Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 01.12.2004, Az.: L 3 KA 4/04
Anspruch auf Neuberechnung von Honorarforderungen eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin; Antrag auf Nachvergütung hinsichtlich bestandskräftig gewordener Honorarbescheide; Einlegung fristgerechten Widerspruchs gegen die Festsetzung von Honorarforderungen; Tatbestandliche Voraussetzungen für die Rücknahme eines bestandskräftig gewordenen Honorarbescheides; Qualifizierung von Honorarbescheiden als nicht begünstigende Verwaltungsakte; Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes als entscheidender Grund für die Ablehnung der Rücknahme eines Verwaltungsaktes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 01.12.2004
- Aktenzeichen
- L 3 KA 4/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 26945
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2004:1201.L3KA4.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 03.12.2003 - AZ: S 16 KA 231/01
Rechtsgrundlagen
- § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X
- § 84 Abs. 1 S. 1 SGG
Fundstelle
- Breith. 2005, 346-352
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen Leistungen der großen Psychotherapie sind mit einem Punktwert von 10 Pfennig zu honorieren, sofern der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende ärztliche Psychotherapeut 90 % seines Gesamtleistungsbedarfs aus Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä d.h. aus Leistungen nach den Gebührenziffern 860 - 884 erzielt.
- 2.
Eine Kassenärztliche Vereinigung ist berechtigt, die finanziellen Auswirkungen im Falle einer dem Vertragsarzt positiven Entscheidung für die Gesamtheit ihrer Mitglieder zu berücksichtigen und die Vermeidung einer solchen Betroffenheit aller Mitglieder als ausschlaggebend anzusehen.
- 3.
Ein besonderer Anlass zur sorgfältigen Berücksichtigung und einzelfallbezogenen Bemessung der Individualinteressen des Vertragsarztes besteht insbesondere dann, wenn im Rahmen der begehrten Überprüfung eine Erhöhung seines Honoraranspruchs jedenfalls in einigen der betroffenen Quartale um mehr als 10 % in Betracht kommt.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 03. Dezember 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2001 werden geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Neuberechnung ihrer Honoraransprüche für die Quartale I/1993, IV/1993, I/1994, IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 jeweils im Ersatz- und im Primärkassenbereich und für die Quartale II und III/1993 nur im Primärkassenbereich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates neu zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt als Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Psychotherapie und Psychoanalyse an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 30. Juni 1997 war sie zur Erbringung solcher Leistungen ermächtigt, seit dem 01. Juli 1997 ist sie als Vertragsärztin zugelassen. Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte eine Neuberechnung ihrer Honoraransprüche für die Quartale I/1993 bis I/1994, IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 unter Beachtung der BSG-Rechtsprechung zu dem für genehmigungsbedürftige Leistungen der großen Psychotherapie maßgeblichen Mindestpunktwert von 10 DPf. ablehnt.
Im Einzelnen erbrachte die Klägerin unter Zugrundelegung der Honorarabrechnungen der Beklagten in den streitigen Quartalen folgende Leistungen - ohne Berücksichtigung von Leistungen im Rahmen des organisierten Notdienstes (Bereitschaftsdienstes) - im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung:
Quartal Leistungen nach Abschnitt G IV EBM in Punkten Bislang herangezogener Punktwert für Leistungen nach Abschnitt G IV (ohne sonstige Kostenträger) Bislang gewährte Vergütung in DM (1993 - 1995 nach Abzug der Verwaltungskosten) Abgerechnete und zuerkannte Punktmengen für sonstige Leistungen - ohne Notdienst - sowie für von sonstigen Kostenträgern zu vergütende Leistungen I/93 EKK 119.420 8,7939 10.270,69 I/93 PKK 47.500 7,9980 3717,78 0 II/93 EKK 94.000 10,4271 9.585,87 0 II/93 PKK 42.600 9,0964 - 9,1973 3.795,14 0 III/93 EKK 102.300 10,0846 10.110,16 0 III/93 PKK 37.750 8,6781 - 8,6785 3.210,50 0 IV/93 EKK 113.800 9,7759 10.902,50 0 IV/93 PKK 49.350 8,4978 - 8,4980 4.123,08 0 I/94 EKK 104.550 9,4713 9.704,19 0 I/94 PKK 75.000 7,9052 5.810,31 0 IV/95 EKK 110.200 9,000 9.739,47 0 IV/95 PKK 39.600 7,9336 3.085,17 0 III/96 184.200 6,4493 - 7,7418 13.329,65 1.245 I/97 mindestens 227.350 9,0000 20.461,50 max. 21,700 II/97 228.500 9,0000 20.565,00 1.830 III/97 mindestens 204.950 7,9009 - 8,8427 17.253,35 max. 28.960 IV/97 264.150 7,7079 - 8,0782 20.983,27 0 I/98 257.700 6,7322 - 7,5107 18.517,01 1.545 II/98 235.150 8,1562 - 8,6346 19.832,80 1.600 III/98 187.400 6,6697 - 7,2863 13.329,58 1.850 IV/98 mindestens 340.750 6,5063 - 7,1417 23.682,78 max. 12.385
