Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.08.2011, Az.: 7 A 3283/10

Beeinträchtigung; Genehmigung; Krankentransport; Rettungsdienst

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.08.2011
Aktenzeichen
7 A 3283/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45247
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Verzichtet der Rettungsdienstträger auf die Indienststellung eines weiteren KTW, der in einem von ihm selbst eingeholten und nicht in Frage gestellten Gutachten für erforderlich gehalten wird, hat ein Krankentransportunternehmer einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für dieses Fahrzeug.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2010 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 NRettDG befristete Genehmigung nach § 19 NRettDG für den qualifizierten Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes mit einen Krankentransportwagen mit dem amtl. Kennzeichen F. mit dem Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs des Beklagten und dem Standort in der G. zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein in H. ansässiges Krankentransportunternehmen, begehrt die Erteilung der Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - im Rettungsdienstbereich des Beklagten.

Der Beklagte ist Träger des öffentlichen Rettungsdienstes in seinem Rettungsdienstbereich. Mit der Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes hat er die I. J. und die K. beauftragt (Bedarfsplan S. 5). Genehmigungen nach § 19 NRettDG hat er in seinem Flächen-Landkreis noch nicht erteilt. In der Vergangenheit hatte der Beklagte seinen Rettungsdienst dergestalt organisiert, dass er in 4 Rettungswachen (L.) insgesamt 7 Rettungswagen - RTW - und 5 Krankentransportwagen - KTW - zuzüglich Notarzteinsatzfahrzeugen - NEF - in seinem Kreisgebiet stationiert hatte. Sodann ließ er seinen Rettungsdienst begutachten. In dem Ergebnisbericht der Firma M. über die Organisation des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten vom 24.8.2010 (im Folgenden: Gutachten) heißt es, dass der öffentliche Rettungsdienst ausgebaut werden müsse, um den rechtlichen Erfordernissen zu genügen. In der Vergangenheit sei die Hilfsfrist in der Notfallrettung von 15 Min. nicht eingehalten worden. Vielmehr habe der p95-Wert in der Notfallrettung zwischen 18 und 19 Min. gelegen (Gutachten S. III/3). Deshalb sei die Errichtung von drei weiteren Rettungswachen bzw. Außenstellen von Rettungswachen (N.) sowie die Aufstockung der vorgehaltenen Rettungsmittel auf insgesamt 10 RTW und 4 KTW zuzüglich NEF erforderlich (Gutachten S. IV 12 und IV/14). Da eine für dieses Ergebnis vorausgesetzte Zusammenarbeit mit dem benachbarten nordrhein-westfälischen Landkreis O. zur Versorgung einzelner Einsatzorte im Rettungsdienstbereich des Beklagten nicht im erforderlichen Umfang zustande kam, stockte der Gutachter darüber hinaus den Bedarf an RTW in einem Nachtrag auf insgesamt 11 Fahrzeuge auf, um "der veränderten Situation der zeitgleichen Nachfragen nach Notfallrettung (Duplizitäten)" zu entsprechen. Dieser 11. RTW sei in der Rettungswache P. zu stationieren (Gutachten S. IV/15). Der Gutachter empfahl dem Beklagten danach folgende Gesamtvorhaltung an RTW und KTW als Sollkonzeption gemäß Nachtrag (Gutachten S. IV/16):

Rettungswache

RTW     

KTW     

Q.    

2       

R.    

2       

1       

S.    

2       

2       

P.    

2       

1       

T.    

1       

U.    

1       

V.

1

_

Insgesamt

11    

4       

Hierauf beschloss der Beklagte den Bedarfsplan für den Rettungsdienst/Krankentransport in seinem Rettungsdienstbereich mit folgender Gesamtvorhaltung an RTW und KTW ohne Reservefahrzeuge mit Stand vom 8. Februar 2011, der am 1. April 2011 in Kraft getreten ist (Bedarfsplan S. 6):

Rettungswache

RTW     

KTW     

W.    

2       

1       

R.    

2       

1       

S.    

2       

1       

P.    

2       

T.    

1       

U.    

1       

X.

