Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.1993, Az.: 4 L 6322/92

Zustimmungsverfahren; Hauptfürsorgestelle; Ordentliche Kündigung; Schwerbehinderter; Soziale Rechtfertigung; Ursächlichkeit; Interessenabwägung; Ausnahme; Unrichtigkeit des Sachvortrags

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.04.1993
Aktenzeichen
4 L 6322/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 13646
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0414.4L6322.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade 10.06.1992 - 4 A 183/90
nachfolgend
BVerwG - 19.10.1995 - AZ: BVerwG 5 C 24.93

Amtlicher Leitsatz

1. Im Zustimmungsverfahren nach § 15 SchwbG hat die Hauptfürsorgestelle grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten sozial ungerechtfertigt iSd § 1 Abs 2 KSchG ist; diese Prüfung ist den Arbeitsgerichten vorbehalten (wie BVerwGE 90, 287).

2. Dazu gehört die Klärung der Frage, ob die Leistung des Schwerbehinderten am Arbeitsplatz in dem vom Arbeitgeber behaupteten Umfang hinter den Anforderungen zurückbleibt. Das gilt auch, wenn die behauptete Leistungsminderung auf der Behinderung beruht. Die Hauptfürsorgestelle hat in diesem Fall das Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Schwerbehinderten am Erhalt seines Arbeitsplatzes auf der Grundlage des Sachvortrages des Arbeitgebers zum Umfang der Leistungsminderung abzuwägen.

3. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Unrichtigkeit dieses Sachvortrages und damit die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung offen zutage treten.

Tenor:

Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Lüneburg - vom 10. Juni 1992 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten in beiden Instanzen und die der Beigeladenen in zweiter Instanz. Im übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten und die Beigeladene durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 150,-- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte und die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils derselben Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Der am 25. November 1946 geborene, verheiratete Kläger ist Dipl.-Ingenieur in der Fachrichtung Elektrotechnik. Nach der Diplomprüfung im Jahre 1973 war er als Entwicklungsingenieur bei einer Firma in Nordrhein-Westfalen, danach als wissenschaftliche Hilfskraft, später als wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Bochum und anschließend als wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Dortmund tätig. Zum 1. Januar 1981 wurde er als Entwicklungsingenieur bei der Beigeladenen eingestellt, die Anfang 1987 ca. 1.850 und Ende 1989 ca. 1.400 Beschäftigte hatte. Nachdem er dort zunächst in Entwicklungslabors tätig war, wurde er im Oktober 1985 beauftragt, zusammen mit einem anderen Mitarbeiter Dokumentationsunterlagen zu erarbeiten. Die Beigeladene begründete diese Umsetzung u.a. damit, daß der Kläger verstärkt Schwierigkeiten habe, Arbeiten unter Termindruck fertigzustellen.

2

Im September 1985 begab sich der Kläger wegen einer seelischen Erkrankung (Psychose) in die Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie ... in Hannover. Das Versorgungsamt Hannover stellte auf den Antrag des Klägers vom 18. Oktober 1985 eine Psychose als Behinderung fest. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt danach 50 v.H..

3

Am 1. Dezember 1986 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten, einer beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zuzustimmen. Sie machte u.a. geltend, daß die Arbeitsgruppe "Dokumentation" wegen des Rückgangs von Aufträgen und der Notwendigkeit, Personal einzusparen, entfallen solle und der Kläger wegen seiner Behinderung nicht wieder als Entwicklungsingenieur eingesetzt werden könne. In der Einigungsverhandlung am 27. März 1987 einigten sich die Beteiligten darauf, daß der Kläger den bisherigen Mitarbeiter, Herrn ..., in die Entwicklungsabteilung begleiten und dort seine Dokumentationstätigkeit ab 1. Juli 1987 in einer um eine Stufe niedrigeren Gehaltsgruppe fortsetzen solle; der Beklagte erklärte sich bereit zu prüfen, ob der Beigeladenen ein Ausgleich für die Minderleistung des Klägers gewährt werden könne, sofern - auch nach ärztlicher Behandlung und ggf. sozialpsychiatrischer Therapie - eine Leistungssteigerung auf dem neuen Arbeitsplatz nicht eintrete. Ab August 1987 gewährte der Beklagte der Beigeladenen einen Lohnkostenzuschuß von 600,-- DM monatlich; er nahm an, daß der Kläger infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend offensichtlich nur eine wesentlich verminderte (um mehr als 30 v.H. unter der Durchschnittsleistung des Angehörigen einer vergleichbaren Gruppe liegende) Arbeitsleistung erbringen könne.

