Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.07.2019, Az.: 1 A 137/19
beurkundende Behörde; Mitteilung; Vaterschaftsanerkennung; Vaterschaftsanerkennung, missbräuchlich; Zweistufiges Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.07.2019
- Aktenzeichen
- 1 A 137/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69513
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 85a AufenthG
- § 85a Abs 1 S 1 AufenthG
- § 85a Abs 1 S 2 AufenthG
- § 1597a BGB
- § 1597a Abs 2 S 1 BGB
- § 161 Abs 2 S 1 VwGO
- § 46 VwVfG
Gründe
Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO über die Verfahrenskosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Der Grundsatz des Kostenrechts, wonach der Unterliegende die Kosten des Verfahrens trägt, führt dazu, dass sich die Kostenverteilung so weit wie möglich an den zu prognostizierenden Erfolgsaussichten des erledigten Rechtsstreits zu orientieren hat: Demjenigen sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, der ohne die Erledigung voraussichtlich unterlegen wäre (vgl. Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 161 Rn. 32).
Die Prüfungstiefe mindert sich gegenüber dem Hauptsacheverfahren jedoch in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht deutlich. Schon der Wortlaut verbietet mit seiner Festlegung auf den „bisherigen“ Sach- und Streitstand weitere Aufklärungen des Sachverhalts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.05.1979 – I WB 202.77 –, BVerwGE 63, 234, 237). In rechtlicher Hinsicht ist eine nur noch summarische Prüfung auf der Grundlage des unterbreiteten Streitstoffs durchzuführen. Der in § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit das Gericht nach der Erledigung des Rechtsstreits davon, abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.12.1990 – 4 NB 14.88 –, juris, Rn. 10 ff.).
Lässt sich mit angemessenem, vertretbarem Aufwand keine Aussage über den Ausgang des Verfahrens machen, so entspricht es regelmäßig – beim Fehlen anderer Anhaltspunkte – der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens wie bei § 155 Abs. 1 S. 2 VwGO und § 160 VwGO gegeneinander aufzuheben (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 30.10.1987 – 7 C 87.86 –, juris, Rn. 2; Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 161 Rn. 16).
Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, dass die Kosten gegeneinander aufgehoben werden, da schwierige Rechtsfragen mit nicht angemessenem, vertretbarem Aufwand zu klären wären.
Zwar lagen einerseits (voraussichtlich) ausreichend Gründe vor, die die Beklagte dazu veranlasst hat, eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG anzunehmen, insbesondere, weil der Kläger nach eigenen Angaben seinen Nationalpass unterdrückte. Am 28.02.2019 gab er gegenüber einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde an, er habe seinen Nationalpass bereits beantragt. Dieser sei bereits fertig und würde in Berlin in der Botschaft zur Abholung bereitliegen. Allerdings würde er diesen erst einreichen, wenn das Kind geboren sei und er seinen Aufenthaltstitel bekommen habe (Bl. 247 d. BA 001 zu 1 A 137/19).
Andererseits hat die Beklagte aber das in § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Verfahren nicht eingehalten.
Nach § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG prüft die Ausländerbehörde, wird ihr von einer beurkundenden Behörde oder einer Urkundsperson mitgeteilt, dass konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft im Sinne von § 1597a Abs. 1 BGB bestehen, ob eine solche vorliegt. Danach entscheidet nur die beurkundende Behörde oder die Urkundsperson nach Maßgabe des § 1597a BGB, ob konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft vorliegen (vgl. so Hailbronner, in: ders., Ausländerrecht, Stand: November 2018, § 85a AufenthG Rn. 3). Die Zweistufigkeit des Verfahrens ist sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Gesetzesbegründung eindeutig zu erkennen (vgl. BT-Drucks. 18/12415, S. 17, 20; Kaesling, NJW 2017, 3686; siehe auch das Rundschreiben des Bundesministerium des Innern und des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Anwendung der Gesetzesregelungen zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen vom 21.12.2017, BMI M3 - 20010/10#7, BMJV IVB2 - 1103/11 - 46 62/2017, Rn. 3.1.1: „[…] verpflichtet und ermächtigt, ein Prüfverfahren einzuleiten.“). Der Kreis der Mitteilungsberechtigten ist in § 85a AufenthG abschließend festgelegt (vgl. Hailbronner, a. a. O., Rn. 2). Dies sind die Jugendämter, Standesbeamten, Amtsgerichte, Notare sowie Konsularbeamten (BT-Drs. 18/12415, S. 16; Balzer, NZFam 2018, 5, 6). Das ausländerbehördliche Prüfverfahren werde nur eingeleitet, wenn eine Mitteilung nach § 1597a Abs. 2 BGB bei der Ausländerbehörde eingeht. Nicht ausgeschlossen sei ein Ersuchen der Ausländerbehörde, wenn diese von der Anhängigkeit eines Vaterschaftsanerkennungsverfahrens erfährt (vgl. Hailbronner, a. a. O.).
