Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.1993, Az.: 4 L 5371/92

Einzuhaltende Verfahrensvorschriften nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); Pflicht zur Anhörung eines Schwerbehinderten vor dessen Kündigung; Umfang einer Prüfung durch einen Widerspruchsausschuss; Wahrung der Interessen auch des Arbeitgebers durch das Schwerbehindertengesetz (SchwbG); Vorherige Zustimmung der Personalvertretung vor Kündigung eines Schwerbehinderten; Heilung einer fehlerhaften oder unterlassenen Anhörung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.04.1993
Aktenzeichen
4 L 5371/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 13645
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0414.4L5371.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 18.08.1992 - AZ: 3 A 3221/91

Verfahrensgegenstand

Kündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz

Amtlicher Leitsatz

Hat die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten erteilt, bevor die ihm gesetzte Frist zur Äußerung abgelaufen ist, kann die erforderliche Anhörung bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens mit heilender Wirkung nachgeholt werden.

Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Klay,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Zeisler und Claus sowie
die ehrenamtliche Richterin Gleitz und den ehrenamtlichen Richter Gundlach
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer Hannover - vom 18. August 1992 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50,- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die 1941 geborene ledige Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Sie wendet sich gegen die vom Beklagten erteilte Zustimmung zur fristlosen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

2

Die Klägerin arbeitete seit Oktober 1973 als Angestellte in der Verfassungsschutzabteilung des Beigeladenen. Am 5. Dezember 1990 wurde sie von Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes unter dem Vorwurf festgenommen, von 1975 bis Sommer 1989 für eine fremde Macht geheimdienstliche Tätigkeiten ausgeübt zu haben. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes erließ am 6. Dezember 1990 Haftbefehl, der durch weiteren Beschluß vom selben Tage unter mehreren Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde.

3

Am 13. Dezember 1990 beantragte der Beigeladene beim Beklagten, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zuzustimmen, die er mit Rücksicht auf die geschilderten Vorkommnisse aussprechen wolle; diese machten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.

4

Der Beklagte holte Stellungnahmen des Personalrates, der Schwerbehindertenvertretung beim Beigeladenen und des Arbeitsamtes Hannover ein und gab der Klägerin durch Verfügung vom 13. Dezember 1990 Gelegenheit, sich spätestens bis zum 20. Dezember 1990 zu äußern. Deren Stellungnahme vom 19. Dezember 1990 ging am 21. Dezember 1990 beim Beklagten ein. Darin machte die Klägerin u. a. geltend, sie sei unverschuldet in die geschilderten Handlungen verstrickt worden; es sei dem Beigeladenen zuzumuten, sie zumindest bis zum Abschluß des Strafverfahrens an anderer Stelle weiter zu beschäftigen.

5

Bereits mit Bescheid vom 20. Dezember 1990, der am 21. Dezember 1991 abgesandt wurde, stimmte der Beklagte der beabsichtigten Kündigung zu. Er führte u. a. aus: Da zwischen der Schwerbehinderung der Klägerin und dem Verhalten, das der Beigeladene zum Anlaß für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung nehme, ein Zusammenhang nicht bestehe, "solle" von Gesetzes wegen die fristgerecht beantragte Zustimmung erteilt werden, ohne daß die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen werden müßten.

6

Am 28. Dezember 1990 kündigte der Beigeladene das Arbeitsverhältnis fristlos. Die dagegen vor dem Arbeitsgericht Hannover zum Aktenzeichen 10 Ca 15/91 erhobene Klage wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ausgesetzt.

7

Zur Begründung ihres gegen die Zustimmung eingelegten Widerspruches machte die Klägerin im wesentlichen geltend: Der Beklagte habe das Gebot verletzt, ihr rechtliches Gehör zu gewähren. Er habe erst nach Ablauf des 20. Dezember 1990 entscheiden dürfen. Das führe zur Nichtigkeit der erteilten Zustimmung.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1991 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte darin u. a. aus: Der behauptete Verfahrensmangel liege nicht vor. Die Klägerin habe es sich selbst zuzuschreiben, daß ihre Stellungnahme wegen absehbarer Verzögerungen auf dem Postweg nicht innerhalb der gesetzten Frist bei ihm eingegangen sei. Selbst wenn der Bescheid diesen Mangel aufwiese, wäre er im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt worden.

