Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 28.10.1988, Az.: 4 W 239/88
Annahme einer anfechtbaren Entscheidung im Sinne des § 45 Abs. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG); Möglichkeit des Treffens einer Zwischenentscheidung in einer Streitsache betreffend das Wohnungseigentum; Anfechtbarkeit der Abgabe eines Beschlusses vom Prozessgericht an ein in Sachen des Wohneigentums zuständiges Gericht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 28.10.1988
- Aktenzeichen
- 4 W 239/88
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1988, 18259
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1988:1028.4W239.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hildesheim - 19.08.1988 - AZ: 25 URII 29/88
- LG Hildesheim - 13.09.1988 - AZ: 5 T 403/88
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs. 1 WEG
- § 280 ZPO
- § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG
Fundstelle
- NJW-RR 1989, 143-144 (Volltext mit red. LS)
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
am 28. Oktober 1988
durch
den Vorsitzenden Richter ... sowie
die Richter ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin werden der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 13. September 1988 und der "Grundsatz-Beschluß" des Amtsgerichts Hildesheim vom 19. August 1988 aufgehoben.
Auf den Hilfsantrag der Antragsteller wird der Rechtsstreit an das Landgericht Hildesheim als Prozeßgericht verwiesen. Die Antragsteller haben die im Beschwerdeverfahren und weiteren Beschwerdeverfahren angefallenen Gerichtskosten zu tragen und der Antragsgegnerin die in diesen Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Entscheidung über etwa beim Amtsgericht entstandene Mehrkosten bleibt dem Prozeßgericht überlassen.
Der Beschwerdewert wird für Landgericht und Oberlandesgericht auf 15.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Das von den Antragstellern angerufene Amtsgericht (als WEG-Gericht) hat sich im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin erhobene Zuständigkeitsrüge mit einem "Grundsatz-Beschluß" für funktionell zuständig erklärt, eine einstweilige Anordnung erlassen und die Sache im übrigen vertagt. Die gegen den Zuständigkeits-Ausspruch dieser Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluß, auf den Bezug genommen wird, als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung bekämpft die Antragsgegnerin mit Ihrer sofortigen weiteren Beschwerde.
II.
Die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts und Im Ergebnis zu einer Verweisung des Rechtsstreits an das Prozeßgericht.
1.
Die Auffassung des Landgerichts gegen den Ausspruch des Amtsgerichts, mit dem dieses seine funktionelle Zuständigkeit bejaht hat, sei eine Beschwerde nicht statthaft, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Würdigung der Vorinstanz liegt in diesem Ausspruch eine anfechtbare "Entscheidung" Im Sinne des § 45 Abs. 1 WEG.
a)
Wie sich aus dem Rechtsgedanken der auch vom Landgericht erörterten Vorschrift des § 280 ZPO ergibt, kann das WEG-Gericht eine Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit des bei ihm angebrachten Antrags fällen; diese Entscheidung kann auch auf einzelne Zulässigkeitsfragen beschränkt werden (vgl. Stein/Jonas/Leibhold, ZPO, 21. Aufl., § 280 Rn. 5), mithin auch auf die Frage der funktionellen Zuständigkeit. Eine solche, eine "Zuständigkeitseinrede verwerfende" Zwischenentscheidung hat das Amtsgericht hier unzweifelhaft auch treffen wollen.
Daß entsprechend § 280 ZPO getroffene Zwischenentscheidungen grundsätzlich hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit Endentscheidungen gleichgesetzt werden, steht an sich außer Frage; es ist ja gerade der Sinn einer solchen Entscheidung, vorab zu Fragen der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs eine endgültige Klärung, gegebenenfalls im Rechtsmittelzug, herbeizuführen. Folgerichtig ordnet § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO an, daß ein Zwischenurteil nach Maßgabe dieser Vorschrift in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen sei. Für den Bereich des FGG, das auch für das Verfahren in Wohnungseigentumssachen maßgeblich ist, gilt grundsätzlich nichts anderes (vgl. BayObLG Z 1962, 11, 13; OLG Bremen FamRZ 1979, 861; Keidel/Kunze/Winkler FFG, 12. Aufl., § 19 Rn. 10).
b)
Die zwingenden Folgerungen, die sich hieraus auch bezüglich der Anfechtbarkeit einer Entscheidung ergeben, mit der das WEG-Gericht vorab seine Zuständigkeit bejaht, lassen sich nicht mit der Argumentation des Landgerichts beiseite schieben:
Das Landgericht meint, da der Beschluß eines Gerichts, mit dem dieses ein Verfahren an ein anderes Gericht verweist, für letzteres verbindlich und auch nicht durch ein Rechtsmittel der Parteien angreifbar sei, dürfe es auch keinem Rechtsmittel unterliegen, wenn ein WEG-Gericht (mit "lediglich deklaratorischer Feststellung"; siehe dazu aber oben a)) seine Zuständigkeit bejahe.
