Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 10.11.2022, Az.: 2 A 78/21

Abschneidekriterium; BASt-Bericht; Critical Loads; FFH-Gebiet; FFH-Richtlinie; Nachweisgrenze; Plausibilität; Stickstoff; Stickstoffdeposition; Verbandsklage gegen Legehennenstall (Stickstoffdepositionen; Plausibilität des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a)

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
10.11.2022
Aktenzeichen
2 A 78/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 55456
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2022:1110.2A78.21.00

Amtlicher Leitsatz

Zwar bestehen erhebliche Zweifel, ob die dem BASt-Bericht 2013 zugrunde gelegten niedrigsten Nachweisgrenzen von Konzentrationsmessgeräten für Außenluft oder Abgasluft von 0,4 µg NOx/m3 ( Thermo-Analysator Modell 42V ) bzw. 0,14 µg NH3/m3 ( Prometh ) auch schon im Zeitpunkt der Erstellung des Forschungsberichts tatsächlich die niedrigsten Nachweisgrenzen der (damals) verfügbaren Geräte (gewesen) sind. Jedoch wird hierdurch die Plausibilität der Herleitung des Abschneidekriteriums nicht durchgreifend in Frage gestellt, da nicht allein die Grenze des messtechnisch Ermittelbaren , sondern die Möglichkeit der Zuordnung der Stickstoffdeposition zu einer bestimmten Quelle maßgebend ist, es mithin um eine Nachweisgrenze geht, die eine valide Zuordnung von Stickstoffdepositionen zu einer bestimmten Quelle mit vertretbarer Genauigkeit und eindeutiger Abgrenzbarkeit von der Hintergrundbelastung erlaubt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Verbandsklage über eine Baugenehmigung für einen Legehennenstall.

Der Kläger ist ein anerkannter Umweltverband. Der beigeladene Landwirt ist Eigentümer des gegenüber seiner Hofstelle gelegenen Vorhabengrundstücks (Flurstücke I. /1 und I. /12, Flur 4, Gemarkung J.).

Der Beigeladene beantragte am 22.10.2018 beim Beklagten eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Legehennenstalls mit 12.000 Tierplätzen und Freilandhaltung sowie Nebenanlagen. Er legte hierzu unter anderem ein Immissionsschutzgutachten der Landwirtschaftskammer K. vom 20.02.2018 vor, das diese durch E-Mail vom 04.04.2019 ergänzte.

Durch Bescheid vom 29.04.2019 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter anderem mit der Nebenbestimmung, dass die übrige Tierhaltung auf dem Betrieb bei Inbetriebnahme des Legehennenstalls einzustellen ist.

Dagegen erhob der Kläger am 08.01.2020 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass die Berücksichtigung der Ammoniakimmissionen im benachbarten FFH-Gebiet "J. L." unzureichend und fehlerhaft sei. Die Verfahrenshinweise der TA Luft 2002 und die Ausführungsvorschriften des Landes Niedersachsen dazu entsprächen nicht den Anforderungen der FFH-Richtlinie an den Habitatschutz. Der Nachweis, dass die Irrelevanz- und Bagatellschwellen eingehalten seien, sei nicht geführt worden. Die "Bagatellschwelle" von 0,3 kg N/ha/a, die für Fernstraßenbauvorhaben entwickelt worden sei, betreffe vor allem NOx-Einträge und nicht NH3-Einträge, um die es bei Stallbauvorhaben ausschließlich gehe. Diese "Bagatellschwelle" sei bei besonders stickstoffsensiblen Lebensraumtypen (LRT) wie dem FFH-Gebiet "J. L." nicht kompatibel mit der vom Bundesverwaltungsgericht einmalig zugelassenen 3%-Überschreitung der Critcal Loads und im Übrigen nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs obsolet. Durch kumulativ wirksame Vorhaben könne die Bagatellschwelle zur Überschreitung der Critical Loads führen. Insofern fehle ein Nachweis, dass die Critical Loads nicht bereits durch andere Stallbauten überschritten seien. Das Immissionsschutzgutachten lasse die Erweiterung des FFH-Gebiets durch besonders empfindliche Flächen des LRT 9190 in den zum Stallbauvorhaben nächstgelegenen Bereichen unberücksichtigt, da es veraltete Gebietsgrenzen zugrunde lege. Für die Waldflächen am Rand des Gebiets sei eine Berechnung nicht ersichtlich. Zudem gehe das Immissionsschutzgutachten von unzutreffenden CL-Werten aus, da diese mittlerweile für Deutschland nach unten spezifiziert worden seien. Die Ausbreitungsberechnungen für Geruch legten nahe, dass insbesondere die Tierbestände der Hofstelle Schenk auch zu massiven Ammoniakeinträgen in das Gebiet führten und die 3%-Schwelle bereits ausgeschöpft sei, was für weitere Vorhaben jede zusätzliche Belastung verwehre.

Wegen Abweichungen bei der Bauausführung beantragte der Beigeladene am 11.06.2020 einen Nachtrag zur Baugenehmigung vom 29.04.2019 und legte hierzu ein überarbeitetes Immissionsschutzgutachten der Landwirtschaftskammer K. vom 20.06.2020 vor, das diese durch Schreiben vom 06.10.2020 hinsichtlich der mit anderen, seit 2015 zugelassenen Vorhaben kumulierenden Stickstoffeinträgen in das FFH-Gebiet "J. L." sowie durch E-Mail vom 08.10.2020 bezüglich der Stickstofffreisetzung durch Düngung der betriebseigenen Flächen ergänzte.

Durch Bescheid vom 08.10.2020 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Nachtragsgenehmigung und machte dabei unter anderem das Immissionsschutzgutachten vom 20.06.2020 zu deren Bestandteil. Hiergegen erhob der Kläger am 13.10.2020 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 07.01.2021 wies der Beklagte die Widersprüche zurück und führte zur Begründung aus, dass das Abschneidekriterium von 5 kg N/ha/a hinsichtlich der nördlich und östlich gelegenen Waldflächen eingehalten werde, da das Immissionsschutzgutachten für einen Bestand von 14.999 Tieren von Einträgen von 0,2 bzw. 0,16 kg N/ha/a ausgehe. Hinsichtlich des FFH-Gebiets "J. L." gingen die Immissionsprognosen von maximalen Einträgen von 0,03 kg N/ha/a aus. Eine kumulierende Betrachtung sei nicht vorgenommen worden. Dieses Vorgehen entspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Erlasslage. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe die Anwendbarkeit des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a bestätigt. Zudem sehe der Entwurf der Neufassung der TA Luft dieses Kriterium ebenfalls vor. Aufgrund der deutlichen Unterschreitung des Abschneidekriteriums seien negativen Auswirkungen auf das FFH-Gebiet auszuschließen. Auch das im Rahmen des Nachtragsgenehmigungsverfahrens eingeholte, weitere Immissionsschutzgutachten komme unter Berücksichtigung von 12.000 Tierplätzen und vier Abluftkaminen zu dem Ergebnis, dass durch die Anlage maximal Stickstoffeinträge von 0,03 kg N/ha/a in das FFH-Gebiet zu erwarten seien. Der Wert von 0,3 kg N/ha/a liege im Messverfahren unterhalb der Nachweisgrenze und sei von der Rechtsprechung auf nicht dem Straßenbau zuzuordnende Vorhaben übertragen worden.

Der Kläger hat am 10.02.2021 Klage erhoben und trägt ergänzend vor, dass die allgemeinen Anforderungen an eine FFH-Vorprüfung nicht eingehalten worden seien, weil keine Differenzierung nach LRT und keine Darstellung der LRT-Verteilung erfolgt sei. Es fehle eine Zuordnung der in der Immissionsprognose betrachteten Waldflächen und Feuchtbiotopen zu den FFH-LRT, die Erhaltungsziel des FFH-Gebiets "J. L." seien. Auch müssten präzise Feststellungen in Bezug auf die Entfernung zum FFH-Gebiet getroffen werden. Die angenommene Entfernung von mindestens 850 m sei falsch. Die zunächst rechtswidrige Abgrenzung des FFH-Gebiets sei mit Auslegung der Unterlagen zur Ausweisung des FFH-Gebiets korrigiert worden. Tatsächlich betrage der Abstand des Vorhabens nur 630 m, wie sich auch aus der am 22.03.2021 beschlossenen NSG-Verordnung ergebe. In dem nicht berücksichtigten Teil des FFH-Gebiets befänden sich die besonders empfindlichen LRT 9190 und 2330. Diese Flächen hätten vom Beklagten auch vor deren verordnungsrechtlichen Festsetzung als FFH-Gebietsgrenze jedenfalls als potentielles FFH-Gebiet behandelt werden müssen. Da die Verpflichtung zur Meldung von FFH-Gebieten seit mehr als 15 Jahren abgelaufen sei, die in dem Gebiet vorkommenden LRT unzweifelhaft die erforderlichen Qualitäten aufwiesen und ein Mitgliedstaat aus der Missachtung seiner gemeinschaftlichen Verpflichtungen keinen Vorteil ziehen dürfe, könne auf das Gebiet allerdings nicht lediglich der abgesenkte Maßstab für potentielle FFH-Gebiete angewandt werden. Für die LRT 2330 und 9130 in der aktuellen Gebietsabgrenzung sei laut dem aktualisierten Immissionsschutzgutachten von einer Zusatzbelastung zwischen 0,02 und 0,07 kg N/ha/a bzw. 0,06 und 0,08 kg N/ha/a auszugehen. Das NSG "J. L." weise nach dem UBA-Datensatz eine allgemeine Vorbelastung von 27 kg N/ha/a (LRT 9190) bzw. 22 kg N/ha/a (LRT 2330) auf. Die Critical Loads der LRT 9190 und 2330 würden 8 bis 14 kg N/ha/a bzw. 5 bis 24 kg N/ha/a betragen. Die kumulierte Zusatzbelastung aus dem streitbefangenen und den übrigen seit 2015 zugelassenen landwirtschaftlichen Betrieben im Umfang von 1,1 kg N/ha/a habe einen vollständigen Funktionsverlust der beiden LRT zur Folge. Die kumulative Betrachtung sei allerdings nicht vollständig, da weitere, nicht berücksichtigte Quellen bekannt seien. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die eine Vielzahl kleiner Vorhaben mit Beiträgen unterhalb des Abschneidekriteriums zulasse und eine kumulierende Betrachtung außer Betracht lasse, ermögliche letztlich den von der Generalanwältin beim EuGH als unzulässig gebrandmarkten Tod durch 1.000 Schnitte.

