Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.07.2016, Az.: 2 Ws 114/16
Akteneinsicht des Verteidigers in Aufzeichnungen einer Telekommunikationsüberwachung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.07.2016
- Aktenzeichen
- 2 Ws 114/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 38494
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 24.05.2016 - AZ: 2 KLs 4/16
Rechtsgrundlagen
- StPO § 100a
- StPO § 101 Abs. 8 S. 1
- StPO § 147 Abs. 1
- StPO § 147 Abs. 4 S. 1
- StPO § 147 Abs. 4 S. 2
- StPO § 305 S. 1
- StPO § 305 S. 2
Amtlicher Leitsatz
1. Die Entscheidung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts, Kopien der Dateien mit den Aufzeichnungen einer Telekommunikationsüberwachung an Verteidiger herauszugeben, kann von der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde angefochten werden (entgegen Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Mai 2016, 2 Ws 88/16 - 1 OBL 35/16).
2. Grundsätzlich ist von einer ausreichenden Gewährung des Rechts auf Akteneinsicht und Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke auszugehen, wenn der Verteidigung die Möglichkeit eingeräumt wird, sich im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung aufgezeichnete Telefongespräche in den Räumlichkeiten der Justizbehörden oder der Polizei anzuhören. Im Einzelfall kann nach einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls eine ausnahmsweise Herausgabe von Kopien der Dateien mit den Aufzeichnungen geboten sein (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2012, 2 Ws 146/12).
Tenor:
Die Verfügung des Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 24. Mai 2016 zur Übersendung von Kopien der Daten aus der aufgezeichneten Telekommunikation an die Verteidiger wird aufgehoben.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Verden legt den Angeklagten mit der Anklage vom 10. März 2016 zur Last, gemeinschaftlich handelnd in Bremen und Lilienthal in der Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 7. Oktober 2015 als Mitglieder einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Wohnungseinbruchdiebstählen bzw. Diebstählen verbunden hat, jeweils unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds gestohlen zu haben und in einzelnen Fällen dabei zur Ausführung der Taten in Wohnungen eingebrochen zu sein bzw. dies versucht zu haben. Dementsprechend sollen die Angeklagten V., G. und H. jeweils in zuvor ausgespähte Objekte eingedrungen sein, während der Angeklagte B. sie mit seinem Taxi zu den Objekten gefahren und später wieder aufgenommen haben soll. Im August 2015 soll sich diese Verbindung zwischen den Angeklagten gelöst haben. Die Angeklagten V. und B. hätten gleichwohl weiterhin fortgesetzt und arbeitsteilig weitere Einbrüche verübt, an denen sich der Angeklagte E. beteiligt habe.
Der Anklageerhebung vorausgegangen waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden, die insbesondere auch Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen umfassten. Im Zuge der Ermittlungen wurden die Angeklagten am 07. bzw. 08. Oktober 2015 festgenommen, die Angeklagten V., G. und E. befinden sich seitdem ununterbrochen, der Angeklagte H. nach einer Unterbrechung der Haft vom 22. bis zum 30. Oktober 2015 seitdem wieder in Untersuchungshaft. Die Verteidiger der Angeklagten wurden bei der ersten Aktenversendung der Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Einsichtnahme am 04. November 2015 darauf hingewiesen, dass die im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung gespeicherten Dateien nach Absprache eines Termins mit der ermittelnden Polizeidienststelle besichtigt werden könnten. Auch den inhaftierten Angeklagten könne dies gegebenenfalls in den Räumlichkeiten der Justizvollzugsanstalten ermöglicht werden.
Die Anklage vom 10. März 2016 wurde mit Beschluss vom 11. April 2016 zur Hauptverhandlung zugelassen. Die zurzeit bis zum 14. Juli 2016 unterbrochene Hauptverhandlung begann am 04. Mai 2016. In dem Verhandlungstermin am 20. Mai 2016 beantragten die Verteidiger der Angeklagten V., G., H. und E., ihnen Kopien sämtlicher im Rahmen der im Verfahren durchgeführten Telekommunikationsüberwachung aufgezeichneten Audiodateien auf geeigneten Datenträgern zur Mitnahme in ihre Kanzleiräume zur Verfügung zu stellen. Der Vorsitzende der Strafkammer teilte daraufhin mit Verfügung vom 24. Mai 2016 der Staatsanwaltschaft mit, dass beabsichtigt sei, entsprechend den Anträgen der Verteidiger zu verfahren, sofern sich diese schriftlich verpflichten, die Datenträger nur selbst zu verwenden, keine weiteren Kopien zu erstellen, über den Inhalt der Aufzeichnungen gegenüber am Verfahren nicht beteiligten Personen Stillschweigen zu wahren und die Datenträger nach Abschluss des Verfahrens unverzüglich an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben.
Gegen diese Verfahrensweise erhob die Staatsanwaltschaft am 25. Mai 2016 schriftlich Einwände und beantragte, die Anträge der Verteidiger auf Überlassung von Kopien der Audiodateien zur Mitnahme in ihre Kanzleiräume zurückzuweisen. Insofern stünden die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der von der Telekommunikationsüberwachung betroffenen unbeteiligten Gesprächsteilnehmer entgegen. Im Fall der Überlassung von Kopien der aufgezeichneten Kommunikation an die Verteidiger könne die Staatsanwaltschaft die ihr gemäß § 101 Abs. 8 StPO übertragene Kontrollfunktion nicht mehr ausüben. Verpflichtungserklärungen der Verteidiger könnten nicht vollstreckt werden. Der Vorsitzende der Strafkammer legte die Eingabe der Staatsanwaltschaft als Beschwerde gegen seine Verfügung vom 24. Mai 2016 aus und vermerkte am 25. Mai 2016, dass der Beschwerde, die er ohnehin für unzulässig halte, nicht abgeholfen werde. Die Verteidigung der Angeklagten werde unverhältnismäßig erschwert, wenn die Verteidiger sich die Inhalte der aufgezeichneten Telekommunikation nur in einer Polizeidienststelle anhören könnten. Für eine sachgerechte Verteidigung sei es erforderlich, Gespräche erforderlichenfalls auch mehrfach und unter Berücksichtigung der zeitlichen Planungen des Verteidigers direkt im Verteidigerbüro anzuhören.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Verden beigetreten. Sie sieht die Beschwerde als zulässig und begründet an und hat beantragt, die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 24. Mai 2016 aufzuheben.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 304 Abs. 1, 305 Satz 2 StPO zulässig.
Soweit § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO bestimmt, dass gerichtliche Entscheidungen zur Frage, ob Akten oder Aktenbestandteile dem Verteidiger zur Einsichtnahme mitgegeben werden sollen oder ob dem wichtige Gründe im Sinne des § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO entgegenstehen, keiner Anfechtung unterliegen, bezieht sich dies auf eine mögliche Anfechtung durch einen Angeklagten und seinen Verteidiger, nicht jedoch uneingeschränkt auch auf die Staatsanwaltschaft. Der Senat hält insofern trotz der mittlerweile ergangenen anderslautenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 11. August 2015 (StV 2016, 148) sowie zuletzt des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Mai 2016 (2 Ws 88/16 - 1 OBL 35/16) an seiner mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmenden bisherigen Rechtsprechung fest. Danach kann jedenfalls die Entscheidung des Vorsitzenden eines erkennenden Gerichts, Kopien der im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO erhobenen Daten an Verteidiger zur Mitnahme herauszugeben, von der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde angefochten werden (vgl. OLG Celle, NStZ 2016, 305; so auch OLG Nürnberg, StraFo 2015, 102 [OLG Nürnberg 11.02.2015 - 2 Ws 8/15]; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742 [OLG Karlsruhe 29.05.2012 - 2 Ws 146/12]; Beschluss vom 05. April 2007, 1 Ws 42-43/07; KG Berlin, NStZ-RR 2016, 143; so auch noch OLG Frankfurt, NJW-Spezial 2014, 25).
Der Anfechtungsausschluss des § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO bezieht sich auf die Regelung des § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO, wonach auf entsprechenden Antrag hin dem Verteidiger regelmäßig, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben werden sollen. Bereits die systematische Stellung des § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO und die erkennbare Bezugnahme auf den vorstehenden Satz der Vorschrift, wonach es eines Antrages der Verteidigung bedarf, legt eine Auslegung nahe, dass sich der Anfechtungsausschluss auf den Verteidiger und die Frage allein der konkreten Ausgestaltung der dem Verteidiger gewährten Akteneinsicht bezieht. Das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft ist demgegenüber nicht ausgeschlossen. Anders als der Angeklagte und sein Verteidiger, die gegebenenfalls im Rahmen eines Revisionsverfahrens eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung mit einer Rüge gemäß § 338 Nr. 8 StPO geltend machen können, ist der Staatsanwaltschaft eine solche revisionsrechtliche Überprüfung zum Nachteil des Angeklagten versagt. Der Staatsanwaltschaft wäre damit die Ausübung der ihr durch § 101 Abs. 8 StPO zugeschriebenen Kontroll- und Überwachungsfunktion nur noch eingeschränkt möglich. Mit jeder Heraus- und Weitergabe von Daten aus einer Telekommunikationsüberwachung gehen Eingriffe in das grundrechtlich in Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis unbeteiligter Dritter einher, nämlich solcher Personen, die überwachte Telefonanschlüsse nutzen oder von solchen Anschlüssen aus angerufen werden, ohne selbst von dem dem Verfahren zugrunde liegenden Tatvorwurf betroffen zu sein (vgl. BVerfG, NJW 2004, 999 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98]; OLG Celle, NStZ 2016, 305). Insbesondere auch unter Berücksichtigung dieser grundrechtlichen Relevanz für unbeteiligte Dritte ist eine Auslegung des am 01. April 1965 - zeitlich vor den erst anschließend in den aktuellen Fassungen eingefügten §§ 100a, 101 StPO - vom Gesetzgeber in Kraft gesetzten § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO dahingehend geboten, dass jedenfalls eine Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung, wonach Kopien von Dateien mit den Aufzeichnungen einer Telekommunikationsüberwachung aus dem Gewahrsamsbereich der Justiz herausgegeben werden sollen, durch die Staatsanwaltschaft nicht ausgeschlossen wird. Gegen diese verfassungskonforme Auslegung von § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO lässt sich auch der gesetzgeberische Wille nicht anführen (so aber OLG Hamburg, B. v. 27.5.2016, 2 Ws 88/16). Die vom OLG Hamburg herausgearbeiteten Aspekte aus der Gesetzgebungshistorie belegen letztlich nur, dass sich der Gesetzgeber bei Normierung des Anfechtungsausschlusses der speziellen Grundrechtsrelevanz dieses Ausschlusses nicht bewusst war.
Auch § 305 Satz 1 StPO steht der Zulässigkeit der Beschwerde vorliegend nicht entgegen. Danach sind Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen, der Beschwerde entzogen. Hiervon ist vorliegend zwar insofern auszugehen, als es sich um eine durch den Vorsitzenden der Strafkammer nach der Eröffnung des Hauptverfahrens während der bereits laufenden Hauptverhandlung getroffene Entscheidung handelt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 305 Rn. 2). Wegen der mit der Entscheidung des Vorsitzenden der Strafkammer einhergehenden Beeinträchtigung grundgesetzlich geschützter Rechte unbeteiligter Dritter handelt es sich allerdings um eine Entscheidung im Sinne des § 305 Satz 2 StPO, durch die die Rechte dritter Personen betroffen werden, so dass die Entscheidung der Beschwerde nicht entzogen ist. Hierbei ist die Staatsanwaltschaft durch die mögliche Verletzung der Rechte unbeteiligter Dritter auch beschwert, da sie als Vertreterin des Interesses der Allgemeinheit an einer gesetzmäßigen Rechtsprechung jeden Rechtsfehler rügen kann (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. April 2007, 1 Ws 42-43/07).
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Vorsitzende bislang lediglich angekündigt hat, die Kopien rausgeben zu wollen. Würde man eine entsprechende Verfügung verlangen, würde wegen § 307 Abs. 1 StPO der Grundrechtsschutz, der mit der verfassungskonformen Auslegung von § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO erreicht werden soll, gerade nicht verwirklicht werden können.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Einer Herausgabe von Kopien der Dateien mit den Aufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO steht vorliegend § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO entgegen, wonach selbst die Akten bzw. Aktenbestandteile dann einem Verteidiger nicht in seine Geschäfts- oder Wohnräume mitgegeben werden dürfen, wenn wichtige Gründe dem entgegenstehen. Hier stehen einer Herausgabe der anzufertigenden Kopien der Dateien mit den Aufzeichnungen der Überwachung die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der von der Telekommunikationsüberwachung betroffenen unbeteiligten Gesprächsteilnehmer entgegen, die bislang keine Kenntnis von der Überwachung und Aufzeichnung haben und ihre Rechte deshalb bislang nicht geltend machen konnten. Insofern kann weiter dahinstehen, ob es sich bei den der Verteidigung zur Verfügung zu stellenden Kopien der aufgezeichneten Daten um Augenscheinsobjekte, die als Beweismittel gemäß § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO i. V. m. § 147 Abs. 1 StPO bereits einer Herausgabe an die Verteidigung entzogen wären, oder um Bestandteile der Akten handelt, für die der Verteidiger gemäß § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO eine Mitnahme in seine Geschäfts- bzw. Wohnräume beantragen kann (vgl. OLG Celle, NStZ 2016, 305; offengelassen auch vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg im Beschluss vom 27. Mai 2016, 2 Ws 88/16 - 1 OBL 35/16).
Im Rahmen einer strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO werden sämtliche Gespräche, die über einen bestimmten Telefonanschluss oder bestimmte Telefonanschlüsse geführt werden, ohne Unterscheidung nach Gesprächspartnern oder Gesprächsinhalten aufgezeichnet und ausgewertet. Es ist unvermeidbar, dass damit auch Gespräche mit oder zwischen Personen erfasst werden, die in keinem Zusammenhang mit der dem Verfahren zugrunde liegenden Straftat stehen. Der damit zwangsläufig einhergehende Eingriff in die Grundrechte dieser unbeteiligten Dritten ergibt sich bereits bei der Aufzeichnung und dem anschließenden Abhören der Gespräche durch die Ermittlungsbehörden, eine dem nachfolgende Speicherung, Verwendung und gegebenenfalls Weitergabe der gewonnenen Informationen setzt diesen Grundrechtseingriff fort und vertieft ihn (vgl. BVerfG, NJW 2004, 999 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98]; OLG Celle, NStZ 2016, 305; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742 [OLG Karlsruhe 29.05.2012 - 2 Ws 146/12]; OLG Frankfurt, NJW-Spezial 2014, 25). Eine Weitergabe von Kopien der gewonnenen Daten aus dem Gewahrsamsbereich der Justizbehörden heraus an Verteidiger würde den Eingriff in die Grundrechte der am Verfahren unbeteiligten Gesprächsteilnehmer zudem nicht nur vertiefen. Die weitergegebenen Daten wären auch einer Kontrolle im Hinblick auf ihre mögliche weitere Verwendung entzogen. Anders als die in der Regel als solche zu erkennende Ablichtung eines Originalschriftstücks stellt eine Kopie von gespeicherten Telekommunikationsdaten ein als im Verhältnis zu den Originaldaten gleichwertig anzusehendes Surrogat dar, das dieselben Nutzungsmöglichkeiten eröffnet wie die Originaldaten. Die den Strafverfolgungsbehörden gemäß § 101 Abs. 8 Satz 1 StPO zugeschriebene Aufgabe, die durch Überwachungsmaßnahmen gemäß § 100a StPO erlangten Daten unverzüglich zu löschen, sobald sie zur Strafverfolgung und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr benötigt werden, könnte nur noch eingeschränkt ausgeübt werden, wenn vorab Kopien der Daten erstellt und aus dem Gewahrsamsbereich der Strafverfolgungsbehörden hinaus an Verteidiger, für die § 101 Abs. 8 Satz 1 StPO keine unmittelbare eigene Verpflichtung begründet (vgl. OLG Köln, StV 2009, 686), weitergereicht worden sind.
Vor diesem Hintergrund besteht in der Rechtsprechung weitgehende Einigkeit, dass die Daten einer in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überwachten und aufgezeichneten Telekommunikation zwar einerseits insgesamt dem Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht bzw. Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisstücke gemäß § 147 Abs. 1 StPO unterliegen (vgl. BGH, StV 2010, 228; NStZ 2014, 347), dass jedoch andererseits grundsätzlich von einer ausreichenden Gewährung des Rechts auf Akteneinsicht und Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke auszugehen ist, wenn der Verteidigung die Möglichkeit eingeräumt wird, sich aufgezeichnete Telefongespräche in den Räumlichkeiten der Justizbehörden oder der Polizei anzuhören, erforderlichenfalls auch mehrfach und unter Hinzuziehung von Dolmetschern sowie gegebenenfalls auch zusammen mit dem Angeklagten (vgl. BGH, NStZ 2014, 347; OLG Frankfurt, NJW-Spezial 2014, 25; StV 2001, 611; OLG Nürnberg, StraFo 2015, 102; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742 [OLG Karlsruhe 29.05.2012 - 2 Ws 146/12]; Beschluss vom 05. April 2007, 1 Ws 42-43/07; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 147 Rn. 19).
Wegen des mit einer Weitergabe von Kopien der Daten zwangsläufig einhergehenden Eingriffs in die Rechte unbeteiligter Gesprächsteilnehmer wird teilweise sogar von einem grundsätzlichen Verbot der Herausgabe kopierter Dateien aus Telekommunikationsüberwachungen an Verteidiger ausgegangen (so OLG Nürnberg, StraFo 2015, 102). Es sind jedoch auch die Interessen eines Angeklagten an einem fairen Verfahren und einer angemessenen Verteidigung zu berücksichtigen, denen als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang zukommt (vgl. BVerfG, StV 2016, 409; NJW 1978, 151). Danach kann in bestimmten Fällen, in denen ein Anhören der Audiodateien im Gewahrsamsbereich der Justiz für eine sachgerechte Verteidigung nicht ausreicht, ein Anspruch der Verteidigung auf Überlassung einer Kopie bestehen (vgl. BGH, NStZ 2014, 347; OLG Frankfurt, NJW-Spezial 2014, 25; StV 2016, 148; StV 2001, 611; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 147 Rn. 19). Insofern hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Abgabe einer Verpflichtungserklärung der Verteidigung, wonach zugesagt wird, die zur Verfügung gestellten Daten vertraulich zu behandeln, Dritten nicht zugänglich zu machen, keine weiteren Kopien herzustellen und die Datenträger nach Abschluss des Verfahrens zurückzugeben, für sich gesehen eine Herausgabe von Aufzeichnungen aus einer Telekommunikationsüberwachung nicht rechtfertigen kann (vgl. OLG Celle, NStZ 2016, 305). Die Abgabe einer solchen Erklärung ist vielmehr als Voraussetzung dafür anzusehen, dass überhaupt eine nähere Prüfung erfolgen kann, ob eine ausnahmsweise Herausgabe von Kopien der Audiodateien an einen Verteidiger angezeigt ist.
Entscheidendes Kriterium bei dieser Prüfung müssen die konkreten Umstände des Einzelfalls sein. So können dem Verteidiger Kopien der Aufzeichnungen aus einer Telekommunikationsüberwachung auszuhändigen sein, wenn im konkreten Einzelfall ein Abhören der Aufzeichnungen am Ort ihrer amtlichen Verwahrung wegen der großen Masse der Daten nicht möglich ist (vgl. OLG Frankfurt, StV 2016, 148), auch Gesichtspunkte der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung können eine Rolle spielen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742 [OLG Karlsruhe 29.05.2012 - 2 Ws 146/12]). In jedem Fall ist es erforderlich, bei der Prüfung eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Interessen des Angeklagten einerseits und der Interessen der unbeteiligten Dritten andererseits vorzunehmen, bei der insbesondere auch - auf Seiten des Angeklagten - zu berücksichtigen ist, ob und in welchem Umfang für ihn bzw. seinen Verteidiger bereits die Möglichkeit bestand, die im Verfahren aufgezeichneten Telefongespräche in den Räumlichkeiten der Behörden anzuhören, und ob und in welchem Umfang hiervon Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BGH, NStZ 2014, 347 [BGH 11.02.2014 - 1 StR 355/13][BGH 11.02.2014 - 1 StR 355/13]; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 2742 [OLG Karlsruhe 29.05.2012 - 2 Ws 146/12]; Beschluss vom 05. April 2007, 1 Ws 42-43/07). Demgegenüber ist bei der Abwägung auf Seiten der unbeteiligten Dritten insbesondere der Inhalt der aufgezeichneten Telekommunikation zu berücksichtigen - soweit bekannt -, namentlich die Frage, ob dieser den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen kann oder ob dies eher fernliegend erscheint.
Eine solche Gesamtabwägung ergibt hier, dass eine Herausgabe der Kopien der Aufzeichnungen nicht erfolgen kann. Zwar haben die Verteidiger sich bereit gezeigt, Verpflichtungserklärungen abzugeben. Eine Herausgabe von Kopien der Daten kann vorliegend jedoch in Ansehung der weiteren konkreten Umstände des Einzelfalls nicht erfolgen, mag es sich auch um eine besonders eilbedürftige Haftsache handeln, für die gerade auch Gesichtspunkte der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung grundsätzlich eine erhebliche Rolle spielen können. Es ist nämlich hier zu beachten, dass die Verteidigung bereits kurze Zeit nach der Festnahme der Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft auf das Vorhandensein der Dateien mit den Aufzeichnungen aus der Telekommunikationsüberwachung aufmerksam gemacht und auf die Möglichkeit hingewiesen worden ist, diese Aufzeichnungen nach Absprache mit der Polizei anzuhören. Es ist durch die Verteidiger bei der Antragstellung am 20. Mai 2016 nicht ausgeführt worden, dass überhaupt - über einen Zeitraum von immerhin rund einem halben Jahr hinweg - entsprechende Versuche unternommen worden sind, die Aufzeichnungen anzuhören, geschweige denn, dass tatsächlich zumindest einzelne Aufzeichnungen angehört worden sind. Der zusätzliche Aufwand, der sich durch ein solches Anhören der Aufzeichnungen am Ort ihrer Verwahrung ergeben hätte, kann jedenfalls nicht - anders als vom Vorsitzenden der Strafkammer in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 25. Mai 2016 ausgeführt - von vornherein als unzumutbar oder angesichts der Bedeutung der Sache unverhältnismäßig angesehen werden. Dem steht schon entgegen, dass es sich um eine Haftsache handelt, in der die Verteidigung als Organ der Rechtspflege mehr noch als ohnehin schon in jedem Strafverfahren die Obliegenheit trifft, unter Berücksichtigung der gebotenen Verfahrensbeschleunigung und -förderung sich aktiv um eine umfassende Einsichtnahme in die Akten zu bemühen und alle zumutbaren Anstrengungen in diese Richtung zu unternehmen (vgl. BGH, NStZ 2014, 347 [BGH 11.02.2014 - 1 StR 355/13]; OLG Celle, NStZ 2016, 305).
Wenn jedoch - wovon vorliegend auszugehen ist - in diese Richtung über Monate hinweg nichts unternommen wird, kann nunmehr nicht verlangt werden, dass die berechtigten Interessen der durch die erfolgte Telekommunikationsüberwachung in ihren Grundrechten betroffenen unbeteiligten Personen hinter das Interesse der Angeklagten an einer angemessenen Verteidigung zurücktreten. Beim derzeitigen Sachstand müssen sich die Angeklagten und ihre Verteidiger auf die Möglichkeit verweisen lassen, in den Räumlichkeiten der Justiz bzw. der Polizei in deren Gewahrsamsbereich auf die begehrten Dateien Zugriff zu nehmen, um die Aufzeichnungen aus der Telekommunikationsüberwachung anhören zu können.
Danach war die angefochtene Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer des Landgerichts Verden vom 24. Mai 2016 entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung ist in analoger Anwendung des § 473 Abs. 1 StPO ergangen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel weder zu Gunsten, noch zu Ungunsten der Angeklagten eingelegt, sondern eine den Belangen der Verfahrensbeteiligten übergeordnete Aufgabe der Strafrechtspflege wahrgenommen. Das Rechtsmittel diente der Überprüfung, ob die angefochtene gerichtliche Entscheidung ohne Rücksicht darauf, welche Wirkung damit für die Angeklagten erzielt wird, mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist. Bei einem Erfolg eines derartigen Rechtsmittels dürfen die Angeklagten nicht belastet werden. Die insofern vorhandene Gesetzeslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 473 Abs. 1 StPO zugunsten der Angeklagten zu schließen (vgl. BGHSt 18, 268).