4

Am 3. Oktober 1989 beantragte die Beigeladene erneut die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Sie trug u.a. vor: Es sei ihr nicht länger zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen. Selbst die etwa 31 % nominell produktiven Arbeitsstunden seien im Ergebnis unproduktiv, weil der Kläger von einem Vorgesetzten ständig angeleitet und kontrolliert werden müsse. Einer Stunde Arbeit des Klägers stehe mehr als eine Stunde unproduktive Kontrolltätigkeit des Vorgesetzten gegenüber. Aussicht auf Besserung bestehe nicht.

5

Der Beklagte holte Stellungnahmen des Betriebsrates, des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten, des Arbeitsamtes und des behandelnden Psychiaters ein und führte am 11. Dezember 1989 eine Einigungsverhandlung durch, in deren Verlauf der Vorgesetzte des Klägers an Hand von Beispielen schilderte, wie er den Kläger "in kleinsten Schritten" anleiten und kontrollieren müsse. An der Verhandlung nahm auch eine Vertreterin des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V. teil. Das Verfahren wurde bis Ende Januar 1990 ausgesetzt, um das Konzept für eine externe Therapie zu erarbeiten und anschließend prüfen zu können, inwieweit es möglich sei, den Kläger wieder in den Betrieb zu integrieren. Gespräche darüber mit der Vertreterin des Vereins und einem Mitarbeiter des Beklagten lehnte der Kläger ab. Die Beigeladene stellte ihn daraufhin ab 1. Februar 1990 unter Anrechnung auf etwaige Urlaubsansprüche von der Arbeit frei.

6

Der Beklagte erteilte der Beigeladenen durch Bescheid vom 23. Februar 1990 die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers und führte u.a. aus: Es sei der Beigeladenen nicht länger zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen. Seine Leistungsfähigkeit sei, wie die eingeholten Stellungnahmen und die Einigungsverhandlung ergeben hätten, erheblich vermindert. Da die Leistungsminderung behinderungsbedingt sei, seien zwar an das Erreichen der Zumutbarkeitsgrenze besonders hohe Anforderungen zu stellen. Diese Grenze sei hier jedoch auch unter Berücksichtigung der sozialen Stellung des Klägers, der voraussichtlich destabilisierenden Wirkung des Verlustes des Arbeitsplatzes und der zu erwartenden Schwierigkeiten, wieder einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, überschritten. Selbst nach der Umsetzung auf den "Schonarbeitsplatz" in der Dokumentation und nach der Übertragung der Aufgaben eines Ingenieurs habe der Kläger kaum noch produktive Arbeit geleistet. Es sei der Beigeladenen nicht zuzumuten, dem Kläger, der Diplom-Ingenieur sei, irgendwelche Hilfsarbeiten zu übertragen, abgesehen davon, daß der Kläger das selbst nicht wolle, sondern sich sogar auf dem Arbeitsplatz eines Entwicklungsingenieurs für leistungsfähig halte. Allen Versuchen, durch eine berufsbegleitende psychosoziale Betreuung seine Wiedereingliederung in den Betrieb zu ermöglichen, habe er sich verschlossen. Eine Stabilisierung seines Gesundheitszustandes und eine künftige Leistungssteigerung seien deshalb nicht zu erwarten.

7

Die Beigeladene hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 27. Februar 1990 zum 30. Juni 1990 gekündigt. Der Kläger hat Klage beim Arbeitsgericht Hannover erhoben; das arbeitsgerichtliche Verfahren ist bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Beklagten zur Kündigung ausgesetzt.

8

Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 23. Februar 1990 Widerspruch ein und machte u.a. geltend: Er sei in der Lage, auf seinem Arbeitsplatz eigenverantwortlich zu arbeiten, und mache nicht mehr Fehler als andere Arbeitnehmer auch. Die Behauptung der Beigeladenen, er leiste kaum noch produktive Arbeit, sei pauschal, unsubstantiiert und nicht belegt. Es fehlten auch jegliche Angaben darüber, welche Leistungskriterien er hätte erfüllen müssen.

9

Der Beklagte wies den Widerspruch auf Beschluß des Widerspruchsausschusses - 1. Kammer - bei der Hauptfürsorgestelle durch Widerspruchsbescheid vom 16. August 1990 zurück.

10

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben und beantragt,

11

den Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 1990 und den Widerspruchsbescheid vom 16. August 1990 aufzuheben,

12

hilfsweise,

13

ein arbeitsmedizinisches Gutachten darüber einzuholen, daß seine Leistungsfähigkeit nicht in einem für die Beigeladene unzumutbaren Umfang eingeschränkt sei.

14

Der Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beigeladene hat einen Antrag nicht gestellt.

