Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.10.1988, Az.: 3 U 306/87

Erlöschen der Bürgschaft durch rein faktisches Geschehen wie das Ausscheiden aus einer Gesellschaft; Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.10.1988
Aktenzeichen
3 U 306/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 18241
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:1005.3U306.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 06.11.1987 - AZ: 8 O 43/87

Fundstellen

  • GmbHR 1989, 418 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1989, 548-549 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Bürgschaftsforderung

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 1988
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...,
des Richters am Oberlandesgericht ... sowie
des Richters am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 6. November 1987 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000 DM abzuwenden, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den Parteien bleibt nachgelassen, die zu leistende Sicherheit durch eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Beschwer:64.823,17 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaftserklärung vom 14.11.1983 (Bl. 15 d.A.) in Anspruch. Darin hatte der Beklagte für alle Forderungen der Klägerin gegen die Fa. ... "die selbstschuldnerische an eine bestimmte Zeit nicht beschränkte Bürgschaft" übernommen.

2

Mit der Fa. ... schloß die Klägerin am 14.11./22.11.1983 einen Factoring-Vertrag (Bl. 11 d.A.), der nach § 10 Abs. 4 des Vertrages zur Finanzierung des Umlaufvermögens der GmbH dienen sollte. Die Klägerin übernahm die Kundenforderungen der GmbH zum Rechnungsbetrag und bevorschußte sie zu 90 %; die Vorschüsse waren mit 9,25 % zu verzinsen. Für den Fall der Haftungsübernahme (nur für Zahlungsfähigkeit) berechnete die Klägerin 1 % vom Bruttorechnungsbetrag zuzüglich 3 DM pro Rechnung sowie 20 DM pro Kreditgenehmigungsantrag als Entgelt. Der Beklagte war Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Am 26.10.1984 schied er aus der GmbH durch Übertragung seiner Geschäftsanteile und als Geschäftsführer aus. Dies teilte er mit Schreiben vom 03.12.1984 der Klägerin mit und kündigte die Bürgschaft "vorsorglich" zum 15.12.1984. Mit Schreiben vom 12.07.1985 teilte die Klägerin dem Beklagten die Kündigung des Factoring-Vertrages aufgrund des Konkursantrages der Fa. ... und die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft mit. Die Klägerin akzeptierte die Kündigung der Bürgschaft durch den Beklagten zunächst nicht und beantragte einen Mahnbescheid in Höhe des per 15.09.1985 auf dem Vorschußkonto bestehenden Saldos von 92.285,53 DM. Nach Einlegung des Widerspruchs durch den Beklagten akzeptierte die Klägerin die vom Beklagten ausgesprochene Kündigung zum 31.03.1985 und begehrte nunmehr unter Erhöhung der Klagforderung den per 31.03.1985 bestehenden Kontostand von 293.156,45 DM.

3

Die Klägerin hatte folgenden Antrag angekündigt,

4

der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 293.156,45 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 21.12.1985 zu zahlen.

5

Im Termin am 24.04.1987 erschien die Klägerin nicht. Auf Antrag des Beklagten wurde die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Gegen dieses Versäumnisurteil hat die Klägerin rechtzeitig teilweise Einspruch eingelegt.

6

Sie hat behauptet, der per 31.03. bestehende Sollbetrag habe sich zwischenzeitlich (bis 15.04.1987) durch Verrechnung der Eingänge mit den Vorfschüssen auf 64.823,17 DM verringert.

7

Die Klägerin hat beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils vom 24.04.1987 den Beklagten zur Zahlung von 64.823,17 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 21.12.1985 zu verurteilen.

8

Der Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

9

Der Beklagte ist der Meinung, seine Kündigung vom 03.12.1984 sei wirksam, sie entspreche dem beiderseitigen Interesse. Im übrigen sei die Abrechnung der Klägerin völlig unübersichtlich. Abzustellen sei zudem nicht auf den 31.03.1985, sondern auf den Tag mit dem niedrigsten Sollstand des Vorschußkontos. Diese Forderung sei durch Zahlungen der Schuldner erloschen.

10

Das Landgericht hat durch Urteil vom 06.11.1987 das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Kündigung der Bürgschaft wirke zum 15.01.1985. Zu diesem Zeltpunkt habe keine fällige Forderung der Klägerin bestanden. Im übrigen sei per 15.01.1985 das gesamte Vertragsverhältnis (offene Vorauszahlungen zuzügl. Kosten abzügl. später darauf eingehender Zahlungen) abzurechnen, was nicht geschehen sei.