1

_

Insgesamt

11    

3       

In dem Bedarfsplan sind zwei "Versorgungsbereiche mit KTW" gebildet: der "Pool Ost" mit 3 KTW und der "Pool Südwest". Zu letzterem findet sich im Bedarfsplan der Vermerk: "z. Zt. nicht besetzt". Außerdem ist ausgeführt: "Sollten mehr KTW-Einsätze anfallen als vorgehaltene KTW bereitstehen, werden die nicht im Einsatz befindlichen RTW herangezogen, sofern dies die Notfallrettung nicht gefährdet" (Bedarfsplan S. 10).

Zuvor hatte die Klägerin am 12. März 2010 beim Beklagten die Erteilung einer Genehmigung nach § 19 NRettDG im "Landkreis P. " beantragt. In einem ergänzenden Schreiben vom 19. März 2010 verwies die Klägerin auf E-Mails vom 13. Januar und 16. Februar 2010. In letzterer E-Mail hatte die Klägerin dem Beklagten angeboten, ihn "(speziell z.B. für den Bereich Y.) dahingehend zu unterstützen, seine Hilfsfristen zu erfüllen. Dies könnte in verschiedenen Kombinationen stattfinden: 1. Übernahme des qualifizierten Krankentransportes, 2. Bereitstellung eines [Mehrzweckfahrzeuges] MZF, 3. Bereitstellung eines RTW". Ergänzende Antragsunterlagen legte die Klägerin mit Telefax vom 28. April 2010 und zuletzt mit Telefax vom 7. Juni 2010 vor.

Der Beklagte ging davon aus, dass die Klägerin die Erteilung der Genehmigung für den Bereich der Gemeinden Z. und Q. beantrage und hörte u.a. die Kostenträger an. Die Klägerin fragte mit Schreiben vom 28. Februar 2010 an, ob seitens des Beklagten Gesprächsbereitschaft für die Stationierung eines MZF im Landkreis P. bestehe. Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 11. Mai 2010 mit, dass nach derzeitigem Stand in der Erstellung des Gutachtens kein Bedarf an einem solchen Fahrzeugtyp (MZF) bestehe. Der Antrag der Klägerin auf Erteilung der Genehmigung für den Krankentransport befinde sich in der Anhörung. Mit Schreiben vom 9. Juni 2010 äußerte sich der Verband der AA. Kassen e.V. (AB.) auch im Namen der AC. und der AD. Krankenkasse AE. ablehnend, weil durch die Erteilung der Genehmigung die Auslastung der (vorhandenen) Rettungsmittel beeinträchtigt werde, was wiederum eine negative Entwicklung der Gesamtkosten des Rettungsdienstes verursache.

Hierauf lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport mit dem streitbefangenen Bescheid vom 30. Juni 2010 ab. Zur Begründung wird ausgeführt, das Gutachten der Firma M. habe ergeben, dass die Einsatzzahlen im qualifizierten Krankentransport seit dem Jahr 2002 deutlich rückläufig seien und der Gutachter eine Reduktion der vorhandenen KTW um 1 Fahrzeug vorschlage. Dem würde die Erteilung der beantragten Genehmigung widersprechen, da anzunehmen sei, dass hierdurch in Zeiten schwacher Nachfrage die parallele Vorhaltung von Einsatzpersonal und Fahrzeugen für beide Bereiche unwirtschaftlich sei. Die sich hieraus ergebenden Kosten wären insgesamt unwirtschaftlich und hätten eine negative Entwicklung auf die Gesamtkosten im Rettungsdienst zur Folge. Das öffentliche Interesse an einem wirtschaftlichen Rettungsdienst sei höher zu bewerten als das Individualinteresse an der Erteilung der Genehmigung, da nur hierdurch die Mitgliedsbeiträge (gemeint: ersichtlich der Kostenträger) gering gehalten werden könnten. Nach Abwägung dieser Fakten sei der Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung von qualifizierten Krankentransporten zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führen würde.

