Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 20.12.2004, Az.: 3 A 107/04
Einreise; Einreisezweck; Leistungskürzung; minderjährige Kinder; Sozialhilfeerlangung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 20.12.2004
- Aktenzeichen
- 3 A 107/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50214
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1a Abs 1 AsylbLG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wiedereinreise zum Zwecke des Zusammenlebens mit minderjährigen Kindern nach Abschiebung nach Italien erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 1a Nr. 1 AsylbLG.
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 08.09.2003 i. d. F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 31.03.2004 verurteilt, dem Kläger ab dem Monat Oktober 2003 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 31.03.2004 uneingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der nach seinen Angaben 1967 geborene Kläger, ein vollziehbar zur Ausreise verpflichteter Asylbewerber, wendet sich gegen eine Kürzung der ihm nach dem AsylbLG gewährten Leistungen. Der Kläger ist nach seinen Angaben irakischer Staatsangehöriger yezidischer Religionszugehörigkeit.
Nach Angaben des Klägers reiste zunächst die so genannte erste Ehefrau des Klägers, Frau C., gemeinsam mit vier Kindern in die Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung eines Asylverfahrens ein. Danach folgte ihr der Kläger selbst zusammen mit der so genannten zweiten Frau, Frau D., und fünf weiteren Kindern, die nach Angaben des Klägers ebenfalls Kinder seiner ersten in E. lebenden Ehefrau sein sollten. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 05.07.2002 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers und der fünf mit ihm eingereisten Kinder als unbeachtlich ab, forderte sie auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Italien an. Hintergrund dieser Entscheidung war die Tatsache, dass die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für das Asylverfahren nach Art. 11 des Dubliner Übereinkommens anerkannt hatten - Schreiben vom 04.06.2002 -. Der hiergegen eingelegte Rechtsbehelf blieb erfolglos - vgl. B. d. VG Weimar v. 29.07.2002 - 5 E 20671/02 -. Nachdem der Kläger am 02.04.2003, er schlief in E. in einem Zimmer, die beiden Frauen und die neun Kinder in dem anderen Zimmer, in Sicherungshaft genommen worden war, wurden der Kläger, seine „erste Ehefrau“ und vier Kinder - nämlich die Kinder, die mit der ersten Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist waren - nach Italien überstellt (zwei Kinder waren untergetaucht, ein Kind befand sich im Krankenhaus, weitere Kinder waren bei der „zweiten Ehefrau“). Am 04.09.2003 sprach der Kläger bei dem Beklagten vor und erklärte, er sei nach Deutschland zurückgekehrt, da er und seine erste Ehefrau sich getrennt hätten. Diese habe ihn mit den vier Kindern in Italien verlassen und er wisse nicht, wo sie seien. Er selbst habe in Italien weder eine Unterkunft noch Verpflegung durch die dortigen Behörden erhalten und man habe ihm gesagt, er solle nach Deutschland zurückkehren. In Italien sei man nicht für ihn zuständig. Zudem habe er zurückkommen müssen, um sich um seine kranke Tochter F. zu kümmern. Auch seien in Italien keine Fingerabdrücke von ihm verzeichnet. Einen dann nach § 80 Abs. 7 VwGO gestellten Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Weimar zum Az. 5 E 238/04 mit Beschluss vom 17.02.2004 ab. Das eigentliche Asylverfahren des Klägers (Az. 5 E 20670/02) ist noch nicht abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 08.09.2003 wurden dem Kläger wieder Leistungen nach dem AsylbLG gewährt, diese aber nach § 1a AsylbLG gekürzt mit der Begründung, seine Wiedereinreise habe offensichtlich der Gewährung von Sozialleistungen gedient. Die Kürzung erfolgte, indem für den Kläger kein Taschengeld gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG geleistet wurde. Hiergegen legte der Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.01.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, er sei zu Unrecht nach Italien abgeschoben worden. Das Asylverfahren sei noch beim Verwaltungsgericht Weimar anhängig. Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2004 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 05.05.2004 Klage erhoben und Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt. Zur Begründung macht der Kläger geltend, er sei aus Italien zurückgekehrt, um mit seiner zweiten Frau und den gemeinsamen Kindern zusammenzuleben. Seine Wiedereinreise habe dazu gedient, mit dieser Ehefrau und den Kindern zusammenzuleben und das weiterhin anhängige Asylverfahren durchzuführen. Die italienischen Behörden hätten dem Kläger, der nie zuvor in Italien gewesen sei, gesagt, dass sie für ihn nicht zuständig seien. Er habe ca. fünf Monate auf der Straße oder bei der Caritas in Italien gelebt. Danach sei er nicht wegen des Sozialhilfebezuges, sondern wegen seiner Familie nach E. zurückgekehrt. Er sei auch zurückgekehrt, weil seine Tochter krank geworden und beinahe gestorben sei, nur weil die Stadt die Familie voneinander getrennt habe. Deswegen habe die Tochter Magersucht bekommen, weil er früh am Morgen im Zimmer des Wohnheimes vor den Augen der Kinder verhaftet worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 08.09.2003 i. d. F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 