Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 28.09.2011, Az.: S 18 AS 118/10

Bund erhält i.R.d. HKR-Verfahrens zur Verfügung gestellte Finanzmittel zurück; Rückzahlung von i.R.d. HKR-Verfahrens zur Vefügung gestellter Finanzmittel an den Bund; Systematische Auslegung des § 16 Abs. 2 S. 1 SGB II

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
28.09.2011
Aktenzeichen
S 18 AS 118/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 29300
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2011:0928.S18AS118.10.0A

Fundstelle

  • ZfSH/SGB 2012, 219-223

Redaktioneller Leitsatz

1.

Aus § 6a Abs. 1 SGB II in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes kann der Leistungserbringer keine Befugnisse für die Erbringung von Leistungen ableiten, die der Bundesagentur für Arbeit nicht zustehen.

2.

Gegenüber zugelassenen kommunalen Trägern gibt es keine weitergehenden Individualansprüche als gegenüber der Bundesagentur für Arbeit. Leistungen für Teilnehmer der Maßnahme Integra fallen unter die psychosoziale Betreuung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II, deren Kosten gemäß § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht vom Bund übernommen werden. .

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Finanzierungsmitteln zur Wahrnehmung der Aufgaben nach demZweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Kläger streitig.

2

Der Kläger ist zugelassener kommunaler Träger der Leistungen nach dem SGB II gemäß § 6b Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II mit Ausnahme der Aufgaben, auf die § 6b Abs. 1 Satz 1 SGB II verweist.

3

Die Beteiligten schlossen eine Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Verwaltungsvereinbarung). Nach § 2 Abs. 1 der Verwaltungsvereinbarung ermöglicht der Bund dem Kläger die Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen (HKR-Verfahren). § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung enthält eine Erstattungsregelung für Überzahlungen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsvereinbarung verwiesen (Anlage K 1 der Klageschrift).

4

Der Kläger gewährte im Jahr 2005 Leistungen für Ausbildungskostenzuschüsse, für die Maßnahme zur Eingliederung von Personen mit einer psychischen Beeinträchtigung in das Arbeitsleben (Integra) sowie für die Maßnahme Bedarfsgemeinschaftcoaching auf der Grundlage des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 2004, 2014).

5

Mit den Ausbildungskostenzuschüssen beabsichtigte er, es Jugendlichen mit multiplen Vermittlungsverhältnissen zu ermöglichen Ausbildungsverhältnisse einzugehen. Die Teilnehmer an der Maßnahme Integra wiesen nach dem Sachstandsbericht des eingetragenen Vereins InteGra Grafschaft Bentheim, der Maßnahmeträge ist, häufig zahlreiche Vermittlungshemmnisse auf und nähmen oftmals direkt im Anschluss an eine stationäre Therapie an der Maßnahme im Umfang von 20 Stunden in der Woche teil. Im Vordergrund stehe die Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit. Schwerpunkt der Maßnahme bildeten die Anleitung zur Arbeit und psychosoziale und arbeitstherapeutische Betreuung. Die Maßnahme Bedarfsgemeinschaftscoaching ist für die gesamte Bedarfsgemeinschaft konzipiert.

6

Der Kläger gab im März 2006 eine Erklärung über die Ordnungsmäßigkeit der dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit übermittelten Schlussrechnung für das Jahr 2005 ab, die die Beklagte nicht beanstandete.

7

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wies die sogenannten Optionskommunen mit Schreiben vom 21. November 2007 darauf hin, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Bund und den zugelassenen kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende über die Erbringung von Eingliederungsleistungen nach§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II gebe.

8

Mit Schreiben vom 10. November 2008 beanstandete das BMAS abgerufene Finanzmittel im Jahr 2006 durch den Kläger für Ausbildungskostenzuschüsse in Höhe von 35.351,10 EUR und für die Finanzierung der Maßnahme Integra in Höhe von 55.734,72 EUR.

