Verwaltungsgericht Hannover
v. 31.08.2007, Az.: 13 A 2215/06
Abwesenheit; Attest; Beamter; Dienst; Dienstantritt; Dienstbezüge; Dienstfähigkeit; Dienstunfähigkeit; Erkrankung; Fernbleiben; Krankheit; Krankschreibung; Polizeiarzt; privatärztliches Attest; unentschuldigtes Fernbleiben; Zweifel; ärztliches Attest
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 31.08.2007
- Aktenzeichen
- 13 A 2215/06
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2007, 71717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 9 BBesG
- § 121 Abs 2 DO ND
- § 81 Abs 1 BG ND
Tenor:
Unter Wiedereinsetzung des Klägers in den vorigen Stand wird der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2005 aufgehoben
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Beamte wendet sich gegen die Einbehaltung von Dienstbezügen.
Der Polizeiarzt kam unter dem 10.03.2005 im Rahmen eines polizeiärztlichen Gutachtens zu dem Ergebnis, dass der Kläger gesundheitlich zwar eingeschränkt, aber geeignet für den Polizeivollzugsdienst ist. Der Beamte hatte über Schmerzen im Bereich der LWS und HWS geklagt. Nach einem eingeholten fachorthopädisch-sozialmedizinischen Gutachten wird beim Kläger ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei degenerativen Umbauvorgängen und ein lokales HWS-Syndrom bei degenerativen Umbauvorgängen, jeweils ohne neurologisches Defizit, diagnostiziert. Außerdem wurde noch ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom Polizeiarzt eingeholt. Auch schon ein Jahr zuvor kam der Polizeiarzt in seinem Gutachten vom 19.02.2004 zu dem Ergebnis, dass der Kläger noch eingeschränkt polizeidiensttauglich ist. Erst mit Datum vom 19.04.2006 bescheinigte ein weiteres polizeiärztliches Gutachten, dass der Kläger gesundheitlich weder für den Polizeivollzugsdienst noch für den allgemeinen Verwaltungsdienst geeignet sei. Allerdings bezog sich diese Feststellung auf eine Erkrankung im neurologisch-psychiatrischen Bereich.
Gleichwohl schrieb der Hausarzt des Klägers - vgl. Blatt 70 der Beiakte B - unter dem 26.04.2005 den Kläger für dienstunfähig, sprach dabei von einer veränderten bzw. neu aufgetretenen Symptomatik. Der Arzt schrieb den Kläger auch in der Folge arbeitsunfähig (Bl. 75 sowie Bl. 81 der Beiakte B, zuletzt bis 01.07.2005 mit der Diagnose M54.5 G - dabei handelt es sich um ein Lumbalsyndrom).
Mit Schreiben vom 22.06.2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, seinen Dienst wieder anzutreten. Gleichzeitig wurde ausgeführt, wegen des bisher vorgetragenen Krankheitsbildes würden keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Arztes mehr akzeptiert.
Der Beamte nahm dann am 04.07.2005 seinen Dienst wieder auf. Am 19.07.2005 teilte der Beamte mit, dass er nicht zum Dienst erscheinen werde. Sein Arzt habe ihn krankgeschrieben. Die dann vorgelegte ärztliche Krankschreibung stammte diesmal nicht vom Hausarzt des Klägers, sondern von einem Facharzt für Orthopädie. Als Diagnose war Lumbalsyndrom bei Bandscheibenprotrusionen L5/S1, L4,/L5 und M54.16 G sowie Scheuermann-Residuen (Residuen = Rückstand, Überbleibsel) angegeben. Das ärztliche Attest galt bis 29.07.2005. An diesem Tag legte der Kläger dann ein Folgeattest - diesmal von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie - bis zum 28.08.2005 vor.
Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Beklagten kontaktierte nach Eingang des Attestes vom 19.07.2005 den medizinischen Dienst. Dort gab man die Auskunft, Scheuermann-Residuen seien Restzustände einer alten Wirbelsäulenerkrankung im Jugendalter und nicht geeignet, eine Krankschreibung vorzunehmen. Das chronische Lumbalsyndrom finde sich bei fast 50 Prozent aller über Dreißigjährigen und führe in der Regel nicht zu einer Krankschreibung. Diese Erkrankung des Klägers sei bekannt und Grundlage der polizeiärztlichen Untersuchungen gewesen.
Mit Verfügung vom 28.07.2005 stellte die Beklagte ab 19.07.2005 „bis auf weiteres“ den Verlust der Dienstbezüge des Klägers wegen unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst fest. Diese Verfügung wurde am 01.08.2005 zugestellt.
Nachdem der Kläger durch ärztliches Attest eine andere Erkrankung ab 16.08.2005 nachgewiesen hatte, gewährte die Beklagte dem Kläger ab diesem Zeitpunkt wieder die Dienstbezüge.
