Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.10.2017, Az.: L 16 KR 62/17

Krankenversicherung; Freistellung von ärztlich verordneten Leistungen für häusliche Krankenpflege; Nichterbringung einer unaufschiebbaren Leistung; Krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.10.2017
Aktenzeichen
L 16 KR 62/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 34578
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 09.01.2017 - AZ: S 52 KR 152/15

Redaktioneller Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Kostenfreistellung nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V setzt voraus, dass der Versicherte einem wirksamen Kostenerstattungsanspruch wenigstens in Form einer sogenannten Sekundärhaftung ausgesetzt ist.

2. Das Risiko der Erfüllung aller sachlichen und persönlichen Voraussetzungen eines Sozialleistungsanspruchs trägt grundsätzlich der Versicherte als Anspruchsteller.

3. Es ist ein berechtigtes Anliegen eines Leistungserbringers, sich durch die Vereinbarung einer Sekundärhaftung des Versicherten für den Fall einer Ablehnung des vorrangigen, zur Kostenpflicht der Krankenkasse führenden Sachleistungsanspruchs vergütungsrechtlich abzusichern, soweit die Genehmigung einer beantragten Sachleistung durch die Krankenkasse noch aussteht.

4. In materieller Hinsicht setzt der Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V voraus, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt) oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Alt) und dadurch der Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war.

5. Das An- und Ablegen eines Stützkorsetts ist eine krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungssicherungspflege von der Krankenkasse zu leisten ist.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Freistellung von ärztlich verordneten Leistungen für häusliche Krankenpflege (HKP) in Form des Anlegens eines Stützkorsetts im Zeitraum vom 25. November 2014 bis 31. Januar 2015.

2

Die inzwischen 87-jährige Klägerin (geboren 1930) ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie lebt allein in einer Wohnung und wird von den verschiedenen Fachärzten eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Y. vertragsärztlich betreut. Die Klägerin ist in Pflegestufe 1 eingestuft (seit 1. Januar 2017 in Pflegegrad 2) und erhält als Pflegeleistung in diesem Rahmen 1mal wöchentlich eine sogenannte große Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst. Aufgrund der beanspruchten Kombinationsleistung steht ihr unter Abzug der Sachleistung Pflegegeld für die Beauftragung Dritter zB für die Übernahme von Einkäufen oder hauswirtschaftlichen Verrichtungen zur Verfügung. Darüber hinaus ist der Klägerin das tägliche An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Kompressionsklasse II verordnet worden; diese Leistungen hat die Beklagte auch durchgehend bewilligt.

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Die Klägerin leidet an den Folgen eines Kleinhirninfarktes, Ödemen, einer Kraftminderung der Hände, an einer Skoliose mit Wirbelkörperveränderungen und einer progedienten Osteoporose mit Frakturgefahr sowie einem Dauerschwindel. Darüber hinaus liegt bei der Klägerin eine Coxarthrose, eine Gonarthrose links sowie einer Arthrose des linken Handgelenks vor. Es erfolgte die Verordnung eines Stützkorsetts, dessen medizinische Notwendigkeit zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Eine Kostenübernahme für die Anschaffung des Stützkorsetts ist durch die Beklagte erfolgt.

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Mit Erstverordnung vom 25. November 2014 verordnete Dr I., Facharzt für Innere Medizin und Hausärztliche Versorgung, häusliche Krankenpflege statt Krankenhausbehandlung für die Zeit vom 25. November bis 9. Dezember 2014 in Form eines 1mal täglichen An- und Ausziehens des Stützkorsetts. Die Verordnung ging bei der Beklagten ausweislich des Eingangsstempels am 2. Dezember 2014 ein. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie stark sehbehindert sei, was das Anlegen des Stützkorsetts zusätzlich erschwere. Daher habe sie Anspruch auf eine Leistungsbewilligung im Rahmen der Behandlungspflege. Die Krankenkasse sei gehindert, in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten einzugreifen. Das Stützkorsett sei zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich. Selbst wenn das Anlegen des Stützkorsetts im Leistungsverzeichnis der Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinien) nicht ausdrücklich aufgeführt sei, seien die ärztlich verordneten Leistungen nicht der Grundpflege zuzurechnen. Der Leistungskatalog der HKP-Richtlinie sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) (Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R -) nicht abschließend. Das Sozialgericht (SG) Aachen habe in seiner Entscheidung vom 13. September 2011 (- S 13 KN 70/11 KR -) klargestellt, dass das Anziehen eines Stützkorsetts eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme in Form der Behandlungspflege darstelle. Der pflegerische Aufwand und die pflegerischen Fachkenntnisse beim An- und Ausziehen eines Stützkorsetts entsprächen dem An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II, die in der HKP-Richtlinie ebenfalls der Behandlungspflege zugeordnet würden.

