Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.02.2012, Az.: 32 HEs 1/12
Kriterien zur Auslegung des Begriffs "derselben Tat" i.S.d. § 121 StPO; Grundsätze zum Beginn der Frist des § 121 StPO bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.02.2012
- Aktenzeichen
- 32 HEs 1/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 12574
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0209.32HES1.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - AZ: 10b KLs 4/11
Rechtsgrundlage
- § 121 Abs. 1 StPO
Fundstellen
- StRR 2012, 163
- StRR 2012, 276-277
- StV 2012, 421-422
- StraFo 2012, 138-139
Amtlicher Leitsatz
Unter den Begriff "derselben Tat" gemäß § 121 StPO fallen alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind.
Entsteht im weiteren Verlauf der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht wegen einer anderen Tat, beginnt die Frist des § 121 StPO zu dem Zeitpunkt, an dem sich bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit der dringende Tatverdacht und somit die Möglichkeit einer Haftbefehlserweiterung erstmals ergeben hat. Dies gilt aber nur, wenn die weitere Tat, um die der Haftbefehl ergänzt wird, auch für sich allein den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigt.
Tenor:
1. Die Untersuchungshaft des Angeklagten A. W. D. dauert fort.
2. Die weitere Haftprüfung bezüglich des Angeklagten D. wird für die Zeit bis zum 09.05.2012 dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht dem Landgericht Stade übertragen.
3. Zu einer Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten B. J. ist der Senat derzeit nicht berufen.
Gründe
I. Die Angeklagten wurden am 22.08.2011 vorläufig festgenommen. Aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Stade vom 22.08.2011 befinden sich beide Angeklagte seit dem 23.08.2011 in dieser Sache ohne Unterbrechung in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft Stade erhob am 21.12.2011 gegen die beiden Angeklagten sowie gegen vier weitere Personen Anklage beim Landgericht Stade. Darin werden dem Angeklagten J. insgesamt 14 schwere Bandendiebstähle und dem Angeklagten D. fünf schwere Bandendiebstähle vorgeworfen. Am 12.01.2012 erließ das Landgericht Stade nach Maßgabe dieser Anklageschrift neue Haftbefehle gegen die beiden Angeklagten, wobei die bisher in den Haftbefehlen des Amtsgerichts Stade nicht berücksichtigten, aber in der Anklageschrift enthaltenen Taten mit aufgenommen wurden. Danach wird den Angeklagten vorgeworfen, als Mitglieder einer Bande, die sich auf Einbrüche in Bekleidungsgeschäfte mit hochpreisiger Markenware spezialisiert habe, in der Zeit von Februar bis August 2011 regelmäßig von Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, um Einbrüche in Ladengeschäfte zu begehen. Im unmittelbaren Anschluss an die Tat habe jeweils die Rückreise erfolgen sollen, um die entwendeten Gegenstände, jeweils hochwertige Textilien, in Polen zu verwerten. Der Wert der entwendeten Textilien soll bei den jeweiligen Taten zwischen 16.000,00 und 58.000,00 Euro gelegen haben. Die Haftbefehle werfen dem Angeklagten J. eine Mittäterschaft in allen 14 Fällen und dem Angeklagten D. eine Mittäterschaft in 5 Fällen vor. Die neu gefassten und ergänzten Haftbefehle wurden dem Angeklagten J. am 20.01.2012 durch das Amtsgericht Lehrte und dem Angeklagten D. am 06.02.2012 durch das Amtsgericht Oldenburg verkündet. Die Haftbefehle sind jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützt.
Mit Beschluss vom 16.01.2012 trennte die Kammer das Verfahren gegen den Mitangeklagten G. ab, der zu der ihm vorgeworfenen Tatzeit Heranwachsender war, und eröffnete gegen die verbliebenen fünf Mitangeklagten das Hauptverfahren.
Mit Verfügung vom 06.01.2012 wandte sich der Vorsitzende wegen der Abstimmung eines Hauptverhandlungstermins an alle Verteidiger der Angeklagten. Mit Verfügung vom 08.02.2012 bestimmte er den Beginn der Hauptverhandlung auf den 11.04.2012.
Die Strafkammer, die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft halten die Fortdauer der Untersuchungshaft bei beiden Angeklagten für erforderlich.
II. Im Hinblick auf den Angeklagten J. liegen die Voraussetzungen für die besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO derzeit nicht vor, im Hinblick auf den Angeklagten D. ergibt die besondere Haftprüfung, dass die Untersuchungshaft fortdauern muss.