31.03.2004 zu verurteilen, dem Kläger uneingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und bezieht sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 06.07.2004 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Niederschrift des Gerichts Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und begründet. Der Kläger hat im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung von ungekürzten Leistungen nach dem AsylbLG. Die Voraussetzungen des § 1a Nr. 1 AsylbLG sind vorliegend nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift erhält ein Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG nur die im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen, wenn er sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben hat, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, so ist das Erfordernis des Zusammenhanges zwischen Einreise und Inanspruchnahme von Sozialleistungen auch dann erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Leistungen für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung gewesen ist (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 10.06.2002 - Az. 13 L 1459/02 -, zitiert nach Juris). Dies bedeutet, dass für den Einreiseentschluss des Ausländers die Möglichkeit, Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen, jedenfalls neben anderen Gründen in besonderer Weise bedeutsam gewesen sein muss. Nicht ausreichend ist es aber, wenn die Hilfeleistungen anderen Einreisezwecken untergeordnet sind und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen werden (vgl. BVerfG, Urt. v. 04.06.1992 - Az. 5 C 22/87 -, zitiert nach Juris). Danach soll mit der Vorschrift der „Missbrauch“ der Inanspruchnahme von Sozialleistungen verhindert werden, es soll also derjenige vom Rechtsanspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ausgeschlossen bleiben bzw. diese nur in eingeschränktem Umfang erhalten, bei dem es bei der Einreise gerade auf diesen Leistungserfolg angekommen ist. Dies kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Zwar hat der Kläger bei seiner Wiedervorsprache nach seinem Aufenthalt in Italien u. a. vorgebracht, dort habe man sich nicht für ihn zuständig gefühlt, sein Fingerabdruck sei dort nicht registriert gewesen und er habe auf der Straße bzw. von der Caritas leben müssen. Seinem gesamten Vorbringen und Verhalten ist gleichwohl nicht zu entnehmen, dass er maßgebend aufgrund dessen und aus wirtschaftlichen Gründen aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt ist - dass diese Gründe also prägend und besonders bedeutsam waren -. Vielmehr hat der Kläger sich von Anfang an geweigert, seine zweite „Ehefrau“ und die Kinder, welche er mit dieser entgegen ursprünglichem Vorbringen offenbar gemeinsam hat, zu verlassen. Er hat ebenso darauf hingewiesen, dass er zur Unterstützung seiner kranken Tochter in der Bundesrepublik Deutschland bleiben bzw. deswegen in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren wollte. Demgegenüber war die Verbindung zu der so genannten „ersten Ehefrau“, welche unstreitig über Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, augenscheinlich von Beginn an nicht mehr so intensiv. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass beide nicht zusammen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und schon vor längerer Zeit getrennt waren. Auch der Umstand, dass der Kläger - wie sich zwangsläufig aus seinem wechselnden Vorbringen gegenüber der Ausländerbehörde und dem Sozialamt ergibt - zumindest zeitweise Falschangaben gemacht hat, führt nicht dazu, dass aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen werden könnte, die Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG sei für seine Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland besonders bedeutsam gewesen. Auch wenn eine tatsächliche Eheschließung mit seiner zweiten Ehefrau nicht nachgewiesen ist, so steht doch außer Streit, dass der Kläger im Zeitpunkt der Wiedereinreise hier mehrere minderjährige Kinder hatte, von denen er getrennt worden war. Es ist danach nachvollziehbar, dass der Wunsch, mit der Familie und den Kindern zusammenzuleben, entscheidend für die Wiedereinreise war. Damit sind die Voraussetzungen des § 1a Nr. 1 AsylbLG nicht nachgewiesen. Diese erfordern einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Leistung („um zu“). Dies bedeutet zwar nicht, dass der Wunsch die Sozialleistungen zu erhalten, der einzige Einreisegrund ist. Es genügt aber nicht, wenn der Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG anderen Einreisezwecken untergeordnet ist (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 10.06.2002 - 13 L 1459/02 -, zitiert nach Juris). Im vorliegenden Fall hat der Kläger während des gesamten Verfahrens deutlich gemacht, dass im Vordergrund seiner Rückkehr der Wunsch nach einem Zusammenleben mit der so genannten zweiten Ehefrau und den gemeinsamen Kindern stand. Da auch nicht festgestellt werden kann, dass das Asylbegehren des Klägers bei seiner ursprünglichen Einreise nicht ernst gemeint, sondern lediglich vorgeschoben war, um Hilfeleistungen zu erlangen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 04.06.1992 - 5 C 22.87 -, FEVS 43, 113 ff.), sind auch insoweit die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG nicht dargelegt.
Die Klage ist deswegen mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i. V. m. 708, 711 ZPO.