9

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ihre Auffassung bekräftigt, der Ausgangsbescheid sei wegen schwerwiegenden Verstoßes gegen das Gebot, ihr rechtliches Gehör zu gewähren, nichtig; eine Heilung dieses Mangels komme daher nicht in Betracht.

10

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 1990 und seinen Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1991 aufzuheben.

11

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

12

und zur Begründung im wesentlichen den Inhalt der angefochtenen Bescheide wiederholt.

13

Der Beigeladene hat das Vorbringen des Beklagten unterstützt, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

14

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 18. August 1992 abgewiesen, in dessen Gründen es u. a. folgendes ausgeführt hat: Es sei zweifelhaft, ob die angegriffene Entscheidung überhaupt auf dem von der Klägerin gerügten Verfahrensmangel beruhe; denn der Ausgangsbescheid sei erst am Folgetag, d. h. zu einem Zeitpunkt zur Post gegeben worden, als die gesetzte Äußerungsfrist bereits fruchtlos abgelaufen gewesen sei. Das könne jedoch unentschieden bleiben. Selbst wenn der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel vorliege, führe dieser nicht zur Nichtigkeit dieses Bescheides; er sei im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt worden. Die angegriffenen Bescheide seien auch im übrigen formell-rechtlich nicht zu beanstanden und enthielten materiell-rechtliche Fehler nicht.

15

Zur Begründung der Berufung wiederholt die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen.

16

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

17

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

18

Er und der Beigeladene, der einen Antrag nicht stellt, verteidigen die angefochtene Entscheidung.

19

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind weder formell- noch materiell-rechtlich zu beanstanden und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.

21

Der Beigeladene hat die Frist des § 21 Abs. 2 SchwbG gewahrt. Er hat, von der Klägerin nicht bestritten, vorgetragen, erst durch ihre Verhaftung von den geheimdienstlichen Tätigkeiten erfahren zu haben.

22

Die in § 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG aufgeführten Stellen haben vor Erlaß des Bescheides vom 20. Dezember 1990 eine Stellungnahme abgegeben. Es reicht aus, daß das Arbeitsamt ... dies fernmündlich getan hat; denn eine bestimmte Form der Äußerung ist weder in § 17 Abs. 2 Satz 1 SchwbG noch in § 24 Abs. 1 SGB X vorgeschrieben.

23

Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht wegen Verletzung von § 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG aufzuheben. Der Senat läßt - wie das Verwaltungsgericht - unentschieden, ob der Ausgangsbescheid vom 20. Dezember 1990 an dem von der Klägerin gerügten Mangel leidet. Selbst wenn die Aufforderung vom 13. Dezember 1990 so zu verstehen gewesen sein sollte, der Beklagte werde nicht vor Ablauf des 20. Dezember 1990 entscheiden, und der Umstand, daß die Entscheidung "vorzeitig" getroffen worden ist, nicht bereits deswegen im Ergebnis unschädlich wäre, weil die Äußerung der Klägerin nicht innerhalb der gesetzten Frist beim Beklagten eingegangen ist, wäre der gerügte Verfahrensmangel jedenfalls kraft § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden. Hiernach ist die Verletzung von Form- und Verfahrensvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig machen, u. a. dann unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zum Abschluß des Vorverfahrens nachgeholt wird.

24

Das Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (Verwaltungsverfahren) - ist hier anzuwenden, weil das Schwerbehindertengesetz gemäß Art. II § 1 Nr. 3 SGB I (vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches gilt. Das bei seiner Anwendung einzuhaltende Verfahren richtet sich daher nach dem Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - sofern im Schwerbehindertengesetz nichts Abweichendes im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I bestimmt ist (vgl. BVerwG, Buchholz 436.61, § 15 SchwbG Nrn. 1 und 5). Vom Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - abweichende Bestimmungen enthält das Schwerbehindertengesetz in seinem § 17 Abs. 2 nur insoweit, als die Hauptfürsorgestelle darin zur Einholung der Stellungnahmen von Stellen verpflichtet wird, die sie nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch -, insbesondere nach dessen § 12, nicht zu beteiligen hätte. Im übrigen, d. h. soweit es um die Folgen einer unterlassenen oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Anhörung eines Beteiligten im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB X geht, beanspruchen die §§ 40 ff. SGB X Geltung. Das Schwerbehindertengesetz schließt deren Anwendung weder ausdrücklich noch sinngemäß (nach seinen Strukturprinzipien) aus.