Gegen einige Honorarbescheide legte die Klägerin jeweils Widerspruch im Hinblick auf eine aus ihrer Sicht nur unzureichende Honorierung insbesondere psychotherapeutischer Leistungen ein. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Widersprüche:
Mit Schreiben vom 29. Mai 1994, bei der Beklagten zwei Tage später eingegangen, legte die Klägerin Widerspruch gegen die Quartalsabrechnung IV/1993 ein und regte zugleich eine Zurückstellung der Entscheidung bis zum Abschluss "bereits laufender Verfahren in der Parallelsache" an. Mit Schreiben vom 31. Mai 1994 bestätigte die Beklagte, dass sie die Entscheidung über den Widerspruch wunschgemäß zunächst zurückstellen wolle.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 1994 wandte sich die Klägerin gegen die Quartalsabrechnung II/1994. Mit weiterem Schreiben vom 30. Januar 1995 griff sie ausweislich der Betreffzeile die Abrechnung III/94 an. Entsprechend legte sie mit Schreiben vom 03. Mai 1995 Widerspruch gegen die Honorarabrechnung IV/1994 ein. Gegen die Honorarabrechnungen I - II/1995 wandte sie sich jeweils mit Widerspruchsschreiben vom 27. Juli 1995 und 15. September 1995. Bezüglich der Abrechnung III/1995 legte sie nach Aktenlage zwei Mal Widerspruch ein, und zwar zunächst mit Schreiben vom 17. Oktober 1995 und dann noch einmal mit Schreiben vom 18. Januar 1996. Gegen die Quartalsabrechnungen I und II/1996 richteten sich jeweils ausweislich der Betreffzeilen Widerspruchsschreiben vom 30. September und 19. November 1996; gegen die Abrechnung IV/1996 legte die Klägerin (ausweislich der Betreffzeile) mit Schreiben vom 07. Mai 1997 Widerspruch ein. Schließlich legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Dezember 1999 (Eingang bei der Beklagten am 15. Dezember 1999) nachträglich Widerspruch gegen die Bescheide für die Quartale I/97 bis IV/98 ein.
Darüber hinaus begehrte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 1999, die Vergütung für die von ihr in den Jahren ab 1993 erbrachten Leistungen unter Berücksichtigung der in den BSG-Urteilen vom 20. Januar (SozR 3-2500 § 85 Nr. 29) und 25. August 1999 (SozR 3-2500 § 85 Nr. 33) dargelegten Grundsätzen zur Heranziehung eines Mindestpunktwertes von 10 Pfennigen für genehmigungsbedürftige Leistungen der großen Psychotherapie (bei Ärzten, die 90 % ihres Gesamtleistungsbedarfs in Punkten aus Leistungen nach Abschnitt G IV EBM-Ä erzielen) neu zu berechnen.
Daraufhin teilte die Beklagte ihr mit Schreiben vom 25. August 2000 mit, dass eine Neuberechnung für die Quartale II - IV/1994, I - III/1995, I, II und IV/1996 erfolgen werde, da die Klägerin bezüglich dieser Quartale jeweils fristgerecht Widerspruch gegen die Honorarbescheide eingelegt habe.
Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage lehnte die Beklagte für die weiteren Quartale (I/93 - I/94, IV/95, III/96, I/97 - IV/98) den Antrag auf Nachvergütung im Hinblick auf die bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide ab. Zur Begründung erläuterte sie, dass sie über den Antrag auf Neubescheidung gemäß § 44 Abs. 2 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Im Rahmen der ihr damit obliegenden Ermessensausübung könne sie sich auch gegen eine Rücknahme der Honorarbescheide entscheiden. Dabei seien die finanziellen Interessen der Klägerin mit den "Folgewirkungen einer Nachvergütung für die bestandskräftig abgerechneten fraglichen psychotherapeutischen Leistungen für die Quartale ab I/93" abzuwägen. Eine etwaige Nachvergütung würde nicht nur der Klägerin, sondern auch anderen Betroffenen zustehen, zumal der Beklagten "zahlreiche" Anträge von ärztlichen und nichtärztlichen Psychotherapeuten auf Nachvergütung vorlägen. Eine solche Nachvergütung "könnte" daher ein "nicht unerhebliches finanzielles Ausmaß" erreichen. Da keine Rückstellungen gebildet worden seien und für deren Bildung auch kein Anlass bestanden habe, müssten die dafür erforderlichen Beträge aus der laufenden Gesamtvergütung zu Lasten aller übrigen Ärzte und Psychotherapeuten entnommen werden, obwohl deren Höhe gesetzlich limitiert sei. Die Vermeidung einer solchen Benachteiligung der übrigen Leistungserbringer stelle einen Gesichtspunkt dar, dem nach der Rechtsprechung des BSG (U.v. 18. März 1998 - B 6 KA 69/97 -) ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden dürfe.
