Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.01.2002, Az.: 2 W 156/01

Einstellung eines Zwangsversteigerungsverfahrens über ein Wohngrundstück bei der Gefahr einer Selbsttötung; Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Gründe und akute Gefahr eines Suizids

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.01.2002
Aktenzeichen
2 W 156/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 26603
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2002:0103.2W156.01.0A

Fundstellen

  • KGReport Berlin 2002, 31
  • MDR 2002, 664 (Volltext mit red. LS)
  • OLGR Düsseldorf 2002, 31
  • OLGR Frankfurt 2002, 31
  • OLGR Hamm 2002, 31
  • OLGR Köln 2002, 31
  • OLGReport Gerichtsort 2002, 46-47
  • OLGReport Gerichtsort 2002, 31

Amtlicher Leitsatz

Die Entscheidung nach § 765a ZPO, dass wegen der Gefahr der Selbsttötung des Schuldners ein Zwangsversteigerungsverfahren über sein Wohngrundstück einstweilig oder sogar unbefristet einzustellen ist, erfordert eine umfassende Abwägung der wechselseitigen Interessen und eine besonders sorgfältige Nachprüfung des entsprechenden Vortrags. Diesen Anforderungen ist nicht genügt, wenn das Gericht sich wesentlich nur auf ein nicht zeitnahes, von ihm schon länger als ein Jahr vorher eingeholtes Gutachten beruft, das sich wiederum lediglich auf die Akten des Zwangsversteigerungsverfahrens und ein noch neun Monate früher in einem Betreuungsverfahren erstelltes Vorgutachten stützt. Im Übrigen ist in einem solchen Fall gewissenhaft aufzuklären, ob jedwede Fortsetzung des Verfahrens oder erst die auf Grund eines Zuschlagsbeschlusses irgendwann einmal bevorstehende Zwangsräumung unterbleiben muss.

Gründe

1

Zu Recht geht das Landgericht unter Hinweis insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1979, 2607;  1991, 3207 [BVerfG 21.08.1991 - 1 BvR 1040/91];  1994, 1272 [EuGH 10.02.1994 - C 398/92];  1998, 295) [BVerfG 09.07.1997 - 2 BvR 389/94]davon aus, dass die Gefahr einer Selbsttötung der Schuldnerin die einstweilige und in absoluten Ausnahmefällen sogar die unbefristete Einstellung der Zwangsvollstreckung gebieten kann. Diese Entscheidung erfordert eine umfassende Abwägung der Gefahr für Leib und Leben einerseits und der Belange, deren Wahrung die staatliche Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, andererseits sowie eine besonders sorgfältige Nachprüfung des entsprechenden Vortrags.

2

Den danach an die Sachverhaltsaufklärung zu stellenden Anforderungen genügt der Beschluss vom 4.12.2001 bereits deshalb nicht, weil er entscheidend auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K vom 16.11.2000 beruht, das sich wiederum lediglich auf die Akten dieses Zwangsversteigerungsverfahrens sowie auf ein zur Frage der Betreuung am 10.2.2000 erstelltes Vorgutachten stützt. Zeitnahe Erkenntnisse über die Suizidgefahr und die Möglichkeit, dieser auf andere Weise als durch Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens zu begegnen, fehlen also, obwohl das Landgericht selber nicht ausschließt, dass sich die Verhältnisse ändern können, und daher seine Entscheidung auf einen Zeitraum von ca. einem Jahr begrenzt hat.

3

Der angefochtene Beschluss berücksichtigt zudem nicht, dass mit den guten Sitten unvereinbar nicht das Betreiben des gesetzlich vorgesehenen Zwangsversteigerungsverfahrens überhaupt, sondern nur eine konkrete Zwangsvollstreckungsmaßnahme sein kann. Es bedarf daher gewissenhafter Aufklärung, ob nach § 765 a ZPO jedwede Fortsetzung des Verfahrens, insbesondere bereits die Anberaumung eines Versteigerungstermins, oder erst die auf Grund eines Zuschlagsbeschlusses gemäß § 93 ZVG betriebene Zwangsräumung unterbleiben muss (vgl. OLG Hamm, Rpfleger 2000, 508 f.).

4

Da eine Sachverhaltsaufklärung, die über das als Entscheidungsgrundlage nicht geeignete Sachverständigengutachten vom 16.11.2000 hinausgeht, bisher nicht erfolgt ist, hält es der Senat nicht für tunlich, die Grundlagen der gebotenen umfassenden Interessenabwägung erstmals im weiteren Beschwerdeverfahren zu schaffen. Daher wird die weitere Behandlung und Entscheidung gemäß § 575 ZPO a.F. dem Landgericht übertragen.

5

Falls das Landgericht erneut zu der Auffassung gelangt, dass eine Einstellung gemäß § 765 a ZPO angezeigt ist, dürfte auch zu erwägen sein, ob diese Entscheidung unter Auflagen erfolgt, z.B. mit der Maßgabe, dass die Eigentümerin die Fortdauer des Einstellungsgrundes innerhalb bestimmter Fristen nachzuweisen hat oder dass sie Ratenzahlungen zumindest in Höhe des Mietwertes des von ihr genutzten Hausgrundstücks leistet (vgl. OLG Jena, NJW-RR 2000, 1251 [OLG Jena 22.05.2000 - 6 W 331/00]).