9

Der Kläger zahlte den von ihm geforderten Gesamtbetrag in Höhe von 91.085,82 EUR nach Verrechnung der Ist- und Sollausgaben für das Haushaltsjahr 2006 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und fordert mit der am 10. Februar 2010 bei Gericht eingegangenen Klage die Rückerstattung des Betrages (Klageantrag zu 1) und begehrte die Feststellung, dass der Beklagten ihm gegenüber kein Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 2007, 2008 und 2009 abgerufenen Finanzmittel für Ausbildungskostenzuschüsse und die Maßnahem Integra zustehe (Klageantrag zu 2).

10

Das BMAS forderte im Februar 2010 weitere im Jahr 2006 geleistete Finanzzuweisungen für die vom Kläger erbrachte Maßnahme Bedarfsgemeinschaftscoaching in Höhe von 22.787,40 EUR zurück. Der Kläger erfüllte die Forderung unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Prüfung.

11

Am 7. Dezember 2010 forderte der Kläger im vorliegenden Verfahren die Rückerstattung des Betrages in Höhe von 22.787,40 EUR (Klageantrag zu 3).

12

Die Beteiligten schlossen am 30. Dezember 2010 eine Vereinbarung, nach der bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits der Kläger nicht verpflichtet ist, die Erstattungsansprüche der Beklagten über Ausbildungskostenzuschüsse, Leistungen im Zusammenhang mit der Maßnahme Integra sowie der Maßnahme Bedarfsgemeinschaftscoaching für das Jahr 2007 zu erstatten. Die Beklagte verpflichtete sich in der Vereinbarung, auf der Grundlage der rechtskräftigen Entscheidung über die Fortsetzung der Geltendmachung des Ersatzanspruchs zu entscheiden.

13

Der Kläger trägt vor, dass in der Maßnahme Integra im Wege einer gezielten Förderung in Bezug auf arbeitsplatzrelevante und soziale Kompetenzen durch theoretische und praktische Unterstützung die angestrebte berufliche Tätigkeit des Einzelnen mit dem Ziel einer Wiedereingliederung in den ersten bzw. zweiten Arbeitsmarkt realisiert würde. Hierzu führe er ein individuell abgestimmtes Förder- und Trainingsprogramm mit den Maßnahmeteilnehmern durch, das sozialpädagogisch ausgerichtet sei. Gegenstand der Maßnahme seien die Förderung der Eigenaktivität, das Training sozialer Kompetenzen, die Vermittlung von Handlungskompetenzen, die Förderung von Belastbarkeit, die Steigerung der Grundarbeitsfähigkeit, das Erlernen arbeitsgerechten Verhaltens sowie die Durchführung von Berufspraktika und Bewerbungstrainings. Personen mit vorrangigem Therapiebedarf würden an andere Hilfesysteme verwiesen.

14

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe der Klageforderung zustehe. Für die Leistung an die Beklagte bestehe kein Rechtsgrund, da sie gemäß § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II die streitgegenständlichen Aufwendungen zu tragen habe.

15

Die Aufwendungen für die Ausbildungskostenzuschüsse seien weitere Leistungen im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Die Norm stelle eine Generalklausel dar, die den Leistungserbringer von den strengen Anforderungen der in§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten Vorschriften entbinde. Eine enge Auslegung des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II würde die Experimentierklausel des § 6a Absatz 1 SGB II konterkarieren. Er habe auch nicht gegen das Aufstockungsverbot verstoßen, da sich die Personen, für die Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 1 und § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II in Betracht kämen, durch ihre Nähe zum Arbeitsmarkt unterschieden.

16

Auch Leistungen für die Maßnahme Integra seien weitere Leistungen im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II und nicht solche nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II.

17

Die Beklagte habe die Aufwendungen für die streitigen Maßnahmen auch aus Gründen der Gleichbehandlung zu tragen, da sie gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Aufwendungen zu tragen gehabt hätte, wenn die Bundesagentur für Arbeit die Leistungen erbracht hätte.

