Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.02.2014, Az.: 1 Ws 31/14

Vorraussetzungen einer positiven Prognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB bei Alkohol- bzw. Suchtmittelabhängigkeit; Maßstab der Anrechnung erbrachter Geldauflagen bzw. Arbeitsleistungen im Falle des Widerrufs der Strafaussetzung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
13.02.2014
Aktenzeichen
1 Ws 31/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 36217
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2014:0213.1WS31.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 18.12.2013

Amtlicher Leitsatz

1. Die positive Prognose i. S. d. § 56 Abs. 1 StGB ist bei einem Suchtmittelabhängigen, der an therapeutischen Maßnahmen teilgenommen hat, erst dann gerechtfertigt, wenn die begründete Aussicht besteht, dass sie erfolgreich zum Abschluss gebracht wird.

2. Zum Maßstab der Anrechnung erbrachter Geldauflagen bzw. Arbeitsleistungen im Falle des Widerrufs der Strafaussetzung.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 18. Dezember 2013 wird kostenpflichtig mit der Maßgabe als (überwiegend) unbegründet verworfen, dass die als Bewährungsauflage i. H. v. 50,00 € geleistete Geldbuße mit insgesamt 2 Tagen auf die zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird.

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen vom 09.03.2011 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls sowie vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Er hatte sich am 06.02.2010 in stark alkoholisiertem Zustand gemeinsam mit anderen gewaltsam Zutritt in das Appartement des Geschädigten verschafft und daraus verschiedene Gegenstände entwendet, um sie für sich zu verwenden. Am 26.09.2010 befuhr er mit dem Fahrrad öffentliche Straßen, obwohl er zuvor erheblich Alkohol konsumiert hatte (BAK mind. 2,96 g Promille). Die Bewährungszeit wurde auf 3 Jahre festgesetzt, der Beschwerdeführer wurde der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Daneben wurde ihm die Weisung erteilt, an einer ambulanten Alkoholentwöhnungstherapie teilzunehmen und ihm wurde auferlegt, einen Geldbetrag von 500,00 € an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen. Bis zu seiner Inhaftierung am 19.10.2011 in anderer Sache hatte der Beschwerdeführer zwei Raten von jeweils 25,00 € gezahlt.

Durch Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 12.06.2012 i.V.m dem Urteil des Landgerichts Göttingen vom 02.01.2013 ist der Beschwerdeführer wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schwerer Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt worden (33 Ls 34 Js 35859/11). Tatzeit war der 05.10.2011. In dieser Sache befindet er sich seit dem 19.10.2011 in Haft. Das Urteil ist seit dem 23.08.2013 rechtskräftig. Auch die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Taten hat der Beschwerdeführer in alkoholisiertem Zustand begangen.

Wegen dieser Nachverurteilung hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18.12.2013 die dem Verurteilten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen vom 09.03.2011 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 27.12.2013 in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf zugestellt.

Mit Schreiben vom 30.12.2013, eingegangen bei dem Landgericht Göttingen am 31.12.2013, hat der Verurteilte "Widerspruch" gegen den Beschluss vom 18.12.2013 eingelegt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 90 f. d.A. Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 55. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 18.12.2013 als unbegründet zu verwerfen.

Durch anwaltlichen Schriftsatz vom 08.02.2014 hat der Angeklagte ergänzend vorgetragen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 101 ff. d.A. Bezug genommen.

II.

Das als sofortige Beschwerde auszulegende (§ 300 StPO) Rechtsmittel des Verurteilten ist zulässig und insbesondere fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden. In der Sache hat die sofortige Beschwerde jedoch ganz überwiegend keinen Erfolg, denn die Strafvollstreckungskammer hat die Strafaussetzung im Hinblick auf die neue Straffälligkeit des Verurteilten zu Recht widerrufen.

1. Gemäß § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Erwartung ist dabei durch jede neue Tat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt (Fischer, StGB, 61. Auflage, § 56f, Rn. 8). Grundsätzlich müssen die frühere Tat und das neue Delikt noch nicht einmal einen kriminologischen Zusammenhang aufweisen oder nach Art und Schwere vergleichbar sein, weil die Strafaussetzung stets auf der Erwartung vollständiger Straffreiheit beruht (Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 56f, Rn. 14). Daher ist jede Tat geeignet, den Widerruf zu rechtfertigen, wenn sie von einigem Gewicht ist (KG, Beschluss v. 02.04.2001, 5 Ws 113/01, Rn. 7, zitiert nach juris). Das ist hier der Fall. Der Verurteilte hat innerhalb der Bewährungszeit erhebliche weitere Straftaten begangen.

Mildere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB kommen nicht in Betracht. Sie wären nur dann eine angemessene Reaktion auf das Versagen des Verurteilten, wenn Tatsachen dafür vorlägen, dass die Ursache des kriminellen Verhaltens des Verurteilten inzwischen entfallen und deshalb künftige Straflosigkeit zu erwarten wäre.