Zur Begründung ihres (am 19. September 2000 bei der Beklagten eingegangenen) Widerspruchs vom 13. September 2000 wies die Klägerin darauf hin, dass ihr durch die fehlerhafte Honorarberechnung ein nicht unerheblicher persönlicher Schaden entstanden sei. Die Beklagte habe über Jahre hinweg durch "Reaktionslosigkeit und Inaktivität" eine "Zermürbungstaktik" betrieben und eine Benachteiligung der gesamten Fachgruppe der Psychotherapeuten billigend in Kauf genommen.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch den Vorstand ihrer Bezirksstelle Hannover mit Bescheid vom 16. Februar 2001 zurück. Zur Begründung erläuterte der Vorstand, dass er die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Ermessenserwägungen teile. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Honorarverteilung für die Jahre 1993 bis 1998 seit langem abgeschlossen sei und dass sowohl die Beklagte als auch die Vertragsärzte grundsätzlich auf den Bestand rechtskräftiger Honorarbescheide vertrauen können müssten. Die KV wäre zu einer geordneten Honorarverteilung kaum noch in der Lage, wenn noch Jahre später bestandskräftige Honorarbescheide zu Gunsten der Ärzte zu überprüfen seien, ihre "Verböserung" aus Rechtsgründen hingegen nicht möglich sei. Nach der Rechtsprechung des BSG wäre im Übrigen noch danach zu differenzieren, ob der Arzt mindestens 90 % seines Gesamtleistungsbedarfs aus Leistungen nach Abschnitt G IV des EBM erzielt habe.
Zur Begründung ihrer am 16. März 2001 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie die Konsequenzen einer nicht fristgerechten Einlegung von Widersprüchen unzureichend gekannt habe. Ihr nachträglich mit Schreiben vom 27. Dezember 1999 eingelegter Widerspruch sei lediglich mit unzureichenden formellen Erwägungen zurückgewiesen worden. Neuberechnungen für die streitigen Quartale müsse die Beklagte ohnehin im Hinblick darauf vornehmen, dass andere Betroffene jeweils fristgerecht Widerspruch eingelegt hätten.
Die Beklagte hat sich demgegenüber auf eine fehlerfreie Ausübung des ihr durch § 44 Abs. 2 SGB X eingeräumten Ermessens berufen. Sie hat hervorgehoben, dass sie etwaige Nachvergütungsansprüche der Klägerin und aller anderen Betroffenen aus der laufenden Gesamtvergütung erfüllen müsste.
Mit Urteil vom 03. Dezember 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es hinsichtlich des Zeitraums 1993 bis 1994 darauf hingewiesen, dass eine Nachvergütung insoweit in entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Quartale ab IV/1995 hat das SG insbesondere ausgeführt, dass die Ermessenserwägungen der Beklagten knapp, aber noch ausreichend seien. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, die betroffenen Ärzte im Interesse der übrigen Kollegen auf die Bestandskraft der Honorarbescheide zu verweisen.
Gegen dieses ihr am 19. Dezember 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 06. Januar 2004. Zur Begründung macht die Klägerin geltend, dass andere Kassenärztliche Vereinigungen die Rechtsprechung des BSG zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen auch unabhängig von der fristgerechten Einlegung von Rechtsbehelfen rückwirkend umgesetzt hätten.
Von der fristgerechten Einlegung von Widersprüchen habe sie hinsichtlich der streitbefangenen Quartale auch im Hinblick darauf abgesehen, dass sie seinerzeit als lediglich ermächtigte Ärztin über keinen gesicherten Zulassungsstatus verfügt habe. Darüber hinaus habe sie sich von der Erwartung leiten lassen, dass die Beklagte als Interessenvertretung der Ärzte letztendlich auch ihre Interessen wahrnehmen würde. Es sei ihr schlicht unangenehm gewesen, gegen das eigene Vertretungsorgan "mit stupider Regelmäßigkeit" Widersprüche einzulegen und erforderlichenfalls sogar Gerichtsverfahren anzustrengen. Auch habe sie sich "mit der Gesamtärzteschaft" solidarisch gefühlt; im Grunde "beschäme" sie ein Kampf um Punktwertdifferenzen.
