Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 11.02.2015, Az.: 11 A 2497/14

deutsche Staatsangehörigkeit; Gesetzesvorbehalt; Scheinvater; Vaterschaftsanfechtung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
11.02.2015
Aktenzeichen
11 A 2497/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45230
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 6/10) zur Behördenanfechtung sind nicht übertragbar auf die Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wurde am 7. März 20.. in W. geboren. Ihre Mutter S. D. ist serbische Staatsangehörige. Am 3. Dezember 2003 gab der deutsche Staatsangehörige H. K. eine Vaterschaftsanerkennungserklärung im Hinblick auf die Klägerin ab. Auf den Anfechtungsantrag des H. K. entschied das Amtsgericht Wittmund - Familiengericht - mit Urteil vom 3. November 2005 (NZS 6 F 304/04 KI), dass die Klägerin nicht Kind des H. K. sei.

Mit Schreiben vom 30. März 2014 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten gemäß § 30 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - die Feststellung der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Anfechtung der Vaterschaft durch den Scheinvater H. K. beseitige nicht ihre durch Geburt erworbene deutsche Staatsbürgerschaft. Denn die Frage des Bestehens einer Vaterschaft und die Frage der Staatsangehörigkeit seien zwei verschiedene Rechtsverhältnisse, sodass eine rechtskräftige Entscheidung über eine Vaterschaftsanfechtung die Frage der Staatsangehörigkeit unberührt lasse. So habe auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2013 (1 BvL 6/10) festgestellt, dass eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung durch die Ausländerbehörde nicht gleichsam zu einem Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit führe. Denn für den unfreiwilligen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch eine Vaterschaftsanfechtung einer Behörde fehle es im StAG an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, die dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genüge. Mit diesem Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gehe zugleich ein Verstoß gegen das Zitiergebot einher. Diese Grundsätze für die Vaterschaftsanfechtung durch Behörden seien auf den vorliegenden Fall der Vaterschaftsanfechtung durch den Scheinvater genauso anwendbar.

Nach vorheriger Anhörung vom 5. Mai 2014 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 12. Juni 2014, zugestellt am 19. Juni 2014, fest, dass die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden: Mit erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung durch den Scheinvater H. K. sei die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin mit ex-tunc Wirkung entfallen. Hierbei handele es sich nicht um einen Fall der unzulässigen Entziehung der Staatsangehörigkeit, wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2006 (Beschluss vom 24. Oktober 2006, 2 BvR 696/04) entschieden habe. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung sei dagegen nicht einschlägig, da das Bundesverfassungsgericht im dortigen Fall nur die Nichtigkeit der Behördenanfechtung festgestellt habe. Im vorliegenden Fall gehe es aber nicht um eine Behördenanfechtung, sondern um die Anfechtung des Scheinvaters nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH („Rottmann“- Urteil vom 2. März 2010, - C 135/08 -) ergebe sich keine andere Beurteilung. Denn die vom EuGH geforderte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Entziehung einer durch Einbürgerung erworbenen Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und dem damit einhergehenden Verlust der Unionsbürgerschaft werde hier gewahrt. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit noch nicht einmal zwei Jahre alt gewesen. In einem so jungen Alter habe die Klägerin noch kein Bewusstsein über ihre Staatsangehörigkeit gehabt und habe daher auch kein Vertrauen entwickeln können, dass es bei dieser Staatsangehörigkeit bleibe.

Am 21. Juli 2014 (einem Montag) hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und trägt in Ergänzung hierzu vor: In § 17 Abs. 3 StAG werde lediglich stillschweigend vorausgesetzt, dass bei erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung auch die deutsche Staatsbürgerschaft entfalle. Dies ergebe sich aus der Formulierung „Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten“. Diese Formulierung werde den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht gerecht. Nicht zuletzt gebe es auch keinen Grund Kinder, die durch die Vaterschaftsanfechtung der Behörde vaterlos geworden seien, anders zu behandeln als solche, die durch die Anfechtung des Scheinvaters vaterlos geworden seien.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2014 zu verpflichten, ihre deutsche Staatsbürgerschaft festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf den angefochtenen Bescheid.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 12. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin ist nicht deutsche Staatsangehörige.