1. a) Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO liegen vor. Der Angeklagte D. ist des schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklage zusammengefassten Ermittlungsergebnissen, insbesondere aus dem Umstand, dass der Angeklagte in zwei Fällen mit dem Transportfahrzeug samt gestohlener Kleidung angetroffen werden konnte, sowie aus den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung und den ermittelten Verkehrsdaten.
Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Nach den bisherigen Ermittlungen wohnt der Angeklagte D. mit seiner Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind in Polen. Einen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat er nicht. Danach besteht - auch angesichts der Straferwartung für den Fall des Tatnachweises - ein erheblicher Fluchtanreiz für den Angeklagten. § 244 a StGB sieht für jede der ihm vorgeworfenen Taten eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vor, sodass der Angeklagte im Fall einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen hat, die voraussichtlich weit oberhalb der Grenze einer Aussetzungsfähigkeit nach § 56 Abs. 2 StGB liegen wird.
Insgesamt ergibt sich aus diesen Umständen ein erheblicher Fluchtanreiz, der erwarten lässt, dass sich der Angeklagte im Fall der Entlassung aus der Haft dem Strafverfahren entziehen wird.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei dem Angeklagten D. auch unter Berücksichtigung der bisher erlittenen Untersuchungshaft angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Taten und der daraus folgenden Straferwartung nicht berührt. Weniger einschneidende Maßnahmen i. S. des § 116 StPO wären nicht ebenso geeignet, eine mögliche Flucht des Angeklagten zu verhindern.
b) Außerdem liegen auch die besonderen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Untersuchungshaft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus gemäß § 121 Abs. 1 StPO vor. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen ist nicht verletzt. Ein Urteil hat wegen der Besonderheiten des Verfahrens und auch des Umfangs der Ermittlungen vor Ablauf der Sechs Monatsfrist noch nicht ergehen können.
Hierbei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Der verfassungsrechtliche Freiheitsanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG des noch nicht verurteilten Angeklagten ist den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten, wobei sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. BVerfGE 20, 45, 49 ff. [BVerfG 03.05.1966 - 1 BvR 58/66][BVerfG 03.05.1966 - 1 BvR 58/66]. 36, 264. 53, 152, 158 ff.. BVerfG StV 2007, 369[BVerfG 29.03.2007 - 2 BvR 489/07]. 2006, 248 und 708. weitere Nachweise bei Pieroth/Hartmann, StV 2008, 277). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Erlass eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn besondere Schwierigkeiten oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO, die eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus somit nur in begrenztem Umfang zulässt, ist entsprechend eng auszulegen (BVerfGE 36, 264, 271. BGHSt 38, 43, 46. Karlsruher Kommentar aaO., Rdnr. 13 m. w. N.). Den verfassungsrechtlichen Ansprüchen an die Zügigkeit der Bearbeitung in Haftsachen wird nur dann entsprochen, wenn die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (BVerfGE 20, 45, 50. BVerfG, NJW 2003, 2895. OLG Brandenburg, StV 2000, 37. OLG Köln, StV 1999, 40[BVerfG 07.08.1998 - 2 BvR 962/98]. OLG Düsseldorf, NJW 1996, 2587. OLG Frankfurt, StV 1995, 423. OLG Hamm, StV 2000, 90, 91).
Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen ist das besondere Beschleunigungsgebot von den Ermittlungsbehörden und vom Landgericht stets beachtet worden. Die Polizei hat nach der Festnahme vom 22.08.2011 die Ergebnisse aus Telefonüberwachungen und Verkehrsdatenermittlungen ausgewertet. Diese resultierten aus zahlreichen Beschlüssen des Amtsgerichts Stade aus dem Zeitraum 06.05. bis 19.08.2011. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass die überwachten Telefongespräche der Angeklagten ausschließlich in polnischer Sprache geführt worden waren, was zusätzlich Zeit für die Übersetzung in Anspruch nahm. So mussten drei Aktenbände mit Gesprächsprotokollen angelegt werden. Die ausgewerteten Verkehrsdaten in Form von Geodaten und Funkzellenauswertungen hatten einen erheblichen Umfang erreicht. Auch die Sonderhefte, welche die Verkehrsdaten betreffen, bestehen aus drei Aktenbänden.
Dennoch konnte die Polizei bereits am 20.10.2011 einen vorläufigen, 97 Seiten umfassenden Abschlussbericht vorlegen, der aber im Nachgang noch durch weitere Ermittlungsergebnisse ergänzt wurde.
