Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.10.1988, Az.: 12 UF 136/88
Zuständigkeit eines deutschen Familiengerichts in Bezug auf die Herausgabe eines aus dem Iran nach Deutschland entführten Kindes; Sorgerechtsregelung der einzelnen Parteien als Rechtsgrundlage für das Herausgabebegehren und Rückgabebegehren in Bezug auf das gemeinsame Kind; Verstoß gegen die ordre-public-Klausel im Falle der Verletzung von Grundrechten bei Anwendung ausländischen Rechts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.10.1988
- Aktenzeichen
- 12 UF 136/88
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1988, 18258
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1988:1024.12UF136.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 02.05.1988 - AZ: 45 F 268/87
Rechtsgrundlagen
- Art. 8 MSA
- Art. 1 MSA
- Art. 3 MSA
- Art. 8 Abs. 3 deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen
- § 33 Abs. 2 FGG
- § 1631 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- IPRspr 1988, 102
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Göttingen vom 2. Mai 1988 geändert:
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die beiden ehelichen Kinder der Parteien
R. M., geboren am 24.03.1984 und S. M., geboren am 21.04.1979
an den Antragsteller herauszugeben.
Die weiteren Anträge werden abgelehnt und die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Wegen der Kosten des ersten Rechtszuges bleibt es bei der Kostenentscheidung des Amtsgerichts.
Für das Beschwerdeverfahren werden gerichtliche Gebühren nicht erhoben.
Die Parteien tragen ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst.
Der Gegenstandswert trägt für beide Rechtszüge jeweils 6.500,- DM.
Gründe
Die Beschwerde hat hinsichtlich des Hauptantrages Erfolg. Die Antragsgegnerin hat die Kinder an den sorgeberechtigten Antragsteller herauszugeben. Die weiteren Anträge waren abzuweisen.
Die internationale Zuständigkeit des Familiengerichts und des Senats als Beschwerdegericht für die Entscheidung über das Herausgabebegehren des Antragstellers ist gegeben, weil die Kinder, deren Herausgabe verlangt wird, im Bezirk des Familiengerichts Göttingen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Zwar ist umstritten, ob in sog. Entführungsfällen ein rechtlich anzuerkennender gewöhnlicher Aufenthalt gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils begründet werden kann. Entscheidend ist jedoch, ob es zu einer sozialen Einbindung der Kinder an ihrem neuen Aufenthaltsort gekommen ist (vgl. BGH NJW 1981, 510; zur Zuständigkeit des Familiengerichts nach den allgemeinen Vorschriften vgl. Bumiller/Winkler FGG 3. Aufl., § 64 k FGG Anm. 1 d). Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Kinder ist derzeit G., weil diese sich seit über einem Jahr dort aufhalten und auch die Schule bzw. den Kindergarten besuchen. Diese Erwägungen zur Zuständigkeit gelten auch, soweit Maßnahmen nach dem Haager Abkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes der Minderjährigen (MSA) in Betracht kommen (dazu s.u.).
Für die Beurteilung der materiellen Rechtslage ist von Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.02.1929 i.V. mit der Bekanntmachung vom 15.08.1955 (BGBl. II S. 829 ff.) auszugehen. Danach ist das iranische materielle Familienrecht anzuwenden, weil die beteiligten Eltern und Kinder ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit besitzen.
