Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.11.1995, Az.: 9 L 752/93

Bebauungsplan; Erschließungsaufwand; Beitragslast; Heranziehungsbescheid; Erschliessungsbeitrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.11.1995
Aktenzeichen
9 L 752/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 14191
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1995:1129.9L752.93.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 02.04.1996 - AZ: BVerwG 8 B 45.96

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 8. Kammer - vom 8. Dezember 1992 geändert.

Der Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1991 und deren Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1991 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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I.

Die Klägerinnen sind ab Dezember 1990 Eigentümerinnen des 24.307 qm großen Flurstücks 80/17 gewesen. Das im Ortsteil ... der Beklagten gelegene Grundstück grenzte mit seiner östlichen Seite an die ... Straße. Die Fläche im Bereich des Grundstücks ist mit zwei mehrgeschossigen Bürogebäuden bebaut, die, von dieser Straße aus gesehen, hinter einer ausgedehnten Rasenfläche etwa 100 m weit zurückliegen. Außerdem grenzte das Grundstück mit seiner nördlichen Seite an die Straße "...". Es lag in einem als Gewerbegebiet ausgewiesenen Bereich des 1976 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 685 der Beklagten.

2

In der Zeit von 1965 bis Anfang 1968 wurde das Teilstück der ... Straße, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 685 zwischen der sie kreuzenden Straße "..." und der sie ca. 290 m südlich ebenfalls kreuzenden Eichelkampstraße liegt, mit einer Fahrbahn, beidseitigen Radwegen, einem an der östlichen Straßenseite verlaufenden, mit einem Plattenbelag versehenen Gehweg einschließlich einer Straßenbeleuchtung und einer Straßenentwässerungseinrichtung bautechnisch fertiggestellt; hierzu gehörte auch eine von der östlichen Straßenseite in ein Wohngebiet abzweigende, in einem Wendeplatz endende insgesamt 70 m lange Stichstraße.

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Am 18. Mai 1989 beschloß der Rat der Beklagten, daß der beitragsfähige Erschließungsaufwand für den vorstehenden Abschnitt der ... Straße unter Abspaltung der Kosten für die Befestigung des auf der westlichen Straßenseite verlaufenden Gehweges zu ermitteln und abzurechnen sei. Für diesen Fußweg, der lediglich einen Schotterbelag aufweist, wurde auch nicht die Notwendigkeit einer Befestigung in absehbarer Zeit gesehen (Beschl.-Drucks. 447/89). Gleichzeitig beschloß der Rat, daß der beitragsfähige Erschließungsaufwand für einen 235 m langen Abschnitt der Karlsruher Straße abzurechnen sei, der sich von der Eichelkampstraße bis zur ehemaligen Stadtgrenze gegenüber der Gemeinde Laatzen erstreckt und in den Jahren 1961/62 und 1984 in gleicher Weise wie das anschließende nördliche Teilstück bautechnisch hergestellt worden war, aber zusätzlich mit einem westlichen, ebenfalls mit einem Plattenbelag ausgestatteten Gehweg versehen worden ist.

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Bereits im Juli 1987 war bekanntgemacht worden, daß die ... Straße in den beiden vorgenannten Abschnitten dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden sei.

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Für den Ausbau der ... Straße zwischen der Straße "Am ..." und der Eichelkampstraße ermittelte die Beklagte nach Abzug eines 10 %igen Gemeindeanteils einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand von 393.349,68 DM. Mit einem Bescheid vom 17. Oktober 1991 setzte sie gegenüber den Klägerinnen für das Flurstück 80/17 einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 144.385,73 DM fest. Auf der Grundlage des vorgenannten Aufwandes ermittelte sie bei einer Gesamtverteilungsfläche von 132.439 qm einen Beitragssatz von 2,97 DM/qm. Den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Bescheid vom 10. Dezember 1991 (zugegangen am 12. 12. 1991) als unbegründet zurück.

