Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.12.2021, Az.: 15 EK 2/21

Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahren; Verfrühte Erhebung einer Entschädigungsklage; Beendigung eines Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.12.2021
Aktenzeichen
15 EK 2/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 64106
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - AZ: 8 O 3218/16

Tenor:

Das Versäumnisurteil vom 21. September 2021 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Der Kläger trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wurde in dem Verfahren zur Geschäftsnummer 8 O 3216/16 des Landgericht Oldenburgs auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch genommen. Im Verfahren zur Geschäftsnummer 15 EK 3/20 nahm er das Land Niedersachsen auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht in Anspruch. Mit Schriftsatz vom 28.10.2020 erweiterte er die Klage um einen weiteren Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer des Kostenfestsetzungsverfahrens in dem Verfahren 8 O 3216/16. Die Klageerweiterung wurde in dem Verfahren 15 EK 3/20 abgetrennt und ist Gegenstand des Verfahrens 15 EK 2/21 über den nachfolgenden Sachverhalt:

Der Kläger legte am 13.03.2020 sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.03.2020 ein. Am 15.07.2020 erließ der Rechtspfleger einen Beschluss über die Teilabhilfe und einen Beschluss über die Nichtabhilfe im Übrigen. Die Beschlüsse wurden den Parteien versehentlich nicht übersandt, die Akten wurden dem Oberlandesgericht vorgelegt, bei dem das Entschädigungsverfahren 15 EK 3/20 anhängig war. Am 14.09.2020 ging die Verzögerungsrüge des Klägers im Kostenfestsetzungsverfahren beim Landgericht ein. Am 26.09.2020 wurden die beiden Beschlüsse des Rechtspflegers im Abhilfeverfahren dem Kläger nunmehr zugestellt, der daraufhin am 29.09.2020 die Verzögerungsrüge für erledigt erklärte. Soweit nicht abgeholfen wurde, lag die Beschwerde dem Oberlandesgericht zur Geschäftsnummer 5 W 24/20 zur Entscheidung vor. Am 02.11.2020 wurde die Klageerweiterung vom 28.10.2020 im Verfahren 15 EK 3/20 zugestellt. Mit Beschluss vom 07.12.2020 gab der Beschwerdesenat im Verfahren 5 W 24/20 die Sache zur Entscheidung über den nichtabgeholfenen Teil an das Landgericht zurück, da der Beschwerdewert durch die Teilabhilfe unter 200 € gesunken war und nunmehr nur noch die Erinnerung zulässig war.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass das Beschwerdeverfahren in rechtsstaatswidriger Weise zwischen April 2020 und September 2020 (5 Monate) verzögert wurde. Hiervon zieht er als angemessene Bearbeitungszeit einen Monat ab und zusätzlich wegen der aufgrund der Corona-Krise eingetretenen Einschränkungen im Gerichtsbetrieb einen weiteren Monat und macht eine Entschädigung von (3 Monaten x 100 € =) 300 € geltend. Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, dass die Entschädigungsklage zulässig sei. Die gemäß § 198 Abs. 5 S. 1 GVG geltende Frist von sechs Monaten zwischen Erhebung der Verzögerungsrüge und Erhebung der Entschädigungsklage sei nicht abzuwarten gewesen, weil das verzögerte Verfahren beendet gewesen sei. Er habe die Verzögerungsrüge für erledigt erklärt, nachdem das Landgericht durch die Beschlüsse über die Abhilfe das Verfahren wieder betrieben habe. Mit der Erklärung der Erledigung der Verzögerungsrüge vom 29.09.2020 habe er zu erkennen gegeben, dass keine weiteren Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer danach geltend gemacht würden. Gegenstand der Verzögerung sei nur der - abgeschlossene - Zeitraum bis zur Erklärung der Erledigung der Verzögerungsrüge.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.09.2021 ein Versäumnisurteil gegen den Kläger erlassen und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil vom 21.09.2021 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 300 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 02.11.2020 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

das Versäumnisurteil vom 21.09.2021 aufrechtzuerhalten.

Es vertritt die Auffassung, dass eine überlange Verfahrensdauer nicht vorliegt.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil ist zulässig.

Die Klage ist unzulässig.

Gemäß § 198 Abs. 5 S. 1 GVG kann die Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Verzögerungsrüge ist am 14.09.2020 eingegangen. Die Entschädigungsklage ist mit dem klageerweiternden Schriftsatz vom 28.10.2020 im Verfahren 15 EK 3/20 erhoben und am 02.11.2020 zugestellt worden, mithin vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist. Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig. Es liegt kein heilbarer Mangel vor. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Einhaltung der Wartefrist allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an (BGH, Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13, juris Rn. 17).

Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (BGH, Urteil vom 21.05. 2014 - III ZR 335/13, juris Rn. 17).

Im vorliegenden Fall war das Verfahren noch nicht beendet. Gerügt wird die Verfahrensdauer des Verfahrens über die sofortige Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren. Dieses war im Zeitpunkt der Klageerhebung durch Zustellung der Klageerweiterung vom 28.10.2020 nur teilweise, nämlich nur insoweit beendet, als der Beschwerde zum Teil abgeholfen worden war. Im Übrigen war noch über die Beschwerde bzw. nach Absinken des Beschwerdewerts über die Erinnerung und die endgültige Kostenfestsetzung zu entscheiden.

Der Beendigung des Verfahrens ist es nicht gleichzustellen, dass der Kläger die Verzögerungsrüge für erledigt erklärt hat. Die gesetzliche Funktion der Wartefrist würde unterlaufen, wenn es die einen Entschädigungsanspruch begehrende Partei in der Hand hätte, durch Erklärung der Erledigung ihrer Verzögerungsrüge eine verfahrensbeendende Wirkung herbeizuführen, um die Sechs-Monats-Frist nicht abwarten zu müssen und vor Abschluss des (verzögerten oder vermeintlich verzögerten) Verfahrens Entschädigungsklage erheben zu können. Denn dadurch würde dem Gericht die Möglichkeit genommen, eine in einem früheren Verfahrensabschnitt eingetretene Verfahrensverzögerung wieder aufzuholen und die zum Nachteil der Partei zunächst eingetretene Verzögerung zu ihren Gunsten so auszugleichen, dass die Partei im Ergebnis bei Beendigung des Verfahrens eine überlange Verfahrensdauer nicht (mehr) hinzunehmen hat. Das Recht der Entschädigung nach § 198 ff. GVG dient nicht der Generierung von Zahlungsansprüchen, sondern dem Ausgleich des Nachteils einer überlangen Dauer des gesamten Verfahrens, die die Partei hinnehmen musste.

Das Versäumnisurteil war daher aufrechtzuerhalten. Lediglich zur Klarstellung ist es dahingehend ergänzt worden, dass die Klageabweisung wegen Unzulässigkeit der Klage erfolgt.

Unabhängig von der Unzulässigkeit wäre die Klage auch wegen Unbegründetheit abzuweisen gewesen. Die vom Kläger geltend gemachte Verzögerung des Kostenfestsetzungsverfahren von drei Monaten stellte keine überlange rechtsstaatswidrige Verfahrensdauer dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 344 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.