Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.08.2019, Az.: 3 A 438/17
Simbabwe; ZANU-PF
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 21.08.2019
- Aktenzeichen
- 3 A 438/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG 1992
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge.
Sie ausweislich der vorgelegten Reisepässe simbabwische Staatsangehörige. Sie reisten am 01.12.2016 über Südafrika und Katar mit Schengenvisa auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am selben Tag ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Zur Begründung trug die Klägerin zu 1. im Wesentlichen vor, seit 2012 sei sie Mitglied der Movement for Democratic Change (MDC) gewesen, habe sich aber weitgehend passiv verhalten. Am 17.09.2016 habe sie im Distrikt 8 des Stadtteils Glenview von Harare an einer großen Versammlung der Opposition teilgenommen, mit welcher die Regierung von einer Wahlreform überzeugt werden sollte. Mitglieder der ZANU-PF hätten die Versammlung mit Gewalt gestört. Die Polizei habe Wasserwerfer und Schlagstöcke eingesetzt, aber fast ausschließlich gegen Versammlungsteilnehmer der Opposition, die an ihren roten T-Shirts und Mützen zu erkennen gewesen seien. Die Anführer des MDC seien festgenommen worden und es habe durch den Polizeieinsatz viele Verletzte gegeben. Abends nach der Parteiversammlung sei die Klägerin zu 1. von Nachbarn aus ihrer Wohnung an einen ihr unbekannten Ort entführt worden. Sie sei stundenlang gefoltert und misshandelt worden, damit sie die Namen weiterer Parteimitglieder preisgeben und Abstand von ihrem Engagement für die MDC nehmen solle. Ihr sei auch mit Gewalt gegen ihren Sohn, den Kläger zu 2., gedroht worden. Anschließend habe man sie wieder nach Hause gebracht. Den Schutz der örtlichen Polizei habe sie nicht in Anspruch genommen, da alle der regierenden Partei ZANU-PF angehörten und ihrer Anzeige nicht nachgegangen worden wäre. Ihre Verletzungen habe sie durch ihren Hausarzt versorgen und attestieren lassen. In den folgenden Tagen habe die Klägerin zu 1. anonyme Drohanrufe erhalten. Seit ihrer Mitgliedschaft im MDC sei dies der einzige Angriff wegen ihrer Parteizugehörigkeit gewesen. Ob auch andere Parteimitglieder derartigen Übergriffen ausgesetzt gewesen wären, wisse sie nicht mit Bestimmtheit; sie habe aber von ähnlichen Zwischenfällen gehört. Wegen des Überfalls auf sie habe sie sich an den Parteivorstand gewandt, der aber nichts unternehmen wollte, da sie sich vor einer Verschlechterung ihrer Situation gefürchtet hätten. Einen Mitgliedsausweis über ihre Zugehörigkeit zum MDC könne sie nicht vorlegen, da sie den Ausweis aus Furcht vor Entdeckung und erneuten Repressalien in Simbabwe gelassen habe. Bis zu ihrer Ausreise hätten sie sich zeitweise bei Verwandten aufgehalten. Weil der Kläger zu 2. zumindest verbal bedroht worden sein, gälten die Fluchtgründe auch für ihn. Die Klägerin zu 1. sei HIV-positiv, sei aber in Simbabwe medikamentös behandelt worden.
Mit Bescheid vom 31.05.2017, zugestellt am 02.06.2017, lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger sowie die Zuerkennung von Flüchtlingsstatus und subsidiärem Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Ferner wurden die Kläger unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung nach Simbabwe zur Ausreise aufgefordert und ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten verfügt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten eine individuelle Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. In Simbabwe bestehe keine allgemeine extreme Gefahrenlage. Die Erkrankung der Klägerin zu 1. sei in Simbabwe behandelt worden und nicht durch ein ärztliches Attest glaubhaft gemacht worden.