Diese Rechtsprechung sei zunächst in fachlicher Hinsicht zu kritisieren. Der pauschale Abschneidewert für alle LRT stehe im Widerspruch zu den unterschiedlichen Critical Loads und habe zur Folge, dass empfindliche LRT bei dessen Anwendung nicht geschützt würden. Die Festlegung des Abschneidekriteriums mit Verweis auf die Messbarkeitsgrenze sei fachlich unzutreffend. Die einzelnen Schadstoffe (NO2, NO und NH3) dürften nicht einheitlich betrachtet werden. Der PASSAMMONI-Abschlussbericht zeige, dass die im "BASt-Gutachten 2013" zugrunde gelegte Messbarkeitsgrenze von 0,14 μg/m3 schon damals veraltet gewesen sei. Die Messbarkeitsgrenze liege deutlich niedriger als darin angenommen und rechtfertige allenfalls einen Abschneidewert von 0,05 kg N/ha/a. Ammoniak sei bereits 2012 bis zu einer Grenze von 0,02 μg/m3 messtechnisch nachweisbar gewesen. Daraus resultiere eine messbare Deposition von 0,06 bzw. 0,1 kg N/ha/a (LRT 2330 bzw. 9190). Ohnehin komme es nicht auf die Messbarkeit an, weil die Schadstoffeinträge in der Praxis stets berechnet würden, ohne dass die tatsächliche Messbarkeit dabei eine Rolle spiele. Zudem sei der für Stickstoffverbindungen aus dem Straßenverkehr entwickelte Ansatz ohne nähere Begründung auf Stallanlagen übertragen worden, obwohl diese keine Stickoxide, sondern ausschließlich Ammoniak emittierten. Damit sei auch der Behauptung, dass unterhalb des Abschneidewerts kein kausaler Zusammenhang zwischen Emissionen und Depositionen hergestellt werden könne, die Grundlage entzogen. Die unteren Nachweisgrenzen für die Konzentrationen von Stickstoffverbindungen seien in dem "BASt-Bericht 2013" nicht korrekt ermittelt worden, da die Angaben der betrachteten Messgeräte unterblieben sei. Die beiden dort als "beste Messgeräte" bezeichneten Geräte seien nicht auf die Messung niedriger Konzentrationen in der Umgebungsluft, sondern auf die Messung im Abgasstrom ausgelegt. Für die Spurengasanalyse in der Umgebungsluft habe der dort genannte Hersteller bereits 2003 eine andere Modellvariante mit einer deutlich niedrigeren Nachweisgrenze von 0,1 μg NO/m3 bzw. 0,15 μg NO2/m3 vorgesehen. Darüber hinaus sei die Wirkung der unteren Nachweisgrenze künstlich verschlechtert worden, indem auf den Jahresmittelwert der Konzentration statt auf ein realistisches Messintervall abgestellt worden sei. Zudem lasse sich aus einer statistischen Unsicherheit kein Abschneidewert aufgrund fehlender Unterscheidbarkeit von der Hintergrundbelastung herleiten. Auch sei fragwürdig, dass weder im "BASt-Bericht 2013" noch im "Stickstoffleitfaden Straße 2019" wissenschaftliche Studien aufgeführt seien, die eine Wirkungsschwelle nachwiesen.

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei darüber hinaus auch rechtlich zu kritisieren. Aus der Unzulässigkeit allgemeingültiger Grenzwerte für die Gesamtbelastung würden sich auch Bedenken gegen ein allgemeingültiges, LRT- und schadstoffunabhängiges Abschneidekriterium ergeben. Die im deutschen Recht vorgesehene Möglichkeit, auch bei dauerhafter und jahrelanger Überschreitung der Critical Loads "bagatellhafte" Projekte ohne jede Begrenzung der Häufigkeit der Überschreitungen zuzulassen, sei mit den Erhaltungszielen des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-Richtlinie nicht vereinbar, wonach bei einem ungünstigen Erhaltungszustand das Belastungsniveau so zu mindern sei, dass auf Dauer ein günstiger Erhaltungszustand hergestellt werden könne. Nach der Systematik des Unionsrechts sei eine hohe Vorbelastung letztlich zu Lasten auch des einzelnen Projekts zu berücksichtigen. Bis zum Abbau vorhandener übermäßiger Stickstoffbelastungen könne es erforderlich sein, weniger Stickstoffablagerungen zuzulassen, als in den Critical Loads vorgesehen seien. Die Generalanwältin beim EuGH habe den Maßstab formuliert, dass die Festlegung von Grenzwerten für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung nur mit Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie vereinbar sei, wenn anhand objektiver Umstände ausgeschlossen sei, dass Stickstoffablagerungen unterhalb dieser Werte Schutzgebiete einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich beeinträchtigen könnten. Diese habe vor dem Hintergrund der deutlich niedrigeren niederländischen Schwellenwerte auch bereits Zweifel an der Vereinbarkeit der Bagatellschwelle von 3 % der Critical Loads mit dem Unionsrecht angemeldet. Im Gegensatz zum niederländischen Stickstoffmanagementsystem und dem dortigen Erfassen sämtlicher Stickstoffeinträge bestünden in Deutschland bereits Schwierigkeiten, die Vorbelastungen in den FFH-Gebieten überhaupt zu ermitteln. Der Abschneidewert diene letztlich der wirtschaftlichen Entwicklung trotz übermäßiger Stickstoffablagerungen und sei ein großzügiges Instrument zur unkontrollierten Zulassung von Stickstoffablagerungen auf Kosten von FFH-Gebieten. Aus Sicht des europäischen Habitatschutzrechts sei klar, dass im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung alle maßgeblichen Quellen zu berücksichtigen seien. Daran mangele es im vorliegenden Fall, weil ausschließlich die Beiträge ausgewählter landwirtschaftlicher Betriebe bzw. Betriebsteile, die seit 2015 hinzugekommen seien und mit dem Vorhaben überlappten, berücksichtigt worden seien. Das Ausblenden anderer Emittenten führe dazu, dass vorhabenbezogene Stickstoffbeiträge, die dem Vorhaben wie das Ausbringen des Festmists aus der Stallanlage (96 m3/a bzw. 454 kg N/a) nicht zugerechnet würden, nicht in den Blick genommen worden seien. Aus unionsrechtlicher Sicht seien an eine programmatische Globalprüfung sehr strenge Anforderungen zu stellen, die schon mit Blick auf die schlechte Datenlage in Deutschland nicht erfüllt seien. Die Annahme der deutschen Rechtsprechung, dass der "Stickstoffleitfaden Straße 2019" der aktuell beste wissenschaftliche Erkenntnisstand sei, sei bedenklich. Das deutlich niedrigere niederländische Abschneidekriterium liefere Anhaltspunkte dafür, dass das deutsche Abschneidekriterium ungeeignet sei. Insgesamt sei das Abschneidekriterium mit den Zielen der FFH-Richtlinie unvereinbar, weil kein strenges System errichtet werde, das sicherstelle, dass die Critical Loads nicht durch eine Vielzahl von Kleinbeiträgen überschritten würden. Außerdem stehe dieses im Widerspruch zu den Zielen der nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung. Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Ammoniakimmissionen sei zudem am Maßstab des Art. 20a GG auszurichten, der es verbiete, einseitig auf die Interessen der Umweltnutzer abzustellen. Die Staatsaufgabe des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen erfordere es, Maßnahmen zur Vermeidung der Überschreitung der bereits erreichten, globalen Belastungsgrenzen für die Ablagerung von Stickstoffdepositionen und des Verlusts von Biodiversität zu ergreifen.

Vor diesem Hintergrund sei das Verfahren auszusetzen und Fragen seien dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Im Übrigen leide die Baugenehmigung an einem formellen Mangel, weil sie nicht ohne vorherige FFH-Verträglichkeitsprüfung und ggf. der Erteilung einer habitatschutzrechtlichen Ausnahme hätte ergehen dürfen. Darüber hinaus verstoße die Baugenehmigung gegen § 34 Abs. 3 BNatSchG i.V.m. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie. Die unterlassene FFH-Verträglichkeitsprüfung stelle einen absoluten Verfahrensfehler dar. Für eine Anwendung des § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG sei kein Raum.

Der Kläger beantragt,

die Baugenehmigung des Beklagten vom 29.04.2019 in Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 08.10.2020 und des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2021 aufzuheben

und die Berufung sowie die Sprungrevision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt ergänzend vor, dass das vom Kläger vorgelegte Fachgutachten des Dr. M. als Parteivortrag anzusehen sei, da dieser dessen 2. Vorsitzender sei.