Dieser Schluß ist jedoch nicht nachvollziehbar. Zweifelhaft ist bereits, ob der Ausgangspunkt der Überlegungen des Landgerichts überhaupt zutrifft. Die Vorschrift des § 281 Abs. 2 ZPO, die die Verweisung von einem Prozeßgericht an ein anderes wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit regelt, kann nicht ohne weiteres in jeder Hinsicht auf das Verhältnis zwischen WEG-Gericht und Prozeßgericht übertragen werden. Ob ein Abgabebeschluß vom Prozeßgericht an das WEG-Gericht (§ 46 WEG) angefochten werden kann, ist streitig; der vom Landgericht zitierten - die konkrete Entscheidung nicht tragenden - Ansicht des Bundesgerichtshofs in NJW 1986, 1994, 1995 [BGH 02.04.1986 - IVa ZR 216/84], der die Anfechtbarkeit verneint, steht eine Reihe gewichtiger Gegenstimmen entgegen (siehe etwa OLG Düsseldorf, MDR 1987, 241 [OLG Düsseldorf 31.10.1986 - 9 W 119/86]; OLG Köln, OLG Z 1979, 19; Augustin WEG, § 46 Rn. 8; Bärmann/Merle WEG, 6. Aufl., § 46 Rn. 14-16). Andererseits Ist für den Fall der Verweisung durch das WEG-Gericht an das Prozeßgericht die Anfechtbarkeit dieser Entscheidung durchweg anerkannt (vgl. BayObLGZ MDR 1985, 939; KG OLGZ 1979, 150; Augustin WEG, § 46 Rn. 17). Letztlich kommt es auf diese Fragen aber nicht an, weil die Wirkungen eines Verweisungsbeschlusses von einem zum anderen Gericht mit den Wirkungen einer die eigene Zuständigkeit bejahenden Zwischenentscheidung eines Gerichts nicht zu vergleichen sind. Die erstere Art Entscheidung wäre - stellt man sich einmal auf den Ausgangspunkt des Landgerichts - unangreifbar und sofort endgültig in dem Sinne verbindlich, daß auch die spätere Sachentscheidung des Gerichts, an das verwiesen worden ist, nicht mehr mit der Rüge fehlender funktioneller Zuständigkeit aus den Angeln gehoben werden könnte. Eine die Zuständigkeit bejahende Zwischenentscheidung hätte derartige Wirkungen jedoch nicht; die Frage der Zuständigkeit wäre vielmehr, wie hier vorliegend auch das Landgericht annimmt, im Zusammenhang mit einer Anfechtung der abschließenden Sachentscheidung überprüfbar. Gerade die hiermit verbundenen Mißlichkeiten sollen durch eine Zwischenentscheidung und gegebenenfalls deren selbständige Überprüfung in einem Verfahren entsprechend § 280 ZPO vermieden werden.
2.
Die die Beschwerde der Antragsgegnerin verwerfende Entscheidung des Landgerichts muß daher aufgehoben werden. Zugleich kann der Senat als Rechtsbeschwerdegericht "in der Sache", nämlich über die vom Amtsgericht aufgeworfene Frage der funktionellen Zuständigkeit des WEG-Gerichts für das von den Antragstellern In Gang gesetzte Verfahren, selbst entscheiden, weil diese Frage zur Entscheidung reif ist (Rechtsgedanke des § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO; siehe dazu Baumbach/Albers, ZPO, 46. Aufl., § 565 Anm. 3 A). Diese Entscheidung geht dahin, daß die funktionelle Zuständigkeit des Amtsgerichts als WEG-Gericht entgegen der Auffassung der vorliegenden Entscheidung des Amtsgerichts nicht gegeben Ist.
