Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 02.12.2004, Az.: 14 U 103/04
Haftungsverteilung beim Sturz eines Radfahres infolge verkehrswidrigem Verhalten anderer Radfahrer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 02.12.2004
- Aktenzeichen
- 14 U 103/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 24179
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:1202.14U103.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 29.03.2004 - AZ: 20 O 315/03
Rechtsgrundlage
- § 823 BGB
Fundstellen
- MDR 2005, 504 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2005, 50-51
- SVR 2005, 306
- VRR 2005, 42
Amtlicher Leitsatz
Haftungsverteilung (100 %), wenn ein Radfahrer beim Ausweichen vor zwei verkehrswidrig entgegenkommenden Radfahrern stürzt.
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 29. März 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.433,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2003 auf einen Betrag von 5.519,75 EUR zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 30. Juni 2000 zu ersetzen, soweit die materiellen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind und soweit die immateriellen Ansprüche noch nicht sicher vorhersehbar sind.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer übersteigt für keine der Parteien 20.000 EUR.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 20.000 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 30. Juni 2000 (nicht, wie irrtümlich in der Klagschrift und dem Tatbestand des angefochtenen Urteils angegeben ist, 2002) ereignet hat. Wegen der näheren Sachdarstellung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit welchem das Landgericht die Zahlungsansprüche im Wesentlichen abgewiesen und Feststellung (nur) nach einer Quote von 30 zu 70 % zu Lasten der Beklagten ausgesprochen hat. Wegen der Begründung im Einzelnen wird ebenfalls auf die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehr (soweit es abgewiesen worden ist) weiterverfolgt. Zu Unrecht habe das Landgericht ein Mitverschulden des Klägers angenommen, ein Verschuldensvorwurf (in erheblicher Form) sei vielmehr nur den Beklagten zu machen. Darüber hinaus habe das Landgericht das dem Kläger zustehende Schmerzensgeld deutlich zu niedrig angesetzt.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteiles,
- 1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 519,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2003 zu zahlen,
- 2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes angemessenes weiteres Schmerzensgeld - mindestens jedoch 18.000 EUR - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2003 zu zahlen,
- 3.
sowie festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 30. Juni 2000 zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil, wobei sie der Auffassung sind, dass ein Mitverschulden des Klägers eigentlich sogar mit 50 % anzusetzen sei und die gezahlten 7.000 EUR Schmerzensgeld ausreichend seien, zumal (so der Beklagte zu 2) die Verletzungsfolgen teilweise bestritten werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung erweist sich teilweise als begründet. Insbesondere ist mit dem Kläger davon auszugehen, dass angesichts der gegebenen und auch vom Landgericht zugrunde gelegten Sachlage von einer uneingeschränkten Haftung der Beklagten für die Folgen des Verkehrsunfalls (also ohne die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers) auszugehen ist. Allerdings rechtfertigt dies nicht das vom Kläger begehrte Gesamtschmerzensgeld von 25.000 EUR (7.000 EUR sind vorprozessual gezahlt worden), sondern nur ein Schmerzensgeld in der Gesamthöhe von 12.000 EUR, sodass dem Kläger aus diesem Gesichtspunkt weitere 5.000 EUR zustehen und er zudem die (der Höhe nach nicht streitigen) weiteren materiellen Schadenspositionen von 914,13 EUR und 519,75 EUR beanspruchen kann, was zusammengerechnet den zuerkannten Betrag ergibt.
1.
Der Auffassung des Landgerichts, dem Kläger sei hinsichtlich des Zustandekommens des Verkehrsunfalls ein Mitverschuldensanteil von 30 % anzulasten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Landgericht stützt diese Auffassung darauf, dass der Kläger erst im letzten Moment auf den Fußgängerweg ausgewichen sei und deshalb die erforderliche Vorsicht und Rücksicht gegenüber den Beklagten nicht beachtet habe. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt allerdings die vom Landgericht angenommene Haftungsquote nicht. Auf dem Radweg, auf welchem sich der Unfall ereignet hat, fuhr der Kläger vorschriftsgemäß und zulässigerweise, die Beklagten hingegen hatten dort angesichts der von ihnen gewählten Fahrtrichtung nichts zu suchen (sie fuhren auf dem links der Straße belegenen Radweg, also in die Gegenrichtung). Selbst wenn man dem Kläger vorwerfen wollte, durch ein Ausweichen (zu dem vorrangig sicher nicht er, sondern die Beklagten verpflichtet waren) auf den neben dem Radweg belegenen Fußweg (den er ja eigentlich auch nicht befahren durfte) zu spät reagiert zu haben (im selben Moment entschloss sich offenbar der Beklagte zu 1 zu einem ähnlichen Manöver), stellte dies allenfalls eine Fehlreaktion dar. Eine solche Fehlreaktion wäre aber gegenüber dem in mehrfacher Hinsicht vorsätzlich verkehrswidrigen Verhalten der Beklagten als nicht besonders schwer wiegend zu werten, sodass ein Vorwurf gegen den Kläger jedenfalls hinter dem gegen die Beklagten völlig zurücktreten muss: Die Beklagten befuhren den Radweg nämlich nicht nur aus egoistischen Motiven vorsätzlich in falscher Richtung, sondern unzulässigerweise auch noch nebeneinander und offenbar durch ein Gespräch vom übrigen Verkehrsgeschehen, insbesondere dem ihnen ordnungsgemäß fahrend entgegenkommenden Kläger, abgelenkt. Dadurch beschworen sie die kritische Situation erst herauf und es ist nicht gerechtfertigt, dass der Kläger einen Teil seines Schadens selbst trägt.
