Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.10.1988, Az.: 6 U 33/88

Ausgleich von Ansprüchen durch einen Ausbietungsgaranten; Befriedigungsfiktion des § 114a Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG); Haftung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.10.1988
Aktenzeichen
6 U 33/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 19966
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:1019.6U33.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 22.12.1987 - AZ: 5 O 226/87

In dem Rechtsstreit
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 1988
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 22. Dezember 1987 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500 DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Beschwer: 37.550,40 DM.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Bezirksdirektor der I. Versicherungen. Die I. Lebensversicherungs AG (Gläubigerin) gewährte den Beklagten ein durch Grundschuld auf dem Grundstück der Beklagten zu 2) gesichertes Darlehen. Der Kläger übernahm die von der Darlehensgeberin vor Auszahlung geforderte Ausbietungsgarantie durch notarielle Urkunde. Der Verkehrswert des belasteten Grundbesitzes wurde im Zwangsversteigerungsverfahren zu 71 K 5/83 AG Stade auf 1.562.400 DM festgesetzt. Im ersten Versteigerungstermin am 15. Oktober 1985 war Herr L. für die I. Versicherung Lebensversicherung AG anwesend. Auf die ihm erteilten notariellen Vollmachten aus der Anlage zum Versteigerungsprotokoll vom 15.10.1985 (Bl. 379 und 386 der Akten 71 K 5/83 AG Stade) wird Bezug genommen. Herr L. bot für diese lediglich 700.000 DM, weshalb der Zuschlag versagt wurde.

2

Die Gläubigerin hatte im Zwangsversteigerungsverfahren Ansprüche per 8. Januar 1986 in Höhe von 957.832,74 DM angemeldet (Bl. 438 der Akte 71 K 5/83 AG Stade).

3

Im zweiten Versteigerungstermin am 21. Januar 1986 trat erneut Herr L. auf und bot nun für die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. 625.000 DM, worauf dieser durch Beschluß vom 21. Januar 1986 das Grundstück zugeschlagen wurde.

4

Wegen der Beteiligungsverhältnisse an der I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. wird auf die Auskünfte des Handelsregisters des Amtsgerichts Hamburg vom 27. Juli 1988 (Bl. 165 f d.A.) und vom 9. August 1988 (Bl. 174 d.A.) Bezug genommen.

5

Aus der Ausbietungsgarantie nahm die I. Lebensversicherungs AG den Kläger in Höhe von 50.000 DM auf Schadensersatz in Anspruch, die dieser zahlte.

6

Der Kläger hat Ersatz der 50.000 DM abzüglich 12.449,60 DM, die er aus Lehensversicherungen der Beklagten erhalten hat, verlangt.

7

Wegen der 12.449 DM haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

8

Das Landgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 22. Dezember 1987 stattgegeben. Auf dieses Urteil nebst seinen Verweisungen wird Bezug genommen.

9

Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die u.a. meinen, § 114 a ZVG müsse sich auch der Kläger entgegenhalten lassen, sonst würde dessen Schutzfunktion umgangen. Außerdem bestreiten sie, daß der Gläubigerin ein Schaden entstanden sei.

10

Die Beklagten beantragen,

auf die Berufung das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die im Tatbestand zitierten Urkunden Bezug genommen.

13

Die Zwangsversteigerungsakten des Amtsgerichts Stade (71 K 5/83) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

15

Dem Kläger steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Ersatzanspruch gegen die Beklagten deshalb zu, weil er als Ausbietungsgarant durch die Zwangsversteigerung nicht befriedigte Ansprüche der I. Lebensversicherungs AG (Gläubigerin) ausgleichen mußte.

16

Die Beklagten können geltend machen, alle Ansprüche der Gläubigerin seien im Hinblick auf sie mit dem Zuschlag an die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. gemäß § 114 a ZVG als befriedigt anzusehen.

