Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.11.2014, Az.: 13 K 231/14
Streitwert einer finanzgerichtlichen Klage gegen die zeitlich unbegrenzte Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.11.2014
- Aktenzeichen
- 13 K 231/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 36207
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:1127.13K231.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 52 Abs. 1 GKG
- § 52 Abs. 3 GKG
Amtlicher Leitsatz
Der Streitwert einer finanzgerichtlichen Klage gegen die zeitlich unbegrenzte Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung bestimmt sich seit der Änderung des § 52 Abs. 3 GKG durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 8. Juli 2014 (BGBl I 2014, 890) nach dem einfachen Jahresbetrag zuzüglich der bei Einreichung der Klage fälligen Beträge.
Tenor:
Der Streitwert für das Verfahren beträgt 3.312 €.
Gründe
Nach der neueren Rechtsprechung des BFH umfasst der Aufhebungsbescheid einer Kindergeldfestsetzung nur noch eine Regelung des Kindergeldanspruchs vom Monat der Aufhebung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (BFH-Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BStBl II 2012, 681; BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953; auch BFH-Urteil vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920; BFH-Beschluss vom 12. November 2013 VI B 94/13, BFH/NV 2014, 176).
Da die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für das Kind A ab Mai 2014 aufgehoben hatte und der Einspruchsbescheid vom XX. September 2014 datierte, beinhaltete der angefochtene Aufhebungsbescheid eine negative Regelung für fünf Monate Kindergeld (Mai bis September 2014).
Der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit wird gemäß § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (-GKG-) nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache bestimmt. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ist bei Klagebegehren, die sich auf eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt beziehen, deren Höhe maßgeblich. Der BFH hat im Nachvollzug der oben dargestellten neueren Rechtsprechung zum Regelungsumfang des Aufhebungsbescheids entschieden, dass auch für den Streitwert der Zeitraum vom Monat der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung maßgeblich ist (BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2014 III S 2/14, BStBl II 2015, 37; siehe auch BFH-Beschluss vom 18. November 2014 V S 30/14, BFH/NV 2015, 346 für eine Verpflichtungsklage).
Dies gilt aber nur für die Rechtslage bis zum 31. Juli 2013. Für spätere Zeiträume sind die Änderungen des § 52 Abs. 3 GKG durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl I 2013, 2586) und durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 8. Juli 2014 (BGBl I 2014, 890) zu berücksichtigen.
§ 52 Abs. 3 Satz 2 GKG in der Fassung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes sieht ab August 2013 eine Erhöhung des Streitwerts in den Fällen vor, in denen der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat.
Außerdem wurde dem § 52 Abs. 3 GKG mit dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften ab dem 16. Juli 2014 ein Satz 3 angefügt, wonach in Kindergeldverfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 42 Abs. 3 GKG entsprechend anzuwenden sind, wobei an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags der einfache Jahresbetrag tritt.
Da die Klage erst am XX. Oktober 2014 anhängig geworden ist, greifen die neuen Streitwertvorschriften ein (§ 71 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Mag es noch zweifelhaft sein, ob der Antrag der Klägerin "offensichtlich absehbare Auswirkungen" auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hatte, so stellt die neue Regelung in § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG klar, dass in Kindergeldverfahren § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 42 Abs. 3 GKG entsprechend anzuwenden sind.
Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG ist bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgeblich, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet (§ 42 Abs. 3 GKG).
Es handelt sich in Fällen der vorliegenden Art um "Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen" im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG. Insoweit könnten zwar wegen der neueren Rechtsprechung des BFH zum Regelungsumfang der Aufhebungsbescheide Zweifel bestehen. Es muss aber vergegenwärtigt werden, dass der Kindergeldanspruch seiner Struktur nach ein Anspruch auf wiederkehrende Leistung ist, der durch Dauerverwaltungsakt festgesetzt wird. Deshalb sind § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 42 Abs. 3 GKG auf Fälle der vorliegenden Art anwendbar. Würde man in Fällen der Anfechtungsklagen gegen Aufhebungsbescheide und Verpflichtungsklagen gegen Ablehnungsbescheide im Kindergeldrecht keine "Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen" annehmen, wäre die Anfügung des Satzes 3 an den § 52 Abs. 3 GKG vollständig ins Leere gegangen, weil für die neue Vorschrift kein Anwendungsbereich mehr verbliebe. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung initiiert hat, die keinen praktischen Anwendungsbereich hat.
Für diese Sicht spricht auch die Gesetzesbegründung zu der Einführung des § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG. Dort wird ausgeführt, dass in Kindergeldangelegenheiten für zukünftige wiederkehrende Leistungen "entsprechend der derzeitigen Rechtsprechung" auf den Jahresbezug abgestellt werden solle (BTDrucks 18/823, S. 26). Im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes am 8. Juli 2014 vertrat der BFH in Fällen der vorliegenden Art noch die Auffassung, dass sich der Streitwert aus dem Jahresbetrag des Kindergeldes zuzüglich der bis zur Einreichung der Klage zu zahlenden streitigen Kindergeldbeträge ergebe (vgl. die Darstellung im BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2014 III S 2/14, BStBl II 2015, 37 [BFH 02.10.2014 - III S 2/14]). Es spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der neueren Rechtsprechung des BFH zum Regelungsumfang des Aufhebungsbescheids die bisherige Berechnung des Streitwerts aufrechterhalten wollte und deshalb das Gesetz änderte. So gesehen sollte die Anfügung des Satzes 3 an den § 52 Abs. 3 GKG verhindern, dass der BFH seine Streitwertrechtsprechung der neueren Rechtsprechung zum eingeschränkten Regelungsumfang der Aufhebungs- und Ablehnungsbescheide anpassen werde.
Somit ergibt sich der Streitwert aus dem Jahresbetrag (12 x 184 € = 2.208 €) zuzüglich der bei Einreichung der Klage fälligen Beträge. Dabei handelt es sich nicht nur um die vom Regelungsumfang des Aufhebungsbescheids umfassten fünf Monate von Mai 2014 bis September 2014. Im Zeitpunkt der Einreichung der Klage (XX. Oktober 2014) war auch bereits das Kindergeld für Oktober 2014 entstanden und fällig (vgl. § 31 Satz 3 EStG, §§ 37 Abs. 1, 38 AO, § 66 Abs. 2 EStG). Deshalb sind sechs Monate zu erfassen (6 x 184 € = 1.104 €).
Die von der Familienkasse geäußerte Kritik, dass nur der Kindergeldanspruch für die Monate Mai 2014 bis September 2014 Streitgegenstand gewesen seien, greift angesichts der neuen gesetzlichen Vorschriften nicht durch. Der Gesetzgeber bezweckte, mit der Erhöhung des Streitwerts die Zukunftsgerichtetheit des Klagebegehrens zu berücksichtigen. Es werden deshalb - über die unmittelbar streitgegenständigen Monate hinaus - mutmaßliche Auswirkungen auf die Kindergeldfestsetzungen für zukünftige Monate pauschalierend mit berücksichtigt.
Da das Verfahren bereits im vorbereitenden Verfahren beendet worden ist (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist der Berichterstatter für die Streitwertfestsetzung zuständig (§ 79a Abs. 1 Nr. 4, § 79a Abs. 4 FGO; vgl. auch Ratschow in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Auflage, vor § 135 Rz. 112).