Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.12.2012, Az.: 9 A 4772/11

baulich nutzbar; begrenzte Erschließungswirkung; öffentliche Verkehrsfläche; Straßenausbaubeitrag; übergroßes Grundstück; Verkehrsfläche

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.12.2012
Aktenzeichen
9 A 4772/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44538
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein auf einer öffentlichen Verkehrsfläche stehendes Geschäftsgebäude kann einen besonderen Vorteil durch eine Straßenausbaumaßnahme genießen.
2. Für diesen Fall hat eine Straßenausbaubeitragssatzung eine Verteilungsregelung vorzusehen.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe

von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger

zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen für den Ausbau der Siebstraße.

Der Kläger ist Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft D., die Eigentümerin des Grundstücks Marienstraße  ist. Das Grundstück ist mit einem an der Marienstraße gelegenen Geschäftshaus und einem damit baulich verbundenen, an der Rückseite des Grundstücks im Süden stehenden „Gartenhaus“ in ganzer Breite bebaut. Südlich an das Grundstück des Klägers grenzt das Grundstück Siebstraße  (Flurstück E.), das seinerseits an der parallel zur Marienstraße verlaufenden Siebstraße liegt. Die Siebstraße verbindet die Höltystraße mit dem Aegidientorplatz. Durch das im Jahr 2004 an der Siebstraße errichtete - an die Stelle eines öffentlichen Parkplatzes getretene - Gebäude Siebstraße  führt eine Zufahrt. Zu Gunsten des klägerischen Grundstücks besteht eine 2003/2005 bewilligte Grunddienstbarkeit (Nutzungsrecht für Zu- und Abgangsverkehr) an dem Grundstück Siebstraße . Im Norden dieses Grundstück liegt eine zu der Zufahrt zur Siebstraße und einer weiteren Zufahrt zur Höltystraße orientierte Wegefläche. Von der Wegefläche besteht ein Zugang zum „Gartenhaus“ auf dem Grundstück des Klägers. In das Gebäude führt eine als Nr.  gekennzeichnete Eingangstür mit der Aufschrift "Zugang freihalten!". Darüber befindet sich ein Piktogramm, das einen Abschleppvorgang darstellt. Neben der Tür ist ein Klingelschild angebracht.

Im Bebauungsplan Nr. 1331 der Beklagten sind

- das Grundstück Siebstraße  und das Grundstück des Klägers als Kerngebiet festgesetzt,

- die von der Siebstraße auf das Grundstück Siebstraße  durch das dortige Gebäude führende Zufahrt als Straßenverkehrsfläche sowie die Wegefläche auf dem Grundstück als eine mit Geh- und Fahrrechten versehene, zu Gunsten der Anlieger belastete Fläche festgesetzt,

- westlich des westlich an das Gebäude Siebstraße 4 anschließenden Gebäudes Aegidientorplatz  (Flurstücke F. und G.) eine „Straßenverkehrsfläche überlagert mit einem Baugebiet; Bebauung ab 1. Obergeschoss“ und zwischen dem Baugebiet und dem Haus Aegidientorplatz  ein „Transparentes Flugdach“ über einer „Straßenfläche mit zulässiger Überbauung“ festgesetzt. Das Baugebiet besteht aus einem frei vor dem Gebäude oberhalb des Gehwegs angeordneten Baufenster mit einer Brücke zu dem Gebäude Aegidientorplatz  und ist als vom ersten bis zum sechsten Geschoss bebaubares Kerngebiet ausgewiesen.

Die Gebäude Siebstraße 4 und Aegidientorplatz , das Flugdach sowie der davor auf Stützen in dem Baugebiet oberhalb der Straßenverkehrsfläche stehende Baukörper (künftig: Hängehaus) - bezeichnet als „Torhaus am Aegi“ - wurden 2004 genehmigt. Laut Baugenehmigung Nr. H. besteht das Baugrundstück aus den Flurstücken:

Flur der Gemarkung Hannover

Flurstück

Fläche

Eigentümer

Adresse
(eig. Anfügung)

40    

I.    

18158 m²

Landeshauptstadt Hannover

Straßenkörper Aegidientorplatz

29    

J.    

36890 m²

Landeshauptstadt Hannover

Straßenkörper Hildesheimer Straße

29    

F.    

329 m²

Allianz Versicherung

Aegidientorplatz  nördlicher Teil

29    

G.    

733 m²

Landeshauptstadt Hannover

Aegidientorplatz  südlicher Teil

29    

E.    