6

Die Klägerinnen haben am 8. Januar 1992 Klage erhoben und unter anderem vorgetragen: Der Beschluß des Rates der Beklagten vom 18. Mai 1989, mit dem die ... Straße zwischen der Straße "Am ..." und der ehemaligen Stadtgrenze für die Abrechnung des Erschließungsaufwandes in zwei Abschnitte aufgeteilt worden sei, verstoße gegen das Willkürverbot. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ein noch bevorstehender Ausbau des westlichen Gehweges im nördlichen Straßenabschnitt eine zusätzliche Heranziehung bedeute, betrage der Unterschied in den Beitragslasten für den nördlichen und den südlichen Abschnitt ca. 30 % mit der Folge, daß der Ratsbeschluß über die Bildung von Abschnitten vom 18. Mai 1989 als rechtswidrig anzusehen sei.

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Die Klägerinnen haben beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1991 und deren Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1991 aufzuheben.

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Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat erwidert: Der von ihrem Rat am 18. Mai 1989 gefaßte Beschluß, in bezug auf die - in etwa gleichzeitig abgerechneten - Teilstücke der ... Straße erschließungsbeitragsrechtlich Abschnitte zu bilden, sei rechtmäßig, weil sich für die Anlieger des einen und des anderen Abschnittes im Verhältnis zueinander lediglich unerhebliche Unterschiede in den Beitragslasten ergäben. Zwar sei die Abrechnung hinsichtlich des Abschnittes der ... Straße zwischen der Eichelkampstraße und der ehemaligen Stadtgrenze insoweit zu korrigieren, als für die Flurstücke 92/14, 92/16, 92/8 und 91/1 bei der Ermittlung der jeweiligen Verteilungsfläche zusätzlich zum Nutzungsfaktor ein Artzuschlag (0,5) anzusetzen sei. Aber auch eine Vergleichsberechnung, die diesen Umstand sowie die geschätzten Kosten für die Herstellung des westlichen, im Abschnitt der ... Straße zwischen der Straße "Am Mittelfelde" und der Eichelkampstraße gelegenen Gehweges mit einem Plattenbelag in Höhe von 32.200,-- DM berücksichtige, führe zu dem Ergebnis, daß der Unterschieden der Beitragsbelastung lediglich 7,8 % betrage, nämlich bei einheitlicher Abrechnung beider Straßenteilstücke einen Beitragssatz von 2,96 DM/qm ausmache, während sich der Beitragssatz für den Abschnitt nördlich der Eichelkampstraße auf 3,19 DM/qm belaufe.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit einem Urteil vom 8. Dezember 1992 als unbegründet abgewiesen. Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß der Beschluß des Rates der Beklagten vom 18. Mai 1989 über die Bildung der beiden Abschnitte rechtlich einwandfrei und die Festsetzung des Erschließungsbeitrages auch sonst nicht zu beanstanden sei. Wegen der näheren Ausführungen wird auf die Gründe der Entscheidung verwiesen.

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Gegen das Urteil haben die Klägerinnen fristgerecht Berufung eingelegt.

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Im Rechtsmittelverfahren ist durch einen vom Senat beauftragten Richter eine Beweisaufnahme in Gestalt einer Ortsbesichtigung durchgeführt worden; wegen des Ergebnisses wird auf die entsprechende Niederschrift vom 15. Juni 1995 verwiesen.