Das angefochtene Urteil enthalte keine Feststellungen zu dem Umfang der die Beklagte im Falle einer Nachhonorierung treffenden Nachvergütungspflichten, obwohl nur eine kleine Zahl von Ärzten betroffen sei. Auch trage es nicht hinreichend den Besonderheiten Rechnung, dass sie im streitigen Zeitraum (überwiegend) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nur ermächtigt gewesen sei und dass die streitige Punktwertbemessung die wirtschaftliche Grundlage ihrer Berufstätigkeit gefährdet habe. Zudem sei die durch die BSG-Rechtsprechung herbeigeführte "Zuspitzung der Honorarsituation" anfangs nicht absehbar gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 03. Dezember 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über ihren Antrag auf Neuberechnung ihrer Honoraransprüche für die Quartale I/1993, IV/1993, I/1994, IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 jeweils im Ersatz- und im Primärkassenbereich und für die Quartale II und III/1993 nur im Primärkassenbereich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hebt hervor, dass die Klägerin durch die Einlegung jeweils fristgerechter Widersprüche für die Quartale II/94 bis III/95 und I, II und IV/96 selbst gezeigt habe, dass ihr die Notwendigkeit der fristgerechten Einlegung von Widersprüchen bekannt gewesen sei.
Die ihr in den ersten Jahren erteilte Ermächtigung sei zwar alle zwei Jahre unter dem Aspekt des Versorgungsbedarfs überprüft worden; eine Beeinträchtigung der Freiheit der Klägerin zur Einlegung von Rechtsbehelfen sei damit jedoch schon deshalb nicht verbunden gewesen, weil den Prüfgremien bei der Beurteilung des Versorgungsbedarfs kein Ermessensspielraum zugestanden habe.
Die angefochtene Entscheidung überschreite nicht die Grenzen des ihr durch § 44 Abs. 2 SGB X eingeräumten Ermessens. Sie habe ihr Ermessen zu Gunsten der Gesamtheit aller Vertragsärzte ausgeübt und den Gesamtinteressen an der Funktionsfähigkeit des Systems Vorrang eingeräumt.
Die getroffene Entscheidung sei umso weniger zu beanstanden, als anderenfalls alle Honorarabrechnungen für sämtliche Vertragsärzte im Zuständigkeitsbereich der Beklagten für die Jahre 1993 bis 1998 neu zu berechnen gewesen wären. Denn im Falle eines Erfolges der Klägerin und der übrigen betroffenen Ärzte wären die dafür erforderlichen Beträge den - bereits verteilten - Gesamtvergütungszahlungen für die jeweils betroffenen Quartale zu entnehmen. Ein Zugriff auf spätere Gesamtvergütungszahlungen sei schon deshalb nicht angezeigt, weil dadurch auch erst im Nachhinein zugelassene Vertragsärzte mitbelastet würden. Mit einer umfassenden Neuberechnung des Honoraranspruchs vergangener Quartale wäre andererseits ein unzumutbarer Zeit- und Kostenaufwand verbunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Beklagte unter Änderung des sozialgerichtlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide zur Neubescheidung zu verurteilen ist. Der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2001 ist, soweit er im Berufungsverfahren noch angefochten wird, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen zur Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide für die Quartale I/1993 bis I/1994 (Quartale II und III/1993 nur bezogen auf den Primärkassenbereich), IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 fehlerhaft ausgeübt hat.
1.
Die Honorarbescheide für die Quartale I/1993 bis I/1994, IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 sind bestandskräftig geworden, da die Klägerin diese innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht angefochten hat, obwohl die Beklagte diese Bescheide jeweils mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen hatte. Auch von Seiten der Klägerin wird nicht in Abrede gestellt, dass sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der vorstehend genannten Quartalsbescheide keinen Widerspruch eingelegt hat; Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) werden weder von ihr geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich.
2.
Ungeachtet der Bestandskraft der vorstehend genannten Honorarbescheide ist die Beklagte nach § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X berechtigt, diese auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Satz 1 a.a.O.). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2 a.a.O.). Die Vorschrift erfasst, wie bereits die Verwendung des Begriffs "im Übrigen" verdeutlicht, alle rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakte, die den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X nicht genügen (vgl. BSG, SozR 1300 § 44 Nr. 26; SozR 3-1300 § 44 Nrn. 3 und 23), und zwar auch insoweit, als sie keine Sozialleistungen betreffen (BSG, a.a.O.). Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X findet hingegen keine Anwendung. Sie betrifft Verwaltungsakte, die Sozialleistungen (§ 11 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)) im Sinne der §§ 18 ff SGB I oder Beiträge zum Gegenstand hatten. Verwaltungsakte, mit denen kassen-/vertragsärztliches Honorar festgesetzt wird, beziehen sich nicht auf Sozialleistungen im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB X (BSG, SozR 1200 § 44 Nr. 10 und SozR 3-1300 § 44 Nr. 23).
a)
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X für eine - im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen der Behörde stehende - Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide liegen vor. Diese sind als nicht begünstigende Verwaltungsakte zu qualifizieren, soweit mit ihnen - neben der Zuerkennung des in ihnen jeweils ausgewiesenen Honoraranspruchs - zugleich die Gewährung eines darüber hinausgehenden Honorars abgelehnt worden ist.