Die Klägerin hat mit Geburt gemäß § 4 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Der deutsche Staatangehörige H. K. hat am 3. Dezember 2003 und damit noch vor der Geburt der Klägerin eine Vaterschaftsanerkennungserklärung abgegeben. Mit Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 3. November 2005 (NZS 6 F 304/04 Kl) - rechtskräftig seit 8. Dezember 2005 - wurde auf Anfechtungsantrag des H. K. festgestellt, dass die Klägerin nicht sein Kind ist. Diese Entscheidung bedeutet familienrechtlich, dass mit der Rechtskraft des Urteils des Familiengerichts die Klägerin rückwirkend mit dem Tag ihrer Geburt als nicht von dem Anfechtenden abstammend anzusehen ist (vgl. Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 1599 Rn. 44 m.w.N., sowie BGH, Urteil vom 20. Mai 1981 - IVb ZR 571/80).

Dieser rückwirkende Verlust der Vaterschaft geht mit einem rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einher (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, - 2 BvR 696/04 -, Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 29.10.2014, - 19 E 1060/14 -, juris; sowie VG Hamburg, Urteil vom 21. Mai 2014, 9 E 1523/14 - InfAuslR 2014, 285 ff.). Dieser beruht auf § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG in der Gesetzesfassung vom 14. März 2005. Denn diese Gesetzesfassung galt zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, der Rechtskraft der Entscheidung des Amtsgerichts Wittmund im Dezember 2005. Es entspricht allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 StAG unter den Vorbehalt gestellt ist, dass die Vaterschaft nicht erfolgreich angefochten wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, - 2 BvR 696/04 -, Rn. 16; Hailbronner in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Auflage 2010, Art. 16 Abs. 1 GG Rn. 53; sowie BT-Drs. 15/2145, S. 31: Der Bundesgesetzgeber hat in der Anlage 1 Nr. 2 zur Denkschrift zum Europäischen Übereinkommen vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit in dem Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 1 lit. f zum Ausdruck gebracht, dass er von der Möglichkeit des Verlusts bei Minderjährigen ausgeht, wenn die Voraussetzungen, die zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit geführt haben, nicht mehr erfüllt sind.). Die Anfechtung der Vaterschaft und ihr rückwirkender Verlust führen hingegen nicht dazu, dass die Staatsangehörigkeit von einem ex-post Standpunkt aus als nie erworben erscheint (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, Rn. 15; a.A. OVG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2004 3 Bf 238/03, juris Rn. 8). Denn auch bei einem rückwirkenden Verlust der Staatsangehörigkeit, verbleibt es dabei, dass die Staatsangehörigkeit einmal erworben worden ist und daher durch Art. 16 Abs. 1 GG vor Verlust oder Entziehung geschützt ist.

1) Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Vorliegend handelt es sich nicht um eine verfassungsrechtlich generell unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, denn hierunter fällt nur die Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, juris Rn. 18 sowie BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24, juris Rn. 49). Der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, stellt eine solche Beeinträchtigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, juris Rn. 19). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Wittmund war die Klägerin 1 Jahr und 9 Monate alt. In einem solchen Alter konnte die Klägerin noch kein Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit entwickelt haben. Außerdem setzt eine Entziehung voraus, dass keine Einflussmöglichkeit des Kindes oder seiner Eltern hinsichtlich des Verlusts besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 31 f.). Hier muss sich die Klägerin die familienrechtlichen Handlungen des zeitweiligen Vaters H. K. zurechnen lassen. Eine etwaige Einflussnahme des Beklagten auf diesen ändert hieran nichts, solange die Entscheidung autonom ist. Dies ist hier der Fall (s.u.).

