Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.12.2000, Az.: 6 B 562/00
Drogen; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Kokain; Strafverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 14.12.2000
- Aktenzeichen
- 6 B 562/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41260
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 1 StVG
- § 3 Abs 3 StVG
- § 69 StGB
- § 14 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Strafverfahren, in dem eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB nicht in Betracht kommt, hindert nicht ein behördliches Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der ... geborene Antragsteller erhielt erstmals im November 1985 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3, die ihm im Januar 1989 von der Antragsgegnerin bestandskräftig entzogen wurde. Auf seinen Antrag zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde dem Antragsteller im Januar 1994 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 neu erteilt.
Durch eine Mitteilung der Polizeidirektion Braunschweig vom 25. April 2000 erhielt die Antragsgegnerin davon Kenntnis, dass gegen den Antragsteller ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden war. Bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 15. April 2000 hatte der Antragsteller in Anwesenheit seines Prozessbevollmächtigten angegeben, seit mehr als einem Jahr kokainsüchtig zu sein. In seinem Beruf als Gastwirt sei er über den Alkoholkonsum zur Einnahme von Kokain gekommen, um die Wirkungen des Alkohols zu vermindern und sich wach zu halten. Im Laufe der Zeit habe er das Bedürfnis gehabt, nach jedem Konsum von Alkohol auch Kokain einzunehmen, weil er sich dann besser gefühlt habe. Er sei bereit, eine Therapie zu machen, um von der Kokainsucht wegzukommen.
Am 19. April 2000 bestätigte der Antragsteller bei einer richterlichen Vernehmung diese Angaben. Ergänzend führte er aus, dass er aufgrund seiner Drogensucht täglich zwischen 0,5 und 1,0 g Kokain gebraucht habe.
Mit Verfügung vom 10. August 2000 - zugestellt am 15. August 2000 - entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers vom 12. September 2000 wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 01. November 2000 - zugestellt am 03. November 2000 - als unbegründet zurück.
Am 04. Dezember 2000 (Montag) hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben (6 A 561/00) und außerdem um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor:
Es könne dahinstehen, ob seine im Strafverfahren unter dem Druck der Untersuchungshaft gemachten Angaben der Wahrheit entsprächen. Die Antragsgegnerin dürfe jedenfalls einen Sachverhalt, der Gegenstand eines Strafverfahrens sei, nicht in einem Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis berücksichtigen. Zu einer Anklage sei es bisher noch nicht gekommen. Im Übrigen sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet und bestreite die gegenteiligen Behauptungen der Behörde.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 10. August 2000 über die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie entgegnet:
Wegen seiner erwiesenen Kokainabhängigkeit sei der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet, so dass die Fahrerlaubnis habe entzogen werden müssen. Im Strafverfahren gehe es um den Besitz von und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. Da eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB im Strafverfahren nicht in Betracht komme, stehe § 3 Abs. 3 StVG der im verwaltungsbehördlichen Verfahren angeordneten Fahrerlaubnisentziehung nicht entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.
Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel so weit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Fahrerlaubnisentziehung ist außerdem gegeben, wenn die gegen eine solche Maßnahme eingelegten Rechtsbehelfe und Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben werden. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinn des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.a der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Verbindung mit Anlage 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in die vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Heft M 114 vom Februar 2000) Eingang gefunden haben. Diesen Vorgaben entspricht die getroffene Maßnahme der Antragsgegnerin, die auch sonst den rechtlichen Erfordernissen für eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis genügt.
Aufgrund der vom Antragsteller sowohl bei seiner polizeilichen als auch bei der richterlichen Vernehmung gemachten Angaben besteht kein Zweifel daran, dass der Antragsteller kokainsüchtig ist. Dies bedarf keiner weiteren Darlegung; insbesondere gibt das unsubstantiierte Infragestellen seiner Angaben bei der polizeilichen und richterlichen Vernehmung keine Veranlassung, der Behauptung, die Fahreignung sei gleichwohl gegeben, weiter nachzugehen. Aufgrund der langzeitigen Einnahme einer sog. harten Droge und der Abhängigkeit vom Kokainkonsum ist die Fahreignung des Antragstellers offenkundig nicht mehr gegeben. Diese auch im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 01. November 2000 anzunehmende Sachlage, auf die im Klageverfahren maßgeblich abzustellen sein wird, wird voraussichtliche eine Klageabweisung nach sich ziehen. Wegen der bei einer Verkehrsteilnahme von dem Antragsteller ausgehenden Gefährdung für andere Personen ist auch unter diesen Gesichtspunkten dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme der Vorrang einzuräumen vor den persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Fahrerlaubnisentziehung vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge führen zu dürfen.
Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf die Regelung in § 3 Abs. 3 StVG die Berechtigung der Antragsgegnerin bestreitet, vor Abschluss des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens nach den Vorschriften des Straßenverkehrsrecht eine Fahrerlaubnisentziehung zu verfügen, verkennt er den Regelungsgehalt dieser Vorschrift. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass nur dann, wenn der Strafrichter im Rahmen des § 69 StGB die Eignung eines Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen zu beurteilen hat und eine solche Beurteilung auch tatsächlich vornimmt, die Fahrerlaubnisbehörde an diese Beurteilung gebunden ist (§ 3 Abs. 3 StVG). Kommt demnach - wie hier - in einem Strafverfahren eine Maßnahme nach § 69 StGB nicht in Betracht, hat die Fahrerlaubnisbehörde eigenständig die ihr durch § 3 Abs. 1 StVG übertragene Aufgabe wahrzunehmen, bei dem Vorliegen ernstlicher Bedenken die Kraftfahreignung von Fahrerlaubnisinhabern zu überprüfen und im Falle eines vorliegenden Eignungsmangels die Fahrerlaubnis zu entziehen (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. vom 24.01.1989, BayVBl. 1989, 666 m.w.N.).
Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass in Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Streitwertes anzusetzen ist, der in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzen wäre (8.000,-- DM).