Bei der durchgeführten FFH-Vorprüfung sei jederzeit klar gewesen, dass die beantragte Baugenehmigung Fragen des Gebietsschutzes aufwerfe. Die vom Kläger zitierten Anforderungen, die der EuGH an die Verträglichkeitsprüfung stelle, könnten nicht gleichermaßen an die Vorprüfung gestellt werden. Es bestünden keine gesetzlichen Vorgaben für die Art und Weise der Dokumentation und der Methodik einer FFH-Verträglichkeits- bzw. FFH-Vorprüfung. Die Vorprüfung habe den Zweck, dass unwesentliche oder theoretische Beiträge nicht zu einer Verträglichkeitsprüfung führten. Die FFH-Vorprüfung verlange lediglich eine summarische Prüfung, hingegen nicht, Forschungsaufträge zu vergeben, um Erkenntnislücken zu schließen oder methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Dem Projektträger könne keine Untersuchungstiefe aufgebürdet werden, die einer eigenen Forschungstätigkeit gleichkomme. Voraussetzung sei nur, dass keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit des Vorhabens bestehen blieben. Zum Zeitpunkt der Bewertung der FFH-relevanten Fragestellungen sei auch die Entfernung der Anlage zum FFH-Gebiet mit 850 m richtig beurteilt worden, weil erst mit dem Inkrafttreten der am 30.04.2021 veröffentlichten NSG-Verordnung "J. L." ein erhöhter Schutzstatus durch die dort neu festgesetzten Grenzen des Naturschutzgebiets eingetreten sei. Die Zulassungsbehörde müsse im Rahmen einer Vorprüfung keine eigenständige Prüfung der Schutzwürdigkeit und Richtigkeit der fraglichen Gebiete vornehmen, sondern könne sich auf vorangegangene Entscheidungen verlassen. Abgesehen davon würde sich bei Berücksichtigung einer Entfernung von 630 m nichts ändern, da ausweislich des Kartenmaterials eine Betroffenheit auch dann offensichtlich ausscheide. Die Umgebungsflächen des FFH-Gebiets wiesen keine Belastungen auf, die 0,1 kg N/ha/a überschritten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei ein Vorhaben genehmigungsfähig, dessen Stickstoffeinträge das absolute Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a unterschritten. Davon gehe auch der "Stickstoffleitfaden BImSchG-Anlagen" aus. Der Widerspruch durch eine Fachpublikation allein widerlege nicht die Annahme, dass die Anforderungen der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse eingehalten seien. Dem Kläger gelinge es nicht, die im Sachverständigengutachten zugrunde gelegten Maßstäbe durch Studien zu widerlegen. Die kritisierten Fachbeiträge seien keine originären Forschungsarbeiten oder wissenschaftlichen Publikationen, sondern hätten vielmehr die Aufgabe, den derzeit besten verfügbaren Stand der Erkenntnisse wiederzugeben. Es handele sich dabei um Fachkonventionen, die auf der Grundlage des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik sowie methodisch nachvollziehbar unter Beteiligung der relevanten Fachkreise herzuleiten seien. Das Bundesverwaltungsgericht habe Fachkonventionen zur Konkretisierung umweltrechtlicher Vorschriften immer wieder anerkannt. Von ihnen könne nur bei ausführlicher Begründung abgewichen werden. Eine einzelne divergierende wissenschaftliche Meinung genüge nicht, um eine solche Konvention ins Wanken zu bringen. Die Rechtfertigung einer Fachkonvention beruhe nicht auf dem Nachweis einzelner wissenschaftlicher Forschungsarbeiten, sondern liege im Prozess ihrer Erarbeitung durch Beteiligung eines weiten Kreises von Experten.

Auch habe die vorgetragene Kritik am Abschneidekriterium im vorliegenden Fall keine Relevanz, weil das Vorhaben lediglich eine rechnerische Belastung von 0,03 kg N/ha/a verursache und damit den Abschneidewert um den Faktor 10 unterschreite. Die Verträglichkeitsprüfung verlange kein Nullrisiko.

Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend sei eine Summationsbetrachtung mit anderen Vorhaben nicht vorgenommen worden. Diese Bewertungskriterien seien auch durch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bestätigt worden. Die Immissionsbelastung verbleibe hier ausweislich des Immissionsschutzgutachtens unterhalb von 0,1 kg N/ha/a und damit wesentlich unterhalb der Grenze, bis zu der eine Zurechnung noch möglich sei.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Ergänzungs- und Widerspruchsbescheids ist rechtmäßig und verletzt weder den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) noch steht ihm ein von einer subjektiven Rechtsverletzung unabhängiger Aufhebungsanspruch wegen Verletzung einer dem Umweltschutz dienenden und seinen satzungsmäßigen Aufgabenbereich berührenden Rechtsvorschrift zu (vgl. § 2 Abs. 1 UmwRG).

Rechtsgrundlage der erteilten Baugenehmigung ist § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO. Danach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Die genehmigungsbedürftige Tierhaltungsanlage (vgl. § 59 Abs. 1 NBauO) steht in Einklang mit dem zu prüfenden öffentlichen Baurecht.

1. Fehler der FFH-Vorprüfung sind nicht erkennbar.

a. Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG (bzw. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-Richtlinie) sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Hierüber ist in einer Vorprüfung zu entscheiden. Die dabei anzulegenden Maßstäbe sind nicht identisch mit den Maßstäben für die Verträglichkeitsprüfung selbst. Bei der Vorprüfung ist nur zu untersuchen, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebietes ernstlich zu besorgen sind. Erst wenn das zu bejahen ist, schließt sich die Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an (vgl. BVerwG, B. v. 26.11.2007, 4 BN 46/07, juris Leitsatz, Rn. 11). Die Vorprüfung, für die kein formalisiertes Verfahren vorgegeben ist (vgl. Bay. VGH, U. v. 15.03.2021, 8 A 18.40041, juris Rn. 38), zielt darauf ab, ob eine erhebliche Beeinträchtigung schon ohne vertiefte Prüfung, etwa anhand objektiver Umstände, ausgeschlossen werden kann; sie hat sich auf eine Offensichtlichkeitskontrolle zu beschränken und darf hinsichtlich ihrer Prüftiefe nicht einer FFH-Verträglichkeitsprüfung gleichkommen. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht, denn das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Eine FFH-Vorprüfung ist ausreichend und eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht erforderlich, wenn keine vernünftigen Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen (vgl. VG Sigmaringen, B. v. 27.03.2020, 5 K 3036/19, juris Rn. 85 m.w.N.). § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verlangt keine formalisierte Durchführung der FFH-Vorprüfung, sondern regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist. Fehlen diese Voraussetzungen, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Gebiets ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so ist der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung nicht rechtsfehlerhaft. Es kommt daher nicht auf das Verfahren, sondern auf die Tragfähigkeit der Ergebnisse an (vgl. OVG NRW, U. v. 18.06.2019, 2 D 53/17.NE, juris Rn. 42-49).

Die FFH-Vorprüfung hat bei Stickstoffeinträgen durch Tierhaltungsanlagen grundsätzlich in drei Schritten zu erfolgen. (1) In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob in dem Bereich, in dem die anlagenbedingte Zusatzbelastung durch Stickstoffeinträge gemäß der Immissionsprognose mehr als das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a beträgt, ein FFH-Gebiet liegt. Hierzu ist die Depositionsrate von 0,3 kg N/ha/a als Isolinie in einer Karte mit dem FFH-Gebiet darzustellen. (2) In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob in dem betroffenen FFH-Gebiet stickstoffempfindliche LRT des Anhangs I der FFH-Richtlinie generell vorkommen. Eine genauere Lokalisierung der LRT ist nicht Aufgabe der FFH-Vorprüfung. Dies erfolgt erst auf der Stufe der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Soweit innerhalb der von der 0,3 kg N/ha/a-Isolinie erfassten Flächen ein FFH-Gebiet liegt, in dem stickstoffempfindliche LRT generell vorkommen, ist regelmäßig eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich. (3) Die Entbehrlichkeit einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kann sich gleichwohl noch aus der in einem dritten Schritt zu prüfenden 3-%-Irrelevanzschwelle ergeben. Insoweit ist zu prüfen, ob die anlagenbedingten Stickstoffeinträge nach Maßgabe der Irrelevanzschwelle von 3 % des jeweiligen Critical Loads, der für die in dem betroffenen FFH-Gebiet generell vorkommenden LRT anzusetzen ist, irrelevant sind (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 08.06.2018, 2 L 11/16, juris Rn. 150-153).

b. Nach diesen Maßstäben beurteilt, ist das Ergebnis der FFH-Vorprüfung des Beklagten, dass keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, nicht zu beanstanden. Eine Ermittlung der im FFH-Gebiet "J. L." vorkommenden LRT ist nicht erforderlich gewesen, weil das FFH-Gebiet außerhalb des Einwirkungsbereichs der streitbefangenen Anlage liegt, mithin die Prüfung bereits in dem ersten der drei soeben genannten Schritte beendet werden konnte. Der Einwirkungsbereich bestimmt sich anhand des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a (dazu sogleich). Nach den von den Beteiligten insofern nicht angegriffenen Darstellungen im Immissionsschutzgutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 20.06.2020 (vgl. Bl. 181 VV FD6-56-03469-20) endet der Einwirkungsbereich in einem geraumen Abstand nördlich des FFH-Gebiets. Am Rand des damals in den Blick genommenen, ca. 850 m entfernten FFH-Gebiets wird - schon ohne Berücksichtigung der zur Nebenbestimmung der Baugenehmigung gemachten Aufgabe der übrigen Tierhaltung - lediglich eine Stickstoffdeposition von 0,02 bzw. 0,03 kg N/ha/a prognostiziert.

