Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.07.2016, Az.: 1 Ss (OWi) 129/16

Reichweite der Ausnahme vom Sonntagsfahrverbot nach § 30 Abs. 3 Satz 2 StVO hinsichtlich der mit den in § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVO genannten Fahrten im Zusammenhang stehenden Leerfahren gem. § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StVO

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.07.2016
Aktenzeichen
1 Ss (OWi) 129/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 29709
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0726.1SS.OWI129.16.0A

Amtlicher Leitsatz

Bei der Auslegung des Zusammenhangs der Leerfahrten im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StVO mit den in § 30 Abs. 3 Satz 2 StVO genannten Lastfahren dürfen auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden.

Es ist nicht erforderlich, dass sowohl die Lastfahrt als auch die damit im Zusammenhang stehende Leerfahrt im Verbotszeitraum durchgeführt werden.

Tenor:

I. Die Sache wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bückeburg gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 7. März 2016 wird als unbegründet verworfen.

III. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Verfallsbeteiligten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 7. März 2016 hat das Amtsgericht Stadthagen die Verfallsbescheide des Landkreises S. vom 21. April 2015 (Az.: xxx und xxx) aufgehoben.

Mit diesen Bescheiden hatte der Landkreis gegen die E. G. B. GmbH als Verfallsbeteiligte einen Verfall in Höhe von jeweils 500 € angeordnet. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts lag den Bescheiden folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 8. Februar 2015 fand um 14:45 Uhr auf der Bundesautobahn 2 auf Kilometer 250,500 in Fahrtrichtung D. am Parkplatz B. K. bei der Gemeinde B. N. eine Polizeikontrolle zweier Sattelzugmaschinen mit Anhänger statt, die für die Verfallsbeteiligte unterwegs waren. Der 8. Februar 2015 war ein Sonntag.

Es handelte sich um die Gespanne mit den Kennzeichen xxx (Zugmaschine) und xxx (Anhänger) sowie xxx (Zugmaschine) und xxx (Anhänger). Die Fahrer beider Kombinationen waren in den Mittagsstunden vom Firmengelände der Verfallsbeteiligten in B. aufgebrochen, um rechtzeitig bei Blumenversteigerungen in den Niederlanden anzukommen, die frühmorgens um 6:00 Uhr beginnen. Die erstgenannte Kombination war zu diesem Zweck auf dem Weg in die niederländische Gemeinde R., die zuletzt genannte Kombination fuhr ins holländische W. Für beide betrug die Fahrzeit ca. 8-9 Stunden. In den Landanhängern waren leere Kisten verladen, in welche frische Blumenware aufgenommen werden sollten.

Die Verfallsbeteiligte verfügte zu diesem Zeitpunkt für beide Sattelzugmaschinen über eine Ausnahmegenehmigung gem. § 30 Abs. 3, § 46 Abs. 1 Nr. 7 StVO, jeweils ausgestellt vom Bezirksamt Mitte von B. vom 8. Dezember 2014. Als Geltungszeitraum war die Zeit ab dem Ausstellungsdatum bis zum 31. Dezember 2015 vorgesehen. Erlaubt waren nach Bescheid der "terminierte Transport von Schnittblumen/lebenden Pflanzen im grenzüberschreitenden Verkehr und die damit verbundenen Lehrfahrten". Nach der Nebenbestimmung zu 1.) durfte von der Ausnahmegenehmigung nur gebraucht gemacht werden, "wenn der Transport unvermeidlich im Verbotszeitraum nach § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO durchgeführt werden müsse".

Auf dieser Grundlage vermochte das Amtsgericht keinen Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot und damit keine Ordnungswidrigkeit nach § § 30 Abs. 3, 49 StVO festzustellen. Damit entfiel aus dessen Sicht zugleich die entscheidende Voraussetzung für die Anordnung eines Verfalls nach § 29a OWiG.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bückeburg, mit der diese die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Stadthagen begehrt. Zur Begründung trägt die Staatsanwaltschaft Bückeburg vor, dass die Leerfahrt am Sonntag dem 8. Februar 2015 nicht von der Ausnahmegenehmigung des Bezirksamts Mitte von B. vom 8. Dezember 2014 umfasst sei. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft stehe die bloße Lehrfahrt am Sonntag nicht im Zusammenhang mit der Transportfahrt am folgenden Montag. Die Genehmigung sei so zu verstehen, dass diese nur Fahrten genehmige, bei denen die Transportfahrt und die Leerrückfahrt oder die Leerhinfahrt und die Transportfahrt an einem Sonn- oder Feiertag durchgeführt werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bückeburg vertreten und die Aufhebung des Urteils nebst Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung beantragt.

II.

Das Verfahren wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 OWiG). Die Rechtsfrage, ob Leerfahrten im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StVO, die im Zusammenhang mit Fahrten nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVO stehen, zwingend zusammen mit der Transportfahrt an Sonn- oder Feiertagen durchgeführt werden müssen, ist bislang nicht obergerichtlich entschieden worden.

III.

Der zulässigen Rechtsbeschwerde bleibt der Erfolg versagt.