18

Die geltend gemachten Kosten seien schließlich aus Gründen des Vertrauensschutzes zu erstatten, weil die Beklagte die im Jahr 2005 getätigten Aufwendungen nicht beanstandet hatte.

19

Sollten die Maßnahmen nicht unter § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II fallen, scheitere ein Erstattungsanspruch am Rechtsgedanken des Art. 104a Abs. 5 Grundsgesetz (GG).

20

Der Kläger meint zudem, die Mittelbereitstellung durch die Beklagte (Innenverhältnis) sei zu Recht erfolgt. Fehler bei der Erbringung der Leistung (Außenverhältnis) seien im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs unerheblich. Der Beklagten stehe kein Prüfungsrecht zu.

21

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2011 die Feststellungsklage (Klageantrag zu 2) übereinstimmend für erledigt erklärt.

22

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm 91.085,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 10. Februar 2010 zu zahlen;

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm 22.787,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten übe dem Basiszinssatz der EZB seit dem 7. Dezember 2010 zu zahlen.

23

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

24

Sie ist der Auffassung, dass der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Rückzahlung des Klägers sich aus § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung ergebe.

25

Die streitigen Maßnahmen fielen nicht unter § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Hiervon seien nur qualitativ andere Leistungen als die nach § 16 Abs. 1 SGB II benannten umfasst.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die von ihnen übersandten Anlagen und Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2010 erhobene Klage (ursprünglicher Klageantrag zu 3) ist unzulässig (1). Die im Übrigen nach den übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen zum ursprünglichen Klageantrag zu 2) noch anhängige zulässige Klage (Klageantrag zu 1) ist unbegründet (2).

28

1.

Die Klageerweiterung vom 7. Dezember 2010 ist als Klageänderung nach § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig.

29

Die Klageänderung ändert den Streitgegenstand. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch. Danach trägt der Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts ein Begehren an das Gericht heran, das er durch die im Klageantrag formulierte Entscheidung bezeichnet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 95 Rn. 5). Bei der Leistungsklage ist der Streitgegenstand der aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleitete Anspruch des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zu der begehrten Leistung (vgl. Leitherer, a.a.O. Rn. 8).

30

Der Kläger stellt mit dem Klageantrag zu 2) neben den bis dahin rechtshängigen prozessualen Anspruch einen weiteren, der sich aus einem anderen Lebenssachverhalt herleitet. Die ursprüngliche Klageforderung betraf Finanzzuweisungen der Beklagten durch einen Mittelabruf des Klägers für Ausbildungskostenzuschüsse und die Maßnahme Integra während die Klageerweiterung die Maßnahme Bedarfsgemeinschaftscoaching betrifft.

31

Eine Änderung der Klage ist gemäß § 99 Abs. 1 SGG nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

32

Weder hat die Beklagte in die Änderung der Klage eingewilligt (a) noch ist sie sachdienlich (b).

33

a)

Die Einwilligung kann auch stillschweigend zum Ausdruck gebracht werden, was unwiderleglich vermutet wird, wenn sich ein Beteiligter ohne Widerspruch auf die geänderte Klage in einem Schriftsatz oder in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 99 Rn. 9). Auf die geänderte Klage lässt sich ein, wer auf sie inhaltlich eingeht oder auch nur einen Gegenantrag stellt. Die Beklagte hat sich inhaltlich weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung auf die Klageänderung eingelassen. In der mündlichen Verhandlung vertrat die Beklagte die Auffassung, die Klageänderung sei unzulässig.

34

b)

Die Klageänderung ist nicht sachdienlich, weil der Rechtsstreit insoweit auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird. Zu den bis dahin streitigen Maßnahmen, über die eine Entscheidung in der Sache herbeigeführt werden konnte, weil Entscheidungsreife vorlag, stellte der Kläger eine weitere Maßnahem streitig, die der weiteren Aufklärung bedurft hätte. Da der Kläger den die Maßnahme Bedarfsgemeinschaftscoaching betreffenden Auftrag an die Gesellschaft PNT Consult & Training GmbH und das Maßnahmekonzept nicht beigebracht hatte, wären entsprechende Ermittlungen durchzuführen gewesen.