Auch eine Berücksichtigung der vom Kläger beanstandeten Flächen, die durch die Verordnung vom 22.03.2021 über das Naturschutzgebiet "J. L." zusätzlich unter Schutz gestellt worden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis, da diese Flächen ebenfalls noch weit außerhalb des Einwirkungsbereichs liegen. Die 0,1 kg-N/ha/a-Isoplethe verläuft mit beträchtlichen Abstand nördlich hiervon (vgl. ebenda). Auf die Frage, ob diese erst 2021 unter Schutz gestellten Flächen im Zeitpunkt der Vorprüfung bzw. Genehmigungserteilung bzw. letzten behördlichen Entscheidung bereits als Flächen mit dem einem FFH-Gebiet entsprechenden Schutzstatus hätten berücksichtigt werden müssen, kommt es daher nicht an.

Die im Immissionsschutzgutachten anhand des Abschneidekriteriums festgestellten Grenzen des Einwirkungsbereichs werden durch den klägerischen Einwand, dass nicht sämtliche vorhabenbezogenen Stickstoffbeiträge, insbesondere das Ausbringen des Festmists, berücksichtigt worden seien, nicht in Frage gestellt. Zum einen sind die mit der Ausbringung des in der Anlage anfallenden Festmists verbundenen Ammoniakemissionen dem Vorhaben schon deshalb nicht zurechenbar, weil der Festmist nicht zwingend auf den eigenen Flächen ausgebracht werden muss. Vielmehr ist nach § 41 Abs. 2 NBauO i.V.m. DüV lediglich der Nachweis der ordnungsgemäßen Verwertung des Wirtschaftsdüngers zu führen, was auch die Verbringung auf betriebsfremde Flächen nicht ausschließt (vgl. VG Osnabrück, U. v. 21.01.2016, 2 A 1646/13, juris Rn. 50) und hier auch zumindest teilweise vorgesehen ist (vgl. Abgabevertrag vom 04.03.2019 sowie Stellungnahmen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 08.04.2019 und 17.07.2019, Bl. 276ff., 287ff., 303ff. VV FD6-56-6043-18). Zum anderen lässt sich der ergänzenden Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 08.10.2020 entnehmen, dass mit der mit dem Vorhaben einhergehenden Umstellung des Betriebs von konventioneller auf ökologische Flächenbewirtschaftung eine erhebliche Reduzierung des durch die Düngung emittierten (gasförmigen) Stickstoffs verbunden ist.

c. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass der Beklagte eine FFH-Vorprüfung auch tatsächlich durchgeführt hat. Zwar verweist der Vermerk des Fachdienstes "Planen und Bauen - Immissionsschutz" vom 19.03.2019 darauf, dass eine Einschätzung der Stickstoffeinträge in die Ökosysteme im Rahmen der naturschutzrechtlichen Belange (FFH-Gebiete, Feuchtbiotope) noch durch die Untere Naturschutz- und Waldbehörde erfolgen müsse, ohne das sich im weiteren Verwaltungsvorgang des Ausgangsverfahrens hierzu eine entsprechende Stellungnahme findet. Jedoch hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sich die Untere Naturschutzbehörde mit der Frage der FFH-Verträglichkeit bereits in einem vorangegangenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren befasst habe (vgl. auch Aktenvermerk des Fachdienstes "Planen und Bauen - Immissionsschutz" vom 07.10.2020) und diese Frage nochmals Gegenstand dienstlicher Besprechungen mit jener gewesen sei, ohne dass deren (erneute) Befassung dokumentiert worden sei. Das genügt den Anforderungen an das nicht formalisierte, nur auf seine Ergebnisrichtigkeit zu überprüfende Vorprüfungsverfahren. Im Übrigen wären eventuelle Fehler des Vorprüfungsverfahrens durch die Stellungnahme des Fachdienstes "Umwelt - Naturschutz & Wald" im Widerspruchsverfahren (vgl. E-Mail vom 14.02.2020, Bl. 42 WA) geheilt. Eine unterbliebene oder fehlerhafte FFH-Vorprüfung kann auch während des Vorverfahrens noch nachgeholt werden; das ergibt sich im Wege eines Erst-Recht-Schlusses daraus, dass selbst die Nachholung einer unterbliebenen FFH-Prüfung grundsätzlich noch im Rahmen des ergänzenden Verfahrens möglich ist (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 08.06.2018, 2 L 11/16, juris Rn. 259-261).

2. Das Bauvorhaben hat auch keine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebiets "J. L." in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen i.S.d. § 34 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-Richtlinie zur Folge. Der nach der Immissionsprognose theoretisch zu erwartende Stickstoffeintrag durch das Bauvorhaben (ohne Aufgabe der übrigen Tierhaltung) in das FFH-Gebiet von weniger als 0,1 kg N/ha/a ist nicht geeignet, eine solch erhebliche Beeinträchtigung hervorzurufen, da er erheblich unter dem Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a liegt, mithin sich das FFH-Gebiet (auch in seinen Grenzen von 2021) deutlich außerhalb des Einwirkungsbereichs der Anlage befindet.

a. Dieses in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte Abschneidekriterium begegnet nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung der dagegen vom Kläger vorgetragenen Einwendungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Begründung des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a ausgeführt, dass unterhalb dieser Schwelle die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar ist und sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen lassen (vgl. BVerwG, U. v. 23.04.2014, 9 A 25/12, juris Rn. 45). Das vorhabenbezogene Abschneidekriterium dient vor allem der Ermittlung des Einwirkungsbereichs und des Untersuchungsraums in der FFH-Prüfung. Es kennzeichnet die Höhe der Stickstoffdeposition, ab der diese nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft einer bestimmten Quelle oder einem bestimmten Vorhaben valide zugeordnet werden kann. Der vorhabenbedingte Eintrag muss nicht nur messtechnisch nachweisbar sein, sondern sich auch hinreichend von der Hintergrundbelastung abgrenzen und unter Berücksichtigung der mit der Ermittlung der Gesamtbelastung verbundenen Unsicherheiten statistisch unterscheiden lassen, um ihm eine eigene "Wirkung" auf das FFH-Gebiet zuschreiben zu können. Dies ist auch zur Validierung der zur Ausbreitungsberechnung herangezogenen und von zahlreichen weiteren Eingabefaktoren abhängigen Rechenmodelle erforderlich. Bei Depositionsraten, die bei 0,3 kg N/ha/a oder darunter liegen, lässt sich kein kausaler Zusammenhang zwischen Emission und Deposition herstellen, der Eintrag liegt unterhalb nachweisbarer Wirkungen auf die Schutzgüter der FFH-Richtlinie. Maßgebend für den Wert des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a ist nicht allein die Grenze des theoretisch messtechnisch Ermittelbaren, sondern die Möglichkeit der Zuordnung der Stickstoffdeposition zu einer bestimmten Quelle. Fehlt es daran, lässt sich auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Beeinträchtigung durch diese Quelle nicht begründen; deren Auswirkungen bleiben vielmehr rein hypothetisch. Dies genügt im Rahmen der habitatschutzrechtlichen Verträglichkeitsprüfung nicht (vgl. BVerwG, U. v. 12.06.2019, 9 A 2/18, juris Rn. 70-71).

Der Abschneidewert, wie er sowohl im Forschungsbericht "Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope" (Balla et al., 2013, "BASt-Bericht 2013") als auch im in den "Hinweisen zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Straßen" (FGSV, 2019, "Stickstoffleitfaden Straße 2019") aufgeführt sind, spiegelt die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Ermittlung der Belastung durch Stickstoffeinträge in geschützte Lebensräume wider (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 32). Das (BASt-)Forschungsvorhaben verfolgte das Ziel, eine Methode zur Erfassung und Bewertung von Stickstoffeinträgen im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfungen für den Neu- oder Ausbau von Straßen zu entwickeln. Hierfür sollte es einen aktuellen Überblick zum Wissensstand geben und daraus methodische Empfehlungen ableiten. An dem Vorhaben haben zahlreiche ausgewiesene Fachleute mitgearbeitet. Zur Konventionsbildung wurden zudem zahlreiche Expertengespräche durchgeführt. Neben regelmäßigen Treffen des Fachbetreuerkreises zum FE-Vorhaben wurden zwei Sitzungen eines projektbegleitenden Arbeitskreises sowie ein zweitägiges Expertengespräch mit ausgewählten externen Wissenschaftlern und Fachleuten aus der Genehmigungspraxis abgehalten (vgl. BVerwG, U. v. 23.04.2014, 9 A 25/12, juris Rn. 37). An diesem im Rahmen des (BASt-)Forschungsprojekts entwickelten und in der Folgezeit naturschutzfachlich weiter diskutierten Ansatz hat der Stickstoffleitfaden in seiner Endfassung von 2019 in Kenntnis der dazu insbesondere von Naturschutzverbänden geäußerten Bedenken festgehalten (vgl. BVerwG, U. v. 12.06.2019, 9 A 2/18, juris Rn. 69). Der "Stickstoffleitfaden Straße 2019" besitzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Status einer Fachkonvention, die von den Gerichten ihren Entscheidungen zugrunde gelegt werden darf, weil die Grenzen der gerichtlich möglichen und gebotenen Aufklärung und Kontrolle insoweit erreicht sind. Der "Stickstoffleitfaden Straße 2019" basiert auf einem Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und wurde von einem Gremium fachkundiger Wissenschaftler in einem mehrjährigen Abstimmungsprozess unter Einbeziehung maßgeblicher Expertenkreise und Beteiligung der Öffentlichkeit erstellt, wobei auch die Naturschutzverbände ihre Stellungnahmen abgegeben und Bedenken vorgebracht haben. Einbezogen in den Prozess waren auch die staatlichen Fachgremien der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaften Immissionsschutz (LAI) und Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA), mit denen die Anwendbarkeit des Leitfadens für immissionsschutzrechtliche Vorhaben koordiniert wurde. Die im Leitfaden zusammengefassten "Hinweise" beruhen damit auf einem breiten wissenschaftlichen Konsens. Dafür, dass es derzeit bessere wissenschaftliche Erkenntnisse geben könnte, die geeignet wären, Methodik, Grundannahmen oder Schlussfolgerungen des Stickstoffleitfadens substantiell in Frage zu stellen oder gar zu widerlegen, gibt es keine Anhaltspunkte (vgl. BVerwG, U. v. 21.01.2021, 7 C 9/19, juris Rn. 23). Allein der pauschale Verweis auf andere Auffassungen einzelner Wissenschaftler genügt nicht (BVerwG, U. v. 23.04.2014, 9 A 25/12, juris Rn. 37).

