Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 21.04.2010, Az.: 26 Qs 58/10

Unterlassen der Durchführung einer ermittlungsrichterlichen Anordnung; Prüfungskompetenz und Verwerfungskompetenz hinsichtlich richterlicher Entscheidungen; Ausführungspflicht bzgl. einer angeordnete Maßnahme bei einfachgesetzlicher Rechtswidrigkeit

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
21.04.2010
Aktenzeichen
26 Qs 58/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 32324
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2010:0421.26QS58.10.0A

Fundstellen

  • MMR 2010, 800
  • wistra 2010, 414-415

In dem Ermittlungsverfahren
...
hat die 16. große Strafkammer des Landgerichts ...
auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 12.03.2010
gegen den Beschluss des Amtsgerichts ... vom 05.03.2010 (...)
unter Mitwirkung
des Richters am Landgericht ...,
des Richters ... und
des Richters am Landgericht ...
am 21.04.2010
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.

Gründe

1

I.

Mit Beschluss vom 05.03.2010 (...) hat das Amtsgericht ... gegen die Beschwerdeführerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 750,- EUR festgesetzt, weil diese sich in der Zeit vom 16. bis zum 21.12.2009 geweigert hat, einem ihr am 16.12.2009 zugegangenen Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 15.12.2009 (...) nachzukommen. Mit diesem hatte der Ermittlungsrichter für die Dauer von 3 Monaten u.a. die Überwachung des E-Mail-Verkehrs angeordnet, den der Beschuldigte über den von der Beschwerdeführerin als Provider zur Verfügung gestellten E-Mail-Account "... führt.

2

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zutreffende Darstellung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

3

Gegen die Festsetzung des Ordnungsgelds wendet sich die Beschwerdeführerin mit dem Rechtsmittel der Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

4

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt in der Sache nicht zum Erfolg. Die ausführlichen Gründe der angefochtenen Entscheidung - auf die zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit Bezug genommen wird - treffen zu. Das Beschwerdevorbringen greift demgegenüber nicht durch. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:

5

Die Beschwerdeführerin maßt sich mit ihrer Weigerung, der ermittlungsrichterlichen Anordnung vom 15.12.2009 nachzukommen, weil die angeordnete Überwachung des E-Mail-Verkehrs auf der Grundlage der §§ 100a und 100b StPO und nicht nur des § 99 StPO erfolgen müsse, eine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz an, die ihr nicht zusteht.

6

Eine Aufhebungs- bzw. Abhilfe- oder Verwerfungskompetenz getroffener richterlicher Entscheidungen steht lediglich dem Ermittlungsrichter selbst und dem Beschwerdegericht zu.

7

Der verpflichtete Telekommunikationsdienstleister hat die richterlich angeordnete Maßnahme, jedenfalls sofern sie - wie hier - inhaltlich hinreichend bestimmt ist, keiner eigenen Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterziehen, sondern diese schlicht unverzüglich auszuführen, jedenfalls die Ausführung nicht von der eigenen Rechtsauffassung abhängig zu machen.

8

Vor diesem Hintergrund kann es auch dahinstehen, ob die angeordnete Maßnahme auf die Vorschriften der §§ 100a und 100b StPO oder auf die des § 99 StPO zu stützen ist, zumal die Beschwerdeführerin ihre Weigerung im konkreten Fall schlicht davon abhängig gemacht hat, welche Vorschriften in der ermittlungsrichterlichen Entscheidung genannt sind. Dass die Beschwerdeführerin die materielle Rechtmäßigkeit der angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme selbst nicht in Zweifel gezogen hat, ergibt sich bereits aus ihrer Stellungnahme gegenüber dem Amtsgericht zu dem ihr angedrohten Ordnungsgeld, in der es heißt:

"Die Voraussetzungen des § 100 a StPO dürften ausweislich des im Beschluß mitgeteilten Straftatbestandes vorliegen, so dass eine Beschlußberichtigung unproblematisch möglich erscheint."

9

Selbst wenn die angeordnete Maßnahme einfachgesetzlich rechtswidrig gewesen wäre - wozu nach Lage der Akten kein Anhalt besteht -, hätte die Beschwerdeführerin sie ausführen müssen, weil die formelle und materielle Wirksamkeit der ermittlungsrichterlichen Entscheidung hiervon nicht berührt wird, solange die Anordnung nicht vom Ermittlungsrichter selbst von einer Beschwerdeinstanz aufgehoben wird oder die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung angeordnet wird.

10

Die Beschwerdebefugnis des Telekommunikationsunternehmens wird hierdurch nicht berührt. Es steht ihm selbstverständlich frei, Rechtsmittel einzulegen.

11

Im konkreten Fall hat die Beschwerdeführerin auch eine "Gegenvorstellung" erhoben, allerdings erst unter dem 21.12.2009, also zu einem Zeitpunkt, als sie der ermittlungsrichterlichen Maßnahme bereits mehrere Tage lang nicht nachgekommen war. Im Übrigen hätte die Gegenvorstellung, selbst wenn sie - entgegen ihrem Wortlaut - als förmliches Rechtsmittel (hier Beschwerde) auszulegen gewesen wäre, den Vollzug der angegriffenen Entscheidung nicht gehemmt (§ 307 Abs. 1 StPO).

12

Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die getroffene richterliche Entscheidung nichtig wäre. Das wäre der Fall, wenn sie an einem derart schweren Mangel leidet, dass es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich wäre, sie als verbindlichen Richterspruch anzunehmen und gelten zu lassen, und der Mangel für einen verständigen Beurteiler offen zutage liegt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., 2009, Einl., Rdnr. 105 m.w.N.). Dies anzunehmen erscheint im vorliegenden Fall abwegig.

13

Gegen das Verfahren der Ordnungsgeldfestsetzung ist nichts zu erinnern. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte Höhe von 500,- EUR mit dem festgesetzten Betrag überschritten hat. Das Amtsgericht war an den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gebunden.

14

Auch im Übrigen ist die Höhe des auferlegten Ordnungsgeldes nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich im zulässigen Rahmen des Art. 6 Abs. 1 EGStGB. Die Höhe des Ordnungsgeldes im oberen Drittel dieses Rahmens anzusiedeln erscheint angemessen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Weigerung der Beschwerdeführerin Datenverlust und mithin Beweismittelverlust unmittelbar drohte. Die über mehrere Tage nicht befolgte richterliche Anordnung war unaufschiebbar. Das wirtschaftliche Leistungsvermögen der Beschwerdeführerin steht der Höhe des Ordnungsgeldes nicht entgegen.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

16

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).