Sozialgericht Osnabrück
Beschl. v. 14.07.2011, Az.: S 13 KR 260/11 ER
Versicherter hat Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege während einer bevorstehenden Rehabilitationsmaßnahme; Anspruch des Versicherten auf Leistungen der Behandlungspflege während einer bevorstehenden Rehabilitationsmaßnahme; Häusliche Krankenpflege bei bestehendem Anspruch auf Behandlungspflege in einer Pflegeeinrichtung; Pflegerische Maßnahmen während einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 14.07.2011
- Aktenzeichen
- S 13 KR 260/11 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 24177
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOSNAB:2011:0714.S13KR260.11ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 SGB V
- § 31 SGB V
- § 37 SGB V
- § 40 Abs. 2 SGB V
Fundstelle
- NZS 2011, 944
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin während der Rehabilitationsmaßnahme vom 20. Juli 2011 bis zum 16. August 2011 im Kinder-Rehazentrum D. Behandlungspflege in Form der Intensivpflege im Umfang von 8 Stunden täglich durch die Maßnahmen zu erbringen, die Dr. med. E. am 27. Juni 2011 und in der Folgeverordnung für die Zeit der Rehabilitationsmaßnahme verordnete. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
Die bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragstellerin leidet an einer Mukopolysaccharidose Typ III. Nach dem Arztbericht von Dr. F. vom 16. Februar 2011 sei im Falle der Antragstellerin der Einsatz einer Behandlungspflege im Umfang von nicht weniger als 8 Stunden pro Nacht dringend erforderlich, um dem Versorgungsbedarf zu entsprechen. Dr. med. E. verordnete am 17. Februar 2011 für die Zeit vom 1. März 2011 bis zum 30. Juni 2011 häusliche Krankenpflege in Form der täglichen Intensivpflege von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, die die Antragsgegnerin ihr gewährte.
Für die Zeit vom 20. Juli 2011 bis zum 16. August 2011 ist der Aufenthalt der Antragstellerin in Begleitung ihrer Mutter im Kinder-Rehazentrum D. vorgesehen. Die Antragsgegnerin bewilligte ihr eine entsprechende Maßnahme. Die Einrichtung wies im Schreiben vom 10. Juni 2011 den Vater der Antragstellerin darauf hin, dass sie die für die Antragstellerin erforderliche 24stündige Betreuung nicht übernehmen könne. Es bestünde daher die medizinische Notwendigkeit, eine zusätzliche Pflegekraft zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin lehnte es mit Bescheid vom 23. Juni 2011 ab, der Antragstellerin Leistungen der häuslichen Krankenpflege für die Zeit der Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.
Dr. G. verordnet der Anragstellerin am 27. Juni 2011 häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 in Form der Intensivpflege für 16 Stunden täglich.
Am selben Tag erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin.
Am 11. Juli 2011 suchte die Antragstellerin beim Sozialgericht Osnabrück um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach.
Sie trägt vor, ihre Mutter sei bereit, während des vierwöchigen Aufenthalts in der Einrichtung an 16 Stunden täglich die Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu übernehmen. Für die verbleibenden 8 Stunden benötige sie Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch einen örtlich ansässigen Pflegedienst, auf den sie ihrer Auffassung nach einen Anspruch habe. Sie brachte eine Folgeverordnung von Dr. G. über häusliche Krankenpflege für die Zeit der Rehabilitationsmaßnahme im Umfang von 8 Stunden täglich bei.
Die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin im Weg der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Kostenübernahme für Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Umfang von 8 Stunden pro Tag während ihres am 20. Juli 2011 beginnenden stationären Rehabilitationsaufenthalts im Kinder-Rehazentrum D. durch einen ortsansässigen Pflegedienst zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.
Sie ist der Auffassung, dass für die Zeit des Aufenthalts in einer Rehabilitationseinrichtung kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hatte in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für die Beurteilung einer potentiellen Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers ist folgender Maßstab anzulegen: Je niedriger der Grad an Wahrscheinlichkeit in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (materieller Leistungsanspruch in der Sache) oder eines Anordnungsgrundes (besondere Eilbedürftigkeit der Regelung) - die vom Antragsteller gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen sind - ist, desto schwerwiegender muss die Rechtsbeeinträchtigung erscheinen, um die einstweilige Anordnung ausnahmsweise doch zu erlassen. Die Verlässlichkeit der Abschätzung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens bestimmt den Umfang einer darüber hinausgehenden Interessenabwägung, die bei Offensichtlichkeit ganz entfallen kann.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch (1) und -grund (2) insoweit glaubhaft gemacht, als sie gegenüber der Antragsgegnerin Leistungen der Behandlungspflege während der bevorstehenden Rehabilitationsmaßnahme vom 20. Juli 2011 bis zum 16. August 2011 begehrt. Sie hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, soweit sie die Leistung als solche der häuslichen Krankenpflege begehrt.