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Mit Folgeverordnung vom 16. Dezember 2014, eingegangen bei der Beklagten am 23. Dezember 2014, verordnete Dr I. häusliche Krankenpflege für den Zeitraum vom 9. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 in Form des Anlegens eines Stützverbandes 1mal täglich, 7mal wöchentlich. Als verordnungsrelevante Diagnosen wurden Kleinhirninfarkt, Ödem und Kraftminderung beider Hände angegeben. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Januar 2015 ab, da die Voraussetzungen für häusliche Krankenpflege nach der geltenden Richtlinie nicht erfüllt seien. Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein.

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Die Klägerin hat über die Leistungserbringung einen Pflegevertrag mit dem ambulanten Pflegedienst Holzminden geschlossen, der für das Anlegen des Stützverbandes einen Einzelpreis iHv 5,38 Euro berechnet hat. Für die Leistungserbringung in der Zeit vom 25. bis 30. November 2014 berechnete er 21,52 Euro (Rechnung vom 1. Dezember 2014), für die Zeit vom 1. bis 8. Dezember 2014 Kosten iHv 32,28 Euro (Rechnung vom 2. Januar 2015), für die Zeit vom 8. bis 31. Dezember 2014 Kosten iHv 53,80 Euro (Rechnung vom 2. Januar 2015) und für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2015 abzüglich der Wegepauschalen iHv 134,50 Euro (Rechnung vom 2. Februar 2015), sodass sich die Kosten auf insgesamt 242,10 Euro belaufen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2015, der Klägerin zugestellt am 16. März 2015, wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Nach der derzeit gültigen HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) bedürften die von der Versicherten durch Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung beantragten Leistungen der Genehmigung durch die Krankenkasse. Die Genehmigungsvoraussetzungen lägen hier nicht vor. Die zitierte Rechtsprechung des BSG sei als Einzelfallentscheidung nicht verallgemeinerungsfähig.

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Die Klägerin hat am 15. April 2015 beim SG Hildesheim Klage erhoben und hält an ihrem Anspruch auf Kostenfreistellung für das Anlegen des Stützkorsetts fest. Ergänzend hat sie vorgetragen, dass durch das Tragen des Stützkorsetts eine Verschlimmerung des Krankheitsbildes verhütet werden solle und zum Beweis das Zeugnis der ambulanten Pflegekraft sowie des behandelnden Orthopäden angeboten. Zudem hat sie das Attest ihres behandelnden Orthopäden, Dr J., vom 22. Juni 2016 vorgelegt, nachdem sie auf das von ihm verordnete Korsett angewiesen sei. Dieses sei regelmäßig zu tragen. Wenn die Klägerin es nicht allein ankleiden könne, müsse Unterstützung zB durch einen Pflegedienst erfolgen.

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Das SG hat ua den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr J. vom 9. August 2016 angefordert.