17

a)

Die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG entspricht den Grundsätzen wirtschaftlicher Gerechtigkeit, Wenn ein zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigter nur an die untere Grenze seines Rechts heranbietet, kann die wertrichtige Veräußerung des Grundstücks durch Zwangsversteigerung daran scheitern, daß kein anderer Erwerbsinteressent mehr zu bieten wagt oder an einem Gebot interessiert ist. Er müßte sonst ein Gebot über der oberen Grenze des Rechtes abgeben, hier also - zumindest nach Vorstellung Interessierter - von mehr als dem angemeldeten Betrag von 957.832,74 DM.

18

Deshalb kann der Berechtigte die Konkurrenz anderer Bieter praktisch ausschalten und aufgrund seiner Gläubigerstellung das Grundstück günstig erwerben. Das ist aber unbillig. Dies soll § 114 a ZVG ausgleichen (vgl. Zeller-Stöber, ZVG, 12. Aufl., § 114 a Rdnr. 2.2.).

19

Dieser Schuldnerschutz des § 114 a ZVG kann nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, daß der Gläubiger eine Ausbietungsgarantie eines Dritten vor Auszahlung des Darlehens verlangt, dem dann der Schuldner aus zumindest Geschäftsführung ohne Auftrag auf Aufwendungsersatz haftet, und zwar eben in der Höhe seiner Schuld, von der ihn § 114 a ZVG befreien soll. Anderes gilt auch dann nicht, wenn der Beklagte zu 1) den Kläger "gedrängt" haben sollte, die Ausbietungsgarantie zu übernehmen. Daraus ließe sich nicht schließen, daß der Beklagte zu 1) für den Fall des Fehlschlagens haften wollte.

20

Die hier gewählte rechtliche Konstruktion würde sonst dazu führen, daß der Gläubiger das Grundstück günstig erwerben kann und daß der dadurch entstehende Ausfall über den Garanten letztlich vom Schuldner getragen würde, den das Gesetz durch § 114 a ZVG gerade von einer solchen Inanspruchnahme schützen will. Dieser Schutz soll beiden Gesamtschuldnern zu Gute kommen (vgl. Steiner, ZVG, 9. Aufl. § 114 a Rdnr. 21).

21

Welche Vereinbarungen zwischen dem Gläubiger und dem Garanten getroffen worden sind, ist ohne Bedeutung.

22

b)

Die Ansprüche der Gläubigerin waren unstreitig geringer als 7/10 des im Zwangsversteigerungsverfahren festgesetzten Verkehrswertes. Dieser Verkehrswert ist hier nicht im Streit. Tatsächliche Veränderungen des Grundstücks sind nicht erfolgt. Es ist deshalb auf den festgesetzten Verkehrswert abzustellen, ohne daß es auf die abweichende Meinung Schiffhauers (ders. in Dassler/Schiffhauer/Gerhardt, ZVG, 11. Aufl. § 114 a Anm. 2) ankäme, wonach über den Verkehrswert Beweis zu erheben wäre.

23

c)

Den Zuschlag hat die Gläubigerin zwar nicht selbst erhalten, sondern die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co..

24

Diese ist aber wirtschaftlich der Gläubigerin gleich. Die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. hat denselben Geschäftssitz wie die Gläubigerin. Die Gläubigerin und die mit ihr verbundene I. Allgemeine Versicherung Aktiengesellschaft halten das gesamte Kapital der I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. Der in den Zwangsversteigerungen bietende Herr L. und der ihn dazu bevollmächtigende Herr D. sind sowohl für die Gläubigerin als auch für die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. tätig geworden. Dies alles läßt den sicheren Schluß zu, daß die I. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. wirtschaftlich derart mit der Gläubigerin verbunden ist, daß sie im Hinblick auf § 114 a ZVG dieser gleichzustellen ist.

25

Der Senat läßt die Revision gegen dieses Urteil gemäß § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu, weil es für die Entscheidung auf die Rechtsfrage ankommt, ob sich der Schuldner auch einem Ausbietungsgaranten gegenüber auf die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG berufen kann. Dies ist eine klärungsbedürftige, bisher ersichtlich nicht entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwer: 37.550,40 DM.