Arbeitsgericht Celle
Beschl. v. 11.12.2002, Az.: 2 BV 4/02

Mitbestimmungsrecht bei der arbeitgeberseitigen Untersagung des Telefonierens während des Führens von Kraftfahrzeugen; Direktionsbefugnis des Arbeitgebers hinsichtlich der Reihenfolge zu absolvierender betrieblicher Tätigkeiten; Bestehen eines gesetzlichen Verbots ohne Regelungsspielraum

Bibliographie

Gericht
ArbG Celle
Datum
11.12.2002
Aktenzeichen
2 BV 4/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 26182
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGCE:2002:1211.2BV4.02.0A

Fundstellen

  • EzA-SD 7/2003, 15
  • schnellbrief 2003, 7

In dem Beschlussverfahren
hat das Arbeitsgericht in Celle ...
auf die mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2002
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitze
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Tatbestand

1

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts bei der arbeitgeberseitigen Untersagung der gleichzeitigen Benutzung von Firmentelefon und Firmen-Pkw.

2

Der Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat. Die Antragsgegnerin ist tätig im Bereich des Erdöl-Geschäfts. Ihre Konzernobergesellschaft ist ansässig in den USA. Diese beschloss, aus Sicherheitsgründen weltweit das Telefonieren beim Führen von Kraftfahrzeugen zu untersagen. Die Antragsgegnerin fertigte dementsprechend einen unter dem 17.09. 2002 datierenden Aushang an alle Fahrer von Firmenfahrzeugen. Darin untersagte die Antragsgegnerin die Benutzung der Firmen-Handys in den Firmenfahrzeugen während der Fahrt, und zwar ausdrücklich auch für diejenigen Fahrzeuge, in die eine Freisprecheinrichtung eingebaut ist. Im Aushang ordnete die Antragsgegnerin die Aktivierung der Mailbox vor Fahrtantritt an, damit bei Fahrpausen ein Rückruf erfolgen könne.

3

Die von der Antragsgegnerin vorgehaltenen Firmenfahrzeuge dürfen von den Arbeitnehmern auch privat genutzt werden.

4

Mit Anwaltsschriftsatz vom 24.09.2002 forderte der Antragsteller, den Aushang abzuhängen sowie eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Die Antragsgegnerin lehnte ab mit Schreiben vom 26.09.2002.

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Der Antragsteller hält dafür, die im Aushang getroffenen Regelungen seien mitbestimmungspflichtig als Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, ferner als Regelung über die Verhütung von Arbeitsunfällen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

6

Der Antragsteller beantragt

  1. 1.)

    festzustellen, dass das durch Aushang vom 17.09.2002 ausgesprochene Verbot des Telefonierens während der Fahrt mit Firmenfahrzeugen, auch wenn diese über eine Freisprecheinrichtung verfügen, rechtsunwirksam ist,

  2. 2.)

    der Antragsgegnerin aufzugeben, den Aushang vom 17.09.2002 ersatzlos zu entfernen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

8

Sie hält die getroffenen Regelungen für mitbestimmungsfrei.

Gründe

9

II.

Die Anträge mussten zurückgewiesen werden. Die im Aushang vom 17.09.2002 getroffenen Regelungen konnten mitbestimmungsfrei erfolgen mit der Folge, dass weder eine Rechtsunwirksamkeit vorliegt noch die Antragsgegnerin den Aushang zu entfernen hat.

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1.)

Die Tatbestandsvoraussetzungen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sind nicht gegeben. Danach besteht ein Mitbestimmungsrecht nur in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Hiervon abzugrenzen sind Weisungen des Arbeitgebers, die lediglich das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer regeln. Das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betrifft dabei alle Regeln und Weisungen des Arbeitgebers, die bei der Erbringung der Arbeitsleistung selbst zu beachten sind. Das Arbeitsverhalten ist berührt, wenn der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leitungsmacht näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb solche Anordnungen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und damit abgefordert wird (BAG ständig, vgl. etwa in neuerer Zeit Beschl. v. 11.06.2002 - 1 ABR 46/01 - DB 2002, 2280 m.w.N.).

11

Danach erweist sich hier der Aushang als mitbestimmungsfrei, weil er lediglich und ausschließlich das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betrifft. Die Antragsgegnerin hat kraft ihrer Direktionsbefugnisse näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Inhaltlich werden durch den Aushang geregelt zwei Arbeitsleistungen, nämlich zum einen diejenige des Telefonierens und zum anderen diejenige des Benutzens von Fahrzeugen. Telefone wie Fahrzeuge sind Betriebsmittel der Antragsgegnerin. Im streitbefangenen Aushang hat die Antragsgegnerin angeordnet, dass nicht beide Arbeitsleistungen zugleich zu erbringen sind, sondern zeitversetzt zu erfolgen haben. Zunächst ist die Fahrtätigkeit zu erbringen und dann anschließend oder in einer Fahrpause ein etwa erforderlicher Rückruf zu tätigen. Es stellt einen unverzichtbaren Kern der Direktionsbefugnisse des Arbeitgebers dar, die Reihenfolge zu bestimmen, in der verschiedene betriebliche Tätigkeiten zu absolvieren sind.