Am 08.06.2017 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich auf das Vorbringen aus dem Vorverfahren beziehen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2017 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, äußerst hilfsweise Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Beteiligten übersandte Erkenntnismittelliste, die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und auch sonst statthafte Klage ist weitaus überwiegend begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus, der Kläger zu 2. allerdings nur aus abgeleitetem Recht; der Bescheid vom 31.05.2017 ist insofern rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Die Klägerin zu 1. hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Der erkennende Einzelrichter teilt nicht die im Bescheid vom 31.05.2017 vertretene Auffassung, dass das Vorbringen der Kläger unsubstantiiert, vage und in wesentlichen Teilen nicht nachvollziehbar ist. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln (insbesondere ZimNews 09 und 10/16) ist bekannt, dass die Bevölkerung Simbabwes von den Parteien und Gruppen, die sich unter dem Dach der National Electoral Reform Agenda (NERA) zusammengefunden haben, ab Ende August 2016 zur Teilnahme an Großdemonstrationen und einem Marsch auf Harare aufgerufen wurde. Am 26.08.2016 besetzte die Polizei den Versammlungsplatz in Harare und ging mit Wasserwerfern, gepanzerten Fahrzeugen und Tränengas gegen die Versammlungsteilnehmer vor. Demonstranten und Unbeteiligte wurden verletzt und mehr als 100 Personen verhaftet; die Polizei ging mit großer Brutalität vor. Auch Mitglieder der Jugendorganisation der ZANU-PF beteiligten sich an den Ausschreitungen. Mehrere namentlich bekannte Frauen wurden im Polizeigewahrsam schwer misshandelt. Am 02. und 17.09.2016 verbot der Polizeichef von Harare Demonstrationen für die folgenden Wochen, was teilweise nicht beachtet wurde; am 18.09.2016 wurden erneut dutzende Personen festgenommen, die für eine Wahlreform demonstriert hatten. Nahezu alle Festgenommenen wurden in den folgenden Tagen gegen Kaution wieder freigelassen.
In dieser Lage ist plausibel, dass die Klägerin zu 1. an einer Demonstration teilgenommen hat und wegen dieser Teilnahme von Anhängern der ZANU-PF, welche am Machterhalt ihrer Partei interessiert waren, drangsaliert, körperlich angegriffen und in den folgenden Wochen auch bedroht wurde. Einschüchterungen und Bedrohungen tatsächlicher oder vermeintlicher Oppositioneller durch Gruppierungen der ZANU-PF infolge der Nachwahl in Norton sind im Oktober und November 2016 (vgl. z.B. ZimNews November 2016) belegt. Soweit als unplausibel angesehen wurde, dass die Klägerin zu 1. ihren Mitgliedsausweis des MDC nicht mitgenommen habe, so ist dieser Gesichtspunkt ausgeräumt, weil sie den Ausweis durch ihre Schwester im Jahr 2017 hat nachsenden lassen und in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Soweit im angefochtenen Bescheid moniert wurde, dass Nachbarn von ihr als einem weitgehend passiven Parteimitglied die Namen weiterer Parteimitglieder erpresst haben sollten, dass sich ihre Entführer als ZANU-PF-Mitglieder ausgewiesen haben sollen und dass sie nach einer Entführung und stundenlanger Misshandlung an einem unbekannten Ort wieder nach Hause gebracht worden sein sollte, konnte die Klägerin diese Punkte in der mündlichen Verhandlung ausräumen. Mit ihrer vorübergehenden Festnahme und Feststellung ihrer Personalien bei der Demonstration, der Schilderung der erlittenen Misshandlungen, welche die Klägerin zu 1. ersichtlich psychisch sehr belastete, der Erklärung, dass die Entführer eine Namensliste abarbeiteten und der Angabe, bei den Misshandlungen das Bewusstsein verloren zu haben und erst am Eingang ihres Hauses wieder zu sich gekommen zu sein, konnte sie einen plausiblen Geschehensablauf darlegen, der sowohl zu den vorliegenden Erkenntnismitteln als auch zu den hausärztlich bescheinigten Verletzungen passt. Auch die Angabe des Klägers zu 2., dass ihn eine Tante aus dem Internat abgeholt habe mit der Angabe, dass seine Mutter krank sei, fügt sich in diesen Tatsachenvortrag ein, weil es keinen Grund gab, der Internatsleitung Einzelheiten über den Gesundheitszustand der Klägerin zu 1. anzuvertrauen.
Der Einzelrichter geht deshalb davon aus, dass die Klägerin zu 1. im Anschluss an eine Demonstration für eine Wahlrechtsreform am 17.09.2016 kurzfristig festgenommen, nach der Feststellung ihrer Personalien jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Am selben Abend wurde sie – wohl – von Anhängern der ZANU-PF entführt und schwer misshandelt, um die Namen weiterer Oppositioneller zu erpressen. Daneben war offenbar auch Zweck der Misshandlungen, sie von weiterer oppositioneller Betätigung zum Nachteil der uneingeschränkten Herrschaft der ZANU-PF abzuschrecken. Damit liegt sowohl eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG durch relevante Akteure nach § 3c Nr. 2 AsylG, als auch das Verfolgungsmerkmal der tatsächlichen oder angenommenen politischen Überzeugung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vor. Die zwischen beiden gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Ursachenbeziehung (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 22.05.2019 - 1 C 10.18 -, juris) liegt ebenfalls vor, weil die Misshandlungen an die Demonstrationsteilnahme unmittelbar anknüpften.