35

2.

Die Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache über den Klageantrag zu 1) liegen vor.

36

Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist statthaft, da zwischen den Beteiligten ein Gleichordnungsverhältnis besteht. Die Tragung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II begründet kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, da dem Bund keine mit der Aufwendungstragungspflicht verbundenen Befugnisse gegenüber dem Kläger eingeräumt werden. Der Kläger untersteht nicht der Rechtsaufsicht der Beklagten oder eines Bundesministerium, § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB II.

37

Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.

38

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

39

Anspruchsgrundlage ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 812 ff BGB).

40

Ein öffentlich-rechtliches Verhältnis liegt hier vor, denn die Rechtsbeziehungen zwischen den zugelassenen kommunalen Trägern als Träger der Leistungen nach dem SGB II gemäß § 6a Abs. 2 Satz 1 SGB II in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 2004, 2014) und dem Bund als Träger der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 6b Abs. 2 SGB II sind öffentlich-rechtlicher Natur. Die Beklagte hat im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses die ihr vom Kläger geleisteten 91.085,82 EUR nicht ohne Rechtsgrund erhalten.

41

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch gegen den Kläger nicht § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung (andere Auffassung Sozialgericht Detmold, Urteil vom 4. Juni 2009, S 10 AS 106/08). Die Verwaltungsvereinbarung regelt in ihrem ersten Abschnitt das Verfahren der Mittelbereitstellung und Abrechnung der Aufwendungen des kommunalen Trägers. Zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrens enthält sie im zweiten Abschnitt Berichtspflichten und Finanzkontrollen. Die Vereinbarung enthält dagegen keine über § 6b Abs. 2 SGB II hinausgehenden materiellen Verpflichtungen der Beklagten oder gar Einschränkungen der sich aus§ 6b Abs. 2 SGB II ergebenden Leistungspflicht, was die Beteiligten auch nicht rechtmäßigerweise hätten vereinbaren können. Der Verwaltungsvereinbarung kommt ausschließlich eine verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung zur Umsetzung gesetzlicher Vorgaben zu. Materiell liegt ihr kein disponibler Vertragsgegenstand zu Grunde.

42

Der Beklagten stand aber ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe der Klageforderung zu, weil sie dem Kläger im Rahmen des HKR-Verfahrens Finanzmittel zur Verfügung stellte, auf die der Kläger keinen Anspruch hatte. Für die Vermögensverschiebung fehlte es an einem Rechtsgrund, weil der Bund nur die Aufwendungen für bestimmte Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II trägt und der Kläger die streitigen Mittel nicht für solche Aufgaben verwandte (a). Die Einwendungen des Klägers sind unerheblich (b).

43

a)

Entgegen der Auffassung des Klägers ist Rechtsgrund nicht die Zurverfügungstellung der Mittel durch die Beklagte, das der Kläger als Innenverhältnis bezeichnet, weil die Aufwendungstragung nicht durch die Gewährung von pauschalierten Zuwendungen erfolgt, über die der zugelassene kommunale Träger frei verfügen kann, vgl. § 46 Abs. 1 Satz 4 SGB II. § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II normiert ausdrücklich, dass die (konkreten) Aufwendungen zu tragen sind. Hieran ändert sich nichts durch die zwischen den Beteiligten zur Verwaltungsvereinfachung gewählte Form des Mittelabrufes im Wege des HKR-Verfahrens.