25

Ein solcher Ausschluß ergibt sich insbesondere nicht daraus, daß § 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG die Anhörung des Schwerbehinderten ausdrücklich vorschreibt, ohne hinsichtlich der Folgen einer unterbliebenen oder fehlerhaft durchgeführten Anhörung spezielle Bestimmungen zu treffen. Denn in seinem § 17 Abs. 2 Satz 2 wiederholt das Schwerbehindertengesetz lediglich die aus §§ 24 Abs. 1, 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB X folgende Pflicht, den von einer Kündigung bedrohten schwerbehinderten Arbeitnehmer vor der Entscheidung über die beantragte Zustimmung anzuhören.

26

Entgegen der Auffassung der Klägerin weist das Schwerbehindertengesetz auch nicht Besonderheiten auf, welche die Annahme rechtfertigten, mit Erlaß des Ausgangsbescheides sei die Meinung der Verwaltung abschließend festgelegt, Verfahrensmängel könnten daher nur durch erneuten Erlaß eines Erstbescheides, nicht jedoch im Widerspruchsverfahren geheilt werden. Das Schwerbehindertengesetz schließt das Widerspruchsverfahren nicht aus und verleiht ihm auch nicht eine Funktion, die von anderen, vom Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - erfaßten Verwaltungsverfahren im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I abweicht. Das könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die dem Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle (§ 41 SchwbG) eingeräumte Prüfungsbefugnis hinter der der Hauptfürsorgestelle, die den Ausgangsbescheid erlassen hat, zurückbliebe. Das ist indes nicht der Fall. Dem Widerspruchsausschuß obliegt es vielmehr, dieselbe Prüfung und dieselben Erwägungen anzustellen, wie sie bei Erlaß des Ausgangsbescheides angestellt werden müssen. Zu diesem umfassenden Prüfungsauftrag gehört selbstverständlich auch die Pflicht, alle inzwischen eingegangenen Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen, bei der Entscheidung über den Widerspruch zu erwägen und auf dieser Grundlage zugunsten des Schwerbehinderten zu entscheiden, soweit das Schwerbehindertengesetz dies zuläßt. Die Klägerin irrt daher, wenn sie meint, das Verwaltungsverfahren sei bereits mit Erlaß des Ausgangsbescheides beendet. Es endet vielmehr erst mit Erlaß des Widerspruchsbescheides. Diesen erläßt nicht eine von der Ausgangsbehörde verschiedene Widerspruchsbehörde (vgl. dazu BVerwGE 66, 184, 189) [BVerwG 14.10.1982 - 3 C 46/81]. Es entscheidet in beiden Fällen die Hauptfürsorgestelle.

27

Im übrigen verkennt die Klägerin mit ihrer gegenteiligen Auffassung, daß auch im Schwerbehindertenrecht Verfahrensvorschriften dienende Funktion haben. Das Schwerbehindertengesetz dient nicht allein den Interessen des Schwerbehinderten, die - wie dargelegt - durch die Möglichkeit einer Heilung von Verfahrensfehlern nicht in einer dem Gesetzeszweck widersprechenden Weise hintangestellt werden. Es ist vielmehr auch dazu bestimmt, die Interessen des Arbeitgebers, hier also des Beigeladenen, zu wahren. Dessen Interessen würden, ohne daß dies durch Belange des Schwerbehinderten hinreichend gerechtfertigt wäre, einseitig in den Hintergrund gedrängt, wollte man dem Schwerbehinderten den "Verfahrensvorteil", den er durch die unterlassene oder fehlerhafte Anhörung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG erlangt hätte, unbeschadet des weiteren Fortgangs des Widerspruchsverfahrens, namentlich ohne Rücksicht darauf erhalten, daß er darin seine Belange ausreichend hat wahren können.