(2) Zwar bestehen erhebliche Zweifel, ob die dem "BASt-Bericht 2013" (vgl. S. 94 Fn. 83) zugrunde gelegten niedrigsten "Nachweisgrenzen von Konzentrationsmessgeräten für Außenluft oder Abgasluft" von 0,4 μg NOx/m3 ("Thermo-Analysator Modell 42V") bzw. 0,14 μg NH3/m3 ("Prometh") - auch schon im Zeitpunkt der Erstellung des Forschungsberichts - tatsächlich die niedrigsten Nachweisgrenzen der (damals) verfügbaren Geräte (gewesen) sind. So wird in dem von der Klägerseite vorgelegten PASSAMMONI-Abschlussbericht des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hildesheim vom 20.06.2012 (vgl. S. 21) das Messgerät "Minidenuder-System" des Umweltbundesamtes als Messgerät mit der niedrigsten Nachweisgrenze von 0,02 μg NH3/m3 genannt. Auch der Aufsatz "Der Abschneidewert für Stickstoffeinträge im Habitatschutz" von Hacker et al. (NuR 2021, 729ff., "Hacker et al.") enthält eine Auflistung von weit überwiegend bereits 2013 verfügbaren Messgeräten (vgl. S. 734), die wesentlich niedrigere Nachweisgrenzen haben sollen (insbesondere "Ecophysics CLD790SR" aus 2011 mit 0,002-0,004 μg NOx/m3 und "Picarro G2103" aus 2012 mit 0,014 μg NH3/m3 / 20 ppt). Hinsichtlich des zuletzt genannten Messgeräts "Picarro G2103" ist allerdings anzumerken, dass sich die in dem Aufsatz angegebene Nachweisgrenze in der im Internet verfügbaren Produktbeschreibung des Herstellers (https://www.picarro.com/support/library/documents/g2103_analyzer_datasheet) so nicht wiederfindet. Dort wird als "Lower Detection Limit (3 σ, 300 sec)" "0.03 ppb" ("Typical Performance", 30 ppt) bzw. "<0.09 ppb" ("Specification", <90 ppt) angegeben. "Typical Performance" wird als Hälfte der Resultate einer Testreihe mit 49 Geräten definiert, mithin nicht als garantierte Produkteigenschaft. Selbst wenn auf die als garantierte Produkteigenschaft angegebene Nachweisgrenze des Geräts von <90 ppt abgestellt wird, liegt diese Nachweisgrenze allerdings noch deutlich unter der im "BASt-Bericht 2013" zugrunde gelegten Nachweisgrenze von 0,14 μg NH3/m3 (198 ppt).

(3) Nach Auffassung der Kammer wird hierdurch jedoch die Plausibilität der Herleitung des Abschneidekriteriums nicht durchgreifend in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgerichts hat im Urteil vom 12.06.2019 (9 A 2/18, juris Rn. 71) bereits darauf hingewiesen, dass "nicht allein die Grenze des messtechnisch Ermittelbaren", sondern die Möglichkeit der Zuordnung der Stickstoffdeposition zu einer bestimmten Quelle maßgebend ist. Mithin geht es um eine Nachweisgrenze, die eine valide Zuordnung von Stickstoffdepositionen zu einer bestimmten Quelle mit vertretbarer Genauigkeit und eindeutiger Abgrenzbarkeit von der Hintergrundbelastung erlaubt (vgl. BVerwG, U. v. 21.01.2021, 7 C 9/19, juris Rn. 29; OVG NRW, U. v. 16.06.2016, 8 D 99/13.AK, juris Rn. 562), und nicht um eine Nachweisgrenze, die unter optimalen Bedingungen und bei Auswahl selektiver Messergebnisse geradeso einen Nachweis ermöglicht. Letztlich stützt sich das Abschneidekriterium nicht allein auf die messtechnische Nachweisgrenze, sondern "orientiert" (vgl. BVerwG, ebenda) sich lediglich daran. Entscheidend tritt hinzu, dass es sich zugleich auch um die Wirkungsschwelle von Stickstoffdepositionen handelt, d.h. um die Grenze, unterhalb derer keine konkreten Effekte in Vegetationsbeständen mehr beobachtet werden können (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 35; Balla et al., "Stickstoffeinträge in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Critical Loads, Bagatellschwelle und Abschneidekriterium", Waldökologie, Landschaftsforderung und Naturschutz 2014, 43ff., 48 [" Balla et al. 2014"]; "BASt-Bericht 2013", S. 94). Dass der Abschneidewert von 0,3 kg N/ha/a weit unterhalb einer sicheren Ursache-Wirkung-Relation liegt, verdeutlicht auch der Umstand, dass die meisten experimentellen wissenschaftlichen Studien zu den Einflüssen zusätzlicher Stickstoffeinträge auf die Vegetation mit Stickstoffabgaben in Stufen von mindestens 5 bis 10 kg N/ha/a arbeiten (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 38; "Balla et al. 2014", S. 48).

(4) Die übrigen klägerischen Einwendungen teilt das erkennende Gericht nicht.

Die Kammer vermag keinen Widerspruch darin zu erkennen, dass bei besonders empfindlichen LRT mit Critical Loads von unter 10 kg N/ha/a das Abschneidekriterium oberhalb der Bagatellgrenze von 3 % der CL liegt (3 % von 10 kg N/ha/a = 0,3 kg N/ha/a). Denn auch insofern gilt, dass Stickstoffdepositionen in besonders empfindliche LRT, die zwar oberhalb der Bagatellgrenze, jedoch unterhalb des Abschneidewerts liegen, lediglich theoretische, nicht mess- und validierbare Besorgnisse darstellen, die keine wirkseitige Zuordnung erlauben. Mithin geht in diesen Fällen das Abschneidekriterium der Bagatellgrenze vor (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 33).

Auch der recht pauschale klägerische Einwand, dass der "BASt-Bericht 2013" für Stickoxid(NOx)-Einträge durch den Straßenverkehr und nicht für Ammoniak(NH3)-Einträge durch Stallanlagen entwickelt worden sei (und dessen Erkenntnisse daher nicht übertragbar seien), verfängt nicht, da sich dieser ausdrücklich auch mit Ammoniakimmissionen und den diesbezüglichen Nachweisgrenzen von Messgeräten auseinandersetzt (vgl. "BASt-Bericht 2013", S. 94, 219).

Zudem vermag die Kammer auch dem klägerischen Vorbringen, dass der "Stickstoffleitfaden Straße 2019" mit Verweis auf den deutlich niedrigeren "niederländischen Abschneidewert" entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht der aktuell beste wissenschaftliche Erkenntnisstand sei, nicht zu folgen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu bereits ausgeführt, dass der niederländische Schwellenwert von 1 mol/ha/a eine rechnerische Größe ist, die sich aus dem Konzept des niederländischen Bewirtschaftungsprogramms (Gebietsmanagement im Rahmen einer programmatischen Globalprüfung zur Koordination der Stickstoffeinträge) erklärt, die jedoch dem an der Messbarkeitsgrenze orientierten Abschneidekriterium nicht vergleichbar ist (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 40-41).

Der klägerische Hinweis darauf, dass sich statistische Unsicherheiten durch Erhöhung der Anzahl der Messungen verringern ließen (ebenso der Aufsatz von Hacker et al., S. 735), trifft zwar für sich genommen zu, stellt jedoch die Argumentation im "BASt-Bericht 2013" (S. 93) bzw. im Aufsatz von "Balla et al. 2014" (S. 49-50), dass sehr kleine Zusatzbelastungen, die innerhalb der Modell- und Messunsicherheitsbereiche der Ermittlung der Hintergrundbelastung bzw. innerhalb der jährlichen Schwankungen der Messdaten an Hintergrundmessstationen liegen, nur eine eingeschränkte Aussagekraft haben, nicht schlüssig in Frage. Soweit es um die prognostische Berechnung der Hintergrund- und Zusatzbelastung geht, ändert die Reduzierbarkeit statistischer Messunsicherheiten nichts daran, dass die der Prognose zugrunde zu legenden Modellannahmen immer nur der Wirklichkeit angenähert werden können, mithin mit einer gewissen Modellierungsunsicherheit verbunden sind. In Bezug auf die messtechnische Ermittlung der Hintergrund- und Zusatzbelastung dürfte eine so große - und über das gesamte Jahr zu verteilende - Anzahl an Messungen ebenso wenig wie eine Kennzeichnung der Emissionen (von Tieren) mit "Tracerstoffen" praxistauglich sein.