Für die Begründetheit des Herausgabebegehrens kommt es nicht darauf an, ob das Urteil des Landgerichts Teheran vom 09.07.1987 hier anzuerkennen ist. Der Antragsteller hat die Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung im ersten Rechtszug nur hilfsweise begehrt; dieser Teil seines Antrags ist nicht Gegenstand des Beschwerdeantrags. Vielmehr verlangt der Antragsteller in der Sache vom Familiengericht eine für die Bundesrepublik Deutschland gültige und vollziehbare originäre Entscheidung, wie er sie inhaltlich für das Gebiet des Iran mit dem Urteil vom 09.07.1987 bereits in den Händen hat. Deswegen kann jene Entscheidung zum Verständnis der vom Antragsteller begehrten und nach dem iranischen Recht vorgesehenen Entscheidung herangezogen werden. Rechtsgrundlage für das Herausgabe- bzw. Rückgabebegehren des Antragstellers ist die Sorgerechtsregelung, welche die Parteien anläßlich der Scheidung im Dezember 1985 getroffen haben. Diese Regelung ist nach den maßgeblichen iranischen Vorschriften und Rechtsvorstellungen auszulegen. Sie beruht auf Art. 12 des Gesetzes über den Schutz der Familie vom 12.02.1975, dessen Weitergeltung auch nach der Umwandlung des Iran in eine islamische Republik von der Antragsgegnerin nicht bezweifelt wird. In Anwendung dieser Regelung wurde der Antragsteller als Vater der Kinder zum gesetzlichen Vormund (wali) bestimmt, während der Antragsgegnerin die tatsächliche Betreuung (nach der Bezeichnung des Antragstellers: hezinat) mit folgenden Einschränkungen übertragen wurde: Ihr oblag die Erziehung der Kinder nach den Anweisungen und unter der Aufsicht des Vaters, verbunden mit der Anerkennung der Verpflichtung, sie ihm jederzeit zurückzugeben. Inhalt und Aufteilung der elterlichen Sorge nach iranischem Recht sind mithin nicht deckungsgleich mit der deutschen Unterteilung in Personensorge (tatsächliche Sorge für die Person und Vertretung in persönlichen Angelegenheiten) und Vermögenssorge (tatsächliche Sorge für das Vermögen und Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten,) wie z.B. ein Vergleich mit der Regelung in § 1631 Abs. 1 BGB i.V. mit § 1 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung zeigt: Die Personensorge nach deutschem Recht umfaßt insbesondere auch das Recht zur Erziehung einschließlich der religiösen Erziehung und das Aufenthaltsbestimmungsrecht, während gerade hinsichtlich dieser Befugnisse und Aufgaben nach iranischem Recht dem Vater als Inhaber des walayat die maßgebliche Entscheidung zukommt bzw. Maßnahmen der Mutter von seiner Zustimmung oder Genehmigung abhängen.
Die Antragsgegnerin hat mit der Verbringung der Kinder nach G. die ihr anläßlich der Scheidung eingeräumten Befugnisse überschritten. Denn sie durfte die Kinder ohne Einwilligung des Antragstellers nicht aus T., vor allem nicht ins Ausland verbringen (vgl. Anm. 1 zu Art. 14 des Gesetzes über den Schutz der Familie vom 12.02.1975). Sie hat mithin die Kinder dem Antragsteller zurückzugeben, nachdem dieser die Rückgabe seit längerem verlangt. Inhaltlich deckt sich dies mit der vom Landgericht Teheran getroffenen Entscheidung vom 09.07.1987.
Deshalb bedarf es im einzelnen keiner Aufklärung, ob die Kinder zunächst schon dem Antragsteller zurückgegeben waren und ob sich darauf die von diesem vorgelegte, hinsichtlich der Echtheit der Unterschrift der Antragsgegnerin streitige Erklärung vom 13.02.1987 bezieht.
Die Antragsgegnerin macht selbst nicht ernsthaft geltend, der Antragsteller sei mit der Verbringung der Kinder nach G. bzw. mit ihrem Verbleib in G. einverstanden gewesen oder jedenfalls jetzt einverstanden. Eine nach iranischem Recht vorgesehene vorangegangene gerichtliche Entscheidung hat die Antragsgegnerin im Iran nicht beantragt. Vielmehr liegt eine gegenteilige iranische Entscheidung vor.
Aufgrund dieser seit der Scheidung zwischen den Parteien bestehenden Rechtslage kann der Antragsteller in Ausübung des bei ihm liegenden Aufenthaltsbestimmungsrechts die Herausgabe der Kinder von der Antragsgegnerin verlangen.
Diese Rechtslage ist von den deutschen Gerichten anzuerkennen. Bedenken ergeben sich nicht aus dem deutschen ordne public i.V. mit Verletzung von Grundrechten. Es ist anerkannt, daß insbesondere im Falle der Verletzung von Grundrechten bei Anwendung ausländischen Rechts ein Verstoß gegen die ordre public-Klausel vorliegen kann (vgl. BVerfGE 31, 58 [BVerfG 04.05.1971 - 1 BvR 636/68]). In Betracht kommt hier eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau (Art. 3 GG). Denn das iranische Familienrecht, hier Art. 12 des Gesetzes über den Schutz der Familie und die darauf beruhende zwischen den Parteien anläßlich der Scheidung getroffene Sorgerechtsregelung gehen von einem eindeutigen Vorrang des Mannes und seiner männlichen Vorfahren bei der Ausgestaltung des Sorgerechts für die ehelichen Kinder und den damit zusammenhängenden Pflichten und Befugnissen aus. Hier ist jedoch zu beachten, daß alle Beteiligten ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit haben. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe der deutschen Gerichte, den ausländischen Beteiligten über den ordne public für sie fremde, deutsche Rechtsvorstellungen aufzudrängen. Der Senat folgt bei dieser Beurteilung den dazu vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen (vgl. BGHZ 60, 68, 78 f) [BGH 20.12.1972 - IV ZB 20/72]. Im übrigen ist entsprechend den deutschen Rechtsvorstellungen auch im iranischen Recht das Kindesinteresse maßgebend (Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 12.02.1975).