Auch die folgende Bearbeitung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Stade ist ohne jede vermeidbare Verzögerung erfolgt. Nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft am 24.10.2011 musste zunächst über mehrere Anträge auf Verteidigerwechsel bis in die Beschwerdeinstanz hinein entschieden werden. Parallel dazu erwirkte die Staatsanwaltschaft im Wege der Rechtshilfe Durchsuchungsbeschlüsse in S., der polnischen Heimatstadt der Beschuldigten, die nach richterlicher Anordnung am 24.10.2011 vollstreckt wurden. Zudem wurden zwei aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Stade in Polen festgenommene Mitangeklagte erst am 09.11.2011 nach Deutschland überstellt.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft Stade am 07.12.2011 die verschrifteten Ergebnisse der Telefonüberwachung sowie die dazugehörigen Audiodateien von der polizeilichen Ermittlungsgruppe erhalten hat. Diese mussten nicht nur an sämtliche Verteidiger weitergeleitet, sondern auch durch die ermittelnde Staatsanwältin selbst ausgewertet werden. Trotz des erheblichen Umfangs der Ermittlungsakten ist bereits zwei Wochen später die Anklageerhebung erfolgt.
Auch die weitere Behandlung des Verfahrens durch die Strafkammer lässt keinerlei Verzögerung erkennen. Der Vorsitzende hat die Anklagen unmittelbar nach dem Akteneingang zustellen lassen und zugleich eine - angesichts des Verfahrensumfanges - knappe Frist zur Äußerung von drei Wochen eingeräumt. Danach hat der Vorsitzende durch Verfügung vom 06.01.2012 mögliche Hauptverhandlungstermine vorgeschlagen. Mit Beschluss vom 16.01.2012 hat die Kammer das Hauptverfahren eröffnet, drei Wochen danach hat der Vorsitzende nach Abstimmung mit allen sieben Verteidigern den Beginn der Hauptverhandlung auf den 11.04.2012 terminiert.
An einer früheren Terminierung war das Gericht gehindert, weil im gesamten Februar bereits andere Haftverfahren anstanden. Die Festlegung der Hauptverhandlungstermine ist im Übrigen parallel zur Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht erfolgt, sodass auch hier mögliche Verfahrensverzögerungen vermieden worden sind.
2. Zu einer Entscheidung über die Haftfortdauer bezüglich des Angeklagten J. ist der Senat derzeit noch nicht berufen, weil die Frist von sechs Monaten noch nicht abgelaufen ist und der Ablauf auch nicht kurz bevorsteht.
a) Das Oberlandesgericht ist gemäß § 121 Abs. 1 StPO nur dann zur Entscheidung berufen, wenn Untersuchungshaft "wegen derselben Tat" über sechs Monate hinaus vollzogen werden soll. Der Begriff "derselben Tat" wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich verstanden. Die inzwischen wohl überwiegende Auffassung vertritt den sogenannten "erweiterten Tatbegriff". Danach fallen unter den Begriff "derselben Tat" alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (so OLG Koblenz, NStZ RR 2001, 152 Rdnr. 9. OLG Stuttgart, StV 2008, 85 Rdnr. 6. Karlsruher Kommentar StPO Schultheis, 6. Aufl., § 121 Rdnr. 10 m. w. N.). Dieser Auffassung hat sich auch der Senat bereits angeschlossen (Beschluss vom 22.11.2010, 32 HEs 6/10). Er hält an dieser Auslegung des Tatbegriffs aus § 121 Abs. 1 StPO fest.
Die gegenteilige Auffassung, welche den Tatbegriff gemäß § 121 Abs. 1 StPO verfahrensbezogen auslegt (OLG Köln, NStZRR 1998, 181 f., OLG Koblenz, NStZ RR 2001, 124 [OLG Köln 14.11.2000 - HEs 196/00 220 -] m. w. N.), führt dazu, dass die Haftzeiten aus dem früheren Haftbefehl und aus dem erweiterten Haftbefehl zusammengerechnet werden müssten, soweit die Haftbefehle im selben Verfahren oder in verbindungsreifen Verfahren erlassen worden sind. Neu bekannt gewordene Taten, die ihrerseits den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen, wären dann aber innerhalb der seit dem ersten Haftbefehl laufenden Sechs Monatsfrist kaum noch aufzuklären und anzuklagen, geschweige denn einer Hauptverhandlung zuzuführen. Zudem hinge die Weiterbehandlung der neuen Haftsache weitgehend vom Zufall ab, da sich neue Vorwürfe sowohl im selben Verfahren als auch in völlig getrennt geführten Verfahren ergeben können. Ein zwingender sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung von Haftverfahren erschließt sich nicht (so auch OLG Koblenz, NStZ RR 2001, 152 [OLG Koblenz 03.01.2001 - (1) 4420 BL - III - 71/00], Rdnr. 25 f.). Auch die Unterscheidung nach Ermittlungskomplexen, welche die Ermittlungsrichtung bestimmt haben (so OLG Bremen, NStZ RR 1997, 334, 335, KG Berlin, Beschluss vom 28.02.2005, 1 HEs 11/05, Rn. 7 f.), liefert kein brauchbares Abgrenzungskriterium.