Staatlichen Schutz i.S.d. § 3d AsylG oder eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 3e AsylG konnte die Klägerin zu 1. nicht erhalten. Nach den vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln gibt es aktuell in Simbabwe zwar keine staatlichen Repressionen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Der Sturz Präsident Robert Mugabes und die Machtübernahme mithilfe des Militärs durch den früheren Vizepräsidenten Emmerson Dambudzo Mnangagwa im November 2017 hat an der inneren Lage nichts Grundlegendes geändert. In Simbabwe sind weiterhin Hunger, Arbeitslosigkeit, Korruption, Energieknappheit und Binnenflucht weit verbreitet. Die Geldwirtschaft wird durch eine galoppierende Inflation beeinträchtigt. Handelnder Güterverkehr ist weitgehend nur noch durch Tauschgeschäfte möglich. Basierend auf der Partei ZANU-PF, deren Mitglieder und Funktionäre vom System in vielfältiger Weise profitieren und es deshalb bedingungslos stützen, wurden in diktatorischer Form Justiz und Medien gleichgeschaltet, Meinungs- und Versammlungsfreiheit dramatisch eingeschränkt und massive Maßnahmen gegen Oppositionelle ergriffen, deren Handlungen den Fortbestand des bestehenden Regimes und die Selbstbedienung aller Hierarchieebenen der ZANU-PF aus allen staatlichen und privaten Ressourcen bedrohen könnte. Nach den erlittenen Misshandlungen hatte die Klägerin zu 1. begründeten Anlass zu befürchten, dass sie erneut durch Schlägertrupps der ZANU-PF angegriffen würde und ihr minderjähriger Sohn, der Kläger zu 2., ebenfalls misshandelt werden könnte. Polizeilicher Schutz gegen Angriffe aus den Reihen der ZANU-PF ist in Simbabwe nirgends zu bekommen, weil Partei und Polizei eng kooperieren. Schließlich konnte die Klägerin zu 1. auch plausibel erklären, dass sie im Falle ihrer Rückkehr nach Simbabwe mit hoher Wahrscheinlichkeit erneuten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt werden würde, die durch ihren Cousin J. K. B. initiiert werden würden. Dieser war langjähriger Mitarbeiter Mugabes und ist aktuell ein Mitglied der ZANU-PF und der Führungsclique des Landes sowie Botschafter Simbabwes in den USA. Nachvollziehbar ist deshalb die Angabe der Klägerin zu 1., dass sie von ihm als Schande für die Familie und wohl auch als Gefährdung seiner weiteren Karriere angesehen werde. Unter diesen Umständen steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass die Klägerin zu 1. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle ihrer Rückkehr nach Simbabwe erneuten Verfolgungshandlungen seitens der ZANU-PF ausgesetzt sein würde.
Die Entscheidung zugunsten des Klägers zu 2. beruht auf § 26 Abs. 5, Abs. 2 AsylG. Danach ist ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind einer international Schutzberechtigten die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn die Zuerkennung des internationalen Schutzes unanfechtbar ist und nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Der Kläger zu 2. war im Zeitpunkt seiner Asylbeantragung 17 Jahre alt und damit minderjährig. Die Voraussetzung der Unanfechtbarkeit liegt derzeit noch nicht vor, woraus sich die tenorierte Maßgabe erklärt. Einen eigenständigen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat der Kläger zu 2. nicht, weil er selbst zu keinem Zeitpunkt verfolgt wurde und auch nicht zu erkennen ist, dass er durch J. K. B. im Falle seiner Rückkehr bedroht wäre. Auch bezüglich des Hilfsantrags des Klägers zu 2. auf Zuerkennung subsidiären Schutzes liegen keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung vor; auf die entsprechende Begründung im angefochtenen Bescheid wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), ist angesichts der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenstandslos (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2002 - BVerwG 1 C 17.01 -, juris). Die Aufhebung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Nr. 5 des angefochtenen Bescheides) folgt aus § 34 Abs. 1 AsylG und diejenige des Einreise- und Aufenthaltsverbotes aus § 11 Abs. 1 AufenthG. Hinsichtlich des Klägers zu 2. ist die Aufhebung dieser Regelungsbestandteile wiederum abhängig von der Rechtskraft der Entscheidung zu seiner Mutter.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Der Beklagten waren die Kosten insgesamt aufzuerlegen, da die Kläger hinsichtlich der aufschiebenden Bedingung beim Kläger zu 2. nur zu einem geringen Teil unterliegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.