b) Der Verlust der Staatsangehörigkeit aus § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG ist an Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Danach darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur auf Grund eines Gesetzes und nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

Entgegen der Ansicht der Klägerin verstoßen die § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Zwar findet das Zitiergebot grundsätzlich Anwendung auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG 11. Auflage 2011, Art. 19 Rn. 4), jedoch ist für seine Auslösung ein zielgerichteter (finaler) Eingriff durch die öffentliche Gewalt erforderlich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. August 1999, - 1 BvR 2181/98, 1 BvR 2182/98, 1 BvR 2183/98 -, juris Rn. 56; sowie BVerfG, Entscheidung vom 18. Februar 1970 2 BvR 531/68, BVerfGE 28, 36). Ein solcher finaler Eingriff in das von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Grundrecht liegt hier im Falle der Vaterschaftsanfechtung durch den Scheinvater nach § 1599 Abs. 1, § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht vor. Denn mit dieser Vaterschaftsanfechtung wird im Unterschied zu der vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 (a.a.O.) für nichtig erklärten Regelung über die Behördenanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB nicht zielgerichtet durch die öffentliche Gewalt in die Rechte aus Art. 16 Abs. 1 GG eingegriffen. Vielmehr ist es regelmäßig das Ziel des anfechtenden Scheinvaters seine familienrechtlichen Pflichten (primär seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind) zu beseitigen. Als mittelbare und vom Anfechtenden i.d.R. nicht vorrangig beabsichtigte Folge tritt damit aber zugleich der rückwirkende Verlust der Staatsangehörigkeit beim Kind ein.

Diese nur mittelbare Betroffenheit der Klägerin wirkt sich auch im Hinblick auf die Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt aus. Es sind nicht die gleichen strengen Anforderungen wie bei einem finalen Eingriff im Fall einer Behördenanfechtung zu stellen (vgl. zu Letzterem BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, a.a.O., juris Rn 81 ff). Bei einem finalen unmittelbaren Eingriff kann - und hat - der Gesetzgeber die Voraussetzungen des Eingriffs genau zu normieren. Auf sonstige Eingriffe ist dies nicht ohne Weiteres übertragbar. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner „Osho“ - Entscheidung (Beschluss vom 26. Juni 2002 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, juris Rn. 83) eine Kompetenznorm als gesetzliche Grundlage für staatliches Informationshandeln ausreichen lassen; ebenso in seiner Entscheidung zur Bundeszentrale für Politische Bildung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. August 2010 1 BvR 2585/06, juris Rn. 23). Sicherlich ist die Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin eine deutlich intensivere als in den genannten Fällen. Die Entscheidungen zeigen jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht nicht bei jedem Grundrechtseingriff die gleichen Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt stellt. Hier ist zu berücksichtigen, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG schon vom Wortlaut her (also in einer für den Grundrechtsträger deutlich zu erkennender Weise) den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung abhängig macht (sie also unter diesen Vorbehalt stellt). Ausdrücklich ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG dagegen nicht angesprochen, dass mit einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung des deutschen Scheinvaters die Staatsangehörigkeit rückwirkend entfällt, was mangels finalen Eingriffs auch nicht notwendig ist. Ausreichend ist vielmehr, dass aus der genannten Vorschrift in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB und der dortigen Rückwirkung der Anfechtung zu entnehmen ist, dass mit wirksamer Anfechtung des deutschen Scheinvaters auch der Staatsangehörigkeitserwerb zum Erlöschen gebracht wird. Denn wenn § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG den Staatsangehörigkeitserwerb an eine wirksame Vaterschaftsanerkennung knüpft, muss auch dem Grundrechtsträger klar sein, dass bei einer unwirksam werdenden Vaterschaftsanerkennung die Erwerbsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen und er nicht mehr im Besitz der Staatsangehörigkeit bleiben kann die deutsche Staatsangehörigkeit somit in diesem Zeitpunkt endet.