28

Schließlich läßt sich auch § 15 SchwbG nicht als eine von den §§ 40 ff. SGB X abweichende Bestimmung im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I auffassen. Hiernach bedarf die arbeitsrechtliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen öffentlich-rechtlichen Zustimmung (Wirksamkeitserfordernis). Diese vom Schwerbehindertengesetz vorgesehenen Reihenfolge wäre auch dann eingehalten, wenn man der - bestrittenen - Rechtsauffassung folgen wollte, die Heilung von Verfahrensmängeln wirke nicht auf den Zeitpunkt zurück, zu dem der mit einem Verfahrensfehler behaftete Verwaltungsakt erlassen worden sei, sondern werde erst (ex nunc) mit Eintritt des Zeitpunktes bewirkt, in dem die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt werde (vgl. zum Streitstand Pickel, SGB Verwaltungsverfahren, Komm., § 41 Anm. 2: Fehler nur dann unbeachtlich, wenn aus dem Verwaltungsakt noch keine rechtlichen Folgerungen gezogen worden sind; Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 3. Aufl., § 45 Rdnr. 11 m. w. N. zum Streitstand: Heilung ex tunc). Diese Auffassung rechtfertigt nicht die Folgerung, es fehle im Sinne des § 15 SchwbG an der erforderlichen vorherigen Zustimmung zur (hier bereits am 28. Dezember 1990 ausgesprochenen) Kündigung, wenn diese verfahrensfehlerhaft erteilt und die gebotene Verfahrenshandlung erst nach Ausspruch der Kündigung nachgeholt worden sei. Denn das Schwerbehindertengesetz knüpft die Wirksamkeit einer Kündigung nicht an eine rechtmäßige, sondern nur an eine im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB X wirksame, wegen § 18 Abs. 4 SchwbG trotz eingelegten Widerspruchs vollziehbare Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Deshalb beginnt nach § 21 Abs. 5 SchwbG die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber kündigen muß, auch nicht erst mit der Bestandskraft der Zustimmung, sondern bereits in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem sie (gleich, ob rechtmäßig oder rechtswidrig) erteilt worden ist. Daß es nicht auf die Rechtmäßigkeit der Zustimmung ankommt, zeigt des weiteren § 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG. Hiernach darf der Arbeitgeber - unbeschadet der Begründetheit seines Zustimmungsantrages - das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen, wenn die Hauptfürsorgestelle innerhalb der dort bestimmten Zweiwochenfrist nicht entschieden hat. Die Kündigung verliert ihre Wirksamkeit erst dann, wenn die (erteilte oder fingierte) Zustimmung entweder durch bestandskräftige Widerspruchsentscheidung oder rechtskräftige Gerichtsentscheidung aufgehoben worden ist.

29

Mit der herrschenden Meinung (vgl. z. B. Neumann/Pahlen, Schwerbehindertengesetz, 8. Aufl., § 17 Rdnr. 19; Dörner, Schwerbehindertengesetz, § 17 Anm. I 1) nimmt der Senat daher an, daß eine fehlerhafte oder unterlassene Anhörung nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt werden kann. Diese Vorschrift greift zum Vorteil des Beigeladenen ein. Der Bescheid vom 20. Dezember 1990 ist nicht deswegen gemäß § 40 SGB X nichtig, weil der Beklagte vor Ablauf der von ihm selbst gesetzten Äußerungsfrist entschieden hat. Ein benannter Fall im Sinne des Abs. 2 dieser Bestimmung liegt nicht vor. Nichtigkeit ist auch nicht in Anwendung des Abs. 1 (Generalklausel) gegeben. Die hierfür, erforderliche Annahme, der Bescheid leide an einem besonders schwerwiegenden Mangel, der bei verständiger Würdigung offenkundig sei, ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich die Auffassung vertreten läßt, der Bescheid vom 20. Dezember 1990 beruhe nicht auf dem Unterlassen, Äußerungen der Klägerin zur Kenntnis zu nehmen, weil diese nicht innerhalb der gesetzten Frist eingegangen seien. Im übrigen schließt sich der Senat der herrschenden Meinung an, daß Anhörungsmängel grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Bescheides, sondern allenfalls zu dessen Rechtswidrigkeit führen können (vgl. z. B. BVerwGE 26, 145, 146 [BVerwG 08.02.1967 - V C 167/65]; BVerwG, ZBR 1990, 323; BayVGH, br 1988, 16; BSG, SozR 1200 Nrn. 2 und 4).