17

Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage durch Urteil vom 10. Juni 1992 stattgegeben und zur Begründung u.a. ausgeführt: Die Ermessenentscheidung des Beklagten sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, da die Entscheidung auf der Grundlage eines nicht ausreichend ermittelten Sachverhalts getroffen worden sei. Der Beklagte hätte, um prüfen zu können, ob der Beigeladenen noch zuzumuten sei, den Kläger trotz der behaupteten behinderungsbedingten Leistungsminderung weiter zu beschäftigen, präzise ermitteln müssen, in welchem Umfang die Leistung des Kläger hinter den Anforderungen zurückgeblieben sei. Der Beklagte hätte die Beigeladene auffordern müssen, Belege vorzulegen, z.B. nachvollziehbare Aufzeichnungen über die vom Kläger tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen.

18

Gegen das ihr am 16. November 1992 zugestellte Urteil hat die Beigeladene am 14. Dezember 1992 Berufung eingelegt. Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und beantragt,

19

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

hilfsweise,

23

ein arbeitsmedizinisches Gutachten darüber einzuholen, daß seine Leistungsfähigkeit nicht in einem für die Beigeladene unzumutbaren Umfang eingeschränkt sei.

24

Der Beklagte unterstützt die Auffassung der Beigeladenen und stellt einen Antrag nicht.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

27

Die angefochtenen Bescheide sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtmäßig. Die Ermessensentscheidung des Beklagten nach § 15 SchwbG ist nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 2. Juli 1992 (BVerwGE 90, 287 = DVBl 1992, 1490 = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 6) zum Umfang der Prüfung, die die Hauptfürsorgestelle bei der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten anzustellen hat, ausgeführt:

28

Bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 SchwbG trifft die Hauptfürsorgestelle, soweit nicht die besonderen Voraussetzungen des § 19 SchwbG erfüllt sind, eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 39 Abs. 1 SGB I nur durch Sinn und Zweck des Schwerbehindertengesetzes gebunden ist (vgl. BVerwGE 8, 48, 49 [BVerwG 28.11.1958 - V C 32/56];  19, 327, 328) [BVerwG 21.10.1964 - V C 14/63]. Dieses ist in erster Linie ein "Fürsorgegesetz", das mit seinen Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz vor allem die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen soll (vgl. BVerwGE 29, 140, 141 [BVerwG 28.02.1968 - V C 33/66]; Beschl. d. erkennenden Senats v. 12. 6. 1978 - 5 B 79.77 - Buchholz 436.6 § 14 SchwbG Nr. 9). Der Zweck des § 15 SchwbG geht deshalb dahin, den Schwerbehinderten vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, daß er gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwGE 23, 123, 127 [BVerwG 12.01.1966 - V C 62/64];  29, 140, 142) [BVerwG 28.02.1968 - V C 33/66]. Das hat auch Leitlinie bei der Ermessensentscheidung zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zuzustimmen ist. Diese Entscheidung erfordert deshalb eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes (BVerwGE 48, 264, 266 f. [BVerwG 05.06.1975 - V C 57/73]; st. Rspr.). Sie bestimmt die Grenzen dessen, was zur Verwirklichung der dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Fürsorge dem Arbeitgeber zugemutet werden darf.

29

Bei dieser Abwägung muß die Hauptfürsorgestelle berücksichtigen, ob und inwieweit die Kündigung die besondere, durch sein körperliches Leiden bedingte Stellung des einzelnen Schwerbehinderten im Wirtschaftsleben berührt. Dagegen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Hauptfürsorgestelle, bei ihrer Entschließung die allgemeinen sozialen Interessen des einzelnen Schwerbehinderten als Arbeitnehmer zu wahren. Der besondere Schutz des § 15 SchwbG ist dem Schwerbehinderten nämlich zusätzlich zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz gegeben. Das bedeutet, daß der Schwerbehinderte, wenn die Hauptfürsorgestelle der Kündigung zugestimmt hat, noch den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes in Anspruch nehmen und eine arbeitsgerichtliche Nachprüfung herbeiführen kann, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne dieses Gesetzes ist (vgl. BT-Drucks. I/3430, S. 32). Deshalb hat die Hauptfürsorgestelle nicht - gleichsam parallel zum Arbeitsgericht - über die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu befinden (vgl. BVerwGE 8, 46, 48 f.) [BVerwG 28.11.1958 - V C 32/56]. Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können vielmehr nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Kündigenden diejenige Rechtsstellung zurückzugeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe (vgl. Sellmann, SchwbG 1954, § 14 RdNr. 56; Gröninger/Thomas, SchwbG 1991, § 18 RdNr. 7).