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Mit Urteil vom 9. Januar 2017 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den angefallenen Kosten in Höhe von 242,10 Euro für die selbst beschafften Leistungen der ärztlich verordneten häuslichen Krankenpflege freizustellen. Das SG hat die Berufung zugelassen. Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs sei § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Unerheblich sei, dass die Erstverordnung über häusliche Krankenpflege "statt Krankenhausbehandlung" mithin als Vermeidungspflege ausgestellt worden sei. Der Anspruch auf Kostenerstattung für häusliche Krankenpflege umfasse sowohl Kosten der Vermeidungspflege als auch der Sicherungspflege. Das An- und Ablegen des Stützkorsetts sei eine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, zu deren Leistung die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet sei. Es sei dem vom BSG entschiedenen Fall des An- und Ablegens eines Gilchristverbandes vergleichbar; es sei ein untrennbarer Bestandteil sowohl der Körperpflege beim Waschen/Baden/Duschen als auch im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden. Dieser Einordnung stünden die Regelungen der HKP-Richtlinien einschließlich der das Leistungsverzeichnis beinhaltenden Anlagen nicht entgegen. Zu den Leistungen der Behandlungspflege nach Nr 31 des Leistungsverzeichnisses gehöre ua das Anlegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden zur unterstützenden Funktionssicherung der Gelenke. Die Regelungen seien entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu verstehen, dass als Grundpflege aufgeführte Maßnahmen grundsätzlich als Maßnahmen der Behandlungspflege ausgeschlossen seien. Vielmehr könne es zu Überschneidungen kommen, wenn die Maßnahmen zugleich krankheitsspezifisch seien und der Behandlungssicherung dienten. Es sei zu beachten, dass die HKP-Richtlinie nach Auffassung des BSG keinen abschließenden Leistungskatalog der im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zu erbringenden Maßnahmen darstelle. An der Notwendigkeit der Leistung im verordneten Umfang könnten aufgrund des Alters der Klägerin und ihrer Erkrankungen auch keine ernstlichen Zweifel bestehen. Das Stützkorsett sei vor dem Bauch mittels kleiner Häkchen und Ösen zu schließen, wobei auf den korrekten Sitz zu achten sei. Da das Stützkorsett sehr eng am Körper anliegen muss, sei ein nicht unerheblicher Kraftaufwand der Hände beim Anlegen erforderlich. Erschwerend wirke sich auch die bestehende Sehbehinderung aus.

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Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. Januar 2017 zugestellte Urteil am 3. Februar 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt und geltend gemacht, dass es sich beim Anlegen des Stützkorsetts nicht um eine Leistung der häuslichen Krankenpflege handele. Das erstinstanzliche Gericht habe sich in unzulässiger Weise ungefiltert die Rechtsprechung des SG Aachen und die Einzelfallentscheidung des BSG zu eigen gemacht, ohne sich ausreichend mit den Umständen des vorliegenden Einzelfalles zu befassen. Die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen seien von der "reinen" Grundpflege abzugrenzen. In der HKP-Richtlinie werde das An- und Ablegen des Stützkorsetts als Leistung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung unter Nr 4 aufgeführt, ohne Angaben zu Dauer und Häufigkeit. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen solle das Stützkorsett vorrangig der Unterstützung der geschwächten Muskeln und Knochen der 87-jährigen Klägerin dienen. Damit fehle es an einer speziellen Ausrichtung der Pflegemaßnahme auf den Krankheitszustand der Klägerin. Sie trage die Rückenorthese "Spinomed active" mit dem therapeutischen Nutzen der Stärkung der Muskelkraft, der Aufrichtung der Wirbelsäule sowie der Reduktion der Schwankneigung. Dem Stützkorsett komme vorliegend nur eine stabilisierende, aber keine heilende Funktion zu. Damit sei der Fall nicht mit der vom SG Aachen entschiedenen Fallkonstellation vergleichbar. Dort habe die Klägerin an einer Osteoporose gelitten, die in der Vergangenheit bereits zu mehreren Wirbelkörperfrakturen geführt habe. Das verordnete Stützkorsett war erforderlich um weitere Wirbeleinbrüche und Lähmungen zu verhindern. Vom pflegerischen Aufwand sei das Anlegen des Stützkorsetts nicht mit dem Aufwand des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II vergleichbar. Das Anziehen der Kompressionsstrümpfe erfordere sehr viel Kraft und solle möglichst im Liegen erfolgen. Daneben müsse es sehr präzise erfolgen und es sei darauf zu achten, dass die Strümpfe korrekt anlägen und keine Falten werfen oder gar abschnürend wirkten. Das SG habe versäumt, sich mit dem konkret von der Klägerin getragenen Modell zu befassen. Das SG Magdeburg (Urteil vom 23. September 2011 - S 22 KR 341/08) habe festgestellt, dass das An- und Ablegen eines Stützkorsetts der Grundpflege unterfalle. Zudem sieht sie ihre Rechtsauffassung im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen, 4. Senat (L 4 KR 366/15) bestätigt.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Januar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Klägerin trägt ergänzend vor, die Beklagte unterschätze den Aufwand beim Anziehen des Stützkorsetts. Die Klägerin müsse das Korsett zunächst vorne schließen und dann die Arme in die Öffnung einführen. Erst dann könne das Korsett über die Schultern gezogen werden. Danach seien 11 Häkchen und der Reißverschluss zu schließen. Für den richtigen Sitz sei das Stützkorsett im Stehen anzuziehen. Die Klägerin könne die Träger des Stützkorsetts nicht selbstständig über die Arme nach oben und über die Schultern ziehen aufgrund der Kraftlosigkeit der Hände und der defizitären Feinmotorik. Infolgedessen könne sie auch weder den Reißverschluss schließen noch die Häkchen. Die für die Inanspruchnahme im streitgegenständlichen Zeitraum aufgelaufenen Kosten habe der Pflegedienst gestundet, sodass es hier um einen Freihalteanspruch gehe. Für die Folgezeiträume sei gegen die Ablehnung der Bewilligung jeweils Widerspruch eingelegt worden, die im Hinblick auf das anhängige Gerichtsverfahren ruhend gestellt worden seien. Der