1083 m²

Landeshauptstadt Hannover

Siebstraße

Das „Hängehaus“ ist nicht von dem Aegidientorplatz selbst, sondern nur über das Gebäude Aegidientorplatz  erreichbar.

Die Beklagte baute 2007 die spätestens 1958 hergestellte - und hinsichtlich der Fahrbahn 1976 erneuerte - Siebstraße von Osten her zwischen der Höltystraße und der Hildesheimer Straße mit einer Fahrbahn und dem südlichen Gehweg sowie den Anschluss an die Höltystraße aus. Auf der der Hildesheimer Straße zugewandten Strecke der Siebstraße legte die Beklagte 2007 eine auch dem Fahrradverkehr eröffnete Gehwegfläche ohne Fahrbahn an. Der südliche Gehweg erhielt einen verstärkten Unterbau und die Fahrbahn zwei Schichten aus Asphaltbinder und eine Deckschicht.

Mit Bescheid vom 04.10.2011 setzte die Beklagte einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 1.373,90 € gegen den Kläger fest. Bei der Ermittlung der Gesamtkosten ließ die Beklagte die Herstellung des Bürgersteigs auf der Nordseite und der Beleuchtung außer Betracht. Unberücksichtigt blieben ferner Kosten, die durch die Beschädigung des Mischwasserkanals entstanden waren.

Am 31.10.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Sein Grundstück sei nicht bevorteilt. Es sei ausschließlich von der Marienstraße aus erschlossen. Auf seiner Rückseite befinde sich ein privater Zugangsweg des Grundstücksnachbarn K., der ein Bürogebäude in der Siebstraße  errichtet habe. Eine Grunddienstbarkeit zu seinen Gunsten habe er weder beantragt noch daran mitgewirkt. Mit Fahrzeugen könne auf sein Grundstück ohnehin nicht von der Siebstraße gefahren werden. Außerdem sei die Siebstraße vollständig ausgebaut gewesen. Erst der Neubau des „Torhauses am Aegi“ habe die Straßeneinrichtung entfernt. Ein Ausbau des südlichen Gehwegs mit verstärktem Unterbau sei ohne den Bürobau nicht notwendig gewesen. Die Fahrbahn der Siebstraße sei vor dem Ausbau asphaltiert und ohne Schäden gewesen. Das Ausbringen von Asphaltschichten bringe keinen Vorteil gegenüber dem bisherigen Zustand.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Grundstück des Klägers sei bevorteilt, weil es eine gesicherte Zugangsmöglichkeit über das Grundstück Siebstraße  habe. Der Verschleiß der abgerechneten Teile der Anlage sei durch die bestimmungsgemäße Nutzung erfolgt. Hierzu gehörten auch Baufahrzeuge und die Verlegung von Versorgungsleitungen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Kläger kann die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 04.10.2011 begehren, denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte kann die Heranziehung des Klägers nicht auf § 6 NKAG i.V.m. § 1 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 6 NKAG für straßenbauliche Maßnahmen in der Landeshauptstadt Hannover (Straßenausbaubeitragssatzung) vom 19.03.1992 (Amtsblatt Regierungsbezirk Hannover Seite 258) in der Fassung der Änderungssatzung vom 21.03.2002 (Amtsblatt Regierungsbezirk Hannover Seite 399) - SABS - stützen. Danach erhebt die Beklagte zur Deckung ihres Aufwandes für die Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen Straßen Beiträge von Grundstückseigentümern, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche Vorteile bietet.