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Mit einem Beschluß vom 28. August 1995 - 9 M 7687/94 - hat der Senat dem Antrag der Klägerinnen, die aufschiebende Wirkung der gegen den Heranziehungsbescheid gerichteten Klage hinsichtlich eines noch nicht gezahlten Teilbetrages anzuordnen, stattgegeben und ausgeführt: Es spreche überwiegendes dafür, daß der Beschluß des Rates der Beklagten vom 18. Mai 1989 rechtsfehlerhaft sei, soweit mit ihm für die Ermittlung und Abrechnung des Erschließungsaufwandes für die ausgebauten Teilstücke der ... Straße von der Straße "Am ..." bis zur Eichelkampstraße sowie von dieser Straße bis zur alten Stadtgrenze entsprechende Abschnitte gebildet worden seien. Es lasse sich nicht ernstlich bezweifeln, daß hinsichtlich des Erschließungsvorteils die Situation der Anlieger des Abschnittes der ... Straße zwischen der Straße "Am ..." und der ... Straße - nördlicher Abschnitt - im wesentlichen derjenigen der Anlieger des Abschnittes zwischen der Eichelkampstraße und der alten Stadtgrenze - südlicher Abschnitt - gleiche. Für den unter diesen Umständen entscheidungserheblichen Vergleich der Beitragslasten sei der umlagefähige Aufwand des von besonderen Kosten betroffenen Abschnittes dem sich bei einer einheitlichen Abrechnung ergebenden umlagefähigen Aufwand gegenüberzustellen. Die vom Rat der Beklagten beschlossene Bildung der Abschnitte führe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit deshalb zu einer unterschiedlichen, gegen das Willkürverbot verstoßenden Beitragsbelastung, weil diese Maßnahme zur Folge habe, daß von der Anliegergruppe des nördlichen Abschnittes allein Grunderwerbskosten in Höhe von 239.674,17 DM zu tragen seien, während nach der Ermittlung des Aufwandes für den südlichen Abschnitt derartige Kosten überhaupt nicht angefallen seien. Wegen der weiteren Ausführungen wird auf die Gründe des Senatsbeschluses vom 28. August 1995 verwiesen.

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Am 2. November 1995 hat der Rat der Beklagten beschlossen, "den beitragsfähigen Erschließungsaufwand für die Karlsruher Straße südlich der Straße Am ... mit Ausnahme der Kosten für die Befestigung des westlichen Gehweges ... gesondert zu ermitteln und abzurechnen (Kostenspaltung)." In der dem Ratsbeschluß zugrunde liegenden Beschluß-Drucksache Nr. 1110/95 hatte sich die Verwaltung der Beklagten unter anderem mit Rücksicht auf die vorgenannte Senatsentscheidung dafür ausgesprochen, damit jedenfalls dann die sachlichen Beitragspflichten in bezug auf den Erschließungsaufwand für die Herstellung der ... Straße entstehen würden.

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Im Hinblick auf den Ratsbeschluß vom 2. November 1995 haben die Klägerinnen mit einem am 28. November 1995 eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit es sich um die Festsetzung eines Erschließungsbeitrages in Höhe eines Teilbetrages von 137.219,68 DM handelt. Mit einem am folgenden Tage vor der mündlichen Verhandlung beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 29. November 1995 haben die Klägerinnen erklärt, daß sie ihre Erledigungserklärung vom Vortage widerriefen. In der Berufungsverhandlung hat die Beklagte dem Gericht einen Schriftsatz vom 29. November 1995 überreicht, mit dem sie den Rechtsstreit in Höhe eines Teilbetrages von 137.219,68 DM in der Hauptsache für erledigt erklärt.

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Nach den von der Beklagten in der Berufungsverhandlung überreichten Unterlagen und den hierzu von ihr gemachten Angaben haben sich die Eigentumsverhältnisse auf Seiten der Klägerinnen wie folgt verändert: Das ihnen gehörende ursprüngliche Flurstück 80/17 ist spätestens im September 1995 unter anderem in die im Eigentum der Klägerinnen stehenden Flurstücke 80/18 zur Größe von 6.139 qm, 80/22 zur Größe von 4.808 qm und 80/21 zur Größe von 5.382 qm aufgeteilt gewesen. Ein weiteres aus der Aufteilung hervorgegangenes Flurstück 80/20 zur Größe von 6.065 qm gehört spätestens seit September 1995 zu je einem Drittel den Miteigentümern ... aus ..., ... aus ... und ... aus ... Ferner ist infolge der Aufteilung die Wegeparzelle 80/19 zur Größe von 1.950 qm gebildet worden, die zwei - von der ... Straße bzw. von der Straße "Am ... ausgehende - sich rechtwinklig in einer verbreiterten Kreisfläche kreuzende Zuwegungen umfaßt und spätestens seit September 1995 in einem nach Bruchteilen bemessenen Miteigentum der Klägerinnen sowie der Herren ... und ... steht.

