Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.12.2021, Az.: 13 UF 85/21

Unterhaltsansprüche gegen Großeltern; Voraussetzungen einer Ersatzhaftung von Großeltern; Erheblich erschwerte Rechtsverfolgung gegen einen vorrangig verpflichteten und an sich leistungsfähigen Verwandten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
16.12.2021
Aktenzeichen
13 UF 85/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 61730
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Nordhorn - 17.09.2021 - AZ: 11 F 258/21 VU

Fundstellen

  • FamRB 2022, 87-89
  • FamRZ 2022, 790
  • FuR 2022, 545-546

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 17.09.2021 verkündete Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nordhorn geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Antragsgegner werden verpflichtet, dem Antragsteller Auskunft zu erteilen über ihre jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnisse unter Vorlage von Urkunden, aus denen sich ihre jeweiligen Einkünfte aus Rente, Erwerbstätigkeit oder aus Kapitalvermögen für die Monate April 2020 bis einschließlich März 2021 ergeben sowie Auskunft zu erteilen über Grundvermögen und Kapitalvermögen.

Im Übrigen wird der Beschluss vom 17.09.2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Leistungsantrag (Antrag zu 2) einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht - Familiengericht - Nordhorn zurückverwiesen.

Die Entscheidung ist sofort wirksam.

II. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um Unterhaltsansprüche des Antragstellers gegen seine Großeltern väterlicherseits, die Antragsgegner. Der Kindesunterhaltsanspruch gegenüber dem Vater des Antragstellers ist in Höhe des Mindestunterhalts durch Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Rheine vom 1.12.2017 tituliert. Der Kindesvater zahlt monatlich 30 €. Der Antragsteller lebt im Haushalt seiner Mutter, die teilzeitbeschäftigt ist.

Der Antragsteller hat die Antragsgegner als Gesamtschuldner im Wege des Stufenantrags auf Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und auf Zahlung eines nach Auskunftserteilung zu beziffernden Unterhalts ab März 2021 in Anspruch genommen.

Die Antragsgegner haben die Abweisung des Antrags beantragt. Sie sind der Auffassung, dass eine Auskunftserteilung nicht geschuldet sei, da der Antragsteller den Ausfall vorrangiger Unterhaltspflichtiger nicht schlüssig vorgetragen habe.

Das Amtsgericht hat sich der Auffassung der Antragsgegner angeschlossen und den Auskunfts- sowie Leistungsantrag abgewiesen. Hinsichtlich der Kindesmutter sei nur dargetan, dass sie halbtags arbeite. Im Verhältnis zu den nachrangig haftenden Großeltern bestehe aber grundsätzlich trotz der Betreuung des Kindes eine weitergehende Erwerbsobliegenheit. Anhand der vorgelegten Einkommensbescheinigung könne nicht nachgeprüft werden, ob die Mutter in der Lage sei, die Teilzeittätigkeit aufzustocken. Hinsichtlich des Kindesvaters sei dessen Leistungsunfähigkeit nicht dargelegt, indem weder das Nettoeinkommen mitgeteilt worden sei noch vorgetragen sei, ob ein fiktives Einkommen anzurechnen sei. Dass die Rechtsverfolgung aus dem bestehenden Unterhaltstitel erheblich erschwert sei, sei ebenfalls nicht dargetan. Allein der Vortrag, dass man weiterhin mühsame Vollstreckungsversuche unternehme, reiche nicht aus.

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein erstinstanzliches Begehren weiter, er nimmt die Antragsgegner jedoch nunmehr als Teilschuldner in Anspruch.

Im Beschwerdeverfahren ist unstreitig geworden, dass der Vater des Antragstellers beginnend ab dem 01.09.2021 Unterhalt für den Antragsteller zahlt.

Der Antragsteller beantragt,

wie erkannt.

Die Antragsgegner beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten die Beschwerde für unbegründet, weil der Antragsteller nunmehr von seinem Vater Unterhalt beziehe.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Auskunftserteilung nicht besteht, wenn es auf die Einkommensverhältnisse der Antragsgegner nicht ankommt. Das wäre dann der Fall, wenn eine Ersatzhaftung der Großeltern nicht in Betracht käme. Dies ist indessen nicht der Fall.

Großeltern haften nachrangig für den Unterhalt minderjähriger Kinder, wenn ein vorrangig haftender Verwandter aufgrund des § 1603 BGB - d.h. mangels Leistungsfähigkeit - nicht unterhaltspflichtig ist (§ 1607 Abs. 1 BGB) oder wenn die Rechtsverfolgung - gegen den an sich leistungsfähigen - vorrangig verpflichteten Verwandten ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist (§ 1607 Abs. 2 BGB). Erheblich erschwert ist die Rechtsverfolgung nach allgemeiner Ansicht auch, wenn die materiellrechtliche Unterhaltsverpflichtung auf der Zurechnung fiktiven Einkommens beruht, in das das Kind aber atsächlich nicht vollstrecken kann (Langeheine in MünchKomm BGB, 2020, § 1607 Rn. 13; Wendl/Dose-Klinkhammer, § 2 Rn 799). Im Hinblick auf die Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 BGB wird bei fiktiven Einkünften vertreten, dass zwischen den Eltern differenziert werden müsse: Handele es sich um die Haftung des Elternteils, bei dem das Kind lebt und das es im Unterhaltsverfahren gegen die Großeltern vertritt, könne es treuwidrig sein, wenn der gesetzliche Vertreter des Kindes unter Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit Einkünfte nicht zieht und dies als Begründung einer Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB für das Enkelkind vorbringt (Wönne in Wendl/Dose, § 2 Rn. 1039). Die Frage kann indessen dahinstehen. Die betreuende Kindesmutter ist auch unter Berücksichtigung fiktiver Einkünfte nicht in der Lage, den Mindestunterhalt zu leisten, so dass eine Ersatzhaftung der Großeltern schon nach § 1607 Abs. 1 BGB eingreift.