Die Heranziehung des Klägers scheitert aber nicht bereits daran, dass sein Grundstück Marienstraße  nicht von der Verbesserung bzw. Erneuerung der Siebstraße profitiert. Der Kläger kann mit dem Einwand nicht durchdringen, der Ausbau der Straße habe grundsätzlich keinen Vorteil gebracht, denn die Siebstraße sei bereits vollständig ausgebaut gewesen und erst der Bau des „Torhauses am Aegi“ habe die Straßeneinrichtung entfernt. Hinsichtlich des südlichen Gehwegs liegt eine Verbesserung bereits darin, dass dieser eine Frostschutzschicht erhielt, die ihm bislang nach den Unterlagen der Beklagten fehlte. In der Baumaßnahme der Beklagten an dem Gehweg und der Fahrbahn liegt zudem eine beitragsrechtliche Verbesserung. Dies gilt auch für den Fall, den der Kläger annimmt, dass sich der Zustand der beiden Teileinrichtungen durch den Baustellenverkehr anlässlich der Errichtung des „Torhauses am Aegi“ verschlechtert hätte. Die Belastung einer Straßenanlage mit Schwerlastverkehr für die Dauer der Durchführung eines Bauvorhabens auf einem anliegenden Grundstück gehört zum „Lebensschicksal” der Straße. Sie steht der Erhebung von Beiträgen für eine nach Ablauf der üblichen Lebensdauer einer solchen Anlage vorgenommene grundlegende Erneuerung nicht entgegen, auch wenn der tatsächliche Eintritt der Erneuerungsbedürftigkeit maßgeblich durch die Belastung mit dem Baustellenverkehr gefördert worden ist (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 25.05.2009 - 5 D 1060/09 -, NVwZ-RR 2009, 821 [OVG Nordrhein-Westfalen 24.04.2009 - 15 A 981/06]; OVG Münster, Beschluss vom 07.12.2007 - 15 B 1837/07 -, juris; OVG Münster, Beschluss vom 21.08.2007 - 15 B 870/07 -, juris; VG Hannover, Urteil vom 25.01.2001 - 4 A 2844/00 -, BeckRS 2001, 31003523). Ist - wie hier - seit der Herstellung spätestens 1958 die übliche Nutzungsdauer abgelaufen, ist die Beitragsfähigkeit einer Erneuerungsmaßnahme daher auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Erneuerungsbedürftigkeit auch auf Kanalbauarbeiten zurückgeht (vgl. VGH München, Urteil vom 14.07.2010 - 6 B 08.2254 -, BeckRS 2011, 46501).

Der Kläger kann auch mit dem Einwand nicht durchdringen, sein Grundstück genieße von der Siebstraße keinen Vorteil. Hiergegen spricht das ihm auf dem Grundstück Siebstraße  eingeräumte Geh- und Fahrrecht, das zu seinen Gunsten im Grundbuch eingetragen ist. Solange dieses durch die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1331 vorgesehene Recht besteht, ist der Zugang von dem Grundstück des Klägers zur Siebstraße gesichert und damit seine Bevorteilung gegeben.

Die Heranziehung des Klägers scheitert in dem hier vorliegenden Sonderfall aber daran, dass anhand der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten das Abrechnungsgebiet nicht bestimmt werden kann und deshalb eine Handhabe fehlt, den letztlich von dem Kläger zu leistenden Betrag der Höhe nach zu bestimmen.

Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG sind die Ausbaubeiträge nach den Vorteilen zu bemessen. Das bedeutet, dass alle Kommunalabgabensatzungen einen Maßstab zu enthalten haben, nach dem der umlagefähige Aufwand auf die Beitragspflichtigen verteilt wird (Driehaus, Erschließungs- und Straßenausbaubeiträge, 9. Aufl., § 30, Rn. 35). Für alle begünstigten Grundstücke muss ein Verteilungsmaßstab bestehen. Ein solcher fehlt jedoch für die Grundstücke der Beklagten, auf denen das „Hängehaus“ des „Torhauses am Aegi“ mit dem Flugdach steht (Aegidientorplatz, Flur 40, Flurstück I., und Hildesheimer Straße, Flur 29, Flurstück J.).

Die Berücksichtigung auch dieser Grundstücke fordert die Beitrags- bzw. Vorteilsgerechtigkeit. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG hat die Beklagte „Beiträge von den Grundstückseigentümern (zu) erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche Vorteile bietet“. Maßgeblich ist also eine vorteilsbehaftete Grundstücksnutzung. Die mit dem „Hängehaus“ und dem Flugdach bebauten Grundstücke genießen „besondere wirtschaftliche Vorteile“. Sie können nicht nur als Straßenverkehrsfläche genutzt werden. Sie sind zugleich nach dem Bebauungsplan Nr. 1331 entweder als eine "Straßenverkehrsfläche überlagert mit einem Baugebiet", nämlich einem vom 1. bis 6. Geschoss bebaubaren Kerngebiet, festgesetzt („Hängehaus“) oder teilweise als eine „Straßenverkehrsfläche mit einer zulässigen Überbauung“ und „transparentem Flugdach“. Entsprechend ist das „Hängehaus“ als Geschäftshaus genutzt und die Grundstücke der Beklagten unterscheiden sich insoweit in der baulichen Nutzung nicht von den anderen herangezogenen Grundstücken. Dies gilt auch für das Flugdach, dessen Bedeutung sich nicht in der Überdachung der darunter liegenden Straßenverkehrsfläche erschöpft, sondern das aus Gründen der Baustatik erforderlich ist, um das auf Stützen stehende „Hängehaus“ mit dem „Haupthaus“ Agidientorplatz  zu verbinden und so vor dem Umsturz zu bewahren. Insoweit wird (wie bei dem Grundstück Siebstraße  mit einer entsprechenden Festsetzung) die von dem Dach abgedeckte Grundstücksfläche nicht lediglich für den Straßenverkehr, sondern auch für die darüber liegenden Baulichkeiten genutzt.