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Die Klägerinnen machen zur Begründung ihrer Berufung, deren Gegenstand nach dem zulässigen Widerruf der Erledigungserklärung der volle Erschließungsbeitrag sei, geltend: Erst mit dem Beschluß des Rates der Beklagten vom 2. November 1995 seien die Beitragspflichten für die ... Straße im Abschnitt von der Straße "Am ..." bis zur ehemaligen Stadtgrenze entstanden, soweit es um den Erschließungsaufwand für die fertiggestellten Teileinrichtungen der Straße gehe. Sei hiernach die Sachlage im Zeitpunkt des vorgenannten Ratsbeschlusses maßgebend, so komme es auf die veränderten Eigentumsverhältnisse an. Die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag, der auf das nicht mehr bestehende frühere Grundstück (Flurstück 80/17) entfalle, sei rechtsfehlerhaft.

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Die Klägerinnen beantragen,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält den Widerruf der Erledigungserklärung für unwirksam und erwidert in der Sache: Grundlage für die Abrechnung des Erschließungsaufwandes sei nach wie vor primär der am 18. Mai 1989 gefaßte Ratsbeschluß über die Bildung von Abschnitten. Die hiergegen vom Senat in dessen Beschluß vom 28. August 1995 erhobenen rechtlichen Einwände, die lediglich auf einer summarischen Überprüfung fußten, seien nicht begründet. Von einem Verstoß gegen das Willkürverbot könne nicht gesprochen werden, wenn der Beitragssatz pro qm Verteilungsfläche für die Anlieger des nördlichen Abschnittes der Karlsruher Straße nur ca. 7,5 % höher liege als der Beitragssatz, der sich bei einer einheitlichen Abrechnung des nördlichen und des südlichen Straßenabschnittes ergebe.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Hauptsacheverfahren und im Aussetzungsverfahren wird auf deren Schriftsätze verwiesen, wegen des sonstigen Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

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Dem Senat haben die Verwaltungsunterlagen zu den angefochtenen Bescheiden sowie zur Abrechnung des Erschließungsaufwandes für die ... Straße (im nördlichen und südlichen Abschnitt) vorgelegen.

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II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

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Die gegen den Heranziehungsbescheid vom 17. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1991 gerichtete Klage muß erfolglos bleiben. Bei der rechtlichen Beurteilung war davon auszugehen, daß die Festsetzung eines Erschließungsbeitrages in Höhe von 144.385,73 DM nach wie vor angefochten wird. Die Klägerinnen haben ihre sich auf einen Teilbetrag von 137.219,68 DM beziehende Erledigungserklärung rechtswirksam widerrufen und konnten zu dem uneingeschränkten Anfechtungsklageantrag zurückkehren. Ihre Erledigungserklärung ist gegenüber dem Berufungsgericht am 29. November 1995 vor der mündlichen Verhandlung widerrufen worden, ehe die Beklagte ihrerseits in der Verhandlung eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Unter diesen Umständen ist ein Widerruf rechtlich möglich. Eine von einem Beteiligten abgegebene Erledigungserklärung ist solange nicht bindend, wie der Prozeßgegner ihr nicht zugestimmt hat; für die Widerruflichkeit einer "einseitigen" Erledigungserklärung spricht entscheidend, daß allein durch sie - etwa im Unterschied zur Klagerücknahme - die Prozeßlage nicht abschließend gestaltet wird (BVerwG, Beschluß vom 20. 7. 1972 - IV CB 13.72 -, DÖV 1972, 796 unter Hinweis u.a. auf Maetzel, DÖV 1971, 615; BVerwG, Urteil vom 15. 11. 1991 - BVerwG 4 C 27.90 -, DVBl. 1992, 777 (778)). Vor dem Eintritt der Erledigung kann der bisherige Sachantrag wiederaufgenommen werden, was hier geschehen ist.