Nach Aktenlage ist die Beklagte von sich aus, ohne vorherige Mitteilung durch eine beurkundende Behörde oder eine Urkundsperson, tätig geworden. So findet sich in der Ausländerakte zu vorliegendem Sachverhalt als erstes ein Vermerk von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der ausführt, dass der Kläger und die Kindesmutter zu einem Termin in die Ausländerbehörde der Beklagten geladen wurden, um beide zeitgleich zu der vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung zu befragen. Diese solle dem Ausschluss einer rechtsmissbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung dienen (Bl. 244 d. BA 001 zu 1 A 137/19). Aus der Akte ergibt sich gerade nicht, dass die Ausländerbehörde die Prüfung nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufgrund der Mitteilung einer beurkundenden Behörde oder einer Urkundsperson aufgenommen hat. Vielmehr heißt es im angegriffenen Bescheid selbst ausdrücklich, dass der Kläger am 24.01.2019 erstmalig in der Ausländerbehörde der Beklagten zu der vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung vorsprach (Bl. 4 d. GA).
Welche Folge es auf die Rechtmäßigkeit eines Bescheides nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG hat, dass sich dem Verwaltungsvorgang ein Vorgehen nach dem gesetzlich von § 1597a BGB und § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehen zweistufigen Verfahren zwischen beurkundender und feststellender Behörde nicht entnehmen lässt, stellt eine schwierige ungeklärte Rechtsfrage dar (vgl. aber VG Berlin, Urteil vom 07. Juni 2019 – 11 K 381.18 –, juris, Rn. 23, welches die formelle Rechtmäßigkeit im Hinblick auf die nicht eingehaltene Zweistufigkeit im Ergebnis wohl bejaht).
Erstens ist in Rechtsprechung und Literatur ungeklärt, ob eine fehlende Mitteilung nach § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch die beurkundende Behörde zur formellen Rechtswidrigkeit führt oder ob die feststellende Behörde ohne Mitteilung der beurkundenden Behörde eine Art initiative Prüfungskompetenz (etwa bei eindeutigen Hinweisen auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit) hat. Gegen letzteres spricht zum einen der Wortlaut des § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG und zum anderen, dass der Gesetzgeber das Verfahren bewusst derart zweistufig ausgestaltet haben könnte, um sicherzustellen, dass die Feststellung der Rechtsmissbräuchlichkeit in unmittelbarem inhaltlichem und zeitlichem Kontext zur Vaterschaftsanerkennung steht. Damit würden quasi „freischwebende“ Feststellungen nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG vermieden, bei denen es dem Anerkennungssuchenden nicht vor Augen geführt wird, dass die Feststellung der Rechtsmissbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung mit seinem Antrag auf Vaterschaftsanerkennung in unmittelbarem Zusammenhang steht, weil er zuvor noch überhaupt keinen förmlichen Antrag auf Anerkennung gestellt hat. Gerade im Hinblick auf die weitreichenden Folgewirkungen der Feststellung nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG für das ungeborene Kind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 –, juris) könnte dies zu fordern sein.
Letztlich wäre damit allgemein zu entscheiden, ob es sich bei der Regelung in § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG um eine reine Organisationsvorschrift handelt, die keine subjektiven Rechte vermittelt oder ob ihr materieller Gehalt zukommt mit der Folge, dass der Kläger hier durch die Nichtbeachtung des § 85a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in eigenen Rechten verletzt wäre.
Zweitens ist auch die Frage ungeklärt, ob das aus der Akte ersichtliche initiative Vorgehen der Ausländerbehörde nach § 46 VwVfG eine „bloße“ Verletzung von Vorschriften über das Verfahren darstellt oder die Mitteilung durch die beurkundende Behörde oder die Urkundsperson einen zuständigkeitsauslösenden Moment innewohnt, der zu einer Aufhebung eines Verwaltungsakts nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG führen würde.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.