2.
Allerdings rechtfertigen die vom Kläger erlittenen Verletzungen auch unter Berücksichtigung der weiteren, für die Schmerzensgeldbemessung zu beachtenden Gesichtspunkte kein höheres Schmerzensgeld als einen Gesamtbetrag von insgesamt 12.000 EUR. Die vom Kläger erlittenen Verletzungen hat das Landgericht zutreffend beschrieben. Im Wesentlichen handelt es sich um einen dislozierten Armbruch in Gelenknähe sowie ein im Rahmen der Behandlung hinzugetretenes Intubationsgranulom, beides zusammen hat eine vergleichsweise lange Behandlungszeit erfordert. Diese Verletzungen, die der Kläger durch Vorlage von Attesten und Gutachten hinreichend belegt hat (vgl. etwa Bl. 24 ff. d. A.) und von denen der Senat trotz des teilweisen Bestreitens durch den Beklagten zu 2 ausgeht, rechtfertigen einen höheren als den vom Landgericht angenommenen Betrag. Dies gilt schon deswegen, weil, was für die Schmerzensgeldbemessung als einer von mehreren Faktoren zu berücksichtigen ist, dem Kläger ein eigener Mitverschuldensvorwurf nach dem oben Gesagten ja nicht zu machen ist.
Im Übrigen erlaubt sich der Senat darauf hinzuweisen, dass diejenigen Entscheidungen aus der Vergleichsrechtsprechung, die das Landgericht zitiert hat, für die Bemessung des dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldes größtenteils ersichtlich nicht heranzuziehen sind, denn sie betreffen gänzlich andere Verletzungen und Vorgänge (das Landgericht hat aus der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, 22. Aufl., u. a. die lfd. Nrn. 1420, 1476 und 1485 zitiert, die jedoch einen Vergewaltigungsfall, eine klaffende Bisswunde nach Hundebiss bzw. einen beiderseitigen Schädelbasisbruch betreffen und mit dem vom Kläger erlittenen Armbruch auch nicht im Ansatz vergleichbar sind).
Insbesondere angesichts dessen, dass der vom Kläger erlittene Bruch des Speichenknochens in Gelenknähe stattfand und einen, wenn auch derzeit nicht allzu schwer wiegenden, Dauerschaden verursacht hat, sowie unter Berücksichtigung der langwierigen und belastenden Beeinträchtigungen, die der Kläger durch das aufgetretene Intubationsgranulom erlitten hat (dies erforderte sogar eine logopädische Behandlung des seinerzeit gut 40 Jahre alten Klägers), erscheint dem Senat der zuerkannte Gesamtbetrag von 12.000 EUR angemessen, von dem vorprozessual gezahlte 7.000 EUR in Abzug zu bringen waren.
3.
Angesichts der oben erörterten Haftungsverteilung (uneingeschränkte Haftung der Beklagten) war der Feststellungsausspruch des Landgerichts entsprechend abzuändern.
4.
Die Kostenentscheidung folgt § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat mit Blick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Bei der (von der Bewertung durch das Landgericht im ersten Rechtszug abweichenden) Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren hat der Senat den über die zu berücksichtigenden Zahlungsanträge von 18.000 EUR und 519,75 EUR hinausgehenden Betrag für den Feststellungsantrag angenommen. Dieser war nicht, wie in erster Instanz geschehen, als Bruchteil der Forderungshöhe der bisherigen Forderungen zu bewerten, da die Feststellung nicht diese betrifft, sondern etwaige Zukunftsschäden, zu deren konkreter Bewertung (derzeit sind sie nicht aktuell) nichts weiter mitgeteilt worden ist.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer übersteigt für keine der Parteien 20.000 EUR.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 20.000 EUR.