30

Die nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG erforderliche Anhörung der Klägerin ist auch als solche im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 3, § 24 Abs. 1 SGB X anzusehen, da die erstgenannte Bestimmung - wie oben dargelegt - nur die letztgenannte wiederholt.

31

Der Widerspruchsausschuß der Hauptfürsorgestelle hat die Anhörung (sollte sie fehlerhaft gewesen sein, weil die Zustimmung vor Ablauf der gesetzten Anhörungsfrist erteilt worden ist) mit heilender Wirkung nachgeholt. Aus den Ausführungen auf S. 2 und 4 f. des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 1991 ergibt sich, daß er das Schreiben der Klägerin vom 19. Dezember 1990 zur Kenntnis genommen und dessen Inhalt bei seiner Entscheidung erwogen hat. Er ist - wie noch dargelegt wird - zu Recht zu der Auffassung gelangt, die darin enthaltenen Ausführungen seien rechtlich unerheblich.

32

Der Widerspruchsausschuß hat diesen Mangel auch bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens wirksam behoben. Einer besonderen Verfahrenshandlung bedurfte es hierzu, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht (vgl. auch BVerwGE 66, 111, 114 [BVerwG 17.08.1982 - 1 C 22/81] und 66, 184, 189). Im übrigen hat der Beigeladene in seinem Schreiben vom 6. Februar 1991 auf die Möglichkeit einer Heilung hingewiesen. Es wäre daher Sache der Klägerin gewesen, eventuell weiter zur Sache vorzutragen; ausreichende Äußerungsfrist hatte sie dazu.

33

Die angegriffenen Bescheide sind auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

34

Zwischen den Beteiligten steht - zu Recht - außer Streit, daß die der Klägerin vorgeworfene geheimdienstliche Tätigkeit, aus der der Beigeladene die Befugnis zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ableitet, mit ihrer Schwerbehinderung nicht im Zusammenhang steht. Das hat nach § 21 Abs. 4 SchwbG zur Folge, daß die Zustimmung zur Kündigung ohne Eintritt in eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zu erteilen ist ("soll" ist "muß" im Regelfall), sofern es sich nicht um einen atypischen Sachverhalt handelt. Dieser liegt (nur) vor, wenn die Kündigung dem schwerbehinderten Arbeitnehmer im Vergleich - zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle der außerordentlichen Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangt (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 2. Juli 1992, DVBl. 1992, 1487 und 1490). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Anknüpfungspunkt für eine dahingehende Überlegung könnte allenfalls die Krebserkrankung der Klägerin sein. Das allein hebt sie aber - ebensowenig wie die Tatsache, daß sie alleinstehend ist und sich möglicherweise niemand um sie kümmert - nicht als atypischen Fall aus der Gruppe aller Schwerbehinderten heraus. Dies sind vielmehr Umstände, die allenfalls zum allgemeinen sozialen Interesse von Schwerbehinderten gehören, deretwegen Kündigungen vom Erfordernis vorheriger Zustimmung abhängig gemacht worden sind.

35

Der Senat hat auch nicht nachzuprüfen, ob der vom Beigeladenen behauptete Sachverhalt eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den zuletzt zitierten Entscheidungen die ständige Rechtsprechung des Senats gebilligt, daß diese Nachprüfung allein den Arbeitsgerichten obliegt. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn offensichtlich ist, daß der behauptete Grund zur außerordentlichen Kündigung nicht vorliegt. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Klägerin hat vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes eingeräumt, im genannten Zeitraum geheimdienstlich tätig gewesen zu sein. Es spricht dann - im Gegenteil - überwiegendes für die Annahme, dies rechtfertige selbst dann die fristlose Kündigung, wenn sie von 1975 bis 1989, d. h. während der gesamten Zeit ihrer geheimdienstlichen Tätigkeit, über den wahren Auftraggeber im Irrtum gewesen sein sollte.

36

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 167, 188 Satz 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil er das Risiko eigener Kostentragungspflicht nicht eingegangen ist, indem er einen Antrag nicht gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

37

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), sind nicht gegeben.

Klay
Zeisler
Claus