Die Fahrer der Verfallsbeteiligten haben nicht gegen die Ausnahmegenehmigungen ver-stoßen und folglich keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 30 Abs. 3, 49 StVO begangen.

1. Die Ausnahmegenehmigungen beziehen sich auf den terminierten Transport von Schnittblumen/lebenden Pflanzen im grenzüberschreitenden Verkehr und die damit verbundenen Leerfahrten. Rechtsgrundlage der Ausnahmegenehmigung ist § 46 Abs. 1 Nr. 7 StVO, nach dem Ausnahmen von dem Sonntagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 StVO erteilt werden können. Insoweit wiederholt die Ausnahmegenehmigung hinsichtlich der hier in Rede stehenden Leerfahrten lediglich den Wortlaut des § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StVO. Die Auslegung der Reichweite der Ausnahmegenehmigung hat sich daher zunächst an dieser Vorschrift zu orientieren.

Soweit ersichtlich ist die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bislang weder höchstrichterlich noch obergerichtlich entschieden. Der Senat vertritt hierzu die Auffassung, dass die Transportfahrt und die damit im Zusammenhang stehende Leerfahrt nicht jeweils beide an einem Sonn- oder Feiertag durchzuführen sind.

Ausgehend vom Wortlaut der Norm besteht für eine derartige Einschränkung kein Anlass.

Desgleichen gebietet auch die am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung kein anderes Ergebnis: Das Sonntagsfahrverbot dient dem Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Personenverkehrs und des gleichmäßigen Verkehrsflusses sowie der Einschränkung der Lärm- und Abgasbelastung (OVG Münster NZV 95, 43 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.08.1994 - 13 A 3456/92]). Dieser Normzweck streitet nicht für die Auslegung, dass Leer- und Lastfahrten zwingend am Sonntag beziehungsweise einem Feiertag durchzuführen sind. Ausgehend vom Sinn der Ausnahmeregelungen des § 30 Abs. 3 StVO, nämlich der Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten dort genannten Gütern, dürfte kaum jemals eine zwingende Veranlassung dafür bestehen, nach der Transportfahrt im unmittelbaren Anschluss auch noch die Leerfahrt durchzuführen. Mit der Ablieferung der privilegierten Ware am Bestimmungsort ist der Zweck der Ausnahmeregelung nämlich bereits erreicht worden. Der Speditionsunternehmer könnte daher durchaus darauf verwiesen werden, die Rückfahrt erst am folgenden Werktag anzutreten. Desgleichen wäre es theoretisch möglich, Leerfahrten zur Abholung privilegierter Waren stets am letzten Werktag vor dem Sonn- oder Feiertag vorzunehmen. Dies wäre bei Bereitstellung genügender Fahrzeuge und Fahrer problemlos möglich. Ein zwingender Grund, diese am Sonntag durchzuführen, dürfte kaum jemals bestehen. Trotzdem sind die mit den privilegierten Lastfahrten nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVO im Zusammenhang stehen Leerfahrten von dem Sonntagsfahrverbot ausgenommen. Daran zeigt sich, dass wirtschaftliche oder wettbewerbliche Gründe bei der Beurteilung des Zusammenhanges der Leerfahrten nicht völlig aus dem Blick bleiben können.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO Nr. 7 wirtschaftliche oder wettbewerbliche Gründe allein keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 7 StVO rechtfertigen. Hier zeigt sich gerade der Unterschied zwischen der Frage, wann überhaupt eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen ist, und derjenigen, inwieweit sich die ausgesprochene Privilegierung auch auf Leerfahrten erstreckt.

Die von der Staatsanwaltschaft angestrebte Auslegung der Norm dehnt schließlich den bußgeldrechtlich bewehrten Bereich des Fehlverhaltens zum Nachteil der Betroffenen aus. Obgleich diese Auslegung nicht gegen den Gesetzeswortlaut verstößt, ist deshalb Zurückhaltung geboten. Sie wäre nur bei eindeutigem Überwiegen der hierfür sprechenden Gründe vorzunehmen. Solche Gründe vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen.

Die einschränkende Auslegung der Norm hätte zudem erheblichen Einfluss auf das gesamte Transportgewerbe. Es wäre daher Sache des Verordnungsgebers der Straßenverkehrsordnung, erforderlichenfalls eine dahingehende klare Regelung zu schaffen.

2. Die Nebenbestimmung der Ausnahmegenehmigung rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Unter "Transport" im Sinne der Nebenbestimmung ist - unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen - zugleich auch die mit der Lastfahrt im Zusammenhang stehende Leerfahrt zu fassen. Diese war auch unvermeidlich im Sinne der Nebenbestimmung. Hierzu hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Leerfahrt am Sonntag erforderlich ist, um am Montagmorgen das Transportgut rechtzeitig in Empfang nehmen zu können. Ausgehend von einer Fahrzeit von acht bis neun Stunden kann die Auktion am Montagmorgen um 6:00 Uhr nicht anders erreicht werden als durch die Hinfahrt bereits am Sonntag.

3. Mangels einer Ordnungswidrigkeit der beteiligten Fahrer besteht kein Anknüpfungspunkt für Verfallsanordnungen nach § 29a OWiG.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO.