Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.12.2004, Az.: L 4 SF 21/04
Verjährung eines Anspruchs auf Entschädigung als Zeuge; Sinn und Zweck des § 15 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.12.2004
- Aktenzeichen
- L 4 SF 21/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 26972
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2004:1222.L4SF21.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - AZ: S 2 KR 146/98
Rechtsgrundlage
- § 15 Abs. 2 ZSEG
Tenor:
Die Entschädigung des Antragstellers für die Wahrnehmung des gerichtlich angeordneten Termins am 23. Januar 2004 wird auf 357,50 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
In dem Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen - Az.: L 4 KR 159/01 - ordnete das LSG am 14. August 2003 die Begutachtung des Sohnes des Antragstellers (des Klägers) durch Prof. Dr. D., Universitätsklinik für Kinderheilkunde I in Tübingen an. Der Antragsteller begleitete den Kläger zum Untersuchungstermin am 23. Januar 2004.
Mit Schreiben vom 29. Februar 2004, eingegangen beim LSG am 28. Mai 2004, beantragte der Antragsteller die Entschädigung für die Begleitung des Klägers zum Untersuchungstermin am 23. Januar 2004 in Höhe von insgesamt 470,78 Euro.
Die Urkundsbeamtin des LSG lehnte den Antrag mit Entscheidung vom 3. Juni 2004 ab. Der Anspruch nach § 15 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) sei verjährt.
Hiergegen hat der Antragsteller am 8. Juni 2004 nach § 16 ZSEG richterliche Festsetzung beantragt. Die Kostenbeamtin hat dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen.
II.
Der Antrag des Antragstellers ist nach § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 ZSEG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes (vgl §§ 24, 25 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes - JVEG - i.d.F. von Art 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004, BGBl. I S 718) zulässig und teilweise begründet.
Der Anspruch des Antragstellers auf Entschädigung ist nicht erloschen.
Nach § 15 Abs. 2 ZSEG erlischt der Anspruch eines Zeugen, wenn der Zeuge die Entschädigung nicht binnen drei Monaten nach Beendigung der Zuziehung bei dem zuständigen Gericht oder bei der zuständigen Staatsanwaltschaft verlangt. Dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 ZSEG ist nicht zu entnehmen, wie das Tatbestandsmerkmal "Beendigung der Zuziehung" bei Parteien eines sozialgerichtlichen Verfahrens zu verstehen ist. Die Auslegung des § 15 Abs. 2 ZSEG muss daher anhand des Sinns und Zwecks der Vorschrift erfolgen.
Ziel des § 15 Abs. 2 ZSEG ist es, der Staatskasse binnen kurzer Frist Klarheit über die Höhe der Gerichtskosten zu verschaffen. Da ein Zeuge schnell aus dem Verfahren wieder ausscheidet, wird der Zweck des § 15 Abs. 2 ZSEG bei ihm mit der dreimonatigen Ausschlussfrist erreicht.
Anders ist es jedoch bei einer Partei eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Die endgütigen Aufwendungen für sie stehen erst nach Abschluss der jeweiligen Rechtsinstanz fest. Erst dann hat die Staatskasse Klarheit über die Höhe der anfallenden Kosten. Hinzu kommt der Umstand, dass eine Partei in vielen Fällen nicht abschätzen kann, wann ihre Zuziehung endgültig beendet ist. So kann es durchaus sein, dass sie vom Gericht zu einer weiteren Begutachtung geschickt oder ihr persönliche Erscheinen zum Termin angeordnet wird. Ihre Ungewissheit ist erst beendet, wenn eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht mehr zu erwarten ist, also erst mit dem Abschluss der jeweiligen Rechtsinstanz. Es entspricht daher der Zielsetzung des § 15 Abs. 2 ZSEG, bei Parteien eines sozialgerichtlichen Verfahrens den Gesetzeswortlaut "Beendigung der Zuziehung" im Sinne des Verfahrensendes in der jeweiligen Rechtsinstanz zu verstehen. Entsprechendes muss für die Begleitperson einer Partei gelten.
Deshalb vermag sich der erkennende Senat nicht dem 1. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen anzuschließen, der in seinem Beschluss 13. September 2004 (L 1 SF 003/04) von einer Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 ZSEG auf die Partei eines sozialgerichtlichen Verfahrens ausgegangen ist. Der Senat hält vielmehr die Rechtsprechung des LSG Rheinland-Pfalz (Beschlüsse vom 4. Mai 1973 in Breith 1974, 84 ff und vom 2. Februar 1994 - L 2 SGB V 89/93 -), des Bayerischen LSG (Beschluss vom 21. Februar 1957 in Breith 1957, 773) und des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 26. November 1958 in Breith 1959, 774) für überzeugend. Der Senat gibt seine gegenteilige frühere Spruchpraxis ausdrücklich auf.
Der Rechtsstreit des Klägers vor dem LSG Niedersachsen-Bremen - L 4 KR 159/01 - ist noch nicht abgeschlossen, so dass der Entschädigungsantrag am 28. Mai 2004 rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist.
Die Höhe der Entschädigung ist auf 357,50 Euro festzusetzen.
Nach § 9 Abs. 1 ZSEG werden die Fahrtkosten für Zeugen und Sachverständige bis zur Höhe der Kosten für die Benutzung des preisgünstigsten öffentlichen Beförderungsmittels oder bei einer Gesamtstrecke bis zu 200 km bis zur Höhe der Kosten für die Benutzung eines eigenen oder unentgeltlich von einem Dritten zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeuges ersetzt (Satz 1). Höhere Fahrtkosten werden ersetzt, soweit durch die Benutzung eines anderen Beförderungsmittels die Entschädigung insgesamt nicht höher wird oder höhere Fahrtkosten wegen besonderer Umstände notwendig sind (Satz 2).
Der Antragsgegner hat im Schriftsatz vom 27. September 2004 die Entschädigung des Antragstellers wie folgt berechnet:
Verdienstausfall: 8 Stunden á 13,00 Euro 104,00 Euro Fahrkosten: 1.150 km á 0,21 Euro 241,50 Euro Aufwand bis 24 Stunden 12,00 Euro Summe 357,50 Euro
Die Richtigkeit dieser Berechnung ist vom Antragsteller nicht bezweifelt worden. Die Entschädigung ist daher auf 357,50 Euro festzusetzen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).