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Der Heranziehungsbescheid ist rechtswidrig, weil die Beklagte die dargestellten veränderten Eigentumsverhältnisse hätte berücksichtigen müssen, nachdem die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten für die hier in Rede stehende Herstellung der ... Straße erstmalig mit dem Ratsbeschluß vom 2. November 1995 entstanden waren; die Beklagte hätte der neuen, auch für die Beitragslast (§ 134 Abs. 2 BauGB) erheblichen Sachlage durch den Erlaß eines die Klägerinnen betreffenden Änderungsbescheides Rechnung tragen müssen.

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Der Beklagten kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, die sachlichen Beitragspflichten seien bereits mit dem Ratsbeschluß vom 18. Mai 1989 entstanden mit der Folge, daß die Fläche des - damals noch nicht aufgeteilten - Flurstückes 80/17 zur Größe von 24.307 qm der Ermittlung der für die Berechnung des Erschließungsbeitrages maßgebenden Verteilungsfläche zugrunde zu legen sei. Der erkennende Senat gelangt bei einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu der Feststellung, daß der vorgenannte Ratsbeschluß mit dem Willkürverbot nicht vereinbar ist und bereits deshalb nicht als eine rechtliche Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten angesehen werden kann. Er hält die von der Beklagten gegen seinen Beschluß vom 28. August 1995 - 9 M 7687/94 - erhobenen Einwände für nicht durchschlagend. Die Beklagte zieht nicht in Zweifel, daß, wie in der vorgenannten Entscheidung näher ausgeführt, in bezug auf den Erschließungsvorteil die Situation der Anlieger des Abschnittes der Karlsruher Straße zwischen der Straße "Am Mittelfelde" und der Eichelkampstraße - nördlicher Abschnitt - im wesentlichen derjenigen der Anlieger des Abschnittes zwischen der Eichelkampstraße und der alten Stadtgrenze - südlicher Abschnitt - gleicht. Das war auch im Zeitpunkt des Ratsbeschlusses vom 18. Mai 1989 über die Bildung der beiden Abschnitte erkennbar. Unter diesen Umständen kommt es darauf an, ob auf die Anliegergruppen als Folge einer abschnittsweisen Abrechnung Beitragslasten entfallen, die sich im Verhältnis der Gruppen zueinander erheblich unterscheiden (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 4. Aufl., § 14 RdNr. 24 (S. 289 f.)). Die Beantwortung dieser Frage erfordert, auf den vorliegenden Fall bezogen, die Ermittlung, ob der umlagefähige Aufwand für einen Abrechnungsabschnitt von besonderen Kosten betroffen ist, sowie den anschließenden Vergleich mit dem umlagefähigen Aufwand, der sich bei einer einheitlichen Abrechnung ergibt. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die ausschließlich für den nördlichen Abschnitt der Karlsruher Straße angefallenen Grunderwerbskosten 239.674,17 DM ausmachen, während die Kosten für die "Befestigung", d.h. für die bautechnische Herstellung der Teilanlagen (ausgenommen die Straßenbeleuchtung und Straßenentwässerungsanlage) für jeden der beiden Abschnitte der Größenordnung nach in etwa verhältnismäßig gleich sind, nämlich für das nördliche, ca. 290 m lange Straßenteilstück einschließlich der Stichstraße 160.853,07 DM, für das südliche 235 m lange Teilstück (bei Befestigung eines weiteren Gehweges) 134.871,15 DM betragen. Dieser Fall liegt unter dem hier maßgebenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt auf einer Linie mit denjenigen Fällen, in denen die Herstellung eines Straßenabschnittes etwa wegen eines felsigen Untergrundes oder wegen des Abrisses eines Gebäudes besondere Kosten verursacht (vgl. dazu Driehaus aaO, § 14 RdNr. 25). Unerheblich ist, daß die Kosten, auf denen die unterschiedliche Belastung beruht, nicht durch sichtbar gewordene bautechnische Maßnahmen bedingt, vielmehr als Folge von Rechtsgeschäften des Grunderwerbs entstanden sind. Dies hat der Senat im Beschluß vom 28. August 1995 - 9 M 7687/94 - näher dargelegt.