1.
Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Die häusliche Krankenpflege umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung, § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V.
Nach § 37 Abs. 2 Satz 2, 1 Halbsatz SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.
Der Gemeinsame Bundessausschuss legt gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V in Richtlinien nach § 92 SGB V fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. In § 1 Abs. 6 Satz 1 der hierzu ergangenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundessausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie) ist geregelt, dass für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (z.B. Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen) häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden kann.
Ausgehend hiervon hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB V.
Eine Rehabilitationseinrichtung ist kein sonstiger geeigneter Ort im Sinne der Absätze 1 und 2 des § 37 SGB V. Das ergibt sich insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Regelung nach der Änderung des § 37 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 mit Wirkung zum 1. April 2007. Nach der Gesetzesbegründung sollte eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs erfolgen, um vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und um Lücken im Zwischenbereich von stationärer und ambulanter Versorgung zu schließen (BT-Drs. 16/3100 S. 104). Weiter heißt es, dass ein geeigneter Ort dann nicht gegeben sei, wenn Einrichtungen medizinische Behandlungspflege schulden.
§ 1 Abs. 6 Satz 1 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie hat deshalb lediglich deklaratorische Bedeutung.
Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, der Antragstellerin die begehrte Behandlungspflege aufgrund des Bescheides zu gewähren, mit dem sie Leistungen nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V bewilligte. Der Antrag war entsprechend § 123 SGG auszulegen.
Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs. 2a des Neunten Buches zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht, wenn die Leistung nach § 40 Abs. 1 SGB V nicht ausreicht.
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin die stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die in der Zeit vom 20. Juli 2011 bis zum 16. August 2011 durchgeführt werden soll.
Der Leistungsumfang der stationären Rehabilitationsmaßnahme erstreckt sich auf die von der Antragstellerin begehrte Behandlungspflege. Insoweit ist der Einwand der Antragsgegnerin, die Behandlungspflege sei von der Rehabilitationseinrichtung zu erbringen, in rechtlicher Hinsicht unerheblich, weil die Antragsgegnerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruchsgegnerin ist. Sie erbringt die Rehabilitationsmaßnahme als Sach- und Dienstleistung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch die Rehabilitationseinrichtung als Leistungserbringer, § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V.
Dass pflegerische Maßnahmen während einer stationären Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 40 Abs. 2 SGB V zu erbringen sind, folgt nicht aus § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V, weil sie dort nicht genannt werden. Grund- und Behandlungspflege sind aber Bestandteil der Komplexmaßnahme der stationären Rehabilitationsleistung, die von einem interdisziplinär zusammengesetzten Team unter ärztlicher Leitung auf der Basis eines ganzheitlichen Ansatzes erbracht wird (Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl., 54. Lfg. § 40 Rn. 173, 164, 104).
Sollte das Kinder-Rehazentrum D. für die Antragstellerin nicht geeignet sein, wie die Antragsgegnerin in der Antragserwiderungsschrift andeutet, hätte die Leistung für diese Rehabilitationseinrichtung wohl nicht bewilligt werden dürfen. Da die Beklagte die Leistung bewilligt hat, ist sie zur Gewährung der Leistung aufgrund des Bewilligungsbescheides umfassend verpflichtet. In welcher Form sie die Leistung gewährt und welchen Leistungserbringer sie heranzieht, obliegt ihrer Einschätzung. Sie konnte deshalb nicht verpflichtet werden, Leistungen für einen Pflegedienst zu bewilligen. Der Antrag war insoweit abzulehnen. Es handelt sich hierbei um eine mögliche Realisierung des Anspruchs der Antragstellerin.
Soweit die Antragsgegnerin meint, es obläge der Rehabilitationseinrichtung für das erforderliche Personal zu sorgen bzw. zu finanzieren, betrifft dies das Verhältnis zwischen Antragsgegnerin und der Rehabilitationseinrichtung als Leistungserbringer und ist für die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin unerheblich.
2.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil der Beginn der Maßnahme unmittelbar bevorsteht und sie glaubhaft gemacht hat, dass sie die Kosten für einen Pflegedienst zunächst nicht selbst aufbringen kann und ein Aufschub der Rehabilitationsmaßnahme aufgrund des Gesundheitszustandes der Antragstellerin mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.