Mit ihrer hiergegen am 27. Juli 2010 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen lägen unstreitig vor und es bestehe nicht die konkrete Gefahr, dass die Erteilung der beantragten Genehmigung zu schwerwiegenden Mängeln bei der Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes führen würde. Es handele sich um eine Behauptung des Beklagten "ins Blaue" hinein. Im Zeitpunkt der Entscheidung habe zudem ein aktueller Rettungsdienst-Bedarfsplan gefehlt. Auf Hinweisverfügung des Gerichts konkretisierte die Klägerin ihren Antrag dahingehend, dass die Genehmigung für 1 KTW mit dem amtl. Kennzeichen F. für den Rettungsdienstbereich des Beklagten mit Standort in der Stadt P. beantragt werde. Die Klägerin weist darauf hin, dass der Beklagte auf etwaige Versäumnisse in der Antragstellung bereits im Verwaltungsverfahren hätte hinweisen müssen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2010 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, ihr die beantragte Genehmigung für die Durchführung von qualifizierten Krankentransporten nach § 19 NRettDG mit einem Krankentransportwagen mit dem amtlichen Kennzeichen F. mit dem Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs des Beklagten und dem Standort in der Stadt P. zu erteilen,
hilfsweise
den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Er ist der Auffassung, dass die Erteilung der Genehmigung zu versagen sei, wenn und solange Kapazitäten des öffentlichen Rettungsdienstes vorhanden seien, die ausreichten, um den auftretenden Bedarf an Notfall- und Krankentransportleistungen zu decken. Bei Zulassung eines weiteren KTW würde die Verträglichkeitsgrenze überschritten werden. Die vorhandene auskömmliche Kapazität würde um rund 33% erweitert werden. Die Erklärungen der Klägerin auf die Hinweisverfügung des Gerichts halte er für eine Antragsänderung. Mit Schriftsatz vom 18. August 2011 erklärt der Beklagte: Der angefochtene Verwaltungsakt sei teilweise inhaltsleer und das vorliegende Gerichtsverfahren sei erledigt.

Er werde jetzt ein neues Verwaltungsverfahren unter Beteiligung der Kostenträger einleiten. In der Stadt P. sei der vormals dort stationierte KTW de facto durch den 2. RTW ersetzt worden. Dies führe zu einer qualitativen Verbesserung. Dieser 2. RTW sei deshalb stationiert worden, weil der nordrhein-westfälische AF. die Notfallrettung in der Ortschaft bzw. Gemeinde L. innerhalb der Samtgemeinde AG. entgegen der ursprünglichen Annahme des Gutachters nicht übernehmen konnte. Der in P. vorgesehene 2. RTW stehe im Regelfall jedoch voll und ganz für den Krankentransport zur Verfügung.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Verpflichtungsklage ist zulässig (1.) und mit dem Hauptantrag begründet (2.).

1a. Der Rechtsstreit ist nicht aufgrund der schriftsätzlichen Erklärung des Beklagten vom 18. August 2011 erledigt. Zum einen hat der Beklagte die Erledigungserklärung in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt. Zum anderen ist die einseitige Erledigungserklärung des Beklagten unbeachtlich (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 161 Rdnr. 7). Schließlich liegt noch nicht einmal ein teilweise erledigendes Ereignis vor. Denn der Beklagte hat seinen streitbefangenen Bescheid vom 30. Juni 2010 nicht aufgehoben.

