Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.03.2009, Az.: L 9 AS 175/07
Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Heizungskosten i. R. d. der Bemessung des grundsicherungsrechtlichen Bedarfs im Falle der tatsächlichen Übernahme der Kosten für die Unterkunft
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 31.03.2009
- Aktenzeichen
- L 9 AS 175/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 15750
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0331.L9AS175.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 09.11.2006 - AZ: S 25 AS 895/06
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II
- § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 1, 3 SGB II
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes Lüneburg vom 09. November 2006 wird zurückgewiesen. Der Berufungskläger hat der Berufungsbeklagten ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten ...
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die den Berufungsbeklagten nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zustehenden Leistungen für Heizkosten im Jahre 2005.
Die 1947 geborene Berufungsbeklagte zu 1.), die mit ihrem Ehemann, der eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt, steht seit Anfang des Jahres 2005 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bei dem Berufungskläger. Die Eheleute bewohnen eine im Juni 2003 angemietete Wohnung in E., die ausweislich des Mietvertrages eine Wohnfläche von 130 qm hat. Die Kosten für diese Wohnung wurden vom Berufungskläger zunächst vollständig übernommen. Der Berufungskläger wies die Berufungsbeklagte zu 1.) indessen mit einem dem Bescheid vom 29. April 2005 beigefügten Zusatz darauf hin, ihre Kosten der Unterkunft (KdU) seien nicht angemessen im Sinne der Vorschriften des Grundsicherungsrechts. Der Berufungsbeklagten zu 1.) werde bis zum 15. Oktober 2005 Gelegenheit gegeben, die KdU abzusenken bzw. Nachweise vorzulegen, warum ihr dies nicht möglich sei. In der Folge wurde zwischen den Beteiligten ein Rechtsstreit über die Frage geführt, wie hoch die angemessenen KdU im Fall der Berufungsbeklagten zu 1.) zu bemessen waren. Insoweit hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 29. August 2006 (S 25 AS 55/06) rechtskräftig entschieden, ab dem 01. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 sei von einem Mietzins inklusive Betriebskosten in Höhe von monatlich 390,60 Euro auszugehen. Das SG ist dabei davon ausgegangen, dass bei den Eheleuten im Hinblick auf die Erkrankung und Schwerbehinderung des Ehemanns der Berufungsbeklagten zu 1.) von einem erhöhten Wohnflächenbedarf auszugehen sei (70 qm). Unter Zugrundelegung der Wohngeldtabelle errechne sich der ausgeurteilte Mietzins. Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Heizkosten hat das SG bereits in diesem Urteil darauf hingewiesen, die vom Berufungskläger in Anwendung einer Pauschalierungsregel bisher bewilligten 60,- Euro monatlich würden den Bedarf der Berufungsbeklagten zu 1.) und ihres Ehemanns für den angemessenen Teil der KdU auch unter Berücksichtigung der Nebenkostenabrechnung decken.
Anlässlich des Antrags auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) im März 2006 reichte die Berufungsbeklagte zu 1.) auch die "Verteilung der Betriebskosten" ihres Vermieters für das Jahr 2005 bei dem Berufungskläger ein. Dieser lehnte es mit Bescheid vom 30. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 ab, eine Heizkostennachzahlung für das Jahr 2005 zu gewähren. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Heizkosten der Berufungsbeklagten zu 1.) und ihres Ehemannes seien im Hinblick auf die zu große Wohnfläche von Anfang an unangemessen gewesen. Daher habe von Anfang an unter Anwendung der vom Berufungskläger herangezogenen Pauschalisierungsregel (1,- Euro pro qm Wohnfläche Heizkosten im Monat) nur der angemessene Anteil der Heizkosten gezahlt werden müssen.
Am 10. August 2006 ist Klage erhoben worden.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 09. November 2006 insoweit stattgegeben, als es den Berufungskläger verurteilt hat, aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2005 einen Betrag in Höhe von 195,06 Euro an die Berufungsbeklagte zu 1.) zu zahlen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbeklagte zu 1.) habe einen Anspruch auf Übernahme der von ihr tatsächlich erbrachten Aufwendungen für Heizkosten für den Zeitraum, in dem der Berufungskläger die tatsächliche KdU übernommen habe (Januar bis Oktober 2005). Insoweit könne nicht von Anfang an davon ausgegangen werden, dass die Heizkosten auf den angemessenen Bedarf abgesenkt werden könnten. Für den Zeitraum, in dem die KdU auf das angemessene Maß abgesenkt worden seien (November und Dezember 2005), seien entsprechend dem Urteil des SG vom 29. August 2006 auch nur die abgesenkten KdU und entsprechend die berücksichtigungsfähigen Heizkosten in die Bedarfsberechnung einzustellen. Hieraus ergebe sich der im Tenor ausgeworfene Nachzahlungsbetrag.