11

Gegen dieses am 13.11.1987 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.12.1987 Berufung eingelegt und sie innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 14.03.1988 begründet.

12

Die Klägerin vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und tritt vor allem der vom Landgericht angenommenen Wirkung der Kündigung zum 15.01.1985 entgegen.

13

Sie ist der Meinung, daß die Frist für das Wirksamwerden der Kündigung mindestens 90 Tage entsprechend dem Zahlungsziel der Kunden in § 9 Abs. 1 des Factoring-Vertrages betragen müsse. Im übrigen handele es sich bei den nach der Kündigung bevorschußten Forderungen um Aufträge, die noch der Beklagte selbst im Herbst 1984 hereingeholt habe. Die Forderungen seien fällig, da geleistete Vorschüsse zurückzuzahlen seien, wenn Gutschriften erteilt würden. Im übrigen beziehe sich die Bürgschaft auch auf nichtfällige Forderungen.

14

Die Klägerin behauptet, per 12.02.1988 belaufe sich ihre Forderung gegen die Hauptschuldnerin inklusive Zinsen und Kosten unter Berücksichtigung weiterer Zahlungen der Kunden auf 84.783,76 DM.

15

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts und unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils vom 24.04.1987 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin 64.823,17 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 21.12.1985 zu zahlen.

16

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17

Er verteidigt das angefochtene Urteil, ist aber der Meinung, eine Kündigungsfrist zum 15.12.1984 sei angemessen. Im übrigen sei die Forderung nicht nachvollziehbar. Sämtliche bis Januar bevorschußten Rechnungen seien vollständig beglichen worden.

Entscheidungsgründe

18

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen.

19

Die Klägerin hat nicht dargetan, daß ihr gegen die Fa. ... Forderungen zustehen, auf die sich die Bürgschaft des Beklagten vom 14.11.83 noch erstreckt.

20

1.

Zwar wurde die Bürgschaft nicht für eine bestimmte Zeit übernommen, d.h. sie gilt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung. Reines faktisches Geschehen, wie das Ausscheiden aus einer Gesellschaft, führt nicht automatisch zum Erlöschen der Bürgschaft (OLG Zweibrücken, NJW 86, 258). Die Kreditbürgschaft für laufende Konten auf unbestimmte Zeit unterliegt jedoch wie alle Dauerschuldverhältnisse der Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund (BGH WM 59, 855, NJW 86, 252). Dem Bürgen steht nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder dem Eintritt besonders wichtiger Umstände das Recht zu, die Bürgschaft mit Wirkung für die Zukunft zu kündigen. Dem Gläubiger ist dabei grundsätzlich eine angemessene Frist einzuräumen, um sich auf die veränderte Lage einzustellen (BGH a.a.O.). Einen solchen besonderen wichtigen Umstand stellt das Ausscheiden des Gesellschafters und Geschäftsführers einer GmbH dar, der sich persönlich für Forderungen gegen seine - ehemalige - Gesellschaft verbürgt hat (Palandt BGB 46. Aufl., § 765 Anm. 2; OLG Zweibrücken a.a.O.; BGH NJW 85, 3007). Auch in einem solchen Fall, der hier vorliegt, ist aber eine angemessene Kündigungsfrist einzuhalten, zumindest dann, wenn das Ausscheiden ohne Beibringung neuer Sicherheiten erfolgt (BGH NW 86, 252 (253)). Etwas anderes gilt nur, wenn der Gläubiger kein berechtigtes Interesse an der Bürgschaft hat (BGH NJW 85, 3007).

