dargetan.
Das Anfechtungsrecht des Klägers ist nicht nach § 244 AktG durch den späteren Beschluß der Hauptversammlung über die Neuordnung des Grundkapitals erloschen, weil die Hauptversammlung keinen Bestätigungsbeschluß gefaßt sondern eine Neueregelung getroffen hat. Außerdem hat der Kläger auch den späteren Beschluß angefochten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.