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4. Senat des LSG (L 4 KR 366/15) habe für die maßgebliche Abgrenzung von Behandlungspflege auf drei Voraussetzungen abgestellt: die Pflegemaßnahme müsse durch eine bestimmte Krankheit verursacht worden sein. Die Pflegemaßnahme müsse speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sein. Es müsse sich um eine Maßnahme handeln, die typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werde. Auf diese Hinweise hin habe die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen. Die Klägerin hat ausführliches Bildmaterial zu dem streitbefangenen Stützkorsett, der zum Anlegen erforderlichen Bewegungen sowie einen diesbezüglichen Kurzbericht des ambulanten Pflegedienstes vom 10. April 2017 vorgelegt.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigefügten Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte über die gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobenen Berufung ohne mündliche Verhandlung gem § 124 Abs 2 SGG entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

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Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 und 4 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat Anspruch auf Freistellung von den Kosten für das An- und Ausziehen des Stützkorsetts im Rahmen der Behandlungspflege.

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1. Rechtsgrundlage für den Freistellungsanspruch ist § 13 Abs 3 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittene Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn die Kostenverpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte dann statt einer Erstattung die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (BSG Urteil vom 10. Februar 2000, -B 3 KR 26/99).

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a) Ein Anspruch auf Kostenfreistellung nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V setzt allerdings voraus, dass der Versicherte einem wirksamen Kostenerstattungsanspruch wenigstens in Form einer sogenannten Sekundärhaftung ausgesetzt ist. Das Risiko der Erfüllung aller sachlichen und persönlichen Voraussetzungen eines Sozialleistungsanspruchs trägt grundsätzlich der Versicherte als Anspruchsteller. Es ist ein berechtigtes Anliegen eines Leistungserbringers, sich durch die Vereinbarung einer Sekundärhaftung des Versicherten für den Fall einer Ablehnung des vorrangigen, zur Kostenpflicht der Krankenkasse führenden Sachleistungsanspruchs vergütungsrechtlich abzusichern, soweit die Genehmigung einer beantragten Sachleistung durch die Krankenkasse noch aussteht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2017, L 11 KR 2703/16 Rn 32 im Anschluss an BSG, Urteil vom 3. August 2006, B 3 KR 24/05 R Rn 21). Im vorliegenden Fall besteht eine solche Sekundärhaftung der Klägerin. Das Angebot zum Abschluss eines Pflegevertrages über das Anlegen eines Stützverbandes/Stützkorsetts zum Einzelpreis von 5,38 Euro des ambulanten Pflegedienstes Y. vom 1. Dezember 2914 enthält den Passus, dass im Falle der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse, die Kosten der Klägerin in Rechnung gestellt werden. Mit diesem Passus hat sich die Klägerin bei Vertragsschluss einverstanden erklärt. Zwar wird in Satz 2 des Passus für eine Inanspruchnahme der Klägerin eine abschließende Klärung der Übernahmeverpflichtung im Widerspruchs- und ggfs in einem Sozialgerichtsverfahren abgewartet. Die in dieser Abrede liegende Stundung der Kosten bis zu einer endgültigen Klärung der Kostentragung im sozialgerichtlichen Verfahren steht einer tatsächlichen Kostenbelastung aber nicht entgegen (vgl LSG Baden-Württemberg aaO.).

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b) In materieller Hinsicht setzt der Freistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V voraus, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt) oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2.Alt) und dadurch der Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Eine Unaufschiebbarkeit der Leistung liegt hier offensichtlich nicht vor. Die Klägerin kann einen Freistellungsanspruch jedoch auf die 2. Alternative des § 13 Abs 3 S 1 SGB V stützen, weil die Beklagte eine Kostenübernahme im Rahmen der Gewährung häuslicher Krankenpflege zu Unrecht abgelehnt hat.