b. In der Konkretisierung des Genehmigungsantrages entsprechend den Vorgaben des § 21 Abs. 2 NRettDG, mit der die Klägerin die Standortangabe des Fahrzeuges nachgeholt hat, liegt auch keine Klageänderung. Tatsächlich hatte die Klägerin bei Antragstellung diese Standortangabe versäumt. Der Beklagte hatte es jedoch ebenso versäumt, die Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 25 VwVfG zur Antragsergänzung im Verwaltungsverfahren aufzufordern. Die unbestimmte allgemeine Angabe der Klägerin in begleitenden E-Mails, sie biete dem Beklagten ihre Unterstützung in der Einhaltung der Hilfsfristen "z.B." im Bereich Y. an, bezog sich auf das allgemeine Werben der Klägerin um Beteiligung am öffentlichen Rettungsdienst des Beklagten, nicht jedoch auf den Antrag nach § 19 NRettDG. Auch der Beklagte wusste ausweislich seines Schreibens vom 11. Mai 2010 sehr wohl zwischen dem Werben der Klägerin um eine Beauftragung im Rahmen des sich vergrößernden öffentlichen Rettungsdienstes des Beklagten nach § 5 NRettDG und der Antragstellung nach § 19 NRettDG zu unterscheiden. Bei letzterer fehlte es bis kurz vor der mündlichen Verhandlung an der von § 21 Abs. 2 Nr. 2 NRettDG vorausgesetzten Standortangabe des Fahrzeugs. Der Beklagte kann der Zulässigkeit der Klage auch nicht ein nach seiner Auffassung erneut nach § 22 Abs. 2 Satz 1 NRettDG erforderliches Anhörungsverfahren der Kostenträger entgegen halten. Denn die Kostenträger waren auf den Antrag vom 12. März 2010 bereits beteiligt worden und hatten sich unabhängig vom Standort des oder der Fahrzeuge gegen die Erteilung einer Genehmigung nach § 19 NRettDG aus allgemeinen Erwägungen ausgesprochen. Ihrer erneuten Beteiligung bedarf es deshalb nicht. Ebenso hatte der Beklagte in dem Bescheid vom 30. Juni 2010 nicht auf einen etwaig ungeeigneten Standort des Fahrzeuges abgestellt.

c. Die Verpflichtungsklage ist auch zulässig, weil die Genehmigungsfiktion nach § 21 Abs. 1 NRettDG i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 5 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG - noch nicht eingetreten ist. Zwar hatte die Klägerin den Genehmigungsantrag bereits am 12. März 2010 gestellt. Die Genehmigung gilt jedoch nicht gemäß § 21 Abs. 1 NRettDG in der Neufassung vom 2.10.2007 (Nds. GVBl. S. 473) - NRettDG - i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 5 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG - bereits seit 12. Juni 2011 als erteilt. Die Klägerin hat sich nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen und kann dies auch nicht.

Mit Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 12.7.2007 (Nds. GVBl. S. 316) ist die Genehmigungsfiktion erstmals in das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz inkorporiert worden, weil § 21 Abs. 1 NRettDG in der vorausgehenden Fassung auf eine ältere Fassung des Personenbeförderungsgesetzes Bezug genommen hatte, die ihrerseits die Genehmigungsfiktion noch nicht enthielt. Gemäß § 21 Abs. 1 NRettDG in der nunmehr geltenden Fassung ist in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG über den Genehmigungsantrag nach §§ 19ff. NRettDG innerhalb einer Frist von 3 Monaten zu entscheiden.

Diese Frist beginnt jedoch erst mit Eingang der vollständigen Antragsunterlagen bei der Behörde zu laufen (OVG Greifswald, Beschluss vom 9.12.2003 - 1 L 174/03 -; OVG Magdeburg, Urteil vom 29.2.1996, DVBl. 1997, S. 964; st. Rspr. der Kammer). Die Klägerin hatte jedoch noch mit Telefax vom 28. April 2010 und 7. Juni 2010 Unterlagen nachgereicht. Danach gilt die streitbefangene Genehmigung nicht bereits am 12. Juni 2010 als erteilt. Dies ist zwischen den Beteiligten auch ersichtlich unstreitig.

2. Die Verpflichtungsklage ist mit dem Hauptantrag begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung der Genehmigung nach § 19 NRettDG für den qualifizierten Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes mit 1 KTW für den Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs des Beklagten mit Standort in der Stadt P.. Insoweit ist die Sache im maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage am Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Kammer spruchreif (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin erfüllt unstreitig die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 NRettDG.

