Landgericht Hannover
Urt. v. 08.01.1997, Az.: 1 S 73/96

Rechtmäßigkeit der Annahme der Erstreckung der Rechtsschutzversicherung auch auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen; Vorliegen eines Versicherungsfalles

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
08.01.1997
Aktenzeichen
1 S 73/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14477
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:1997:0108.1S73.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 06.02.1996 - AZ: 541 C 15575/95

Fundstellen

  • JurBüro 1998, 87-88
  • NZA-RR 1998, 228-229 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Leistung aus einer Rechtschutzversicherung

In dem Rechtsstreit
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 1996
durch
den ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. Februar 1996 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover - 541 C 15575/95 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

1

- Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen. -

2

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat sie zu Recht zur Zahlung von 1.910,96 DM nebst Zinsen verurteilt.

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Dieser Anspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 1 (1), 2 (1) a. 14 (3) ARB i.V. m. der vom Kläger bei der Beklagten unterhaltenen Rechtsschutzversicherung.

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Diese Rechtsschutzversicherung erstreckt sich auch auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen. Gemäß § 1 Abs. 1 ARB sorgt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalles für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und trägt dessen hierzu aufzuwendende Kosten, zu denen nach § 2 Abs. 1 a ARB auch die gesetzliche Vergütung des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes gehört. Maßgeblich für die Eintrittspflicht in diesem Umfang ist das Vorliegen eines Versicherungsfalles. Diesen bestimmt § 14 Abs. 3 ARB dahin, daß der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten gilt, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

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Diese Voraussetzungen Hegen für den Bereich der anwaltlichen Tätigkeit der vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte, nämlich die Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Aufhebungsvertrages, vor.

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Auch nach Auffassung der Beklagten ist ein Versicherungsfall i. S. von § 14 Abs. 3 ARB insoweit gegeben, als der Kläger von dem Geschäftsführer seiner damaligen Arbeitgeberin in Form einer versuchten Nötigung aufgefordert worden ist, einen Auflösungsvertrag zu schließen, weil "ansonsten seine Arbeitgeberin schon Mittel und Wege finden würde, das Arbeitsverhältnis kurzfristig aus verhaltensbedingten Gründen zu kündigen." Entgegen der Auffassung der Beklagten erstreckt sich die für die Eintrittspflicht der Beklagten maßgebliche notwendige rechtliche Interessenwahrnehmung des Klägers gegenüber der Vertragspflichtverletzung seiner ehemaligen Arbeitgeberin nicht darauf, die versuchte Nötigung abzuwehren. Vielmehr erstreckt sich die notwendige Interessenwahrnehmung auch darauf, dem vertragswidrigen Drängen der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses dadurch zu begegnen, besonders günstige Möglichkeiten für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auszuhandeln. Wenn die Vertragspflichtverletzung des Arbeitgebers auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Ganzen zielt, ist Versicherungsfall i. S. von § 14 Abs. 3 ARB die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Durch diese Auseinandersetzung ist adäquat kausal bedingt, daß die Parteien des Arbeitsvertrages sich vergleichsweise in Form eines Aufhebungsvertrages einigen. Der Arbeitnehmer gibt dabei insoweit nach, als er letztlich in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einwilligt. Das Nachgeben des Arbeitgebers liegt darin, Leistungen für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu gewähren.

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Anders liegt der Fall z. B. dann, wenn der Arbeitgeber gegen Vertragspflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstößt, ohne den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Ganzen antasten zu wollen. Dann ist Versicherungsfall i. S. von § 14 Abs. 3 ARB nicht der Streit um den Bestand des Arbeitsverhältnisses als solchem, sondern nur die gesondert zu sehende Vertragspflichtverletzung des Arbeitgebers mit der Auswirkung auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses. Bei diesem Streit wäre die rechtliche Beratung über den Abschluß und die Gestaltung eines Aufhebungsvertrages nicht notwendig i. S. von § 1 Abs. 1 ARB und könnten auf eine derartige Beratung entfallenden Rechtsanwaltskosten nicht erstattet verlangt werden.

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Wie bereits angesprochen, zielte im vorliegenden Fall die auch von der Beklagten eingeräumte Vertragspflichtverletzung der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers darauf, daß Arbeitsverhältnis im Ganzen zu beenden. Im Zusammenhang mit diesem Versicherungsfall i. S. von § 14 Abs. 3 ARB durften die vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte diesen im Rahmen der notwendigen Interessenwahrung des § 1 Abs. 1 ARB auch hinsichtlich der Gestaltung und des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages beraten, so daß die darauf entfallenden Rechtsanwaltskosten nach § 2 Abs. 1 a ARB von der Beklagten zu erstatten sind. Die Höhe der Anwaltskosten für diese Tätigkeit sind in der Kostennote der ... vom 20. Januar 1995 in Höhe von 2.593,25 DM zutreffend berechnet. Die Höhe der Rechtsanwaltskosten bezogen auf die Gestaltung und den Abschluß eines Aufhebungsvertrages wird von der Beklagten nicht bestritten. Nach Abzug der von der Beklagten gezahlten 582,29 DM und der Selbstbeteiligung des Klägers in Höhe von 100,00 DM verbleiben 1.910,96 DM, die die Beklagte noch zu zahlen hat.

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Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit deshalb, weil der Kläger gegen die Obliegenheit aus § 15 Abs. 1 a ARB zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung des Versicherers verstoßen habe. Eine unvollständige oder wahrheitswidrige Unterrichtung kann nicht festgestellt werden. Soweit die Beklagte eine Obliegenheitsverletzung in dem Bestreiten einer "Eigeninitiative" des Klägers zum Abschluß des Aufhebungsvertrages im Schriftsatz vom 14. November 1986 sieht, ist dieses Vorbringen dahin zu verstehen, daß die Überlegungen des Klägers zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages erst durch das vertragswidrige Ansinnen seiner damaligen Arbeitgeberin zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlaßt worden sind und er nicht etwa zuvor aus eigenen Stücken an seine Arbeitgeberin herangetreten ist, das Arbeitsverhältnis durch einen Auflösungsvertrag zu beenden.

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Da das Rechtsmittel der Beklagten keinen Erfolg hat, hat sie die Verfahrenskosten nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.