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(aa) Der für die Einhaltung des Beschaffungsweges grundsätzlich erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung wird für Leistungen der häuslichen Krankenpflege in den Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinien) speziell geregelt (hier anzuwenden idF vom 17. September 2009, in Kraft getreten am 10. Februar 2010). Gemäß § 37 Abs 2 S 1, 1. HS SGB V erhalten Versicherte ua in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist. Nach § 37 Abs 6 S 2 SGB V (in der bis zum 20. Dezember 2015 gültigen Fassung) legt der GBA das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V fest. In § 6 HKP-Richtlinie wird das Genehmigungsverfahren für Leistungen der häuslichen Krankenpflege bestimmt.

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Nach Abs 6 dieser Vorschrift übernimmt die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Absatz 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Die Verordnung der häuslichen Krankenpflege vom 25. November 2014 - einem Dienstag - ist vorliegend ausweislich des Eingangsstempels allerdings erst am 2. Dezember 2014 bei der Beklagten und damit verfristet eingegangen. Das ist jedoch unschädlich, weil § 6 Abs 6 Satz 2 HKP-Richtlinie darauf verweist, dass das Nähere von den Partnern der Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs 1 SGB V geregelt wird. In der mit der AOK Niedersachsen abgeschlossenen Vereinbarung gemäß § 132a Abs 2 SGB V haben die Vertragspartner in § 11 Abs 4 letzter Satz bestimmt, dass die Kosten für genehmigte bzw zu genehmigende und vom Pflegedienst erbrachte Leistungen auch bei verfristeter Einreichung der Verordnung durch die Krankenkasse zu tragen sind. Dementsprechend ist der Beschaffungsweg vorliegend auch bei Eingang der Erstverordnung am 2. Dezember 2014 noch eingehalten.

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(bb) Die beantragte Leistung in Form des An- und Ablegens des Stützkorsetts ist als Maßnahme der Behandlungspflege auch notwendig.

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Gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB V erhalten Versicherte ua in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist (idF vom 26. März 2007).

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Unschädlich ist insoweit, dass die verordnete häusliche Krankenpflege in den Verordnungen als Krankenhausvermeidungspflege (statt Krankenhausbehandlung) (§ 2 Abs 1 HKP-Richt-linie) statt der zutreffenden Sicherungspflege verordnet worden ist. Das Tragen des Stützkorsetts sollte nicht der kurzfristigen Vermeidung eines Krankenhausaufenthalts dienen, sondern die ärztliche Behandlung einer akuten Erkrankung ermöglichen bzw deren Ergebnis sichern. Die Beklagte hat aber zutreffend eine Leistung der Behandlungssicherung geprüft und abgelehnt. Darauf hat das SG bereits in der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen.

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Nach § 2 Abs 3 HKP-Richtlinie kann häusliche Krankenpflege als Sicherungspflege verordnet werden, wenn die ambulante vertragsärztliche Versorgung nur mit Unterstützung durch Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege durchgeführt werden kann. In diesen Fällen ist häusliche Krankenpflege nur als Behandlungspflege verordnungsfähig. Nach § 2 Abs 4 können verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen als Behandlungspflege auch dann verordnet werden, wenn dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit in der Pflegeversicherung bereits berücksichtigt worden ist. Demgegenüber können Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen der Sicherungspflege nicht eigenständig verordnet werden (§ 2 Abs 5 1. HS).

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(1) Der Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen ist von der Rechtsprechung entwickelt und vom Gesetzgeber aufgenommen worden. Danach sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand der Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden. Das BSG hat den Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen in einem Fall geprägt, in dem es um das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ging. Mit Aufnahme in § 37 Abs 2 S 1 SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 hat der Gesetzgeber diese verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme ausdrücklich der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Behandlungspflege unterworfen. Klarstellend hat die Rechtsprechung zur Abgrenzung von krankheitsspezifischen verrichtungsbezogenen Pflegemaßnahmen den Begriff der "reinen Grundpflege" geprägt (BSG Urteil vom 16. Juli 2014, - B 3 KR 2/13 R mwN).