a)
Das Amtsgericht entscheidet als WEG-Gericht - soweit hier von Interesse - über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG). Ein solches Rechtsverhältnis besteht zwischen den Parteien jedoch nicht. Sie sind lediglich Miteigentümer zweier Garagen- bzw. Stellplatz-Grundstücke (Flurstücke .../4 und .../5); außerdem ist die Antragsgegnerin Eigentümerin von Grundstücken, zu deren Gunsten eine Grunddienstbarkeit auf den Flurstücken .../4 und .../5 lastet. Die Partelen streiten darüber, welche Rechte sich aus dieser Grunddienstbarkeit für die Antragsgegnerin hinsichtlich der Nutzung bzw. Bebauung der Flurstücke .../4 und .../5 ergeben. Gleichwohl meint das Amtsgericht, für den hier in Rede stehenden Streit müsse wegen der Vorgeschichte des ursprünglich als Ganzes - im Sinne einer Wohnanlage nach dem Wohnungseigentumsgesetz - konzipierten Bauobjekts davon ausgegangen werden, "daß es sich um einen Streit zwischen Wohnungseigentümern handelt", weil ursprünglich eine Einheit geplant und mit dieser Planung die einzelnen Eigentümer zum Kauf geworben worden seien.
b)
Dem vermag der Senat angesichts der eindeutigen Abgrenzung der Zuständigkeit, wie sie im Gesetz erfolgt ist, nicht zu folgen. Die Erwägungen des Amtsgerichts mögen - was hier nicht zu prüfen ist - bei der zu treffenden Entscheidung materiell eine Rolle spielen; sie vermögen jedenfalls nicht die funktionelle Zuständigkeit des WEG-Gerichts für diese Entscheidung anstelle des nach dem geltenden Verfahrensrecht berufenen Prozeßgerichts zu begründen.
3.
Auf den Hilfsantrag der Antragsteller war daher analog § 17 Abs. 2 GVG der Rechtsstreit an das Landgericht Hildesheim als das funktionell und - nach dem jedenfalls vorläufig zugrunde zu legenden Wert von 50.000 DM für die erste Instanz (Bl. 36) - sachlich zuständige Prozeßgericht zu verweisen. Mit der Entscheidung, daß das Amtsgericht als WEG-Gericht nicht funktionell zuständig war, ist auch der von diesem in dem "Grundsatz-Beschluß" vom 19. August 1988 getroffenen einstweiligen Regelung die Grundlage entzogen.
III.
Der Senat hat auch über die Kosten im ersten und weiteren Beschwerdeverfahren zu entscheiden, weil Insoweit Entscheidungsreife gegeben ist. Die Entscheidung muß Insoweit zu Lasten der Antragsteller ausfallen, die der Antragsgegnerin Ihre außergerichtlichen Auslagen zu erstatten haben. Die sonst im WEG-Beschwerdeverfahren geltenden Grundsätze können hier nach Auffassung des Senats keine Anwendung finden, weil die Anrufung des funktionell unzuständigen Gerichts allein im Risikobereich der Antragsteller Hegt, die das Verfahren in Gang gesetzt haben. Insoweit schlägt derselbe Rechtsgrundsatz durch, der für den Zivilprozeß in § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO seinen Niederschlag gefunden hat.
IV.
[s. Streitwertbeschluss]
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert wird für Landgericht und Oberlandesgericht auf 15.000 DM festgesetzt.
Den Wert des Beschwerdeverfahrens, den das Landgericht für seine Instanz ohne Begründung auf 5.000 DM festgesetzt hatte, setzt der Senat auf 15.000 DM fest. Bei einer Zwischenentscheidung über die Zuständigkeit hat sich der Streitwert nach dem Wert der Hauptsache auszurichten, ohne mit diesem allerdings identisch zu sein, weil mit der Bejahung der Zuständigkeit der eigentliche Streit um die Hauptsache noch nicht abgeschlossen wird. Da andererseits die endgültige Beantwortung der Frage der Zuständigkeit eine wichtige Zwischenentscheidung darstellt, hält der Senat einen Ansatz von annähernd einem Drittel des Werts der Hauptsache für angemessen (siehe auch die Hinweise bei Baumbach/Hartmann, a.a.O., Anh. § 3 "Zuständigkeit").