Arbeitsgericht Celle
Beschl. v. 08.08.2002, Az.: 1 Ca 280/02
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist; Zurechnung des Verschuldens der Fristversäumung durch den Prozessbevollmächtigten; Umfang der Organisationspflicht des Rechtsanwaltes; Anforderungen an die Führung eines Fristenkalenders
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Celle
- Datum
- 08.08.2002
- Aktenzeichen
- 1 Ca 280/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 26162
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGCE:2002:0808.1CA280.02.0A
Rechtsgrundlage
- § 85 Abs. 2 ZPO
Fundstelle
- ZTR 2003, 43
In dem Rechtsstreit
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Celle
durch den Direktor des Arbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
am 30.07.02 ohne mündliche Verhandlung
- nachdem den Parteien rechtliches Gehör gewährt worden war -
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
Gründe
1.
Die Parteien streiten über Zahlung von Vergütung für die Monate Januar, Februar, März und April 02, über die Erteilung von Vergütungsabrechnungen sowie über die Übertragung des Urlaubsanspruchs 01 auf das Folgejahr.
Der ordnungsgemäß geladene, anwaltlich vertretene Beklagte ist zum Termin zur Güteverhandlung am 04.06.02 unentschuldigt nicht erschienen. Das antragsgemäß erlassene Versäumnisurteil wurde dem Beklagten am 06.06.02 zugestellt (Bl. 30 d.A.). Er hat dagegen mit dem am 19.06.02 eingegangenen Schriftsatz vom 17.06.02 Einspruch eingelegt (Bl. 32 d.A.).
Mit Schreiben vom 19.06.02 wies das Gericht den Beklagten darauf hin, dass der Einspruch verspätet eingegangen sei (Bl. 33 d.A.); mit Schreiben vom 04.07.02 wurde dem Beklagten mitgeteilt, dass über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil am 16.07.02 ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle.
Der Beklagte beantragt mit dem am 11.07.02 eingegangenen Schriftsatz vom 08.07.02 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führt zur Begründung aus, aus nicht aufzuklärenden Gründen sei von der mit der Bearbeitung der Post und der Eintragung von Rechtsmittelfristen betrauten, geschulten und zuverlässigen Rechtsanwalts-Fachangestellten ... anstelle der einwöchigen Einspruchsfrist eine Vorfrist und eine zweiwöchige Einspruchsfrist eingetragen worden; dementsprechend sei der Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt worden, die Nichteinhaltung der Einspruchsfrist sei erst mit dem Eingang des gerichtlichen Schreibens vom 04.07.02 aufgefallen. Der gerichtliche Hinweis vom 19.06.02 sei ihm nicht zugegangen.
2.
Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg.
Gem. § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Der Vortrag des Beklagten lässt indessen die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung verschuldet war; bereits dann, wenn die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung gegeben ist, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (BGH, 18.10.95, NJW 96, 319). Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss der Beklagte sich als eigenes anrechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Im Anwaltsbüro müssen sämtliche Eingänge täglich einem Juristen vorgelegt werden, der sie darauf zu überprüfen hat, ob fristwahrende Handlungen vorzunehmen sind. Durch eine allgemeine Anweisung an sein Büropersonal muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass ihm Posteingänge gesondert von Wiedervorlagen vorgelegt werden. Organisationsmittel der Fristenwahrung sind die Handakten und der Fristenkalender, erst durch deren Zusammenspiel wird eine zuverlässige Fristenwahrung gesichert. Deshalb muss organisatorisch dafür gesorgt sein, dass die Fristnotierungen in der Akte und im Kalender übereinstimmen, es muss eine allgemeine Anweisung bestehen, bei jeder Fristeintragung und Fristübertragung auf diese Übereinstimmung besonders zu achten. Eine mit Empfangsbekenntnis übersandte Urteilsausfertigung muss dem Anwalt zusammen mit den Handakten vorgelegt werden. Dabei muss bei der Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses sichergestellt sein, dass die damit beginnende Frist hinsichtlich ihres Ablauftages sowohl im Fristenkalender als auch in der Handakte eingetragen ist. Die Eintragungen können so organisiert sein, dass die dafür zuständige Mitarbeiterin die Fristen schon vor der Vorlage der Urteilsausfertigung zusammen mit den Handakten in diese und in den Fristenkalender eingetragen hat, so dass dem Anwalt bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses eine Kontrolle möglich ist. Ist das noch nicht geschehen, so muss der Anwalt eigenhändig das Zustellungsdatum auf der Urteilsausfertigung vermerken, eine Frist für die Wiedervorlage mit den Handakten bestimmen, und es muss sichergestellt sein, dass der Vorgang die für die Fristnotierung zuständige Mitarbeiterin erreicht, die dann die Frist berechnen und in Handakten und Fristenkalender eintragen muss. Das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung darf vom Rechtsanwalt grundsätzlich erst unterzeichnet und zurückgegeben werden, wenn der Zustellungszeitpunkt und damit der Beginn der Berufungsfrist entweder auf dem zustellten Schriftstück selbst oder sonst in den Handakten sowie der Ablauf der Berufungsfrist und die Fristnotierung in den Handakten vermerkt sind (LAG Hamm, 12.11.96, LAGE Nr. 23 zu § 233 ZPO mwN).
Dem Vorbringen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass sein Prozessbevollmächtigter Vorkehrungen getroffen hätte, um eine zuverlässige Fristenwahrung durch das Zusammenspiel der Handakten und des Fristenkalenders zu sichern. Er hat auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen es ihm entgehen konnte, dass die mit der Fristnotierung betraute Mitarbeiterin anstelle der einwöchigen Einspruchsfrist des § 59 Satz 1 ArbGG die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO in den Fristenkalender eingetragen hat.
In welcher Weise die mit der Fristnotierung betraute Mitarbeiterin über die Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten unterwiesen worden ist und wie die Eintragung der Fristen in den Fristenkalender kontrolliert wird, hat der Beklagte - darauf hat der Kläger zutreffend hingewiesen - nicht belegt. Auch ist nicht erkennbar, wodurch die Führung des Fristenkalenders überwacht und kontrolliert wurde. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten eingereichte und glaubhaft gemachte Erklärung war deshalb unzureichend. Der Wiedereinsetzungsantrag konnte deshalb - ohne dass es darauf ankäme, ob er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt worden ist - keinen Erfolg haben.