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Das An- und Ablegen des Stützkorsetts ist eine krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungssicherungspflege von der beklagten Krankenkasse zu leisten ist (so in einem Parallelverfahren auch das SG Aachen, Urteil vom 13. September 2011, - S 13 KN 70/11 KR). Der Senat vermag sich der gegenteiligen Auffassung des SG Magdeburg (Urteil vom 23. September 2011 - S 22 KR 341/08), nicht anzuschließen. Die dort vertretene Auffassung, das An- und Ablegen des Stützkorsetts unterfalle dem üblichen An- und Auskleiden im Rahmen der Körperpflege und sei daher der Grundpflege zuzuordnen mit der Folge, dass § 37 Abs 2 SGB V nicht eröffnet ist, greift insbesondere nach den Ausführungen des BSG in der zeitlich später ergangenen Entscheidung zum Gilchristverband zu kurz. Zudem fehlt eine Begründung, warum das Anlegen eines Stützkorsetts grundsätzlich dem üblichen An- und Auskleiden entsprechen soll. Die erforderlichen Abläufe zum Anlegen des Stützkorsetts werden nicht betrachtet, sodass auch der Zeitaufwand im Vergleich zum Anziehen von Alltagskleidung nicht beleuchtet wird. Insbesondere ist der benötigte Zeitaufwand zum Anlegen des Stützkorsetts nicht mit dem erforderlichen Aufwand für das Anziehen von handelsüblicher Miederware vergleichbar. Das liegt schon in dem Umstand begründet, dass ein Korselett im Bereich der Miederware allenfalls formend, aber nicht stützend wirkt. Zum Aufbau der Stützfunktion ist eine wesentlich höhere Kompression erforderlich mit der Folge, dass zum Anlegen eines Stützkorsetts sehr viel mehr Kraft aufgewandt werden muss.

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Vorliegend wurde der Klägerin das Stützkorsett wegen einer fortgeschrittenen degenerativen Skoliose der Wirbelsäule, einer progredienten Osteoporose mit erhöhter Frakturgefahr, eines Cervicalsyndroms mit Facettensymptomatik und Cervicocephalgie verordnet. Das Tragen des Stützkorsetts beruht ursächlich auf diesen Erkrankungen und soll eine Verschlimmerung der Wirbelsäulenerkrankung verhüten und die Krankheitsbeschwerden lindern. Dementsprechend hat die Beklagte auch die Anschaffungskosten für das Stützkorsett übernommen. Das An- und Ausziehen des Stützkorsetts ist untrennbarer Bestandteil sowohl der Körperpflege beim Waschen/Duschen/Baden als auch im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden. Das An- und Ausziehen sowie eine elementare Körperpflege sind unabdingbare Grundbedürfnisse (BSG aaO.).

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Dem stehen die Regelungen in der HKP-Richtlinie einschließlich der das Leistungsverzeichnis beinhaltenden Anlage nicht entgegen. Die HKP-Richtlinie enthält als Anlage ein Leistungsverzeichnis mit den verordnungsfähigen Leistungen. Danach sind alle Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung des Verzeichnisses ausschließlich im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Abs 1 SGB V oder als Satzungsleistung zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nach § 37 Abs 2 SGB V verordnungsfähig. Die enthaltenen Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen sind Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann (BSG aaO.). In dem der HKP-Richtlinien angehängten Leistungsverzeichnis werden unter den laufenden Nrn 1 bis 4 die Leistungen der Grundpflege und unter den laufenden Nrn 6 bis 31 Leistungen der Behandlungspflege aufgelistet. Als Leistung der Behandlungspflege beschreibt das Leistungsverzeichnis unter Nr 31 ua das An- oder Ausziehen von Kompressionsstrümpfen oder -Strumpfhosen der Kompressionsklassen II bis IV.

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Nach der Rechtsprechung des BSG sind diese Regelungen auch nicht so zu verstehen, dass die bei der Grundpflege aufgeführten Maßnahmen als Maßnahmen der Behandlungspflege von vornherein nicht in Betracht kommen. Denn eine solche Auslegung der HKP-Richtlinie würde gegen die ausdrückliche gesetzliche Bestimmung des § 37 Abs 2 S 1 HS 2 SGB V verstoßen, mit welcher der Gesetzgeber klargestellt hat, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen vom Anspruch auf Behandlungspflege umfasst sind. Bei den grundpflegerischen Maßnahmen kann es daher Überschneidungsbereiche geben, wenn diese zugleich krankheitsspezifisch sind und der Behandlungssicherung dienen (BSG aaO., Rn 25).