Inwiefern im "BASt-Bericht 2013" auf den "Jahresmittelwert der Konzentration" abgestellt und dadurch die Nachweisgrenze "künstlich verschlechtert" wird (so auch Aufsatz "Hacker et al.", S. 734), lässt sich für das Gericht schon deshalb nicht nachvollziehen, weil der Aufsatz diesbezüglich keine konkrete Textstelle des "BASt-Berichts 2013" benennt. Soweit in Letzterem (S. 94) auf einen Vermerk des LANUV Bezug genommen und ausgeführt wird, dass dieses von "einer Messunsicherheit für Außenluft im Jahresmittelwert von 1 μg/m3" ausgehe und nach Umrechnung auf Werte von 0,3 (NO2) bis 3 (NH3) kg N/ha/a komme, handelt es sich lediglich um eine verifizierende Vergleichsbetrachtung bezüglich der Herleitung des Abschneidekriteriums durch eine andere Institution.

Die vom Kläger vorgetragene und auch im Aufsatz von Hacker et al. (S. 736) ausgeführte Kritik, dass der "BASt-Bericht 2013" und der "Stickstoffleitfaden Straße 2019" keine wissenschaftlichen Studien als Beleg für den Nachweis einer Wirkungsschwelle anführten, trifft in dieser Pauschalität schon nicht zu, da der "BASt-Bericht 2013" (S. 218, Fn. 128) zumindest auf die Studie "Untersuchungen des Zustandes von Ökosystemen im Alpenvorland entlang von Gradienten des Stickstoffeintrags" (Kirchner et al., 2006) verweist. Der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 23.04.2014, 9 A 25/12, juris Rn. 45) ergänzend zur Begründung herangezogenen Aufsatz von "Balla et al. 2014" (S. 48) benennt im Übrigen weitere Studien, die sich mit der Nachweisbarkeit von physiologischen Effekten bzw. der Verschiebungen in der Artenzusammensetzung im Nahbereich von Autobahnen beschäftigen.

(5) Hinzu kommt, dass sich der Kläger darauf beschränkt, den als Fachkonvention anerkannten "BASt-Bericht 2013" zu kritisieren, ohne bessere wissenschaftliche Erkenntnisse zu benennen, aus denen sich ein niedrigerer Abschneidewert nachvollziehbar ableiten ließe. Auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Auszüge aus einem Abschlussbericht des Umweltbundesamtes und einem Endbericht des Öko-Institut e.V. erschöpfen sich in der Anmeldung von Zweifeln an der Europarechtskonformität des Abschneidekriteriums. Selbst wenn die erläuterten Zweifel an der Plausibilität des Berichts hinsichtlich der Gerätemessgrenzen berücksichtigt und weitere Unzulänglichkeiten im Sinne der klägerischen Kritik unterstellt werden, verbleibt es dabei, dass der "BASt-Bericht 2013" - soweit für das Gericht erkennbar - den weiterhin aktuellen Stand der Wissenschaft widerspiegelt.

(6) Das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie (RL 92/43/EWG). Der Europäische Gerichtshof hat zur grundsätzlichen Vereinbarkeit von Irrelevanzschwellen mit dieser Vorschrift ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen programmatischen Regelung nicht entgegensteht, die bestimmte Projekte, die in Bezug auf Stickstoffablagerungen einen bestimmten Schwellenwert nicht erreichen oder einen bestimmten Grenzwert nicht überschreiten, vom Erfordernis einer Einzelgenehmigung befreit, wenn sich das nationale Gericht vergewissert hat, dass die im Voraus durchgeführte angemessene Prüfung im Sinne dieser Bestimmung das Kriterium erfüllt, dass kein vernünftiger wissenschaftlicher Zweifel daran besteht, dass diese Pläne oder Projekte keine schädlichen Auswirkungen auf die betreffenden Gebiete als solche haben (vgl. U. v. 07.11.2018, C-293/17, juris Leitsatz 4). Mangels Nachweisbarkeit eines Wirkungszusammenhangs zwischen Stickstoffdepositionen unterhalb des Abschneidewerts von 0,3 kg N/ha/a und Vegetationsveränderungen bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass Vorhaben, die mit derart niedrigen Stickstoffdepositionen verbunden sind, keine schädlichen Auswirkungen zeitigen.

Aus dem gleichen Grunde steht auch die in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung verankerte Schutzpflicht in Bezug auf die natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere dem Abschneidekriterium nicht entgegen.

b. Hinsichtlich des klägerischen Einwands, dass die Anwendung des Abschneidekriteriums auf jedes einzelne von mehreren Vorhaben zu einer insgesamt nicht mehr bagatellhaften (Gesamt)zusatzbelastung, mithin zu einem "Tod durch 1.000 Schnitte", führe, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits ausgeführt (U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 34 - 39):

"(2) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist der Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) auch in den Fällen kumulativer Stickstoff-Belastungen durch mehrere Vorhaben zugrunde zu legen (offen gelassen in BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - juris).

(2.1) Der Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts an der Messunsicherheit orientiert (juris Rn. 593). Unterhalb dieser Grenze ist die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der Hintergrundbelastung abgrenzbar. Stickstoffeinträge unterhalb des Abschneidewerts können nicht mehr mit Messungen belegt und die modellierten Werte damit nicht validiert werden. Es geht dabei um so geringe Größenordnungen, dass konkrete Effekte in Vegetationsbeständen nicht beobachtet worden sind. Der BASt-Bericht spricht von theoretischen Zusatzbelastungen, die auch unter konservativen Annahmen einem Vorhaben nicht zugeordnet werden können. Unter Zugrundelegung der niedrigsten Nachweisgrenze liegt der Abschneidewert für Stickstoffeinträge umgerechnet bei einer Größenordnung von 0,5 kg N/(ha*a) (juris Rn. 563). Um auf der sicheren Seite zu sein, ist der Abschneidewert in der Größenordnung der (gerundet) halben Nachweisgrenze von 0,3 kg N/(ha*a) festgelegt worden (juris Rn. 563).

(2.2) Ausgehend von dieser Ableitung ist es nicht gerechtfertigt, den Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) für eutrophierende Stickstoffeinträge im Hinblick auf Summationswirkungen mehrerer Vorhaben abweichend von dem BASt-Bericht niedriger festzusetzen und zusätzlich in Einzelfällen schutzgutbezogene Sonderprüfungen vorzunehmen. Die Verträglichkeitsprüfung nach § 48d Abs. 3 LG NRW, § 34 Abs. 1 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL knüpft an die Eignung eines Projekts oder Planes an, das Natura-2000 Gebiet zu beeinträchtigen. Es bedarf insoweit nicht des Nachweises eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Projekt oder Plan und der erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer solchen Störung muss aber gegeben ("nachweisbar") sein (EuGH, Urteile 14. Januar 2016 - C-141/14 [ECLI:EU:C:2016:8], Kommission/Bulgarien - Rn. 58 und vom 24. November 2011 - C-404/09 - Rn. 142; BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 - BVerwGE 149, 289 Rn. 45). Rein theoretische Besorgnisse sind daher nicht zu berücksichtigen. Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip, das in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL seinen Niederschlag gefunden hat (Art. 191 Abs. 2 Satz 2 AEUV, vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 [ECLI:EU:C:2004:482], Raad van State/Niederlande - Rn. 58), verlangt auch nicht, die Verträglichkeitsprüfung auf ein Nullrisiko auszurichten, weil hierfür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Ein Projekt ist vielmehr dann zulässig, wenn nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel verbleibt, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Um zu einer verlässlichen Beurteilung zu gelangen, muss die Verträglichkeitsprüfung die "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" berücksichtigen und setzt somit die "Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen" voraus (BVerwG, Urteil vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 - BVerwGE 146, 145 Rn. 41; EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - C-239/04 [ECLI:EU:C:2006:6653], Kommission/Portugal - Rn. 20). Hieran gemessen kann es für die Festlegung des Untersuchungsgebietes einer FFH-Verträglichkeitsprüfung und damit der in der Summationsprüfung zu berücksichtigenden Projekte nicht auf einen messtechnisch nicht erfassbaren Stickstoffeintrag ankommen.

(2.3) Ein aufgrund von Rechenmodellen ermittelter, empirisch aber weder nachweisbarer noch wirkseitig zuordenbarer Eintragswert, stellt eine rein theoretische Besorgnis dar. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist dieser dem BASt-Bericht zugrunde liegende Ansatz nicht nur plausibel, soweit er sich auf ein Vorhaben bezieht. Auch eine Vielzahl nicht mess- und validierbarer Besorgnisse führt nicht auf einen wirkseitig einem Projekt anzulastenden Betrag. Messunsicherheiten kumulierender Projekte lassen sich daher entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts nicht addieren. Eine Addition unterhalb der Nachweisgrenze liegender modellierter und damit hypothetischer Einträge änderte an dem mangelnden Wirknachweis in Bezug auf ein Projekt nichts. Solange sich nicht klären lässt, ob, und wenn ja, in welcher Höhe, Einträge überhaupt existieren und welchen Quellen sie entstammen, lässt sich auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung feststellen. Solche "Einträge" wirken vielmehr diffus und sind allenfalls als Teil der Hintergrundbelastung abbildbar (vgl. Balla, Bernotat, Frommer, Garniel, Geupel, Hebbinghaus, Lorentz, Schlutow, Uhl, Stickstoffeinträge in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Critical Loads, Bagatellschwelle und Abschneidekriterium, Waldökologie, Landschaftsforschung und Naturschutz, 2014 S. 43 <51>). Es ist aber nicht Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung, vorhabenbezogen Maßnahmen zur Verbesserung der Hintergrundbelastung durch Stickstoff zu prüfen und festzusetzen. Dies ist vielmehr Aufgabe des Gebietsmanagements (vgl. auch Weuthen, ZUR 2017, 215).