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Erfolglos wendet die Beklagte ein, bei der Beurteilung, ob wesentliche Unterschiede in der Beitragsbelastung vorlägen, komme es auf einen Vergleich der Beitragssätze pro qm Verteilungsfläche an, die sich bei einer Abrechnung des von Kosten betroffenen Straßenabschnittes und einer einheitlichen Abrechnung der gesamten Anlage ergäben. Der Senat hält demgegenüber an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Danach ist für die Prüfung, ob die Bildung von bestimmten Abschnitten - sofern die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 130 Abs. 2 Satz 2 BauGB erfüllt sind - gegen das Willkürverbot verstößt, die Frage der Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes entscheidend (Beschluß v. 18. 3. 1992 - 9 M 899/92 -, KStZ 1992, 172 (173)). Hingegen kann auf den unter Berücksichtigung der Gesamtverteilungsfläche ermittelten Beitragssatz nicht abgestellt werden. Die Gesamtverteilungsfläche setzt sich aus der Summe der Verteilungsflächen für die einzelnen durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zusammen, die ihrerseits aus der Grundstücksfläche sowie weiteren, Maß und Art der Grundstücksnutzung betreffenden Faktoren gebildet wird (vgl. § 6 der Erschließungsbeitragssatzung - EBS - der Beklagten vom 23. 6. 1987, ABl.RBHan. S. 959). Diese räumlichen und rechtlichen Gegebenheiten sind im vorliegenden Rechtszusammenhang nicht aussagekräftig. Sollte der sich bei einer abschnittsweisen Abrechnung für den nördlichen Abschnitt ergebende Beitragssatz pro qm Verteilungsfläche im Verhältnis zu dem Beitragssatz, der bei einer einheitlichen Abrechnung unter Berücksichtigung der - um die erschlossenen Grundstücke des südlichen Abschnittes - vergrößerten Gesamtverteilungsfläche ermittelt wird, noch in einem "vertretbaren Rahmen" halten, so ändert dies nichts daran, daß die Anliegergruppe des nördlichen Abschnittes der Karlsruher Straße infolge des Ratsbeschlusses vom 18. Mai 1989 wegen der sie allein treffenden sehr hohen Grunderwerbskosten eine Sonderbelastung zu tragen hat, für die auch zum damaligen Zeitpunkt ein rechtfertigender Grund nicht erkennbar war.

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Hiervon abgesehen kann der vorgenannte Ratsbeschluß auch deshalb keine Grundlage für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten sein, weil er durch den späteren Beschluß vom 2. November 1995 aufgehoben worden ist. Zwar hat der Rat der Beklagten keine förmliche Aufhebung beschlossen. Aber der Sache nach ist die frühere Entscheidung nicht mehr bestehen geblieben. Ausweislich der Niederschrift hat der Rat am 2. November 1995 den Beschluß gefaßt, "den beitragsfähigen Erschließungsaufwand für die Karlsruher Straße südlich der Straße Am Mittelfelde mit der Ausnahme der Kosten für die Befestigung des südlichen Gehweges ... gesondert zu ermitteln und abzurechnen." Damit hat er zugleich die mit Beschluß vom 18. Mai 1989 getroffene Entscheidung aufgehoben, den beitragsfähigen Aufwand für den Abschnitt der Karlsruher Straße zwischen der Straße "Am Mittelfelde" und der Eichelkampstraße einerseits sowie den beitragsfähigen Aufwand für den Abschnitt der Straße zwischen der Eichelkampstraße und der ehemaligen Stadtgrenze andererseits gesondert abzurechnen. Wäre es anders, so bestünde ein erheblicher Widerspruch, der die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten nach wie vor in Frage stellen würde. Nach der dem Ratsbeschluß vom 2. November 1995 zugrunde liegenden Beschluß-Drucksache Nr. 1110/95 war jedoch gewollt, zur Verringerung des für die Beklagte nach der Senatsentscheidung vom 28. August 1995 bestehenden Prozeßrisikos die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten auf eine einwandfreie Rechtsgrundlage zu stellen. Wenn die Beklagte im Berufungsverfahren geltend macht, der Ratsbeschluß vom 2. November 1995 sei lediglich neben den früheren Beschluß vom 18. Mai 1989 getreten, so vermag diese Einschätzung der Verwaltung nichts daran zu ändern, daß ein solches Ergebnis nach dem Inhalt des erstgenannten Ratsbeschlusses nicht gewollt war. Der dem Ratsbeschluß über die Bildung von Abschnitten vom 18. Mai 1989 anhaftende Rechtsmangel konnte auch noch in der Berufungsinstanz geheilt werden (vgl. dazu Driehaus, aaO, § 14 RdNr. 13 (S. 284 f.) mit Rechtsprechungsnachweisen).

