Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 12.08.2019, Az.: 1 B 214/19

Abschiebungsandrohung; Ausreisefrist; Fristbeginn; Monatsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
12.08.2019
Aktenzeichen
1 B 214/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69955
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Fristsetzung in einer Abschiebungsandrohung ist, dass der Ausländer eindeutig erkennen kann, wieviel Zeit er für seine freiwillige Ausreise hat und wann er mit einer Abschiebung rechnen muss.
2. Als hinreichend bestimmt ist eine Ausreisefrist anzusehen, wenn im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids für den Ausländer erkennbar ist, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt und welcher Zeitraum ihm bis zum Ablauf der Frist verbleibt.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 22.07.2017 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.06.2019 (Az: D.) wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22.07.2019 gegen die im Bescheid vom 18.06.2019 (Az. D.) enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,

hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da der erhobenen Klage (Az. 1 A 213/19) gegen die Abschiebungsandrohung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 70 Abs. 1 NVwVG, § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG keine aufschiebende Wirkung zukommt.

Der Antrag ist auch begründet. Die in materiell-rechtlicher Hinsicht im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bleibt hinter dem Interesse des Antragstellers, von einer sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, zurück, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts begründet ist.

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung ist § 59 i. V. m. § 58 AufenthG. Nach summarischer Prüfung ist sie zum derzeitigen Zeitpunkt bereits formell rechtswidrig. Dies ergibt sich aber nicht aus einer Unzuständigkeit der Antragsgegnerin. Zwar hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen eines durchgeführten Asylverfahrens mit ablehnendem Bescheid vom 27.09.2011 eine Abschiebungsandrohung in eigener Zuständigkeit gem. § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassen (vgl. Bl. 566 BA 003). Diese hatte sich jedoch mit der Erteilung des ersten Aufenthaltstitels durch die Antragsgegnerin – sie hat dem Antragsteller zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und trotz vorangegangener Ausweisung am 18.09.2017 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG erteilt – erledigt. Damit endete die Zuständigkeit des Bundesamts für den Erlass der Abschiebungsandrohung (vgl. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Februar 2016, § 59 AufenthG Rn. 4, m. w. N.).

Die formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich aus einer Missachtung des Anhörungserfordernisses nach § 28 Abs. 1 VwVfG. So hat die Antragsgegnerin den Antragsteller nicht vor Erlass des ihn belastenden Bescheids angehört. Zwar kann von einer Anhörung gem. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG bei Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung – eine solche liegt hier vor – abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen nicht geboten ist. Dass die Antragsgegnerin infolge einer insoweit erforderlichen eigenen Ermessensentscheidung (vgl. hierzu Kallerhoff/Mayen in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 49) hiervon abgesehen hat, ist jedoch aus dem Verwaltungsvorgang nicht erkennbar. Soweit der Antragsteller im Rahmen des Verfahrens betreffend die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis die Gelegenheit erhielt, sich zu äußern (vgl. Bl. 986 BA 005), kann hierin keine ordnungsgemäße Anhörung hinsichtlich des Erlasses der Abschiebungsandrohung gesehen werden. Einen Hinweis auf eine zeitnah angestrebte Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland war dem Anhörungsschreiben in diesem Verwaltungsverfahren nicht zu entnehmen. Deshalb musste der Antragsteller, der trotz mehrjähriger bestandskräftiger Ausweisung zunächst geduldet und dem anschließend Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden waren, nicht erkennen, dass er sich auch zu Ausreisemodalitäten äußern sollte.

Den Anhörungsmangel hat die Antragsgegnerin bislang nicht gem. § 45 VwVfG geheilt. Die Kammer geht für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass der Antragsteller die Aufhebung der Abschiebungsandrohung aufgrund der Verletzung von § 28 Abs. 1 VwVfG beanspruchen kann, weil nicht offensichtlich ist, dass sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, vgl. § 46 VwVfG. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass ohne den Verfahrensverstoß eine günstigere Regelung für den Antragsteller hätte getroffen werden können. Dies gilt – angesichts der Länge seines Aufenthalts in Deutschland und seiner sozialen Kontakte beispielsweise zu seinem in Deutschland lebenden Kind – insbesondere im Hinblick auf die Länge der Ausreisefrist.