(2.4) Dass unterhalb der Nachweisgrenze von 0,3 kg N/(ha*a) liegende Flächen bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn in einem räumlichen Zusammenhang mehrere Projekte verwirklicht werden sollen, ist vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Vorsorgeprinzips nicht zu beanstanden. Das Abschneidekriterium trägt diesem dadurch Rechnung, dass es einen deutlich unterhalb der Nachweisgrenze liegenden Wert verwendet und hierdurch bereits selbst die Betrachtung der Auswirkungen des Projekts in einen hypothetischen Bereich vorverlagert und damit den einzubeziehenden Untersuchungsraum vorsorglich wesentlich vergrößert. Dass der verwendete Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) weit unterhalb einer sicheren Ursache-Wirkung-Relation liegt, verdeutlicht auch der Umstand, dass die meisten experimentellen wissenschaftlichen Studien zu den Einflüssen zusätzlicher Stickstoffeinträge auf die Vegetation mit Stickstoffabgaben in Stufen von mindestens 5 bis 10 kg N/ (ha*a) arbeiten (OVG, juris Rn. 558).

(2.5) Dem Oberverwaltungsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, dass es eine Reduzierung des Abschneidewerts mit Blick auf die Sonderfälle für geboten erachtet, in denen der Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) der 3 % - Bagatellschwelle entspricht oder sogar darüber liegt. Auch für Lebensraumtypen mit sehr niedrigen Critical Loads genügen rein theoretische Besorgnisse nicht, um einer Vorhabenzulassung entgegengehalten werden zu können. An der fehlenden Validierbarkeit modellhaft ermittelter Einträge und der fehlenden Unterscheidbarkeit von zufälligen Variationen der Hintergrundbelastung ändert sich auch in diesen Fällen nichts."

Dem schließt sich die Kammer an. Das hierin enthaltene Kernargument, dass auch eine Vielzahl nicht mess- und validierbarer Besorgnisse nicht zu einem wirkseitig einem Projekt anzulastenden Beitrag führt, ist durch den Kläger nicht schlüssig in Frage gestellt worden. Im Übrigen hat er nicht einmal dargelegt, dass überhaupt ein noch nicht realisiertes - und damit überhaupt kumulierendes - Vorhaben in der näheren Umgebung des streitbefangenen Vorhabens geplant ist. Bei den in der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 06.10.2020 genannten, seit 2015 hinzugekommenen Tierhaltungsanlagen auf den Hofstellen N. und O. handelt es sich um bereits abgeschlossene, nicht kumulierende Vorhaben.

c. Zur Frage der Berücksichtigung aller seit der Unterschutzstellung eines Gebietes zugelassenen und bereits umgesetzten Vorhaben als weitere Zusatzbelastung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 44-51):

"Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Auswirkungen bereits umgesetzter Vorhaben oder bisheriger Nutzungen, die in den Ist-Zustand eingegangen sind, nicht in die Summationsprüfung einzustellen, sondern der Vorbelastung zuzuordnen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Juli 2016 - 9 C 3.16 - Buchholz 406.403 § 34 BNatSchG 2010 Nr. 14 Rn. 55 und vom 9. Februar 2017 - 7 A 2.15 - BVerwGE 158, 1 Rn. 220).

Die Einbeziehung bereits realisierter Vorhaben in die Vorbelastung bewirkt in der Regel keine unzulässige Reduzierung des Schutzniveaus. Vorbelastungen können den Erhaltungszustand so verschlechtern, dass nur noch geringe Zusatzbelastungen toleriert werden können (BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2017 - 7 A 2.15 - BVerwGE 158, 1 Rn. 220). Allerdings kann allein durch die Betrachtung der Vorbelastung nicht stets eine schleichende Verschlechterung eines FFH-Gebiets und der darin vorkommenden Lebensraumtypen und geschützten Arten insbesondere durch wiederholte Inanspruchnahmen von Bagatellschwellen erkannt und verhindert werden ("Tod durch 1 000 Schnitte", vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 22. November 2012 - C-258/11 [ECLI:EU:C:2012:743] - Rn. 67 und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 25. Juli 2018 - C-293/17 und C-294/17 [ECLI:CU:C:2018:622] - Rn. 107).

Eine solche ergänzende Prüfung kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn - wie beim Stickstoff - die vorhabenbedingten Auswirkungen erst zeitverzögert im Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und geschützten Arten ihren Niederschlag finden (siehe Lau, NuR 2016, 149 <151>) und zwischen der Bewertung des Zustandes eines Gebiets im Rahmen des Gebietsmanagements und der Beurteilung der Beeinträchtigung im Rahmen der Vorhabenzulassung kein direkter Zusammenhang besteht (siehe Fellenberg, NVwZ 2019, 177 <182>). Dem Oberverwaltungsgericht ist aber nicht zu folgen, soweit es eine Rückbeziehung der Prüfung auf den Zeitpunkt der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete im Dezember 2004 (vgl. Entscheidung der Kommission vom 7. Dezember 2004 - 2004/813/EG - ABl. L 387 S. 1) für erforderlich erachtet. Zwar kann sich dieser Ansatz auf das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip stützen; er berücksichtigt aber nicht genügend den ebenfalls unionsrechtlich begründeten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

aa) Dem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts liegt, soweit es um eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge geht, der Gedanke einer "Kontingentierung" zugrunde, wonach die Bagatellschwelle - unabhängig vom jeweiligen Erhaltungszustand und der Entwicklung der Stickstoffeinträge - ab der Unterschutzstellung des FFH-Gebiets nur einmal ausgeschöpft werden kann. Hierfür kann zwar angeführt werden, dass eine mehrfache Ausnutzung der Bagatellschwelle zu einer insgesamt nicht mehr bagatellhaften und damit erheblichen Beeinträchtigung führen kann. Insoweit trägt der Ansatz dem Vorsorgeprinzip im Rahmen des Habitatrechts Rechnung. Allerdings sind auch bei mehrfacher Inanspruchnahme der Bagatellschwelle erhebliche Beeinträchtigungen nicht zwangsläufig die Folge. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob ein Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten ein FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen kann, sind die festgelegten Erhaltungsziele des Schutzgebiets. Ein Plan oder Projekt kann nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL nur zugelassen werden, wenn die zuständigen nationalen Behörden unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt auch im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Das ist - wie bereits ausgeführt - dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt (EuGH, Urteile vom 7. September 2004 - C-127/02 - Rn. 54 ff. und vom 26. April 2017 - C-142/16 - Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 62).

Dieses Prüfprogramm erfordert weder zwingend eine starre Kontingentierung der 3 % - Bagatellschwelle noch eine Rückbeziehung der Summationsprüfung auf den Zeitpunkt der Unterschutzstellung. § 34 Abs. 1 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL fordern - wie oben dargelegt - einen Zusammenhang zwischen dem Stickstoffeintrag eines Vorhabens und einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets. Hiervon ausgehend ist es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt, eine Bagatellschwelle nach ihrer Ausnutzung zeitlich unbegrenzt als "verbraucht" anzusehen. Eine solche Sichtweise würde zu unverhältnismäßigen Einschränkungen bei der Vorhabenzulassung führen und dem Grundsatz, dass realisierte Projekte in die Vorbelastung (Hintergrundbelastung) eingehen und hierdurch bei der Verträglichkeitsprüfung hinreichend abgebildet werden, widersprechen. Hohe Vorbelastungen eines Gebiets durch Stickstoff, die die Critical Loads teilweise um ein Mehrfaches überschreiten, können nicht mit Mitteln des Habitatschutzes, sondern nur durch eine effektive Luftreinhaltepolitik reduziert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 93). Lokal wirkende Maßnahmen, wie z.B. die Entnahme von stark stickstoffbindenden Pflanzen im Rahmen des Gebietsmanagements, können ebenfalls zu einer Verbesserung der Stickstoffbelastung führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 52 Rn. 93; weitere Maßnahmenbeispiele in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott im Verfahren C-293/17 und C-294/17, Rn. 65). Auch nach Ausnutzen der Bagatellschwelle von 3 % des Critical Load durch ein oder mehrere nach dem Dezember 2004 genehmigte und realisierte Vorhaben muss sich die Belastungssituation nicht verstetigen oder gar verschlechtern, sondern sie kann sich aufgrund bestimmter globaler und regional wirkender Maßnahmen verbessern. Ist dies der Fall und zeigt die Stickstoffbelastung einen (eindeutig) rückläufigen Trend, wäre es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar, wenn ein nach besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ins Gewicht fallender erneuter Eintrag bis zu 3 % des Critical Loads von vornherein als unzulässig anzusehen wäre. Dies gilt umso mehr, je länger die erstmalige Ausnutzung der Bagatellschwelle zeitlich zurückliegt und je deutlicher sich die Vorbelastung verringert hat.