Ein solcher weiter gehender Honoraranspruch ist in den Honorarbescheiden für die Quartale I/1993 bis I/1994 (Quartale II und III/1993 nur bezogen auf den Primärkassenbereich), IV/1995, III/1996 und I/1997 bis IV/1998 zu Unrecht abgelehnt worden.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind die zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen Leistungen der großen Psychotherapie mit einem Punktwert von 10 Pfennig zu honorieren, sofern der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende (ärztliche) Psychotherapeut 90 % seines Gesamtleistungsbedarfs aus Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä (d.h. aus Leistungen nach den Gebührenziffern 860 - 884) erzielt (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 35 und U. v. 12. September 2001, B 6 KA 8/01 R; erstmals entwickelt worden ist dieser Anspruch im Urteil SozR 3-2500 § 85 Nr. 29). Die Klägerin hat in allen streitigen Quartalen 90 % ihres Gesamtleistungsbedarfs (ohne Leistungen im Rahmen des organisierten Notfalldienstes) aus Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä (d.h. aus Leistungen nach den Gebührenziffern 860 - 884) erzielt.
Dies ergibt sich hinsichtlich der Quartale I/1993 bis I/1994, IV/1994, IV/1995, III/1996, I/1997, II/1997 und IV/1997 bis IV/1998 bereits aus den von der Beklagten mitgeteilten Abrechnungsergebnissen. Im Quartal III/1997 hat die Klägerin nach dem Honorarbescheid insgesamt 233.910 Punkte abgerechnet, von denen zwar lediglich 204.950 Punkte ausdrücklich als Leistungen nach den Gebührenziffern 860 bis 877, und damit als Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä ausgewiesen sind. Hieraus kann jedoch nicht zu ihren Lasten geschlussfolgert werden, dass sie im Quartal III/1997 nur rd. 87,62 % psychotherapeutische Leistungen erbracht hat. 27.445 Punkte sind nämlich in dem Honorarbescheid keinen Leistungsziffern zugeordnet, sodass nicht feststellbar ist, ob es sich hierbei um Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä oder um sonstige Leistungen handelt. So sind 25.480 Punkte im Honorarbescheid als "übrige Leistungen EK'en, PK'en" gekennzeichnet. Ausweislich der Anlage 1 zum Honorarbescheid hat die Klägerin an übrigen Leistungen, d.h. neben Leistungen nach Gebührenziffern 860 bis 877 EBM-Ä, aber lediglich in 14 Fällen Leistungen nach Ziffer 1 EBM-Ä mit insgesamt 1515 Punkten erbracht. Dass die verbleibenden 23.965 Punkte keinen bestimmten Leistungen zugeordnet werden können, geht zu Lasten der Beklagten, die gemäß § 35 Abs. 1 SGB X verpflichtet ist, die von ihr erlassenen Honorarbescheide nachvollziehbar zu begründen (vgl. Recht in: Hauck/Noftz, SGB X, Loseblattsammlung Stand: März 2004, § 35 Rd.Nr. 10 i.V.m. Rd.Nr. 5) und führt dazu, dass die vorgenannten Punkte im Rahmen der hier gebotenen Berechnung nicht berücksichtigt werden können. Das selbe gilt hinsichtlich der im Honorarbescheid ausgewiesenen 3480 Punkte, die die Klägerin für Versicherte anderer Kostenträger abgerechnet hat. Von den insgesamt berücksichtigungsfähigen 206.465 Punkten (204.950 Punkte für psychotherapeutische Leistungen und 1515 Punkte für übrige Leistungen) entfallen ca. 99,26 % auf Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä. Die Beklagte hat im Übrigen selbst nicht substantiiert in Abrede gestellt, dass die Klägerin in allen streitigen Quartalen (mindestens) 90 % ihres Gesamtleistungsbedarfs aus Leistungen nach Kapitel G Abschnitt IV EBM-Ä erzielt hat.
Dessen ungeachtet hat die Beklagte in den vorstehend genannten Honorarbescheiden auch die zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen Leistungen der großen Psychotherapie mit einem Punktwert von (teilweise deutlich) weniger als 10 Pfennig honoriert; wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die im Tatbestand wieder gegebene tabellarische Aufstellung Bezug.
§ 44 Abs. 2 S. 2 SGB X beschränkt sich nicht nur auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Die in § 44 Abs. 2 SGB X getroffene Unterscheidung der Wirkungen einer Rücknahme ex nunc und ex tunc ist zwar nur bei Dauerverwaltungsakten möglich. Eine Regelung, die - wie § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X - eine Rücknahme "für die Vergangenheit" vorsieht, ist damit aber nicht auf Dauerverwaltungsakte beschränkt; denn ex-tunc-Wirkung kann auch der Rücknahme eines sonstigen Verwaltungsakts zukommen (BVerwGE 109, 346).