30

Die von der Revision angesprochene Frage, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt war, war hiernach von der Hauptfürsorgestelle grundsätzlich nicht zu prüfen. Eine Pflicht hierzu folgt entgegen der Ansicht des Oberbundesanwalts auch nicht aus § 20 SGB X. Die dort geregelte Amtsermittlungspflicht der Behörde gewinnt ihre Konturen und ihre Reichweite aus dem materiellen Recht. Ihr läßt sich deshalb von vornherein nichts dafür entnehmen, auf welche Umstände es nach materiellem Recht für die Entscheidung ankommen soll. Offenbleiben kann im vorliegenden Fall, ob die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung dann verweigern muß, wenn die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (vgl. BAGE 48, 122, 152) [BAG 27.02.1985 - GS - 1/82].

31

Dem folgt der Senat. Zu der Prüfung, die nach § 1 Abs. 2 KSchG den Arbeitsgerichten vorbehalten ist, gehört die Klärung der Frage, ob die Kündigung durch Gründe bedingt ist, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Dem Arbeitsgericht bleibt also grundsätzlich vorbehalten zu prüfen, ob die Leistung des Schwerbehinderten am Arbeitsplatz in dem vom Arbeitgeber behaupteten Umfang hinter den Anforderungen zurückbleibt. Das gilt auch, wenn die behauptete Leistungsminderung auf der Behinderung - hier auf der beim Kläger festgestellten Psychose - beruht. Die Hauptfürsorgestelle hat in diesem Fall das Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Schwerbehinderten am Erhalt des Arbeitsplatzes auf der Grundlage des Sachvortrages des Arbeitgebers zum Umfang der Leistungsminderung abzuwägen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Unrichtigkeit dieses Sachvortrages und damit die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung offen zu Tage treten. Eine solche Ausnahme ist hier nicht gegeben. Der Kläger bestreitet zwar die Richtigkeit der von der Beigeladenen, insbesondere von seinem damaligen Vorgesetzten, in der Einigungsverhandlung am 11. Dezember 1989 beispielhaft geschilderten Vorfälle oder er interpretiert sie anders (es sei jedenfalls überflüssig gewesen, daß ihn sein damaliger Vorgesetzter ständig angeleitet und kontrolliert habe). Es ist aber nicht offensichtlich ausgeschlossen, daß sich der Kläger - aufgrund seiner Behinderung - am Arbeitsplatz so verhalten hat, wie es die Beigeladene geschildert hat.

32

Aus diesen Gründen ist auch dem Hilfsantrag des Klägers (Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens über den Umfang der Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit) nicht zu entsprechen.

33

Auf der Grundlage des Sachvortrags der Beigeladenen hat die Hauptfürsorgestelle die besonderen fürsorgerischen Belange zutreffend geprüft und erwogen. Unstreitig beruht die behauptete Leistungsminderung des Klägers auf seiner Behinderung. Das löst zwar eine besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus, bedeutet jedoch nicht, daß dem Schwerbehinderten der Arbeitsplatz um jeden Preis zu erhalten ist. Die Beigeladene ist ihrer besonderen Pflicht zur Fürsorge gegenüber dem Kläger in der Vergangenheit dadurch nachgekommen, daß sie ihm, obwohl er als Entwicklungsingenieur eingestellt worden war, zunächt einen "Schonarbeitsplatz" in der Dokumentation angeboten und ihn sodann auf einen geringerwertigen Arbeitsplatz unter Hinnahme wesentlich (um mehr als 30 %) verminderter Arbeitsleistung beschäftigt hat. Der Lohnkostenzuschuß in Höhe von 600,-- DM monatlich konnte die damit für die Beigeladene verbundene außergewöhnliche Belastung nur zum Teil auffangen. Nachdem auch auf diesem Arbeitsplatz die Leistung des Klägers weiter gesunken war und er zudem einen wesentlichen Teil der Arbeitskraft seines Vorgesetzten band, der ihn in kleinsten Schritten anleiten und kontrollieren mußte, war die Grenze der Zumutbarkeit überschritten. Schließlich war eine Besserung nicht zu erwarten, da sich der Kläger allen Versuchen, seinen Gesundheitszustand und damit seine Leistungsfähigkeit durch therapeutische Maßnahmen zu bessern, verschloß.

34

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den § 154 Abs. 1, 162 Ab. 3, 188 Satz 2, 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

35

Der Senat läßt die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zu, da die Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob die Hauptfürsorgestelle den Sachvortrag des Arbeitgebers zum Umfang der Minderung der Leistung des Schwerbehinderten am Arbeitsplatz auch dann der Interessenabwägung nach § 15 SchwbG zugrundezulegen hat, wenn die behauptete Leistungsminderung auf der Behinderung beruht.

36

Klay

37

Willikonsky

38

Zeisler