Gegen eine wiederholte Anwendung der Bagatellschwelle bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2018 - C-293/17 - (Rn. 104, 112) zum niederländischen "Verrechnungsmodell" bei der Stickstoffprüfung in FFH-Gebieten ergibt sich, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL einer Berücksichtigung des Rückgangs übermäßiger Stickstoffablagerungen in FFH-Gebieten zur Ermöglichung der Fortführung oder Entwicklung neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten nicht entgegensteht, soweit sich die zuständigen Behörden Gewissheit verschafft haben, dass aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass keines der erlaubten Projekte schädliche Auswirkungen auf das betreffende Gebiet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - juris Rn. 81; vgl. auch Schlussanträge Generalanwältin Kokott vom 25. Juli 2018 - C-293/17 und C-294/17 - Rn. 79 f.).

bb) Unabhängig davon, dass eine auf das Jahr 2004 bezogene starre Kontingentierung von Bagatelleinträgen nicht gerechtfertigt ist, begegnet der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts auch deshalb Bedenken, weil bei einer bis auf das Jahr 2004 zurückreichenden Prüfung der Bestandsentwicklung der betroffenen Arten und Lebensraumtypen, der jeweiligen Auswirkungsprognosen und insbesondere der Inanspruchnahme der Bagatellschwelle schon die Ermittlung der heranzuziehenden Projekte mit zunehmendem zeitlichen Abstand mit wachsenden Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden sein wird. Die in älteren Genehmigungen enthaltenen Bestandsaufnahmen sowie Emissions- und Immissionsprognosen werden zudem immer weniger eine belastbare und aussagekräftige Grundlage für eine Rückbetrachtung der Entwicklung des Gebiets und der geschützten Arten und Lebensraumtypen darstellen. Es liegt auf der Hand, dass die den älteren Genehmigungen zugrunde liegenden Untersuchungen auf einem Gebietszustand beruhen, der mit dem aktuellen Zustand nur noch eingeschränkt vergleichbar ist (Weuthen, ZUR 2017, 215 <221>). Bereits die Ermittlung des Ausgangszustands der FFH-Gebiete wird wegen der im Zeitpunkt der Unterschutzstellung vielfach fehlenden oder lückenhaften Datenbasis und der primär nicht auf den Erhaltungszustand, sondern die Meldewürdigkeit des Gebiets gerichteten Angaben in den Meldeunterlagen (vgl. hierzu Fellenberg, NVwZ 2019, 177 <181>) erheblichen Schwierigkeiten begegnen. Hinzu kommt, dass Bestandsaufnahmen vor Ort nur Momentaufnahmen von Fauna und Flora darstellen (BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 62) und die Vergleichbarkeit der älteren Genehmigungsunterlagen mit den aktuellen Erkenntnissen durch wissenschaftliche und naturschutzfachliche Erkenntnisfortschritte sowie die seit der Unterschutzstellung erzielten Fortschritte bei der Standardsetzung erschwert wird. So wird bei einem starren Rückbezug auf das Jahr 2004 in der Praxis u.a. ein fast beliebiger Methodenmix beklagt, der die Ergebnisse unvergleichbar mache (Fellenberg, NVwZ 2019, 177 <180>).

cc) Dem Anliegen, Beeinträchtigungen von FFH-Gebieten durch die wiederholte Inanspruchnahme der 3 % - Bagatellschwelle auszuschließen, könnte gegebenenfalls durch einen Rückgriff auf die UBA-Datensätze Rechnung getragen werden. Nach dem aktuellen Stickstoffleitfaden Straße (Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Straßen 2019 [H PSE] S. 35) erfassen die Datensätze seit einigen Jahren deutschlandweit und flächendeckend die Hintergrundbelastung mit Stickstoffdepositionen. Die hierfür verwendeten Eingangsdaten beziehen sich jeweils auf ein Jahr und werden zu Mehrjahresmittelwerten zusammengefasst, um meteorologische Schwankungen über einen längeren Zeitraum zu glätten. In den Datensätzen mit einer räumlichen Auflösung von 1 x 1 km sind alle für die Ermittlung der Hintergrundbelastung relevanten Emissionsquellen und Depositionseinflüsse berücksichtigt. Sie stellen nach Auffassung des Leitfadens für Deutschland die besten einschlägigen wissenschaftlichen Kenntnisse zur Bestimmung der Vorbelastung (Hintergrundbelastung) dar. Gegen die Verwendung der UBA-Datensätze kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass sie zwangsläufig zu einer Verfestigung und Verschlechterung der Stickstoffbelastung führe. Wie dargelegt, kommt eine wiederholte Anwendung des 3 % - Wertes nur dann in Betracht, wenn sich - beispielsweise aus den UBA-Datensätzen - eine (eindeutige) positive Entwicklung der Vorbelastung ableiten lässt. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob sich schleichende Verschlechterungen aufgrund von Projektauswirkungen ergeben können, die noch keinen Niederschlag in diesen Datensätzen gefunden haben (sog. korrigierte Vorbelastung). Ob die UBA-Datensätze insoweit eine hinreichende Entscheidungsgrundlage darstellen und dies gleichermaßen für eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge gilt, ist zuvörderst eine naturschutzfachliche Frage und hier nicht abschließend zu entscheiden."

Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Die von der Klägerseite angeführten und in der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 06.10.2020 aufgelisteten, bereits errichteten Tierhaltungsanlagen sind demnach der Vorbelastung zuzurechnen, die hier mangels relevanter Zusatzbelastung überhaupt nicht ermittelt werden musste. Substantiell neue Argumente gegen diese Vorgehensweise lassen sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen.

d. Das Gericht lässt offen, ob das streitbefangene Vorhaben, selbst wenn das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a als nicht hinreichend wissenschaftlich abgesichert und damit als nicht anwendbar angesehen würde, überhaupt geeignet wäre, erhebliche Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets "J. L." nach sich zu ziehen. Dem Immissionsschutzgutachten vom 20.06.2020 (vgl. Bl. 183 VV FD6-56-03469-20) lässt sich entnehmen, dass die Zusatzbelastung des streitbefangenen Vorhabens - unter Berücksichtigung der zugleich zum Bestandteil der Baugenehmigung gemachten Aufgabe der übrigen Tierhaltung - an der früheren Gebietsgrenze lediglich 0,01 kg N/ha/a beträgt und im Bereich der im Jahr 2021 zusätzlich unter Schutz gestellten Fläche noch geringer (zwischen 0,01 und -0,03 kg N/ha/a) ausfällt. Die Gesamtzusatzbelastung (vgl. Nr. 2.2 Abs. 3 TA Luft 2021) liegt damit um den Faktor 30 unterhalb des Abschneidewerts und fällt fast in den Anwendungsbereich der (zumindest für Geruchsimmissionen anerkannten) "baurechtlichen Verbesserungsgenehmigung" (vgl. BVerwG, U. v. 27.06.2017, 4 C 3/16, juris Rn. 13).

B. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Anregungen zur Vorlage von Fragen an den Europäischen Gerichtshof geben der Kammer keinen Anlass hierzu. Nach Art. 267 Abs. 1 und 2 AEUV entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung der Verträge, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union; wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Eine solche Vorlage ist nicht erforderlich, wenn die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, wenn die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (acte éclairé) oder wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair) (vgl. zu Art. 267 Abs. 3 AEUV: BVerfG, B. v. 14.01.2021, 1 BvR 2853/19, juris Rn. 10).

Die im ersten Schriftsatz vom 10.11.2022 gestellte erste Teilfrage, ob bei der Bestimmung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse auch Erkenntnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen seien, lässt sich zumindest als "acte clair" ohne Weiteres in dem Sinne beantworten, dass sämtliche verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse - und damit auch diejenigen anderer Mitgliedstaaten - heranzuziehen sind (vgl. BVerwG, U. v. 28.03.2013, 9 A 22/11, juris Rn. 41). Die in dem Schriftsatz enthaltene zweite Teilfrage, ob ein Zusatzbeitrag unter Berufung auf eine Fachkonvention als irrelevant erachtet werden dürfe, obwohl andere Mitgliedstaaten von der Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung ausgehen, ist nicht entscheidungserheblich, weil eine derartige Regelung eines anderen Mitgliedstaats weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Soweit der Kläger mit dieser Frage auf den niederländischen Schwellenwert von 1 mol/ha/a Bezug nehmen möchte, ist bereits ausgeführt worden, dass es sich dabei um eine rechnerische Größe handelt, die mit dem deutschen Abschneidekriterium nicht vergleichbar ist.

Die erste im zweiten Schriftsatz vom 10.11.2022 angeregte Frage, ob Projekte, die in Bezug auf Stickstoffablagerungen einen bestimmten Schwellenwert nicht erreichen, ohne Verträglichkeitsprüfung genehmigt werden dürfen, ohne dass ein programmatisches Management zur Überwachung und Regulierung von Stickstoffeinträgen existiert, kann als bereits beantwortet (acte éclairé), zumindest jedoch als eindeutig beantwortbar gelten (acte clair). Der Europäische Gerichtshof hat bereits ausgeführt, dass ein solcher Schwellen- bzw. Grenzwert zulässig ist, wenn sich das nationale Gericht vergewissert hat, dass die im Voraus durchgeführte angemessene Prüfung das Kriterium erfüllt, dass kein vernünftiger wissenschaftlicher Zweifel daran besteht, dass diese Pläne oder Projekte keine schädlichen Auswirkungen auf die betreffenden Gebiete als solche haben (vgl. EuGH, U. v. 07.11.2018, C-293/17, juris Leitsatz 4). Das gleiche gilt im Hinblick auf die zweite und die dritte im genannten Schriftsatz enthaltene Frage. Solange des Abschneidekriterium weit unterhalb einer sicheren Ursache-Wirkung-Relation liegt, bestehen unabhängig von der Höhe der Vorbelastung und der durch andere kumulierende Vorhaben zu erwartenden Zusatzbelastung keine Anhaltspunkte für schädliche Auswirkungen der durch das Vorhaben selbst ausgelösten Zusatzbelastung auf FFH-Gebiete (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2019, 7 C 27/17, juris Rn. 38, 48).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des notwendig beigeladenen Bauherrn sind schon deshalb nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil er sich weder durch Antragstellung nach § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt noch etwas zur Durchdringung des Sach- und Streitstoffes beigetragen hat (vgl. Nds. OVG, B. v. 29.04.2020, 1 ME 99/19, juris Rn. 23). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Kammer hat gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob die Herleitung des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a, insbesondere im "BASt-Bericht 2013", auf eine hinreichend plausible fachliche Begründung gestützt ist, zugelassen. Anlass, die Sprungrevision nach § 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, besteht nicht, da es sich bei dieser Frage nach Auffassung der Kammer im Wesentlichen um eine tatsächliche und weniger um eine Rechtsfrage handelt.