Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 21.09.1988, Az.: 2 U 272/87

Anforderungen an das Vorliegen eines frachtvertraglichen Anspruchs gegen den Frachtführer auf Ersatz der bei einem offenen Frachtguttransport an Radladern entstandenen Schäden; Frachtrechtliche Ausgestaltung der Haftungsbefreiung eines Frachtführers für den Ersatz von Schäden am Frachtgut

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.09.1988
Aktenzeichen
2 U 272/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 20479
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:0921.2U272.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 18.08.1987 - AZ: 14 O 218/87

In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 1988
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters an Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und
...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 18. August 1987 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers beträgt 17.199,67 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der an Radladern entstandenen Schäden nicht zu.

2

1.

Ein Anspruch gemäß Art. 36 §1 ER/CIM ist nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob zwischen den Parteien ein. Frachtvertrag zustande gekommen ist. Die Frage bedarf keiner Beantwortung, weil zugunsten der Beklagten jedenfalls eine Haftungsbefreiung gemäß Art. 36 §3 lit. a) ER/CIM eingreift. In der Beschädigung der Radlader hat sich eine mit der Beförderung im offenen Wagen verbundene besondere. Gefahr realisiert.

3

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anwendbarkeit dieses Haftungsbefreiungstatbestands nicht ausgeschlossen, wenn das Frachtgut wegen seiner Große nicht in geschlossenen Wagen transportiert werden kann (vgl. RGZ 155, 193 (195); OLG Darmstadt EE 46, 87 (88); RGRK z. HGB-Helm, 3. Aufl., §460 Anhang I (§83 EVO) Anm. 7; Finger, EVO §83 Anm. 2 e)). Die Haftung der B. für Beschädigungen des Frachtguts, die von dessen Annahme bis zur Ablieferung entstanden sind, ist gemäß Art. 36 §1 ER/CIM zu deren Lasten zwar als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung ausgestaltet. Als Einschränkung dieser strengen Haftungsregelung enthält Art. 36§3 ER/CIM zugunsten der E. jedoch Haftungsbefreiungstatbestände.

4

Diese bezwecken, das Risiko für solche Beschädigungen des Frachtguts auf den Versänder zu verlangern, die aufgrund einer besonderen Eigenschaft des Frachtguts oder infolge eines besonderen Verhaltens des Versenders eingetreten sind. Wählt ein Versender statt eines möglichen Transports seines Guts in geschlossenen Wagen die mit größeren Gefahren verbundene Beförderung in offenen Waggons und realisiert sich eine dieser besonderen Gefahren, dann muß er den eingetretenen Schaden selbst tragen. Nichts anderes gilt dann, wenn das Frachtgut wegen seiner Beschaffenheit nicht in geschlossene Wagen verladen werden kann. Daraus sich ergebende besondere Gefahren sind dem Risikobereich des Versenders, nicht dagegen dem der Bahn zuzuordnen.

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In der Beschädigung der Radlader durch die Inbetriebnahme seitens Unbefugter hat sich eine besondere Gefahr des Transports in offenen Hagen realisiert. Eine von der Rechtsprechung für erforderlich erachtete wesentliche Gefahrerhöhung gegenüber der Verfrachtung in geschlossenen Wagen (vgl. BGHZ 19, 276 (278); RGZ 155, 193 (195); RGZ 104, 47 (49)) liegt vor.

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Durch die Verladung der Radlader auf offene Waggons waren diesen den Blicken Dritter ausgesetzt. Es bestand deshalb im Vergleich zur Verladung in geschlossenen Waggons ein erhöhter Anreiz, sich den Radladern zu nähern und diese in Betrieb zu nehmen. Den hier unbekannt gebliebenen Schädigern ging es offensichtlich nicht darum, sich den Wert des Transportguts anzueignen. Vielmehr weisen die Inbetriebnahme der Radlader und deren Beschädigung auf ein Verhalten der Schädiger hin, das durchÜbermut und/oder technische Neugier motiviert war. Derartige Handlungen pflegen jedoch nicht aufgrund eines besonderen vorausgefaßten Plans vorgenommen zu werden, sondern werden spontan wegen einer sich bietenden Gelegenheit vorgenommen. Dabei bildet gerade der Anblick eines geeigneten Objekts, der auf der Verladeweise beruht, den entscheidenen Anreiz zum Handeln.

7

Der Zugriff auf das in offenen Wagen zu befördernde Transportgut ist zudem leichter als bei der Verladung in geschlossenen Wagen (vgl. OLG Celle EE 38, 204; OLG Düsseldorf VersR 1976, 666 (667); OLG Frankfurt EE 38, 215; KG EE 33, 404 (405)). Bei dem Zugriff auf Beförderungsgut, das in geschlossene Waggons verladen wird, die regelmäßig verplombt und verriegelt sind, ist eine nicht unerhebliche kriminelle Energie erforderlich, um in das Innere des Waggons zu gelangen. Im vorliegenden Fall weisen die Umstände darauf hin, daß gerade das Erreichen der Radlader ohne jede äußere Sicherung für das Handeln der Schädiger ursächlich war.