Die Abschiebungsandrohung ist nach summarischer Prüfung aber auch in materieller Hinsicht rechtswidrig. Zwar ist der Antragsteller nach § 50 Abs. 1 AufenthG nach Ablauf der Gültigkeit seiner Aufenthaltserlaubnis zum 01.11.2018 und Ablehnung seines Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 12.12.2018 zur Ausreise verpflichtet. Dem steht die gegen die Ablehnung der Verlängerung erhobene Verpflichtungsklage – anhängig beim beschließenden Gericht unter dem Az. 1 A 22/19, einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat der Antragsteller hiergegen nicht gestellt – nicht entgegen. Für den Erlass der Abschiebungsandrohung kommt es insoweit nur auf die Wirksamkeit des die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakts an (vgl. hierzu ausführlich Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, 98. EL April 2019, § 59 AufenthG., Rn. 42 ff.).

Allerdings enthält die Abschiebungsandrohung keine ordnungsgemäße Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise des Antragstellers. Im Tenor des angefochtenen Bescheids findet sich keine Frist. Nur aus der Begründung des Bescheids (Bl. 3, letzter Absatz) ergibt sich, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller offensichtlich eine Ausreisfrist von einem Monat setzen wollte. Unter Berücksichtigung von § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG – danach ist eine Frist zwischen sieben und 30 Tagen zu bestimmen – versteht die Kammer die hier gesetzte Monatsfrist insoweit als Bestimmung der Höchstfrist. Selbst wenn die Fristsetzung in einen Monat mit 31 Tagen fiele und infolgedessen der in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannte Zeitraum überschritten werden würde, wäre hierin keine für den Antragsteller nachteilige Regelung zu sehen, so dass insoweit keine subjektive Rechtsverletzung vorläge.

Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Fristsetzung ist aber, dass der Ausländer eindeutig erkennen kann, wieviel Zeit er für seine freiwillige Ausreise hat und wann er mit einer Abschiebung rechnen muss (vgl. Bauer/Dollinger in: Bergmann/Dienelt, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 59 Rn. 16). Als hinreichend bestimmt ist eine Ausreisefrist insoweit anzusehen, wenn im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids für den Ausländer erkennbar ist, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt und welcher Zeitraum ihm bis zum Ablauf der Frist verbleibt (vgl. Hailbronner, a. a. O., Rn. 46). Der Fristbeginn lässt sich vorliegend aus dem Bescheid nicht entnehmen. Da auch das Gesetz den Beginn der Ausreisefrist nicht an einen bestimmten, für den Ausländer ermittelbaren Zeitpunkt knüpft, ist dieser für den Antragsteller nicht erkennbar.

Die Kammer weist im Hinblick auf die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe gegen die Abschiebungsandrohung auf § 59 Abs. 3 AufenthG hin. Danach steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, in seinem Heimatland Iran drohe ihm aufgrund seiner Konvertierung zum Christentum Verfolgung, führt dies nach summarischer Prüfung nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung. Bei der behaupteten Verfolgung handelt es sich um ein § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unterfallendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG. Das Nichtvorliegen eines solchen zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses hat zudem das Bundesamt mit Bindungswirkung für die Antragsgegnerin (vgl. § 42 AsylG) bereits im Asylverfahren, mit Bescheid vom 27.09.2011, bestandskräftig festgestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Danach hat die Antragsgegnerin als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Ziff. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.). Danach ist bei einem Streit um eine isolierte Abschiebungsandrohung der halbe Auffangwert (5.000,- Euro, vgl. § 52 Abs. 2 GKG) zu Grunde zu legen. Der sich daraus ergebende Wert von 2.500,- Euro ist aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.