Die Klägerin erfüllt zur Überzeigung der Kammer auch die objektive Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG für die Zulassung eines einzelnen KTW im Rettungsdienstbereich des Beklagten. Gemäß dieser Vorschrift kann der Beklagte die Genehmigung versagen, wenn zu erwarten ist, dass sie zur Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt; zu berücksichtigen sind insbesondere die Auslastung und die Abstimmung des Einsatzes der Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich. Ist nicht zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigt, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Ist hingegen zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigen wird, ist der Genehmigungsbehörde von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG ein Ermessensspielraum eröffnet, ob die Genehmigung gleichwohl zu erteilen ist. Spätestens in diese Ermessensentscheidung ist u.a. einzustellen, ob bereits überhaupt ein Genehmigungsinhaber im Rettungsdienstbereich der Genehmigungsbehörde tätig ist, weil andernfalls der Dritte Teil des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes (§§ 19-29), der die Ermöglichung eines qualifizierten Krankentransports außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes vorsieht und damit eine gesetzgeberische Grundentscheidung enthält, funktionslos wäre. Eine Beeinträchtigung des von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützten öffentlichen Interesses muss nicht bereits eingetreten sein. Vielmehr reicht die Erwartung aus, dass im Falle der Erteilung der Genehmigung eine entsprechende Beeinträchtigung eintreten wird. Die Behörde muss danach eine prognostische Entscheidung mit wertendem Charakter treffen, die ihr einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsfreiraum gewährt (OVG Lüneburg, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L 719/98 - Nds. MBl. 1999, S. 689 Ls). In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ist gleichwohl geklärt, dass die grundsätzlich in § 19 NRettDG enthaltene Entscheidung des Landesgesetzgebers für einen Zugang auch von privaten Unternehmern zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes durch einen bloßen Verweis auf einen fehlenden Bedarf nicht umgangen werden darf, solange das Fehlen eines Bedarfs nicht offensichtlich ist (u.a. OVG Lüneburg, aaO).

Der Bescheid vom 30. Juni 2010 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil er jede konkrete Angabe zu der Auslastung und der Abstimmung des Einsatzes der Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich vermissen lässt. Es wird lediglich allgemein unter Hinweis auf das zu diesem Zeitpunkt noch in der Erstellung befindliche Gutachten der Firma M. behauptet, dass die Einsatzzahlen im qualifizierten Krankentransport rückläufig seien. Insbesondere findet sich keine Angabe, ob im qualifizierten Krankentransport die Wartezeit von 30 Min. nach § 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Bemessung des Bedarfs an Einrichtungen des Rettungsdienstes vom 4.1.1993 (Nieders. GVBl. S. 1) - BedarfVO-RettD - eingehalten wird. Dass zu diesem Zeitpunkt im Rettungsdienstbereich des Beklagten die Eintreffzeit in der Notfallrettung von 15 Min. in 95% der Fälle nach § 2 Abs. 2 und 3 BedarfVO-RettD nicht eingehalten wurde, hat der Gutachter später bestätigt (Gutachten S. III/3). Die Begründung des Bescheides vom 30. Juni 2010 beruht deshalb auf zumindest unvollständigem Tatsachenmaterial und macht die Entscheidungsformel des Bescheides bereits deshalb rechtswidrig.

Die Rechtswidrigkeit führt vorliegend nicht dazu, lediglich den Bescheid vom 30. Juni 2010 aufzuheben sowie den Beklagten zur Neubescheidung zu verpflichten. Vielmehr ist die Kammer in der Lage, in der Sache zu entscheiden. Denn es ist offensichtlich, dass vorliegend das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst im Bereich des Beklagten bei Hinzutreten eines einzelnen KTW der Klägerin nicht beeinträchtigt wird. Die Verträglichkeitsgrenze ist im Gegensatz zur Behauptung des Beklagten im Falle des Klageerfolgs nicht überschritten. Deshalb hat die Klägerin bezogen auf dieses eine Fahrzeug einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, ohne dass dem Beklagten insoweit ein Ermessensspielraum eröffnet ist.