Die Übergabe der Kinder an den Antragsteller mit dem Ziel ihrer Rückkehr nach T. hätte allerdings zu unterbleiben, wenn dadurch das Wohl der Kinder ernstlich gefährdet würde (Art. 8 MSA). Die Zuständigkeit des Familiengerichts und des Senats für derartige Maßnahmen sind gem. Art. 1 MSA wegen des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder in G. gegeben (s.o.). Derartigen Maßnahmen würden ein nach Art. 3 MSA zu beachtendes gesetzliches Gewaltverhältnis nach iranischem Recht und die Regelung in Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen nicht entgegenstehen, wobei im vorliegenden Fall ein gesetzliches Gewaltverhältnis nicht anzunehmen ist (vgl. dazu BGH 60, 68, 76).
Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung der dazu von der Antragsgegnerin vorgebrachten Unstände und der in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen nicht davon auszugehen, daß das Wohl der beiden Kinder ernstlich gefährdet wäre, wenn sie nach Teheran zurückkehren. Dafür reicht nicht aus, daß die 9jährige Tochter bei ihrer Anhörung erklärt hat, sich bei der Mutter in G. wohlzufühlen und dort bleiben zu wollen. Nach der für den 4 1/2jährigen Sohn vorgelegten ärztlichen Bescheinigung mag es zwar zu gewissen Schwierigkeiten kommen. Diese gehen nach Einschätzung des Senats jedoch nicht über die mit jedem Wechsel in der Betreuungssituation verbundenen Probleme hinaus. Diese Probleme sind im Falle einer Rückkehr der Kinder in die Umgebung, in welcher sie von Geburt an aufgewachsen sind, nicht größer als die seinerzeit von der Mutter bei der Verbringung der Kinder nach G. in Kauf genommenen Schwierigkeiten.
Der Antragsteller kann jedoch nicht schon jetzt die gewaltsame Durchsetzung der Herausgabeanordnung verlangen. Das Amtsgericht brauchte nach Ablehnung des Herausgabeantrags über diese Folgeanträge nicht zu entscheiden, weil sie gegenstandslos geworden waren. Nach Auffassung des Senats sind die mit der Beschwerde weiter verfolgten Anträge, bei der Vollstreckung der Herausgabe die Anwendung von Gewalt notfalls unter polizeilicher Hilfe zuzulassen, gegenwärtig nicht begründet. Es ist deshalb davon abgesehen worden, die Sache insoweit an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Zwar kann die nach dem anzuwendenden deutschen Verfahrensrecht in § 33 Abs. 2 FGG vorgesehene besondere Verfügung mit der auf diese Weise durchzusetzenden Entscheidung verbunden werden. Voraussetzung für eine derartige Anordnung ist aber eine besondere Prüfung insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten: Die Anwendung von Gewalt gem. § 33 Abs. 2 FGG stellt das für die Beteiligten, insbesondere die Kinder einschneidenste Mittel dar. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist diese Maßnahme erst dann zulässig, wenn die Herausgabe der Kinder auf andere, weniger beeinträchtigende Weise nicht erreichbar ist (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 601 [OLG Düsseldorf 06.02.1981 - 6 UF 170/80]). Im vorliegenden Fall kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, daß alle anderen Mittel keinen Erfolg versprechen oder ein alsbaldiges Einschreiten unbedingt geboten ist (vgl. BGH Rechtspfleger 1977, 55). Für eine derartige Annahme reicht die Äußerung der Antragsgegnerin, sie werde die Kinder nicht herausgeben, für sich allein nicht aus. Zunächst ist davon auszugehen, daß sie die gesetzlichen Regelungen und gerichtlichen Entscheidungen des von ihr gewählten Aufenthaltsstaates beachten wird. Im Hinblick darauf, daß die Kinder sich schon länger als ein halbes Jahr in G. aufgehalten haben, bevor der Antragsteller das vorliegende Verfahren eingeleitet hat, kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß bereits jetzt ein alsbaldiges Einschreiten unbedingt erforderlich ist.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30, 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 FGG.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert trägt für beide Rechtszüge jeweils 6.500,- DM.