44

Weder die vom Kläger im Jahr 2006 gewährten Ausbildungskostenzuschüsse (aa) noch die Leistungen im Rahmen der Maßnahme Integra (bb) fallen unter die vom Bund zu finanzierenden Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II. Sie stellen keine weiteren Leistungen im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 maßgeblichen Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 2003 S. 2954) und ab 1. August 2006 in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 2006 S. 1706) dar. Danach konnten über die in Absatz 1 genannten Leistungen hinaus, weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich waren. Nach § 16 Absatz 2 Satz 1 2 Hs. SGB II in der Fassung ab dem 1. August 2006 durften die weiteren Leistungen die Leistungen nach Absatz 1 zudem nicht aufstocken.

45

Aus § 6a Abs. 1 SGB II in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes kann der Kläger keine Befugnisse für die Erbringung von Leistungen ableiten, die der Bundesagentur für Arbeit nicht zustehen. Die Experimentierklausel reicht in ihrem Anwendungsbereich nur soweit wie Individualansprüche nach demSGB II bestehen. Gegenüber zugelassenen kommunalen Trägern bestehen keine weitergehenden Individualansprüche als gegenüber der Bundesagentur für Arbeit.

46

aa)

Aus einer systematischen Auslegung des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II im Verhältnis zu § 16 Abs. 1 SGB II folgt im Umkehrschluss, dass über die Generalklausel des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II die sonstigen Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht gefördert werden dürfen, die § 16 Abs. 1 SGB II von der Verweisung ausnimmt. Darüber hinaus dürfen die Anspruchsvoraussetzungen, die Leistungsarten und -höhen der nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. dem SGB III zu fördernden Leistungen über § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht umgangen werden. Die Aufstockung ist lediglich eine Form der Umgehung, die der Gesetzgeber zum 1. August 2006 ausdrücklich verboten hat. Das Umgehungsverbot gewährleistet den in § 16 Abs. 1 SGB II verwirklichten Vorbehalt des Gesetzes nach § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Tritt eine Generalklausel zu einer Reihe von Einzelrechten, ist sie deshalb eng auszulegen. "Weitere Leistungen" im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II können deshalb nur Leistungen sein, die das SGB III nicht vorsieht. Durch die Aufnahme von Regelbeispielen in § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB II müssen sie zudem den dort genannten Leistungen vergleichbar sein, wobei die Nr. 1 bis 4 in ihren Hauptausrichtungen personen- und situationsbezogen sind und nicht unmittelbar an die bereits eingeleitete oder bevorstehenden Eingliederung in Arbeit anknüpfen.

47

Die §§ 235ff. SGB III in der Fassung bis zum 31. Dezember 2008 regelten die Förderung der Berufsausbildung und der beruflichen Weiterbildung. Eine entsprechende Förderung war nach § 16 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 SGB II möglich. Die vom Kläger gewährten Ausbildungskostenzuschüsse umgehen die Leistungen nach den§§ 235ff. SGB III, weil die Leistungsvoraussetzungen der §§ 235 bis 238 SGB III und der danach förderungsfähigen Personen erweitert werden (vgl. Urteil desSozialgerichts Detmold vom 4. Juni 2009, S 10 AS 106/08). Auf die vom Kläger behaupteten Unterschiede in der Nähe zum Arbeitsmarkt zwischen den zu fördernden Hilfebedürftigen nach § 16 Abs. 1 und § 16 Abs. 2 SGB II kommt es nicht an, da § 16 Abs. 1 SGB II eine Rechtsgrundverweisung enthält und keine weitere Differenzierung zwischen den zu fördernden Personen erfolgt.

48

bb)

Leistungen für Teilnehmer der Maßnahme Integra fallen unter die psychosoziale Betreuung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II, deren Kosten gemäß § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht vom Bund getragen werden. Die psychosoziale Betreuung im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II umfasst im Vorfeld der fachlichen Berufsförderung liegende psychische und soziale Hilfestellungen zur Stabilisierung der Person um die sich daran anschließende Eingliederung in das Erwerbsleben vorzubereiten und abzuschließen. Die Hilfestellungen sind keine Krankenbehandlung in der Gestalt der Psychotherapie.