Auch wenn man mit dem Amtsgericht annimmt, dass der Antragsteller nicht ausreichend vorgetragen hat, aus welchen Gründen seine Mutter ihre Tätigkeit nicht aufstocken könnte, folgt daraus noch nicht, dass die Mutter als leistungsfähig anzusehen ist. Bei unzureichenden Bemühungen oder unzureichendem Vortrag zu den Bemühungen muss das Gericht vielmehr ein realistisch erzielbares Einkommen schätzen und bei der Unterhaltsberechnung zugrunde legen. Dies führt hier zu dem Ergebnis, dass die Mutter den Kindesunterhalt nicht aufbringen könnte, selbst wenn man ihr Einkommen aus der Halbtagstätigkeit auf eine Vollzeittätigkeit hochrechnete: Die Mutter erzielt bei einer 20-Stunden-Woche monatlich 923 € brutto. Bei Ausweitung auf 40 Stunden erzielte sie ein Einkommen von 1.845 € brutto, was bei ihrer Steuerklasse I einem Nettoeinkommen von 1.349 € entspräche. Abzüglich der Werbungskostenpauschale bliebe ein bereinigtes Einkommen von 1.273 € und die Mutter wäre "aufgrund des § 1603" BGB nicht unterhaltspflichtig im Sinne von § 1607 Abs. 1 BGB. Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts den Unterhalt zu gewähren. In Literatur und Rechtsprechung war streitig, ob die Ersatzhaftung der Großeltern eingreift, wenn dem Elternteil weniger als der angemessene Selbstbehalt (von derzeit 1.400 €) verbleibt oder ob er sich beim Mindestunterhalt auch im Verhältnis zu den Großeltern auf den notwendigen Selbstbehalt (von derzeit 1.160 €) verweisen lassen muss (siehe die Nachweise im Hinweisbeschluss des Senats vom 25.10.2021). Der BGH hat die Streitfrage mittlerweile dahingehend entschieden, dass auf den angemessenen Selbstbehalt abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 27.10.2021 - XII ZB 123/21). Dem schließt sich das Beschwerdegericht an, da der Wortlaut des § 1603 BGB eindeutig ist, nach dem dem Elternteil der "angemessene" Selbstbehalt zu belassen ist.

Hinsichtlich des Kindesvaters ist seitens des Antragstellers dargetan, dass er leistungsunfähig ist bzw. die Rechtsverfolgung zumindest erheblich erschwert ist. Die Antragsgegner haben selbst vorgetragen, dass ihr Sohn eine Ausbildung absolviert und ab 01.07.2021 eine Anstellung gefunden habe, was bedeute, dass er "nun" leistungsfähig sei (Schriftsatz vom 05.07.2021). Danach war der Kindesvater jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum von März 2021 bis Juni 2021 leistungsunfähig bzw. seine materiellrechtliche Leistungsfähigkeit während der Ausbildungszeit beruhte auf einer unterhaltsrechtlichen Fiktion. Des Weiteren ist unstreitig, dass der Kindesvater in der Vergangenheit nur 30 € monatlich zahlte und ein Ermittlungsverfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung anhängig gemacht wurde. Schließlich hat der Antragsteller auch zu konkreten Vollstreckungsmaßnahmen vorgetragen, indem er die Mitteilung des Gerichtsvollziehers vom 19.08.2021 vorgelegt hat, nach der dieser in der Vollstreckungsangelegenheit des Antragstellers Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft durch den Kindesvater auf den 08.09.2021 anberaumt hat.

Der Umstand, dass der Kindesvater mittlerweile eine Arbeitsstelle angetreten und die Zahlung von Unterhalt aufgenommen hat, steht einem Unterhaltsanspruch des Kindes gegen die Großeltern nicht entgegen. Denn unstreitig zahlt der Kindesvater erst ab dem Monat September 2021 den laufenden Unterhalt. Offen bleibt der Unterhaltszeitraum von März 2021 bis August 2021, in dem sich der Kindesvater noch in Ausbildung befand. Die Antragsgegner behaupten mit Schriftsatz vom 09.12.2021 erstmals, dass der Kindesvater auf die Rückstände Zahlungen erbracht hat, indem er monatlich 351 € zahlt. Ob dies zutrifft, kann offenbleiben, denn auch nach der Behauptung der Antragsgegner wäre der Rückstand überwiegend offen, da der Kindesvater nur einen Betrag von monatlich 64 € auf Rückstände zahlt. Nach den vorgelegten Kontoauszügen hat der Kindesvater bis einschließlich November 2021 keinerlei Zahlungen auf Rückstände geleistet, sondern lediglich einen monatlichen Dauerauftrag von 257 € neben den schon bisher gezahlten 30 € eingerichtet. Die Unterhaltsansprüche sind damit für den rückständigen Zeitraum weitgehend offen.

Dem Antragsteller steht daher ein Anspruch auf Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsgegner zu, um einen Unterhaltsanspruch beziffern zu können.

Soweit das Amtsgericht den den Auskunftsanspruch betreffenden Stufenantrag zu 1 abgewiesen hat, war die Entscheidung des Amtsgerichts antragsgemäß zu ändern.

Soweit das Amtsgericht auch über den noch unbezifferten Zahlungsantrag entschieden und den Stufenantrag insgesamt abgewiesen hat, war die Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Da eine Bezifferung bisher noch nicht erfolgt ist, hat das Amtsgericht darüber eine Entscheidung noch nicht getroffen, so dass insoweit gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG zurückzuverweisen war.

Die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 116 Abs. 3 S. 2 FamFG.