Öffentliche Verkehrsflächen werden von einer ausgebauten Anlage zwar grundsätzlich nicht bevorteilt, dies gilt im vorliegenden Sonderfall aber gerade nicht. Der grundsätzliche Ausschluss von öffentlichen Verkehrsflächen beruht auf der Rechtsprechung zum Erschließungsbeitragsrecht. Danach genießen diejenigen Grundstücke einen Erschließungsvorteil nicht, die auf Dauer nicht Gegenstand einer Beitragspflicht sind, weil sie „unfähig“ sind, jemals „baureif“ zu werden bzw. - hier einschlägig - Grundstücke, auf denen nur eine „unterwertige Nutzung“ möglich ist oder solche, für die der Bebauungsplan z. B. (öffentliche) Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) festsetzt (BVerwG, Urteil vom 23.10.1996 - 8 C 40/95 -, BVerwGE 102, 159; für das Ausbaubeitragsrecht: OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.11.1995 - 9 L 6406/93 -, NST-N 1996, 22; zusammenfassend auch Nds. OVG, Urteil vom 27.04.2010 - 9 LC 271/08 - „Wennigser Bahnhof“; Urteil der Kammer vom 24.10.2011 - 9 A 91/11 - „Wunstorfer Bahnhof“; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 17, Rn. 22; § 35, Rn. 32 f.). Die Herausnahme von Verkehrsflächen aus dem Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke kann zur Überzeugung des Gerichts nur dann Platz greifen, wenn diese Verkehrsflächen wie im Regelfall nicht bebaut werden bzw. nur „unterwertig“ genutzt werden können. Die Grundstücke der Beklagten sind aber in dem hier betroffenen Sonderbereich nicht lediglich öffentliche Verkehrsflächen, sondern sie sind gerade durch den Bebauungsplan teilweise „baureif“ gemacht worden und bilden bauplanungsrechtlich ein Kerngebiet. Bei der Betrachtung, ob ein Grundstück durch einen Bebauungsplan „baureif“ gemacht ist, kann zur Überzeugung der Kammer nicht lediglich die ebenerdige Fläche einbezogen werden, sondern die Grundstücksnutzung muss insgesamt in den Blick genommen werden, also auch die Nutzung darüber und darunter.

Die bauliche Nutzung der Grundstücke der Beklagten erfährt auch von der ausgebauten Anlage, der Siebstraße, einen hier beachtlichen Vorteil, obwohl das „Hängehaus“ an der Siebstraße nicht unmittelbar anliegt. Denn das „Hängehaus“ und das Flugdach sind keine ohne die Bebauung des Grundstücks Aegidientorplatz  und Siebstraße  denkbaren Baukörper. Sie setzen konstruktiv die Verbindung mit dem „Haupthaus“ Agidientorplatz  voraus. Das „Hängehaus“ kann nur über dieses an der Siebstraße liegende und damit von dem Ausbau begünstigte „Haupthaus“ erreicht werden. „Hängehaus“ und Flugdach sind auch in der Baugenehmigung Nr. H. gemeinsam mit den Gebäuden Aegidientorplatz  und Siebstraße  genehmigt worden. Diese weist entsprechend der Festsetzung des Bebauungsplans sämtliche von den Gebäudeteilen des „Torhaus am Aegi“ beanspruchten Grundstücksflächen, also auch die des „Hängehauses“ und des Flugdaches, als (ein) „Baugrundstück“ aus.

Obwohl die Vorteilsgerechtigkeit die Berücksichtigung der Grundstücke der Beklagten verlangt, gibt die Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten keine Handhabe, sie am Ausbauaufwand zu beteiligen. Nach § 5 SABS bilden die Grundstücke, deren Eigentümern durch die Inanspruchnahme der ausgebauten Einrichtung besondere wirtschaftliche Vorteile geboten werden, das Abrechnungsgebiet. Diese Grundstücke definiert § 6 Abs. 1 Satz 1 SABS als „berücksichtigungsfähige Grundstücke“.