49

Die Maßnahme Integra erfüllt diese Voraussetzungen. Im Vordergrund der Maßnahme steht nach dem Sachstandsbericht des eingetragenen Vereins IneGra Grafschaft Bentheim die Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit. Neben körperlichen Einschränkungen weisen die Teilnehmer, die in Einzel- oder Kleingruppen betreut werden, psychische Erkrankungen und Beeinträchtigungen auf. Neben der Motivation werden lebensalltägliche Abläufe wie Hygiene, Körperpflege, geregelte Nahrungsaufnahme, oder Einhaltung von Arztterminen thematisiert und trainiert. Es handelt sich hierbei um Grundvoraussetzungen, die für den weiteren Eingliederungsprozess in den Arbeitsmarkt erfüllt sein müssen. Ob der Kläger den Teilnehmern der Maßnahme daneben weitere Leistungen der psychosozialen Betreuung durch den sozialpsychiatrischen Dienst und sonstigen Dritten erbringt, ist für die Qualifizierung der Leistung unerheblich.

50

b)

Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen (aa). Dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten steht nicht entgegen, dass der Beklagten keine Rechtsaufsicht gegenüber dem Kläger zukommt (bb). Dem Anspruch der Beklagten steht auch nichtArt. 104a Abs. 5 Satz 1 GG (cc) und der Grundsatz der Gleichbehandlung (dd) entgegen.

51

aa)

Vertrauensschutz ist Ausfluss des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit und beschränkt staatliches Handeln gegenüber dem Bürger (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 1961, 2 BvL 6/59; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 1965, V C 21.64). Zwischen Trägern hoheitlicher Gewalt im Gleichordnungsverhältnis wie im vorliegenden Fall gelten andere Grundsätze, wie die Pflicht zur Zusammenarbeit und zur gegenseitigen Rücksichtnahme.

52

Selbst wenn Vertrauensschutz die Geltendmachung von Ansprüchen zwischen den Beteiligten beschränken könnte, kann sich der Kläger hierauf nicht berufen, weil die Beklagte keine Maßnahmen getroffen hat, die einen Vertrauenstatbestand für den Kläger hätten schaffen können. Die Beteiligten sind ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nachgekommen indem sie eine Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Träges der Grundsicherung für Arbeitssuchende abschlossen. Die Verwaltungsvereinbarung sieht eine Prüfung durch ein Kontrollsystem vor. § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung regelt eine Erstattungspflicht, wenn Überzahlungen erfolgen. Die Beklagte hat mit der Nichtbeanstandung der Rechnung für das Jahr 2005 keinen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, dass sie auf die vereinbarten Prüf- und Kontrollrechte bezüglich der nicht beanstandeten Maßnahmen für die Zukunft verzichtet oder eine zu einem späteren Zeitpunkt als rechtwidrig erkannte Praxis nicht beanstanden wird. Ausnahmen von der Rückerstattungspflicht sieht die zwischen den Beteiligten getroffene Verwaltungsvereinbarung nicht vor. Hinsichtlich der Maßnahme Integra, die der Kläger nach seinem Vortrag auch nach der Beanstandung durch die Beklagte fortführte, ist sein Vertrauen zudem nicht schutzwürdig, weil aus der Fortsetzung der Maßnahme in Kenntnis der Beanstandung durch die Beklagte zu schließen ist, dass eine Beanstandung der Mittelverwendung für die Maßnahme im Jahr 2005 keine Auswirkungen auf die Fortführung der Maßnahem gehabt hätte. Entsprechendes gilt für die streitigen Ausbildungskostenzuschüsse, wenn nach der Beanstandung weitere Leistungen bewilligt worden sein sollten und nicht nur die bereits bewilligten Leistungen gewährt worden sind.