21

Bei der Frage, welche Frist insoweit angemessen ist (Klägerin 31.03.1985, Landgericht 15.01.1985, Beklagter 15.12.1984) sind die einzelnen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Weiter werden gesetzliche vergleichbare Fristsetzungen im BGB (§§ 1193 Abs. 1, 609 Abs. 2 BGB) herangezogen, weshalb bei Kreditbürgschaften von einer üblichen angemessenen Kündigungsfrist von 3 Monaten ausgegangen wird (Derleder NJW 86, 97 (102); Canaris, Kommentar zum HGB, 3. Aufl., § 356 Rdnr. 33). In diesem Fall ist jedoch zu sehen, daß die Bürgschaft nicht einen normalen Kontokorrentkredit, sondern lediglich Vorschüsse aus einem Factoring-Vertrag sichert. Die Bürgschaft kommt nur in besonderen Fällen zum Tragen. Sie sichert in erster Linie Vorschüsse, die durch spätere Gutschriften auf die Rechnungen (z.B. wegen Minderung und/oder Wandlung), notleidend werden, und Kosten und Zinsen, soweit alle diese Beträge durch die mindestens 10 % ige höhere Kaufpreisforderungen nicht mehr abgedeckt werden, sowie die uneinbringlichen Forderungen, für die die Klägerin nicht das Delkredere übernommen hat. Der Sicherungszweck ist daher begrenzt. Die Klägerin führt selbst aus, daß bis zum März 1985 der Stand des Kontos, auf dem die angekauften Rechnungen verbucht waren, den Stand des Kontos, auf dem die Vorschüsse, Zinsen und Kosten verbucht wurden, regelmäßig überstieg, d.h. die Klägerin ausreichend sicherte. Wenn man weiter berücksichtigt, daß die Klägerin vor dem Ankauf der Rechnungen eine eigene Bonitätsprüfung des Kunden anstellte und erst danach eine Vorauszahlung vornahm, d.h. die Hauptschuldnerin nicht das Konto wie bei einem Kontokorrentkredit ohne weiteres belasten konnte, und daß die Klägerin gemäß ihren Vertragsbedingungen jederzeit neue Sicherheiten verlangen konnte, ist die vom Landgericht für angemessen erachtete Frist von 4 bis 6 Wochen durchaus zutreffend. Die Gefährdung etwaiger Ansprüche der Klägerin und damit das berechtigte Interesse der Klägerin als Gläubigerin ist hier deutlich geringer als im Normalfall der Kreditbürgschaft. Das Zahlungsziel des § 9 des Factoring-Vertrages ist insoweit kein Gesichtspunkt für eine längere Frist. Das Zahlungsziel berührt nicht die Frage, ob der ausbezahlte Vorschuß durch die angekaufte Forderung gesichert ist, sondern nur die Fälligkeit letzterer Forderung und - aber nur unwesentlich - die Zinsen für den Vorschuß. Die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten endet daher mit dem 15.01.1985.

22

2.

Gem. §§ 765, 767 BGB haftet der Beklagte demnach für sämtliche Forderungen, die die Klägerin gegen die Fa. ... zu diesem Zeitpunkt hatte, soweit sie nicht durch spätere Zahlungen erloschen sind. Dabei ist für die Frage der Haftung des Beklagten unerheblich, ob die Forderung fällig war oder nicht. Eine Bürgschaft sichert auch während ihrer Geltung entstandene, noch nicht fällige Forderungen ab. Fälligkeit muß während der Geltendmachung bestehen.

23

Nicht hierunter fallen jedoch Ansprüche, in denen die Aufträge der Hauptschuldnerin bereits vorher erteilt wurden. Entscheidend für den Haftungsumfang ist die Auszahlung des Vorschusses, d.h. erst nach Vorlage der Rechnung und ihrer Akzeptierung durch die Klägerin greift die Haftung des Bürgen ein.

24

Zur Darlegung der Bürgschaftsforderung reicht also nicht die Vorlage eines Kontoauszuges des Vorschußkontos aus. Dieser liegt vor (Bl. 102) und weist eine Forderung von 24.864,54 DM aus. Die Klägerin hätte darüber hinaus darlegen müssen, aus welchen bevorschußten Rechnungen, Zinsen und Kosten sich dieser Betrag zusammensetzte und welche Zahlungen auf diese Rechnungen später geleistet wurden. Die Klägerin ist verpflichtet, die eingehenden Zahlungen mit individuell dazugehörenden Vorschußzahlungen, Zinsen und Kosten zu verrechnen. Mit der Bürgschaft würde der Beklagte nur in Höhe eines danach noch offenen Betrages haften. Ob ein solcher Betrag offensteht, kann nicht festgestellt werden. Hierzu fehlt trotz des Hinweises im Urteil des Landgerichts weiterhin jedweder Vortrag. Die Behauptung des Beklagten, sämtliche Rechnungen aus dieser Zeit seien beglichen worden, ist so nicht zu widerlegen. Immerhin sind von März 1985 bis Februar 1988 insgesamt ca. 260.000,- DM auf Kaufpreisforderungen der Fa. ... von ihren Kunden gezahlt worden.

25

Nach alledem hat die Klägerin einen Bürgschaftsanspruch nicht dargetan, so daß die Berufung zurückzuweisen ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, über die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde gem. § 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO entschieden.