Der Tatbestand des § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X enthält keine zeitlichen Ausschlussfristen, namentlich kommt mangels einer anders lautenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung eine Rücknahme für die Vergangenheit auch bezüglich solcher Zeiträume grundsätzlich in Betracht, für die einem Sozialleistungsempfänger nach der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X kein Anspruch auf eine rückwirkende Gewährung von Sozialleistungen zustände (vgl. BSG, SozR 3-1300, § 44 SGB X, Nr. 3; BVerwGE 109, 346; a.A. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band II, Stand: 01. Dezember 2003, § 44 SGB X, Rn. 43). Der Rechtsgedanken des § 44 Abs. 4 SGB X kann allerdings in die im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmende Interessenabwägung einbezogen werden.
b)
Die Beklagte hat das ihr damit durch § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X eingeräumte Ermessen zur Neubescheidung der Honoraransprüche der Klägerin fehlerhaft ausgeübt.
Ziel des § 44 SGB X allgemein ist es, die Konfliktsituation zwischen der - auf Grund der Bindungswirkung eines unrichtigen Verwaltungsakts eingetretenen - Rechtssicherheit einerseits und der materiellen Gerechtigkeit andererseits zu Gunsten der letzteren aufzulösen (BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44; BSG SozR 3-1300 § 44 Nrn. 21 und 23). Bei Verwaltungsakten im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB X räumt allerdings nur Satz 1 a.a.O. dem Berechtigten einen Anspruch auf Aufhebung des rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts - ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft - ein. Hinsichtlich der Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist, wie sich aus der "Kann"-Formulierung des Satzes 2 a.a.O. ergibt, die Rücknahme in das Ermessen der Behörde gestellt (BSG, SozR 3-1300 § 44 Nrn. 3 und 23). Diese Vorschrift gibt damit weder der Rechtssicherheit, also Beständigkeit der Entscheidung, noch der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang; beide Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips haben im Rahmen dieser Vorschrift vielmehr gleichen Rang. Deshalb kann weder allein die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides zu dessen Rücknahme verpflichten noch kann die eingetretene Bindungswirkung entscheidender Grund für die Ablehnung der Rücknahme sein (vgl. BSG, SozR 1300 § 44 Nr. 28). Namentlich ist eine Kassenärztliche Vereinigung berechtigt, die finanziellen Auswirkungen im Falle einer dem Vertragsarzt positiven Entscheidung für die Gesamtheit ihrer Mitglieder zu berücksichtigen und die Vermeidung einer solchen Betroffenheit aller Mitglieder als ausschlaggebend anzusehen (BSG, Urteil vom 18. März 1998, Az: B 6 KA 16/97 R, SozR 3-1300 § 44 Nr. 23; vgl. auch die Parallelentscheidung vom gleichen Tage B 6 KA 69/97).
Ermessensentscheidungen sind nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG rechtswidrig, sofern eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Die Behörde muss sich insbesondere ihres Ermessensspielraums bewusst sein, sie muss diesen wahrnehmen und sich mit ihrer ablehnenden Entscheidung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums halten (BSG, SozR 3-1300 § 44 Nr. 23). Dabei hat sie die für die Abwägung bedeutsamen Tatsachen zutreffend und vollständig zu erfassen (Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Band II, Stand: September 2003, § 114 Rn. 7).
Die Behörden haben ein ihnen eröffnetes Ermessen stets pflichtgemäß auszuüben (BVerfGE 14, 105 [114] und 49, 168). Sie haben vor allem die zwingenden Gebote des Rechtsstaates, insbesondere den Gleichheitssatz, zu beachten sowie den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 35, 382 [400f] und 49, 168) und des Vertrauensschutzes Rechnung zu tragen. Gehen die angefochtenen Bescheide in wesentlichen Punkten von unzutreffenden rechtlichen oder tatsächlichen Annahmen aus, auf denen die Ermessenserwägungen beruhen, dann ist den Gerichten verwehrt, diese fehlerhaften Erwägungen durch eigene Überlegungen zu ersetzen (§ 131 Abs. 3 SGG; vgl. auch 114 VwGO und aus der Rechtsprechung: BVerwG, Buchholz 235 § 92 BDO Nr. 4 und NVwZ 2003, 1275). Prüfungsmaßstab ist dabei die Fassung des angefochtenen Bescheides, die dieser durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (§ 95 SGG).