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Etwas anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht dadurch, dass der Betriebsrat auf die auch private Nutzungsmöglichkeit der Dienstfahrzeuge verweist. Insofern, wie die Fahrzeuge privat genutzt werden, liegt schon keine Frage der Ordnung "des Betriebs" bzw. des Verhaltens der Arbeitnehmer "im Betrieb" i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vor, sondern eine Frage des Freizeitverhaltens der Arbeitnehmer. Dieses Freizeitverhalten ist nicht mitbestimmt.

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2.)

Mitbestimmungspflichtig ist der Aushang auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Danach besteht eine Mitbestimmungsbefugnis bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften". Das bedeutet, dass nicht jede vom Arbeitgeber getroffene Regelung mit dem Ziel des Verhütens von Arbeitsunfällen mitbestimmungspflichtig ist, sondern nur eine solche Regelung, die eine mit einem gewissen Handlungsspielraum des Arbeitgebers vorgesehene Rechtspflicht ausfüllt. Das Mitbestimmungsrecht besteht im Rahmen der geltenden Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften, die den Arbeitgeber vielfach zur Erfüllung eines bestimmten Schutzziels verpflichten, ihm jedoch einen Handlungsspielraum überlassen, auf welche Art und Weise er dieser Pflicht nachkommt; das Mitbestimmungsrecht bezieht sich dabei auf die Ausfüllung vorgegebener Normen (vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engel/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 87 Rz. 270 m.w.N. zur Rspr. des BAG). Voraussetzung für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist damit eine rechtliche Handlungspflicht des Arbeitgebers, die aus Vorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes folgt und die wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe einer konkreten betrieblichen Regelung bedarf (BAG, Beschl. v. 15.01.2002 - 1 ABR 13/02 - DB 2002, 2278). Kein Mitbestimmungsrecht besteht danach, wenn eine Rechtsvorschrift eine ganz bestimmte Maßnahme vorschreibt und keinerlei Regelungsspielraum mehr verbleibt; in diesem Fall hat weder der Arbeitgeber noch der Betriebsrat etwas zu "bestimmen" (Fitting a.a.O. m.w.N.).

14

Danach ist im vorliegenden Fall kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats feststellbar. Nach § 23 Abs. 1 a StVO ist dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält. Danach besteht ein gesetzliches Verbot - ohne Regelungsspielraum und damit ohne Mitbestimmung - der Nutzung von Mobil- oder Autotelefonen, wenn das Telefon oder der Hörer aufgenommen oder gehalten werden muss. Mangels Regelungsspielraums des Arbeitgebers entfällt insoweit ein Mitbestimmungsrecht. Kein gesetzliches Verbot besteht hinsichtlich der Nutzung von Mobiltelefonen mittels einer Freisprechanlage, da hier kein Hörer aufgenommen oder gehalten werden muss. Das Gesetz sieht jedoch hinsichtlich der Nutzung von Mobiltelefonen mit Freisprechanlage auch keinerlei Vorschrift vor, wonach der Fahrzeugführer oder Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten Handlungsrahmens für die Gewährleistung der Verkehrssicherheit bei der Nutzung von Mobiltelefonen mit Hilfe von Freisprechanlagen sorgen muss. Es fehlt insofern an einer Vorschrift, die insofern einen "Rahmen" i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hinsichtlich vom Arbeitgeber zu treffender Maßnahmen vorschreibt. In Ermangelung einer solchen ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschrift fehlt es mithin auch an den Mitbestimmungsvoraussetzungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

15

3.)

Dahinstehen kann in Ermangelung eines Mitbestimmungsrechts die Frage, ob ein solches vom antragstellenden örtlichen Betriebsrat oder nicht vielmehr auf Grund der konzernweiten Anordnung vom Gesamt- oder Konzernbetriebsrat wahrzunehmen wäre (§§ 50,58 BetrVG), der Antrag also auch wegen fehlender Antragsbefugnis des örtlichen Betriebsrates unbegründet ist.

16

4.)

Als nicht tragender Teil der Entscheidungsgründe wird schließlich darauf hingewiesen, dass die hier durch Aushang vom 17.09. 02 erfolgte Direktionsmaßnahme völlig sachgerecht erscheint.

17

Nach Untersuchungen von Psychologen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg übersehen nämlich telefonierende Autofahrer trotz Freisprecheinrichtung immer noch fast ein Drittel der verkehrsbedeutsamen Informationen und benötigen bei Routineentscheidungen anderthalb mal so viel Zeit wie üblich (Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 21.12.02, Beilage "Motor und Straße", S. I/1).

18

Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass der ehrenamtliche Richter Willers kürzlich in Bonn an einem Vortrag teilgenommen hat, wo sogar vom Referenten die Auffassung vertreten wurde, die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht lege nahe oder gebiete sogar die Untersagung der Benutzung von Mobiltelefonen während der Fahrt auch unter Zuhilfenahme von Freisprecheinrichtungen. Dies unter Hinweis darauf, dass gerade bei dienstlichen Telefonaten, die auch schwierigere Fragen zum Inhalt haben können, ein guter Teil der Konzentration in das Telefonat und nicht auf den Straßenverkehr verwendet wird. Die von der Antragsgegnerin getroffene Anordnung erweist sich demnach auch als sehr zweckmäßig, wenn nicht sogar geboten.