Die vom SG nicht ausdrücklich zugelassene Berufung ist vom Senat mit Beschluss vom 21. März 2007 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden.
Der Berufungskläger ist der Auffassung, er sei von Beginn des Jahres 2005 an berechtigt gewesen, die Heizkosten der Berufungsbeklagten auf das angemessene Maß zu reduzieren. Zudem habe das SG die Aufschlüsselung der Nachzahlung für Betriebskosten und Heizkosten unzutreffend vorgenommen.
Der Berufungskläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichtes Lüneburg vom 09. November 2006 aufzuheben,
- 2.
die Klage abzuweisen.
Die Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung beziehen sie sich auf die erstinstanzliche Entscheidung.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Berufungsklägers (2 Bände) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zutreffend erkannt, dass die Berufungsbeklagten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf Nachzahlung für Betriebs- und Heizkosten für das Jahr 2005 in Höhe von 195,06 Euro gegen den Berufungskläger hat. Der Bescheid des Berufungsklägers vom 30. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Berufungsbeklagten in ihren Rechten.
Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Urteil vom 09. November 2006.
Die Berufungsbeklagten standen im Jahr 2005 als Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II gemeinsam im Bezug von Grundsicherungsleistungen bei dem Berufungskläger, weil das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft aus der Rente des Berufungsbeklagten zu 2.) und dem Arbeitsverdienst der Berufungsbeklagten zu 1.) nicht ausreichte, ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf zu decken. Die Berufungsbeklagte zu 1.) war 2005 auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II.
Soweit der Berufungskläger einwendet, er sei ab Januar 2005 berechtigt gewesen, nur angemessene Heizkosten in Höhe von 60,- Euro bei der Bemessung des grundsicherungsrechtlichen Bedarfs der Berufungsbeklagten zu berücksichtigen, auch soweit die KdU für vorübergehend längstens 6 Monate noch nicht auf die angemessene Höhe gesenkt worden sind, trifft dies nicht zu. Insoweit kann zunächst dahinstehen, ob eine Pauschalierung der Heizkosten grundsätzlich zulässig ist (differenzierend hierzu Knickrehm/Voelzke in Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, 2009, S. 28 unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Der Senat ist jedenfalls mit dem SG der Auffassung, dass für den Zeitraum, in dem der Grundsicherungsträger nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen für die KdU übernimmt (hier von Januar bis Oktober 2005) eine Kürzung der Heizkosten nicht zulässig ist, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass der Hilfeempfänger unwirtschaftlich heizt (so auch das BSG Urteil vom 19. September 2008, B 14 AS 54/07 R, Rn 22; vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 46 d und Rdnr. 58 a; Berlit in LPK SGB II, 2. Aufl. § 22 Rdnr. 68; Lauterbach in Gagel, SGB III - Arbeitsförderung - mit SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende, § 22 Rdnr. 58; Schmidt in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 22 Rdnr. 64; vgl. auch Frank in Hohm (Herausgeber), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 22 Rdnr. 42.1; ablehnend Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 Rdnr. 39 ohne Begründung). Der Senat hält insoweit den auch vom SG thematisierten Gesichtspunkt für überzeugend, dass eine Nichtberücksichtigung der insgesamt anfallenden Heizkosten für diesen Zeitraum die Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II (im hier anzuwendenden Stand der Gesetzgebung noch § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II) aushebeln würde. Sinn der Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ist es - trotz anderslautenden Wortlauts -, dem neu in den Bezug von Grundsicherungsleistungen eintretenden Hilfebedürftigen Zeit für die Absenkung seiner KdU einzuräumen. Diese Überlegung gilt sowohl für die Kaltmiete als auch für die von ihm aufzubringenden Kosten für Heizung. Auch die angemessene Raumtemperatur gehört zum Grundbedürfnis "Wohnen", das mit der Regelung geschützt werden soll (BSG a.a.O.). Mithin würde die Regelung ausgehebelt, wenn von Beginn des Bezugs an gleich die Heizkosten abgesenkt würden.
Das SG hat im Übrigen auch zutreffend darauf hingewiesen, für die Monate November und Dezember 2005 sei der Heizkostenbedarf zutreffend bemessen und gedeckt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Anlass, die Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.