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Das An- und Ablegen des Stützkorsetts ist aufgrund der bei der Klägerin vorliegenden Multimorbidität und ihres hohen Alters unter die im Leistungsverzeichnis zu Nr 31 genannten Leistungen der Behandlungspflege einzuordnen, denn das Stützkorsett ist eine stützende und stabilisierende Korsage, die der Funktionssicherung der Wirbelsäule dient. Auch nach Auffassung der Berufungsführerin dient es neben einer Stärkung der Rückenmuskulatur vor allem der Aufrichtung der Wirbelsäule sowie einer Reduktion der Schwankneigung. Dementsprechend kommt ihm eine den Kompressionsstrümpfe ab Kompressionsklasse II vergleichbare Unterstützungsfunktion zu im Unterschied etwa zu der Alltagskleidung zuzuordnenden Miederware. Zwar hat es keine Wirkung auf einen venösen Rückfluss oder Lymphabfluss; allerdings hat es wie der vom BSG entschiedene Gilchristverband eine vergleichbare funktionsspezifische Wirkweise auf das Zielorgan. Das Stützkorsett wirkt insoweit funktionsspezifisch auf die Wirbelsäule, als es deren Aufrichtung dient bei gleichzeitiger Minimierung der Schwankneigung und somit nicht nur der Gefahr von Sinterungsbrüchen vorbeugt, sondern auch die Sturzgefahr bei Mobilität senkt. Um diese Wirkung erzielen zu können, muss das Korsett den Oberkörper ähnlich einem Kompressionsverband/-strumpf fest umschließen.

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Die unter Nr 31 beschriebenen Voraussetzungen für eine Verordnungsfähigkeit werden erfüllt. Für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe wird ua gefordert, dass die Versicherten an einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten leiden, dass sie die Kompressionstrümpfe bzw den Kompressionsverband nicht fachgerecht an- oder ausziehen können oder (alternativ), dass eine so starke Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit vorliegt, dass sie zu schwach sind, die Kompressionsstrümpfe fachgerecht an- und auszuziehen. Ausweislich der ärztlichen Befundberichte sowie der Verordnung liegen bei der Klägerin die genannten Voraussetzungen kumulativ vor. Ausweislich der ärztlichen Verordnung vom 16. Dezember 2014 besteht bei der Klägerin eine erhebliche Kraftminderung beider Hände; zudem besteht eine schmerzhafte Arthrose im linken Handgelenk. Die von der Klägerin vorgetragene defizitäre Feinmotorik der Hände wird von den Pflegekräften des ambulanten Pflegedienstes im Bericht vom 10. April 2017 bestätigt. Daneben bestehen altersbedingt Einschränkungen in der Rumpfstabilität und in der Bewegungskoordination. Erschwerend wirken sich der ärztlich attestierte Schwindel aus, der sich von einem Lagerungsschwindel zu einem Dauerschwindel entwickelt hat, sobald der Kopf bewegt wird, und das eingeschränkte Sehvermögen. Aufgrund dieser Einschränkungen ist die Klägerin weder im Sitzen noch im Stehen (wie es ein ordnungsgemäßer Sitz des Korsetts erfordert) in der Lage, das Stützkorsett alleine fachgerecht an- oder abzulegen. Aufgrund der eingeschränkten Feinmotorik ist sie auch nicht im Stande, den Reißverschluss zu schließen oder die 11 Häkchen. Der vorgelegten Bilddokumentation lässt sich entnehmen, dass zunächst die kleinen Häkchen geschlossen werden müssen, um anschließend den Reißverschluss bedienen zu können. Insoweit ist in Rechnung zu stellen, dass das Stützkorsett funktionsentsprechend eng anliegen muss, sodass beim Schließen von Häkchen und Reißverschluss ein erheblich höherer Kraftaufwand erforderlich ist als dies bei Alltagskleidung der Fall ist. Bei den Hilfestellungen zum Anlegen des Stützkorsetts handelt es sich auch um eine Maßnahme, die typischerweise nicht vom Arzt erbracht wird, sondern von Pflegepersonal oder Laien ausgeführt wird. Eine Hilfestelle durch Haushalts- oder Familienangehörige kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Klägerin allein in einer Wohnung lebt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Die Revision war nicht zulassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, die sich im Rahmen der zitierten, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien hält.