Dass § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG (in der Fassung vom 14. März 2005) keine zeitliche Begrenzung des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit vorsieht, ist vor dem Hintergrund der bei der Klägerin im frühen Kindesalter erfolgten Vaterschaftsanfechtung unproblematisch (ebenso BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, a.a.O., Rn. 27). Ebensowenig stellt sich die Frage, ob die Vorschrift hier dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, dass ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit dann nicht eintritt, wenn der Deutsche dadurch staatenlos werden würde. Denn eine Staatenlosigkeit droht der Klägerin schon nach ihren eigenen Angaben nicht. Mit Schriftsatz vom 25. November 2014 teilte sie dem Gericht mit, dass sie die serbische Staatsangehörigkeit besitzt (im Jahr 2005 dann wohl noch die serbisch-montenegrini-sche).

Es handelt sich zudem nicht um einen Fall, der dem einer Behördenanfechtung gleichzustellen ist, weil der Scheinvater von Seiten der Mitarbeiter des Beklagten dahingehend beeinflusst worden ist, die Vaterschaft anzufechten (vgl. Vermerk, Bl. 17 der VV). Denn eine Anwendung der Maßstäbe der Behördenanfechtung würde voraussetzen, dass faktisch gesehen nicht der Vater, sondern die Behörde anficht. Dies aber würde verlangen, dass der Vater „Werkzeug der Behörde“ und nicht mehr in der Lage ist, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Den Verwaltungsvorgängen (vgl. Bl. 17) ist zu entnehmen, dass die Mitarbeiter des Beklagten zwar auf den Scheinvater eingewirkt haben, die letztliche Entscheidung blieb aber beim Scheinvater. Ggf. hätte er sich mit einem Rechtsbeistand beraten können, wie er sich verhalten solle und ob die von der Behörde behaupteten Konsequenzen zuträfen.

c) Ebensowenig stellt der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in Bezug auf die Klägerin eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Denn die Annahme, dass die Klägerin gegenüber Kindern, die aufgrund einer Behördenanfechtung vaterlos geworden sind, anders behandelt werden, geht schon vom Ansatz her fehl. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit, im Dezember 2005, gab es die Möglichkeit einer behördlichen Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB noch nicht. Diese Möglichkeit wurde erst mit Gesetz vom 13. März 2008 geschaffen. Es fehlt daher an einem tauglichen Vergleichspaar als Voraussetzung für eine Ungleichbehandlung.

2) Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit begegnet zudem keinen europarechtlichen Bedenken.

Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und damit auch der Unionsbürgerschaft (Art. 20 Abs. 1 Satz 1 AEUV) stellt einen Eingriff in das von Art. 20 AEUV gewährte Recht dar. Der Erwerb und der Verlust der Unionsbürgerschaft unterliegt den Regeln der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Oktober 2004, C - 200/02 -, Rn. 37 sowie 2. März 2010, C-135/08 -, Rn. 39). Bei einem solchen Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2. März 2010, C-135/08 -, Rn. 55) insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dabei spielt es eine Rolle wie viel Zeit zwischen Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit vergangen ist (vgl. EuGH Urteil vom 2. März 2010, C-135/08 -, Rn. 56). Vor diesem Hintergrund ist ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Fall der Klägerin nicht zu erkennen. Denn die Klägerin hat ihre Staatsangehörigkeit und damit die Unionsbürgerschaft nur kurze Zeit besessen (weniger als 2 Jahre) und sie in einem Alter verloren, in dem sie noch kein Bewusstsein über ihre Staatsangehörigkeit hat bilden können. D.h. sie hat bis zum Verlustzeitpunkt kein Vertrauen in den Bestand ihrer deutschen Staatsangehörigkeit entwickeln können. Außerdem drohte ihr bei Verlust - anders als im Fall „Rottmann“ - (EuGH, Urteil vom 2. März 2010, C-135/08 -) nicht die Staatenlosigkeit.