b) Die Auffassung, wonach die Fristberechnung nach §§ 121, 122 StPO unter Zugrundelegung der letzten bekannt gewordenen Tat erfolgt, die in den Haftbefehl aufgenommen wurde, bedarf im Hinblick auf das Freiheitsgrundrecht jedes Angeklagten und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit allerdings der Einschränkung.
aa) Nur als selbstverständlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es nicht zu missbräuchlichen, sog. ´Reservehaltungen´ von Tatvorwürfen kommen darf, um die Frist des § 121 StPO künstlich zu verlängern (s. zur einhelligen Auffassung nur MeyerGoßner, StPO, 54. Aufl. § 121 Rn. 12 m. w. N.).
bb) Zur Berechnung des Fristbeginns darf auch nicht auf den Erlasszeitpunkt des neuen oder erweiterten Haftbefehls abgestellt werden, sondern auf den Zeitpunkt, an dem sich bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit der dringende Tatverdacht und somit die Möglichkeit einer Haftbefehlserweiterung erstmals ergeben hat (ebenso OLG Koblenz, aaO. OLG Düsseldorf NStZRR 2004, 125, Rnr. 15 KKSchultheis, aaO., m. w. N.).
cc) Schließlich muss die weitere Tat, um die der Haftbefehl ergänzt wird, auch für sich allein den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen, um eine Schlechterstellung des Angeklagten im Hinblick auf die gesetzlichen Voraussetzungen der besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO zu vermeiden. Denn für einen Haftbefehl nur wegen der zuletzt genannten Tat liefe wiederum die Sechsmonatsfrist nach § 121 Abs. 1 StPO, sodass das Freiheitsgrundrecht eines Angeklagten durch die vom Senat angewendete Fristberechnung nicht nachteilig berührt wird.
c) Diese Anforderungen sind beim Angeklagten J. erfüllt. In dem neu gefassten Haftbefehl des Landgerichts Stade gegen ihn vom 12.01.2012 war erstmals u. a. die Tat Nr. 2 der Anklage aufgenommen worden. Dabei geht es um einen Einbruch in ein Bekleidungsgeschäft in W. in der Nacht zum 16.02.2011. Wie sich aus der zugehörigen Fallakte ergibt, sind die Ermittlungen wegen dieses Vorwurfs zunächst gegen zwei andere Beschuldigte geführt worden. In einem öffentlichen Mülleimer nahe dem Tatort waren Handschuhe und ein Hebelwerkzeug aufgefunden worden. Die molekulargenetische Untersuchung der an diesen Handschuhen haftenden biologischen Spuren ist durch die damals noch sachbearbeitende Polizeidirektion Südwest Sachsen bereits am 17.02.2011, also einen Tat nach dem Einbruch, in Auftrag gegeben worden (Fallakte 2011/02/16, Bl. 235). Erst als sich im Laufe der Ermittlungen der Anfangsverdacht einer Beteiligung des Angeklagten J. ergab, wurde der Untersuchungsauftrag auf dessen DNA Daten ausgeweitet (Fallakte Bl. 254). Das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität L. dazu lag den Ermittlungsbehörden erst am 24.10.2011 vor (Fallakte, Bl. 332). In diesem Gutachten wird der Angeklagte J. als Hauptverursacher der genannten biologischen Spur bezeichnet. Damit bestand erst zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten J. auch wegen der Tat vom 16.02.2011, sodass die Frist zur Haftprüfung nach § 121 Abs. 1 StPO erst am 24.10.2011 begann. Der Sechsmonatszeitraum nach §§ 121, 122 StPO endet danach erst am 24.04.2012, sodass eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten J. derzeit noch nicht ansteht.
III. Die Übertragung der Haftkontrolle beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.