Denn der öffentliche Rettungsdienst des Beklagten ist auch gegenwärtig im Bereich des qualifizierten Krankentransports unterdimensioniert. Ausweislich des Gutachtens werden zur Erfüllung des Sicherstellungsauftrages ohne Reservefahrzeuge 11 RTW und 4 KTW gefordert (Gutachten S. IV/16). Nach dem aktuellen Bedarfsplan hat der Beklagte jedoch nur 11 RTW und 3 KTW in Dienst gestellt. Auf die Indienststellung des 4. KTW, den der Gutachter am Standort P. verortet hatte, hat der Beklagte verzichtet. Entsprechend hat er in dem Bedarfsplan auf S. 10 hinsichtlich des von ihm gebildeten "KTW-Pools Südwest" vermerkt: "z. Zt. nicht besetzt". Bei dem im südwestlichen Kreisgebiet liegenden Standort P. handelt es sich um den Standort, den nunmehr die Klägerin mit ihrem zur Genehmigung gestellten Fahrzeug besetzen will.

Damit ist der Bedarf an qualifiziertem Krankentransport durch den öffentlichen Rettungsdienst des Beklagten nicht gedeckt und im Gegenteil sogar ausreichend Bedarf für das von der Klägerin zur Genehmigung gestellte eine Fahrzeug vorhanden. An der Richtigkeit der Aussagen des Gutachtens hat das Gericht keine Zweifel. Solche Zweifel hat auch der Beklagte nicht vorgetragen.

Der Beklagte hat vielmehr argumentiert, der Gutachter hätte für die Vorhaltung in der Rettungswache P. zunächst nur 1 RTW und einen 1 KTW vorgesehen (Gutachten S. IV/12 und IV/14) und dort später 2 RTW für erforderlich gehalten. In der Folge habe der Beklagte in seiner Bedarfsplanung den 1 KTW "geopfert" und in einen 2. RTW umgewandelt. Dabei übersieht der Beklagte, dass der Gutachter als Vorhaltung in der Rettungswache P. stets 1 KTW unabhängig von der Anzahl der dort stationierten RTW für notwendig erachtet hatte (Gutachten S. IV/12 und IV/16), und den 2. RTW ausdrücklich zur Sicherstellung der Notfallrettung für erforderlich hielt, nachdem eine Sicherstellung der Notfallrettung einzelner Orte im Rettungswachenbereich der Wache P. nicht durch den benachbarten nordrhein-westfälischen Landkreis O. erfolgen konnte. Dies hat nach Auffassung des Gutachters zur Folge, dass durch die Rettungswache P. ein größerer Umfang an Einsatzfällen der Notfallrettung zu bedienen sei, als bislang angenommen, und der Bedarf an vorzuhaltenden RTW an der Rettungswache P. um ein Fahrzeug steige, um Nachfragen in der Notfallrettung (Duplizitäten) bedienen zu können (Gutachten S. IV/15). Danach steht für die Kammer fest, dass der 2. tagsüber in der Rettungswache P. stationierte RTW für Zwecke der Notfallrettung erforderlich ist und nicht den unabhängig hiervon dort erforderlichen und vom Beklagten nicht mehr stationierten KTW ersetzen kann. Diese Funktion kann hingegen der von der Klägerin zur Genehmigung gestellte KTW mit Standort in der Stadt P. kompensieren, ohne dass das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Rettungsdienst beeinträchtigt wird. Im Gegenteil wird erst durch die Erteilung der streitbefangenen Genehmigung das öffentliche Interesse an ausreichender Bereitstellung von Krankentransportleistungen befriedigt.

Der Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf § 5 Abs. 2 Satz 2 BedarfVO-RettD berufen. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bedarfsbemessung einsatzbereit vorzuhaltender Krankenkraftwagen zu berücksichtigen, dass RTW auch im qualifizierten Krankentransport einsetzbar sind. Werden nur RTW und keine KTW in Dienst gestellt oder der Krankentransport zumindest überwiegend durch RTW ausgeführt, wird von einer "Mehrzweckfahrzeug-Strategie" gesprochen. Unter Berücksichtigung dieser Vorschrift hätte der Beklagte jedoch - wie vom Gutachter vorgeschlagen - insgesamt 14 Fahrzeuge in Dienst stellen müssen und nicht nur insgesamt 13, wie geschehen. Außerdem findet sich in dem Bedarfsplan kein Hinweis auf die Mehrzweckfahrzeug-Strategie. Im Gegenteil ist auf S. 10 des Bedarfsplans lediglich ausgeführt: "Sollten mehr KTW-Einsätze anfallen als vorgehaltene KTW bereitstehen, werden die nicht im Einsatz befindlichen RTW herangezogen, sofern dies die Notfallrettung nicht gefährdet". Damit ist lediglich eine KTW-Ausfall-Strategie bei gleichzeitigem Primat der Notfallrettung festgeschrieben. Aus ihr ergibt sich, dass der Krankentransport im Rettungsdienstbereich des Beklagten grundsätzlich mit KTW durchgeführt wird und RTW für den Krankentransport nur dann zur Verfügung stehen, wenn hierdurch die Notfallrettung nicht gefährdet wird. Die Indienststellung des 2. RTW in der Rettungswache P. ist - wie vom Gutachter festgestellt - jedoch gerade erforderlich, um die Notfallrettung nicht zu gefährden.