Bei dem Verurteilten ist jedoch weiterhin von einer negativen Prognose auszugehen. Zwar hat er von der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahre 6 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Göttingen inzwischen mehr als 2 Jahre verbüßt. Jedoch ist dies auch vor dem Hintergrund des sogenannten "Drehtüreffekts" (zur Problematik: OLG Hamm, Beschl. vom 17.02.2009, 3 Ws 33/09, Rn. 6, zitiert nach juris) kein ausreichendes Indiz für die gerechtfertigte Annahme einer positiven Prognose. Der Verurteilte ist vielfach und auch einschlägig vorbestraft. Zahlreiche der den Vorstrafen zugrunde liegenden Straftaten hat der Verurteilte unter Alkoholeinfluss begangen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer alkoholabhängig ist. Dafür spricht neben den genannten Vorstrafen auch die in diesem Verfahren erteilte Bewährungsweisung, an einer ambulanten Alkoholentwöhnungstherapie teilzunehmen. Auch im anwaltlichen Schriftsatz vom 08.02.2014 wird von einer (früher) bestehenden Alkoholproblematik des Beschwerdeführers ausgegangen, wenngleich insoweit behauptet wird, dass diese seit seiner Inhaftierung, mithin seit Oktober 2011, nicht mehr bestünde. Der Beschwerdeführer verkennt dabei indes, dass allein die in der Haft und damit in einem beschützenden Rahmen gezeigte Abstinenz ohne weitere suchtmitteltherapeutische Maßnahmen nicht die Annahme rechtfertigt, dass die delinquenzursächliche Alkoholproblematik nicht mehr besteht und es ihm auch in Freiheit gelingen wird, abstinent und damit einhergehend straffrei zu leben. Dass der Beschwerdeführer aber in der Haft an etwaigen suchtmitteltherapeutischen Maßnahmen teilgenommen hat, wird nicht vorgetragen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine positive Prognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB bei einem mutmaßlich Suchtmittelabhängigen aber nur dann gerechtfertigt, wenn eine Therapie nicht nur begonnen wurde, sondern die begründete Aussicht besteht, dass sie erfolgreich zum Abschluss gebracht wird (ständige Rechtsprechung des Senats zur begründeten Aussicht eines Resozialisierungserfolges bei Drogenabhängigen, so zuletzt Beschl. vom 29.10.2013, 1 Ws 301 - 303/13, [nicht veröffentlicht]; bzgl. eines Alkoholabhängigen: Beschl. vom 19.11.2013, 1 Ws 331/13, [nicht veröffentlicht]; ebenso KG Berlin, Beschl. vom 22.06.2000, 5 Ws 370/00, Rn. 4, zitiert nach juris;). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer auch nur ansatzweise damit begonnen hat, sich mit seiner delinquenzursächlichen Alkoholproblematik auseinanderzusetzen.

Daran ändert auch der im Falle seiner Entlassung vorhandene soziale Empfangsraum sowie sein (behauptetes) beanstandungsfreies Vollzugsverhalten nichts.

Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 30.12.2013 anführt, dass er in der Vergangenheit Bewährungsstrafen erhalten habe, die nicht hätten widerrufen werden müssen, stellt dies keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme dar, ihm sei gegenwärtig eine positive Prognose zu stellen.

2. Die sofortige Beschwerde hat jedoch insoweit Erfolg, als dass es die Strafvollstreckungskammer fehlerhaft unterlassen hat, die als Bewährungsauflage gezahlten 50,00 € gem. § 56 f Abs. 3 Satz 2 StGB auf die zu vollstreckende Strafe anzurechnen. Gem. § 56 f Abs. 3 Satz 2 StGB kann das Gericht, wenn es die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die die verurteilte Person zur Erfüllung von Auflagen nach 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erbracht hat, auf die Strafe anrechnen. Dabei ist es nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen - etwa, weil der Verurteilte sich die Mittel für die erbrachten Leistungen erst durch strafbare Handlungen verschafft hat (BGHSt 33, 326, 327, m.w.N.) - denkbar, dass eine Anrechnung der erbrachten Leistungen unterbleiben kann (BGH, Beschl. vom 20.03.1990, 1 StR 283/89, Rn. 10, zitiert nach juris, m.w.N.). Liegt - wie hier - kein Ausnahmefall vor, ist die Anrechnung geboten.

Da die Form und der Umfang gesetzlich nicht geregelt ist, hat das Gericht deshalb den Anrechnungsmaßstab nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Maßstab der Anrechnung sind die Verhältnisse zur Zeit der Widerrufsentscheidung. Dabei ist das Tagessatzsystem zwar grundsätzlich kein geeigneter Maßstab (OLG Celle, Beschluss vom 18.02.1992, 2 Ws 299/91; juris), kann hier aber mit folgender Überlegung mittelbar herangezogen werden: Für die Anrechnung geleisteter Arbeitsstunden wendet der Senat in ständiger Rechtsprechung (zuletzt mit Beschluss vom 23.07.2013, 1 Ws 212/13, nicht veröffentl.) im Hinblick aus § 43 StGB § 5 Abs. 1 der Nds. Verordnung über die Anwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit vom 19.04.1996 (Nds. GVBl. 1996, 215) als Anrechnungsmaßstab an. Bei einer Umwandlung von Geld- in Arbeitsauflagen gem. § 56e StGB wendet der Senat einen Anrechnungsmaßstab von 5 € je Arbeitsstunde an (Beschl. vom 02.05.2012, 1 Ws 110/12, nicht veröffentl.). Unter Zugrundelegung dieser Anrechnungsmaßstäbe entsprechen die von dem Verurteilten gezahlten 50,00 € 10 Arbeitsstunden; die 10 Arbeitsstunden entsprechen danach (aufgerundet) 2 Tagen (10 : 6 = 1,66).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Beruhend auf der Überlegung, dass der Verurteilte sich ausdrücklich gegen den Widerruf der Bewährung gewandt hat und somit Beschwerde auch dann eingelegt hätte, wenn schon die Strafvollstreckungskammer entsprechend entschieden hätte, gibt der nur geringfügige Teilerfolg hinsichtlich der Anrechnung keinen Anlass, die Landeskasse mit einem Teil der Kosten und Auslagen zu belasten.