8

2.

Die zugunsten der Beklagten eingreifende Haftungsbefreiung des Art. 36 §3 lit. a) ER/CIM entfällt nicht aufgrund eines Verschuldens der Beklagten hinsichtlich der Sicherung und Beaufsichtigung des verladenen Frachtguts. Zwar ist bei der Anwendung der Vorschriften des ER/CIM der dort im Gegensatz zu §83 Abs. 3 EVO nicht ausdrücklich normierte Grundgedanke zu berücksichtigen, daß die Haftungsbefreiungstatbestände nicht eingreifen, wenn die E. hinsichtlich des schädigenden Ereignisses ein Schuldvorwurf trifft (vgl. Goltermann/Konow EVO zu Art. 36 ER/CIM Anm. 4 a) bb)). Für ein der B. zuzurechnendes schuldhaftes Verhalten fehlen jedoch Anhaltspunkte.

9

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, daß die Beklagte in dem zu entscheidenden Falle keine allgemeine Pflicht zur Beaufsichtigung der beladenen offenen Waggons getroffen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers ergeben sich auch aus der Art des verladenen Guts keine Umstände, die besondere Sicherungsmaßnahmen durch die Beklagte auslösen mußten. Vielmehr durfte das Personal der Beklagten die mit den Radladern beladenen offenen Wagen wie alle anderen Güterwaggons behandeln, die im Rahmen des E. betriebe erforderlichen Verschiebungen vornehmen und die Wagen im gesamten Bereich des Bahngeländes abstellen.

10

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß der Wert des Frachtguts, der nach den Ausfuhrerklärungen für die einzelnen Radlader zwischen 6.000 DM und 43.000 DM lag, nicht unerheblich war. Dieser Umstand allein war jedoch nicht geeignet, besondere Überwachungspflichten der Beklagten zu begründen. Für die Frage, ob das B. personal die mit den Radladern beladenen Waggons anders als andere offene Wagen zu behandeln hatte, kommt es weniger auf den Wert des Guts als vielmehr auf die Größe der Gefahr an, die diesem auf den offenen Waggons drohte. Nur wenn eine besondere Gefahr der Beschädigung der Radlader erkennbar gewesen wäre, hätte das Personal der Beklagten geeignete Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen.

11

Von der Eigenart des Verladeguts her war die Gefahr von Beschädigungen jedoch verhältnismäßig gering. Radlader sind als Baumaschinen in der Regel besonders robust gebaut und ausgestattet, so daß nicht ohne weiteres ein größerer Schaden drohte. Die im vorliegenden Fall eingetretenen erheblicher. Beschädigungen ergaben sich erst infolge der unbefugten Inbetriebnahme der Radlader. Die Gefahr einer derartigen unbefugten Inbetriebnahme der Baufahrzeuge brauchte das Personal der Beklagten jedoch nicht zu berücksichtigen. Daß sich Unbefugte in der geschehenen Weise an den bereits verladenen Radladern zu schaffen machten, war von der Sache her wenig wahrscheinlich.

12

Mit einem Herumhantieren und einer Inbetriebnahme der aufgeladenen Radlader, was zu Beschädigungen führen konnte, brauchte das verantwortliche Personal der B. nicht zu rechnen. Für ein derartiges Verhalten, das auf Übermut und/oder auf technischen Interessen beruhen konnte, kam ein nur verhältnismäßig kleiner Personenkreis in Betracht, so daß die Gefahr einer Beschädigung der bereits aufgeladenen Radlader schon von daher gering war. Das gilt ebenso für die Gefahr eines Diebstahls dieser Fahrzeuge, die als Baumaschinen nur für eingeschränkte Zwecke verwendbar und von daher auch nicht leicht verkäuflich und als Diebesgut allenfalls für einen kleinen Personenkreis von Interesse sind. Außerdem war es für eine Inbetriebnahme durch Unbefugte notwendig, die Radlader kurzzuschließen, was zusätzliche technische Kenntnisse erforderte.

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Die Gefahr eines unbefugten Zugriffs und einer damit verbundenen Inbetriebnahme war im übrigen auch aus der Sicht des Klägers gering. Das ergibt sich daraus, daß dieser die Radlader in einem fahrbereiten Zustand verladen ließ und gegen die Inbetriebnahme durch unbefugte Dritte keine Sicherungsmaßnahmen traf.

14

3.

Wegen des Fehlens eines Verschuldens des Personals der Beklagten scheiden auch verschuldensabhängige Haftungstatbestände aus. Das gilt in gleicher Weise für eine Verletzung etwaiger Verwahrungspflichten wie auch für den Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung.

15

4.

Die Nebenentscheidungen über die Kosten, die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Beschwer beruhen auf den §§97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.