Dessen ungeachtet hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Wartezeit im Krankentransport in seinem Rettungsdienstbereich im Jahre 2010 in 94,2% aller Fälle eingehalten worden ist. § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD verlangt, dass die Wartezeit von 30 Min. "in der Regel" eingehalten wird. Die vorgeschriebene Wartezeit wird jedenfalls dann "in der Regel" eingehalten, wenn die Überschreitung in weniger als 5% der Fälle erfolgt. Denn für den Bereich des Krankentransports kann nicht ein höheres Sicherheitsniveau gefordert werden als im Bereich der Notfallrettung (VG Göttingen, Urteil vom 2.3.2006 - 4 A 17/04 -). Nach den eigenen Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung wurde die Wartezeit im qualifizierten Krankentransport jedenfalls 2010 nur in 94,2% der Fälle eingehalten. Auch insoweit ist die Planung des qualifizierten Krankentransports im Rettungsdienstbereich des Beklagten unterdimensioniert. Der Beklagte könnte sich auch nicht darauf berufen, dass diese Zahl möglicherweise vor Vergrößerung seines öffentlichen Rettungsdienstes entstanden ist. Denn dieser Wert wäre dann mit den vormals zur Verfügung stehenden 4 KTW statt mit den derzeit nur noch 3 in Dienst gestellten KTW erreicht worden.

Deshalb ist der öffentliche Rettungsdienst des Beklagten ausweislich der vom Beklagten nicht vollständig umgesetzten Vorgaben des Gutachtens der Firma M. aus dem Jahre 2010 jedenfalls hinsichtlich des qualifizierten Krankentransports nach wie vor unterdimensioniert und deshalb nicht in vollem Umfange schützenswert. Die Kammer folgt in diesem Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung nicht der jüngeren Rechtsprechung des OVG Münster, die in Abweichung von ihrer vorausgehenden zutreffenden Rechtsprechung im Rahmen der Funktionsschutzklausel nicht mehr vorab prüft, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, der beeinträchtigt werden kann (OVG Münster, Urteil vom 7.3.2007, DVBl. 2007, S. 1503; Beschluss vom 19.9.2007 - 13 A 2451/04 -). Der Hinweis des OVG Münster, das öffentliche Interesse schütze nicht nur einen bestehenden funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienst, sondern auch das Ziel zur Erlangung eines solchen, überzeugt nicht. Zum einen würde der Rettungsdienstträger kaum mehr einer Kontrolle unterliegen, ob er wirklich funktionsgerecht, bedarfsgerecht, flächendeckend und (hierbei) wirtschaftlich handelt, zum anderen könnte allein der Hinweis des Rettungsdienstträgers, er sei bestrebt, einen den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Rettungsdienst herzustellen, regelmäßig die Zulassung eines jeden Unternehmers verhindern.

Weil die Verträglichkeitsgrenze des öffentlichen Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten bei Zulassung eines einzigen KTW zum maßgeblichen Zeitpunkt am Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht überschritten wird, hat die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung für dieses Fahrzeug.

Über den Hilfsantrag brauchte danach nicht mehr entschieden zu werden, da die Klage mit dem Hauptantrag Erfolg hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

Gründe, die Berufung durch das Verwaltungsgericht zuzulassen, liegen nicht vor.