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Die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten sind erst mit dem Ratsbeschluß vom 2. November 1995 entstanden. Demnach kommt es, was das einzelne der Beitragspflicht unterliegende Grundstück angeht, auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in diesem Zeitpunkt an. Anfang November 1995 bestand aber das 24.307 qm große Buchgrundstück der Klägerinnen, von dem die Beklagte bei der Festsetzung des Erschließungsbeitrages im Heranziehungsbescheid vom 17. Oktober 1991 ausging, nämlich das Flurstück 80/17, nicht mehr. Dieses Grundstück war inzwischen in mehrere kleine Buchgrundstücke aufgeteilt worden, von denen die Flurstücke 80/18, 80/22 und 80/21 allein im Eigentum der Klägerinnen standen. Diese Veränderung ist hier erheblich, weil in bezug auf die Buchgrundstücksverhältnisse die Gegebenheiten beim Entstehen der sachlichen Beitragspflicht maßgebend sind. Zu diesem Zeitpunkt wird auch eine auf dem betroffenen Grundstück ruhende entsprechende öffentliche Last (§ 134 Abs. 2 BauGB) begründet (Driehaus aaO, § 27 RdNr. 7). Dies erfordert, daß der Bescheid über die Festsetzung eines Erschließungsbeitrages auf den wahren Grundstücksverhältnissen fußt, die bei Entstehung der sachlichen Beitragspflicht gegeben sind. Mit der Bezeichnung des Grundstückes wird auch für den Beitragspflichtigen erkennbar das Ausmaß der dinglichen, der Beitragsforderung entsprechenden Belastung festgelegt. Den nunmehr gegebenen Eigentumsverhältnissen hätte die Beklagte durch den Erlaß eines entsprechenden Änderungsbescheides Rechnung tragen müssen, der das Flurstück 80/18 zur Größe von 6.139 qm und möglicherweise auch die über einen Privatweg - die Wegeparzelle 80/19 - von der Karlsruher Straße her erschlossenen Flurstücke 80/22 zur Größe von 4.808 qm und 80/21 zur Größe von 5.382 qm berücksichtigt. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß Tatsachen über diese Eigentumsverhältnisse im Kenntnisbereich der Klägerinnen liegen und deshalb für deren Mitwirkung bei der Sachaufklärung im gerichtlichen Verfahren (§ 86 Abs. 1 Satz 2. Halbsatz VwGO) bedeutsam sind. Da ein entsprechender Änderungsbescheid bisher nicht ergangen ist, kann die angefochtene Festsetzung des Erschließungsbeitrages rechtlich keinen Bestand mehr haben. Verhalten sich die Dinge so, dann kann der festgestellte Rechtsmangel nicht in der Weise geheilt werden, daß das Gericht von sich aus den auf die Klägerinnen entfallenden Erschließungsbeitrag ermittelt, indem es die neuen Grundstücks- und Eigentumsverhältnisse - soweit erheblich - berücksichtigt.

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Hiernach war der Berufung unter Änderung des angefochtenen Urteils stattzugeben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

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Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), sind nicht gegeben. Im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob der Ratsbeschluß vom 18. Mai 1989 über die Bildung von Abschnitten mit dem Willkürverbot vereinbar ist, stellen sich klärungsbedürftige Rechtsfragen jedenfalls deshalb nicht mehr, weil diese Entscheidung, wie dargelegt, durch den Ratsbeschluß vom 2. November 1995 aufgehoben worden ist.

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Dr. Hamannn

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Dr. Claaßen

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Niederau-Frey