53

bb)

Der Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs durch die Beklagte steht nicht entgegen, dass ihr keine Rechtsaufsicht gegenüber dem Kläger zusteht. Zwischen den Beteiligten besteht ein Gleichordnungsverhältnis, das der Kläger freiwillig eingegangen ist. Kommunale Träger werden nach § 6a Abs. 2 SGB II nur auf Antrag zugelassenen. Ihm Rahmen dieses Gleichordnungsverhältnisses trägt die Beklagte die Aufwendungen des Klägers nach § 6b Abs. 2 SGB II. Dass Leistungsstörungen und rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen in diesem öffentlich-rechtlichen Verhältnis nicht behoben werden sollen, weil einem Beteiligten keine Rechtsaufsicht gegenüber dem anderen zusteht, sehen die Regelungen der §§ 6 ff. SGB II nicht vor.

54

cc)

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch wird nicht durch einen Haftungsanspruch nach § 104a Abs. 5 GG, der vorsätzlich oder grob fahrlässiges Verhalten des Schuldners voraussetzt, ausgeschlossen. Zwar wird bei einem Haftungsverhältnis nach § 104a Abs. 5 GG der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ausgeschlossen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 1995, 7 C 56/93). Ob ein solches Haftungsverhältnis zwischen den Beteiligten in ihrer Stellung als zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II und Aufwendungsträger nach § 6b Abs. 2 SGB II vorliegt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da ein solches Haftungsverhältnis durch die getroffene Verwaltungsvereinbarung eine Modifizierung erfahren würde. Die Beklagte ermöglichte es dem Beklagten, am HKR-Verfahren teilzunehmen und verzichtete so auf eine Prüfung von Einzelnachweisen für die von ihm zu tragenden Aufwendungen vor der Zurverfügungstellung der Finanzmittel. Die Vereinbarung von Berichtspflichten und Finanzkontrollen (Abschnitt 2) und die in § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung vorgesehenen Erstattungspflicht bei Überzahlungen ist letztlich Ausfluss der nachträglichen Prüfungsmöglichkeit. Diese Erstattungspflicht liefe weitgehend leer, wenn die Haftung des Klägers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt wäre. Es handelt sich um eine derart weitreichende Folge als Konsequenz der Anwendung des HKR-Verfahrens, dass die Beteiligten sie ausdrücklich vereinbart hätten, wenn sie gewollte gewesen wäre. Da die Verwaltungsvereinbarung keine über § 6b Abs. 2 SGB II hinausgehenden materiellen Verpflichtungen oder Einschränkungen der Leistungspflicht enthält und auch nicht rechtmäßigerweise hätte enthalten dürfen, kommt der Verwaltungsvereinbarung verfahrensrechtliche Bedeutung zu. § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung ist insoweit eine das Haftungsverhältnis der Beteiligten bestimmende und gegebenenfalls modifizierende Regelung, kraft derer der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der verschuldensunabhängig ist, Anwendung findet.

55

dd)

Der Kläger kann keine Einwendungen gegen den öffentlich-rechtlichen Anspruch der Beklagten daraus ableiten, dass die Beklagte möglicherweise eine vergleichbare Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit nicht beanstandet. Eine gleichheitswidrige Verwaltungspraxis wirkt sich im Allgemeinen nicht zu Gunsten desjenigen aus, der im Einklang mit dem Gesetz belastet worden ist. Denn der Rechtsverstoß liegt in solchen Fällen grundsätzlich nicht in der Belastung des Betroffenen, sondern darin, dass ein anderer in derselben Lage von der Belastung verschont geblieben ist. Es ist mithin ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, den Rechtsverstoß in der Weise zu beseitigen, dass der andere ebenfalls in Anspruch genommen wird. Ein Anspruch des rechtmäßig Belasteten auf "Gleichheit im Unrecht" besteht dagegen nicht (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2009, 6 A 3/09, mit weiteren Nachweisen).

56

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

57

Das Gericht hat gemäß § 161 Abs. 2 SGG die Sprungrevision zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zukommt.