Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 06.11.2003, Az.: 3 A 200/03

Erledigungserklärung; Hauptsacheerledigung; Kostenentscheidung; neues Widerspruchsverfahren; Untätigkeitsklage; Verfahrensbeendigung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
06.11.2003
Aktenzeichen
3 A 200/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48266
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 161 Abs. 3 VwGO findet keine Anwendung, wenn eine Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) nach Ergehen eines ablehnenden Bescheides der Behörde übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt wird, nachdem der Kläger zuvor gegen den ablehnenden Bescheid Widerspruch eingelegt hat. In diesem Fall ist die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO, und zwar zu Lasten des Klägers, zu treffen.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und nach § 161 Abs. 1 Alt. 2 VwGO über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Hier ist die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffen, nicht nach § 161 Abs. 3 VwGO, wie anscheinend beide Beteiligten meinen.

2

Nach § 161 Abs. 3 VwGO fallen der Beklagten in den Fällen des § 75 VwGO stets die Kosten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung rechnen durfte. Ein Fall des § 75 VwGO liegt hier in dem für die Kostenentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr vor. Gemeint sind die Fälle, in denen der Rechtsstreit nach einer Untätigkeitslage im Sinne des § 75 VwGO auf Grund des Tätigwerdens der Behörde beendet wird. Setzt der Kläger dagegen den Rechtsstreit fort, nachdem die Behörde in Befolgung ihrer Verfahrenspflichten einen Bescheid oder Widerspruchsbescheid erlassen hat, so entfällt die Rechtfertigung für die Überbürdung der Kosten auf die Beklagte, weil dann ihre Untätigkeit nicht die Ursache für die Verfahrenskosten ist. Der Kläger riskiert durch die Fortsetzung des Prozesses die Verfahrenskosten unabhängig von der ursprünglichen Untätigkeit der Behörde. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt diese Auffassung für den Fall, dass ein Kläger nach der rechtswidrig verzögerten Ablehnung eines beantragten Verwaltungsakts den Prozess fortsetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 – 3 C 56.90 –, NVwZ 1991, 1180/1182).

3

Das Gleiche muss gelten,enn ein Kläger statt einer förmlichen Fortsetzung des Prozesses das Verfahren nach dem Tätigwerden der Behörde, nämlich nach dem Erlass eines ablehnenden Bescheides oder Widerspruchsbescheides mit Zustimmung der Beklagten durch Erledigungserklärung beendet, sein Klageziel jedoch mit einem neuen Widerspruch weiterverfolgt. Der Rechtsstreit hat sich dann nur scheinbar wegen der Bescheiderteilung erledigt. Der Grund für die Vergünstigung des § 161 Abs. 3 VwGO, nämlich einen Kläger von dem Kostenrisiko zu befreien, das ihm dadurch entsteht, dass er die behördliche Beurteilung seines Antrags oder Widerspruchs in angemessener Zeit nicht erfahren hat, kann die Kostenüberbürdung auf die Beklagte nicht tragen. Die Beklagte trüge ohne sachlichen Grund das Risiko, zweimal mit Prozesskosten belastet zu werden. Dem Kläger würde dagegen das Kostenrisiko für das erste Verfahren abgenommen, obwohl er durch die unnötige Beendigung des ersten Verfahrens zu erkennen gegeben hat, dass für ihn der Zeitverlust, den ihm die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO durch die Befreiung von der Durchführung eines Vorverfahrens nach den §§ 68 ff. VwGO ersparen will, nicht wichtig ist. Das zeigt, dass in diesem Fall die Anwendung des § 161 Abs. 3 VwGO im Vergleich zu dem Fall, in dem die ursprüngliche Untätigkeitsklage nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides weitergeführt wird, erst recht auszuschließen ist. Auch dann liegt im Zeitpunkt der Kostenentscheidung kein Fall des § 75 VwGO mehr vor, wenn der Kläger das Verfahren wegen der Untätigkeit der Behörde beendet, aber das Klagebegehren in einem neuen Widerspruchsverfahren (und einem sich ggf. daran anschließenden neuen Klageverfahren) fortführt (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 5.7.2002 – 1 K 376/02 –, juris; OVG Berlin, Beschluss vom 27.10.1983 – 2 L 4.83 –, DÖV 1984, 817; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 161 Rdn. 35).

4

So haben die anwaltlich vertretenen Kläger dieses Verfahrens gehandelt. Sie können deshalb nicht die Vergünstigung des § 161 Abs. 3 VwGO in Anspruch nehmen. Nachdem die Beklagte den ablehnenden Bescheid vom 5.9.2003 erlassen hat, ist die Hauptsache übereinstimmend in Bezug auf die Untätigkeitsklage vom 21.7.2003 für erledigt erklärt worden (Schriftsätze vom 13.10.2003 und vom 4.11.2003). Zuvor jedoch haben die Kläger mit Schriftsatz vom 22.9.2003 zur weiteren Verfolgung ihres Begehrens, ihnen jeweils eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 5.9.2003 eingelegt. Mit diesem Widerspruch verlangen die Kläger auch die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 5.9.2003, nach dessen Erlass sie die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt haben. Die vorliegende Verpflichtungsklage und das neue Widerspruchsverfahren sind auf das gleiche Ziel gerichtet, weil sie beide die Verpflichtung der Behörde beinhalten, den Klägern jeweils eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

5

Nach § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Es ist in diesem Fall billig, die Kosten den Klägern aufzuerlegen. Über die Kosten ist nur zu befinden, weil die Kläger die Beendigung des Verfahrens sachwidrig herbeigeführt haben. Sie hätten die Beendigung des Verfahrens vermeiden können, wenn sie nach Erlass des Ablehnungsbescheides vom 5.9.2003 das Klageverfahren unter Einbeziehung des ergangenen Bescheides fortgesetzt hätten, statt die Hauptsache für erledigt zu erklären (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O, § 75 Rdn. 21). Ohne Beendigung des Verfahrens wären keine abrechenbaren besonderen Kosten entstanden.

6

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 83 b Abs. 2 Satz 3 AsylVfG in entsprechender Anwendung, wobei für den Kläger zu 1) ein Wert von 4.000,-- Euro und für die Kläger zu 2) bis 6) jeweils ein Wert von 900,-- Euro anzusetzen ist.