Am 31.08.2005 stellte der Kläger dann einen Antrag auf Entscheidung der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Hannover.
Er trägt vor: Er sei nicht unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben. er sei vielmehr erkrankt und habe diese Erkrankung auch durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 28.07.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Der Kläger sei fast vier Jahre krankgeschrieben gewesen, obwohl alle in dieser Zeit erstellten polizeiärztlichen Stellungnahmen die Dienstfähigkeit des Klägers bejaht hätten. Deshalb habe sie Zweifel an den privatärztlichen Attesten und mit Schreiben vom 22.06.2005 darauf hingewiesen, diese wegen des hier in Rede stehenden Krankheitsbildes nicht mehr anzuerkennen. Der Kläger sei somit unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben.
Zum 01.01.2006 ging das Verfahren infolge Auflösung der Disziplinarkammern auf die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Hannover über.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 19.07.2007 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Zu der Entscheidungsform Gerichtsbescheid wurden die Beteiligten gehört.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Voraussetzungen zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, § 84 VwGO.
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Die Klage ist zulässig. Nach § 81 Abs. 3 NBG in der seinerzeit geltenden Fassung war nicht Widerspruch einzulegen, sondern es gab als Rechtsbehelf nur den Antrag an die Disziplinarkammer.
Zwar war nach § 121 Abs. 2 der damals noch geltenden NDO der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides einzulegen. Da die angegriffene Verfügung vom 28.07.2005 ausweislich der Empfangsbekenntnisses (Beiakte B Bl. 126) am 01.08.2005 zugestellt wurde, war diese Frist am 31.08.2005 abgelaufen.
Allerdings ist die Rechtsbehelfsbelehrung in der Verfügung vom 28.07.2005 unvollständig. Es fehlt der Hinweis auf die einzuhaltende Frist. Nach § 25 NDO iVm. § 35a StPO hätte aber auch eine Belehrung hinsichtlich der Frist erfolgen müssen. Anders als nach der hier seinerzeit nicht anzuwendenden Bestimmung des § 58 Abs. 2 VwGO sieht die auf Grund des § 25 NDO anzuwendende Vorschrift des § 44 StPO nicht den Lauf einer Jahresfrist bei falscher oder unterbliebener Belehrung vor. Die Frist gilt nach § 44 Satz 2 StPO lediglich als unverschuldet versäumt, sofern ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt wird.
Der Kläger hat innerhalb der Wochenfrist nach Hinweis auf die Rechtslage einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Das die Frist als unverschuldet versäumt gilt, war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Klage ist auch begründet.
Nach § 9 BBesG verliert ein Beamter für die Zeit des unentschuldigten Fernbleibens (ohne Genehmigung und schuldhaft) vom Dienst seine Bezüge. Gemäß § 81 Abs. 1 NBG darf ein Beamte dem Dienst nicht ohne Genehmigung fernbleiben, es sei denn, dass er wegen Krankheit unfähig ist, seine Dienstpflichten zu erfüllen.
Im hier zu entscheidenden Fall liegt ein ärztliches Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. H. M. vor. Danach war der Kläger im hier streitigen Zeitraum zumindest bis 29.07.2005 dienstunfähig.
Das Gericht teilt die Zweifel der Beklagten an der Dienstunfähigkeit des Klägers. Zweifel am Vorliegen einer Dienstunfähigkeit reichen indes nicht aus, um den Verlust der Dienstbezüge wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst festzustellen. Das polizeiärztliche Gutachten vom 10.03.2005 ist jedoch nicht geeignet, die Dienstfähigkeit des Klägers im hier streitigen Zeitraum zu belegen und das privatärztliche Attest zu widerlegen. Denn im Zeitraum von einigen Monaten ist es nicht ausgeschlossen, dass sich das Krankheitsbild und der körperliche Zustand des Beamten doch verschlechtert hat. Die Beklagte hätte um dies auszuschließen, den Kläger unverzüglich erneut amtsärztlich bzw. polizeiärztlich untersuchen lassen müssen. Das Einholen einer telefonischen Stellungnahme von der Polizeiärztin zum vorgelegten ärztlichen Attest reicht nicht aus. So, wie verfahren worden ist, ist dem Kläger nicht zu widerlegen, dass er infolge einer Erkrankung dienstunfähig war. Denn zum heutigen Zeitpunkt ist es nach der Lebenserfahrung nicht mehr möglich, durch eine erst jetzt zu erfolgende Untersuchung festzustellen, ob im Juli 2005 nun beim Kläger tatsächlich eine Dienstunfähigkeit vorlag oder nicht.
Ob dem Kläger ein disziplinarrechtlicher Vorwurf zu machen ist, weil er dem Dienst ohne amts/polizeiärztlichem Attest ferngeblieben ist, ist in diesem Verfahren nicht zu klären.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.