Die Grundstücke der Beklagten gehören nicht zu den „berücksichtigungsfähigen Grundstücken“ i. S. v. §§ 5 und 6 SABS. Die Vorschrift trifft keine Regelung für Flächen, die zugleich Verkehrsanlage und baulich nutzbar sind. Ihre Anwendung würde im Wortsinn zu unsinnigen Ergebnissen führen. § 6 Abs. 3 SABS nennt verschiedene berücksichtigungsfähige Grundstücke; hier kommen nur solche, die „baulich oder gewerblich“ nutzbar sind, in Betracht, denn die Grundstücke der Beklagten sind ausweislich der Planfestsetzung sowohl als Verkehrsfläche als auch auf einer kleinen Teilfläche uneingeschränkt baulich nutzbar.

Streng am Wortlaut orientiert sieht § 6 Abs. 3 Nr. 1 SABS bei einer im Bebauungsplan geregelten (hier: „Kerngebiet“) und auch nur teilweisen baulichen Nutzbarkeit eines Grundstücks die Berücksichtigung der „Gesamtfläche des Grundstücks mit Ausnahme der unter Abs. 4 Nr. 2 genannten Flächen“ vor. Das hieße, da keine der Ausnahmen nach § 6 Abs. 4 Nr. 2 SABS in Betracht kommt, für die Grundstücke der Beklagten die Berücksichtigung der Flächen des Aegidientorplatzes (Flur 40, Flurstück I.) mit 18.158 m² und der Hildesheimer Straße (Flur 29, Flurstück J.) mit 36.890 m² als bebaubar. Damit wäre es ohne Bedeutung, dass das von der Satzung zum Anknüpfungspunkt genommene Baugrundstück nur eine sehr kleine Fläche einnimmt und eine Bebauung der Grundstücke darüber hinaus ihrer Aufgabe als Verkehrsanlagen entgegenstände. Die Konsequenz, die Hildesheimer Straße und den Aegidientorplatz als insgesamt baulich nutzbar anzusehen, kann § 6 SABS nicht beabsichtigen, denn auch dieses wäre straßenausbaubeitragsrechtlich nicht stimmig.

Da die Rechtsfigur der begrenzten Erschließungswirkung, die auch im Straßenausbaubeitragsrecht Anwendung finden kann (Nds. OVG, Beschluss vom 26.04.2007 - 9 LA 92/06), im Bereich eines Bebauungsplans nur dann anwendbar ist, wenn sich diese aus den Festsetzungen des Bebauungsplans erkennbar eindeutig ergibt (BVerwG, Beschluss vom 21.07.2009 - 9 B 71/08 -, NVwZ 2009, 1374), solche Festsetzungen hier aber fehlen, kann auch nicht auf diese Weise das mit dem Aegidientorplatz und der Hildesheimer Straße „übergroß“ gebildete Abrechnungsgebiet verkleinert werden.

Im Übrigen würde, selbst wenn nach § 6 SABS die Grundstücke der Beklagten berücksichtigungsfähig wären, sich die weitere mit den Satzungsregelungen der Beklagten nicht lösbare Hürde stellen, mit welchem Nutzungsfaktor die Grundstücke in die Verteilungsberechnung einzufließen haben. Denn nach § 7 Abs. 1 SABS wird der maßgebliche Nutzungsfaktor bei berücksichtigungsfähigen Grundstücken, die baulich oder gewerblich nutzbar sind, durch die Zahl der Vollgeschosse bestimmt. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 SABS gilt als Zahl der Vollgeschosse - jeweils bezogen auf die in § 6 Abs. 3 SABS bestimmten Flächen - bei Grundstücken, die ganz oder teilweise im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SABS), die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse (Nr. 1a). Im Wortsinne angewandt - und mit der Vorteilsgerechtigkeit wieder nicht vereinbar - hieße das, dass die Hildesheimer Straße und der Aegidientorplatz als insgesamt vom 1. bis zum 6. Geschoss bebaubar berücksichtigt werden müssten und keine Rücksicht darauf genommen würde, dass das als Baugebiet festgesetzte Baugrundstück darauf nur einen äußerst kleinen Bruchteil der Gesamtfläche einnimmt.

Diese Regelungslücke allein führt schon zur - derzeit - irreparablen Beitragsberechnung und damit zur vollständigen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Weiteren Bedenken, etwa inwieweit die Beklagte das Abrechnungsgebiet auch sonst nicht zutreffend gebildet hat, brauchte die Kammer folglich nicht nachzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.