Den vorstehend erläuterten Anforderungen genügen die angefochtenen Bescheide nicht. Der entscheidende Fehler in der Ermessensausübung ist darin zu sehen, dass die Beklagte die wechselseitig betroffenen Interessen lediglich pauschal benannt, nicht aber konkret bemessen und gewichtet hat. So wird im Bescheid vom 25. August 2000, auf den auch der Widerspruchsbescheid Bezug nimmt, als Abwägungsgesichtspunkt ganz allgemein und eher floskelhaft das "finanzielle Interesse" der Klägerin eingeführt, ohne dieses auch nur größenordnungsmäßig zu bemessen und in Relation zu den bislang für die streitigen Quartale zuerkannten Honoraransprüchen zu setzen.
Unter Berücksichtigung der erläuterten Pflichten zur vollständigen Ermittlung und Berücksichtigung der für die Abwägung bedeutsamen Tatsachen erachtet der Senat diese Vorgehensweise der Beklagten jedenfalls dann für unzureichend, wenn gewichtige Interessen des Antragstellers betroffen sind. Bei solchen gewichtigen Interessen setzt eine pflichtgemäße Abwägung ihre konkrete einzelfallbezogene Gewichtung und Bemessung voraus; diese hat zumindest überschlägig zu erfolgen. Ohne eine derartige Gewichtung fehlt der vorzunehmenden Interessenabwägung die entscheidende Grundlage, eine Abwägung kann sachgerechterweise nur erfolgen, wenn die wechselseitig zu berücksichtigenden Interessen sowohl qualitativ als auch quantitativ erfasst werden.
Dies gilt gerade auch im Hinblick auf den im vorliegenden Zusammenhang zu berücksichtigenden Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser beinhaltet die Notwendigkeit einer Abwägung aller sich nach Klärung des Sachverhaltes ergebenden Umstände des Einzelfalles (vgl. auch BVerfG, NJW 1995, 1016). Zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind die durch die angefochtene Entscheidung geförderten Belange und das Ausmaß des angestrebten Nutzens auf der einen Seite den beeinträchtigten Rechtspositionen und dem Gewicht ihrer Verkürzung auf der anderen Seite unter Berücksichtigung der relevanten Besonderheiten des Einzelfalls gegenüberzustellen (Sachs in Sachs [Hrsg.], Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 20 Rn. 154; vgl. zu der gebotenen "Gewichtung der miteinander in Verbindung zu setzenden und abzuwägenden widerstreitenden Interessen" auch BVerfGE 92, 277, 327). Der entscheidenden Klärung des Sachverhalts darf sich die Behörde jedenfalls bei bedeutsamen Belangen nicht dadurch entziehen, dass sie die maßgeblichen Umstände lediglich schlagwortartig skizziert.
Der Umfang der in diesem Zusammenhang gebotenen - nach § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X in den Gründen des Bescheides auszuweisenden - Aufklärungsbemühungen hängt mithin vom Gewicht des jeweils betroffenen Individualinteresses ab. Auch wenn bei weniger bedeutsamen Interessen pauschalierende und eher floskelartige Bewertungen genügen mögen, sind in Fällen größerer Betroffenheit einzelfallbezogene Interessensgewichtungen und Abwägungen geboten. Bei einer größeren Zahl von Betroffenen können sie auch einheitlich vorab im Rahmen von Ermessensrichtlinien vorgenommen werden, sofern solche Richtlinien ihrerseits eine sachgerechte Ermessensausübung zum Ausdruck bringen.
Dabei besteht ein besonderer Anlass zur sorgfältigen Berücksichtigung und einzelfallbezogenen Bemessung der Individualinteressen des Vertragsarztes insbesondere dann, wenn im Rahmen der begehrten Überprüfung eine Erhöhung seines Honoraranspruchs jedenfalls in einigen der betroffenen Quartale um mehr als 10 % in Betracht kommt. Hiervon ist im Falle der Klägerin auszugehen. Beispielsweise entfielen im Quartal IV/1998 (in Klammern jeweils die entsprechenden Angaben zum Quartal III/98) von dem bislang zuerkannten Honorar in Höhe von 24.711,22 DM (13.473,47 DM) bei einer Gesamtpunktmenge von 343.690 (189.250) Punkten 240.700 Punkte (Quartal IV/98 nach Maßgabe der Anlage 1 "Große Psychotherapie" zur Honorarabrechnung; Quartal III/98 - bei Berücksichtigung allein der nach Aktenlage eindeutig den Ziffern 871, 872 und 877 zuzuordnenden Leistungen: 182.700 Punkte) und damit - unter Heranziehung des sich aus der praxisindividuellen Relation zwischen EKK- und PKK-Leistungen ergebenden Durchschnittspunktwertes von 6,95 (7,12) DPf. für Psychotherapieleistungen - ca. 16.729 (13.008,24) DM auf Leistungen der großen Psychotherapie. Diese wären nach Maßgabe der erläuterten BSG-Rechtsprechung zum Mindestpunktwert von 10 DPf. mit 24.070 (18.270) DM zu vergüten, womit der Quartalshonoraranspruch auf 32.052,22 (18.735,23) DM steigen würde. Damit erhielte sie rund 30 % (mindestens 41 %) mehr, als ihr die Beklagte bislang zuerkannt hat.
Den vorstehend erläuterten rechtlichen Anforderungen genügen die angefochtenen Bescheide erkennbar nicht. Die Beklagte hat zum einen nach Maßgabe der diesbezüglich heranzuziehenden (§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB X) Gründe der Bescheide versäumt, die individuellen Interessen der Klägerin konkret zu erfassen und zu gewichten. Zum anderen hat sie auch das Gewicht der auf der anderen Seite in die Abwägung einzustellenden Interessen der (von der Beklagten repräsentierten) Gesamtheit der Vertragsärzte an einem Festhalten an der Bestandskraft der zur Überprüfung gestellten Honorarbescheide nicht in der gebotenen Weise konkretisiert. Insbesondere hat sie gar nicht näher geprüft, ob und inwieweit das für eine Neuberechnung bereits bestandskräftig festgesetzter Honoraransprüche (in den Fällen der Klägerin und der anderen betroffenen [ebenfalls eine Neuberechnung begehrenden] Psychotherapeuten) erforderliche Finanzvolumen ein solches Ausmaß erreicht, dass dieses unter der Annahme seiner Entnahme aus der laufenden Gesamtvergütung zu einer spürbaren Minderung der Honoraransprüche der übrigen Vertragsärzte führen würde.
Bei der ihr obliegenden Interessenabwägung wird die Beklagte auch zu berücksichtigen haben, dass ihr § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X nicht nur die Wahl zwischen einer vollständigen Ablehnung und einer vollständigen Befriedigung des geltend gemachten Neubescheidungsanspruchs eröffnet. Sollten einzelfallbezogene Abwägungen beispielsweise ergeben, dass einerseits eine vollständige Hintanstellung der Interessen der Klägerin diese unverhältnismäßig belasten, andererseits aber eine vollständige Erfüllung des geltend gemachten Neuberechnungsanspruchs (unter Berücksichtigung der betroffenen Parallelfälle) die aktuellen Honoraransprüche der Vertragsärzte in unzumutbarer Weise schmälern würde, dann kann die Beklagte das ihr durch § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X eröffnete Ermessen auch im Sinne einer Teilbefriedigung des Nachhonorierungsanspruchs ausüben (etwa indem eine Nachhonorierung bis zu einer bestimmten Quote, beispielsweise 90 %, des richtigerweise zuzusprechenden Honoraranspruchs oder zu einem bestimmten Anteil des sich bei der Neuberechnung ergebenden weiteren Honoraranspruchs erfolgt und/oder indem sie - etwa in Anlehnung an die für Sozialleistungen getroffene gesetzliche Regelung des § 44 Abs. 4 S. 3 SGB X - den Zeitraum zwischen dem Erlass des ursprünglichen Honorarbescheides und des Einganges des Überprüfungsbegehrens berücksichtigt). Die angefochtenen Bescheide lassen gar nicht erkennen, dass sich die Beklagte dieser Möglichkeit bewusst war.
Da im vorliegenden Zusammenhang eine Honorarneuberechnung von den betroffenen Psychotherapeuten für einen mehrjährigen Zeitraum begehrt wird, wird sich die Beklagte auch mit der Frage auseinander setzen müssen, ob ein angemessener Ausgleich der wechselseitig betroffenen Interessen sich dadurch in angemessener Weise erreichen lässt, dass die Kosten für eine (Teil-)Nachhonorierung nicht nur den Gesamtvergütungszahlungen des laufenden Quartals, sondern anteilig den Gesamtvergütungszahlungen für mehrere Quartale entnommen werden.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren - im Ergebnis abweichend von der den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegenden Rechtsauffassung - darauf abstellt, dass eine Ermessensausübung im Sinne der Psychotherapeuten zu einer Neubescheidung der Honoraransprüche aller Vertragsärzte in den betroffenen Quartalen führen müsse, ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass entsprechende nachträgliche Kürzungen der Honoraransprüche anderer Vertragsärzte im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung nur innerhalb einer Frist von vier Jahren seit Ergehen des Quartalsabrechnungsbescheides zulässig sind (BSG, SozR 3-2500 § 82 Nr. 3). Diese Frist war bereits bei Erlass des Widerspruchsbescheides bezüglich eines erheblichen Teils des zur Überprüfung gestellten Zeitraums abgelaufen, inzwischen steht dieser Umstand ohnehin Honorarrückforderungen zu Lasten anderer Vertragsärzte bezogen auf die streitigen Abrechnungszeiträume bis 1998 entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG (in der im vorliegenden Rechtsstreit noch anzuwendenden bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.