Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.05.2012, Az.: 2 A 5462/10

Folklore; kurdische Tanzgruppe; kurdische Theatergruppe; Theater

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.05.2012
Aktenzeichen
2 A 5462/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44448
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch bei politisch gefärbter kultureller Betätigung kann die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Syrien angenommen werden.

Tenor:

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat und soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2010 dazu verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die am E. in Syrien geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach den Angaben ihrer Eltern reiste sie Anfang 1994 mit ihren Eltern und ihrem 1986 geborenen Bruder in den Irak aus, wo eine Schwester geboren wurde. Von dort zog die Familie nach ungefähr einem Jahr über die Türkei weiter in die Bundesrepublik Deutschland. Dort stellten die Eltern mit der Klägerin und den beiden Geschwistern am 20.05.1996 unter dem Namen F. und mit der Behauptung, sie seien irakische Kurden aus dem Irak, einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.08.1996 abgelehnt und der Familie wurde die Abschiebung in den Irak angedroht. Nachdem das Verwaltungsgericht Hannover im Urteil vom 26.05.1998 (6 A 4478/96) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als gegeben gesehen hatte, weil es von einer Gruppenverfolgung von Kurden im Irak ausging, wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Klage auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten mit Urteil vom 11.01.2000, berichtigt mit Beschluss vom 28.02.2000 (9 L 5158/98), in vollem Umfang ab.

Als in einem Asylverfahren für einen im Jahr 2008 geborenen Bruder der Klägerin eine Sprachanalyse der Eltern ergeben hatte, dass sie aus Syrien stammten, und Zweifel an der Echtheit der von ihnen vorgelegten irakischen Pässe aufgekommen waren, stellte die Klägerin gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern am 16.03.2010 einen Asylfolgeantrag und legte einen Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister vor. Die Familie trug vor, ihre syrische Identität auf Anraten des Schleusers und von Bekannten nicht preisgegeben zu haben, da sie Angst vor einer Festnahme und Misshandlung bei einer möglichen Rückkehr nach Syrien gehabt hätten. Der Vater der Klägerin sei in Syrien für die Al-Party aktiv gewesen. Nachdem politische Freunde festgenommen worden seien, die seinen Namen verraten hätten, sei die Familie aus dem Land geflohen. Auch in Deutschland habe der Vater der Klägerin sich weiter für die Al-Party engagiert. Die Klägerin und ihre beiden 1986 und 1995 geborenen Geschwister seien in Deutschland künstlerisch für die kurdischen Gruppen "G. " und "H. " aktiv und träten regelmäßig bei kurdischen politischen Abenden und Kulturveranstaltungen auf. Der Bruder habe als Vertreter von "G. " mehrfach gemeinsam mit anderen Kurden vor der syrischen Botschaft in Berlin demonstriert. Beim letzten Mal Anfang 2009 habe er über ein Megaphon eine halbstündige Rede gehalten und zwischendurch Parolen wie "Freiheit für Kurdistan", "Weg mit der Diktatur der Baath-Partei", "Demokratie und Gleichberechtigung für Kurden in Syrien" skandiert. Von den Auftritten von "G. " und "H. " seien zahlreiche Videos und Lichtbilder im Internet veröffentlicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde der Klägerin bereits aufgrund der Asylantragstellung im Ausland politische Verfolgung drohen.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 12.07.2010 gab die Klägerin an, sie tanze seit 1999 oder 2000 in der Gruppe, die zunächst "H. " und später "G. " geheißen habe. Sie hätten mindestens 7-8 Auftritte im Jahr, die letzten beiden beim Fest der Kulturen in der Nähe der holländischen Grenze und beim Fest der Kulturen vor dem Rathaus in Hannover. Bei den Auftritten werde regelmäßig auch zu den Zuschauern gesprochen. Dazu werde häufig sie aufgrund ihrer guten Deutschkenntnisse aufgefordert. So habe sie vor dem Rathaus in Hannover gesagt, dass sie eine Tanzgruppe syrischer Kurden seien und dass die Kurden in Syrien unter Druck gesetzt würden und viele Probleme hätten. Im März des Jahres sei sie mit der Tanzgruppe bei einer Demonstration in Berlin gewesen, wo ihr Bruder vor der Botschaft eine Rede gegen das syrische Regime vorgelesen habe. Sie habe dort die kurdische Flagge hochgehalten. In Hannover habe sie auch einmal einen Text vorgelesen, in dem es um das syrische Regime gegangen sei. Außerdem treffe sie sich mit anderen Frauen. Sie sprächen über ihre Situationen sowohl hier als auch in Syrien, wo die Frauen auch gerne mehr Rechte hätten.

Mit Bescheid vom 09.11.2010 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheides vom 06.08.1996 bezüglich der Feststellungen zu § 53 AuslG ab. Zur Begründung führte es aus, die vorgetragene exilpolitische Betätigung der Klägerin sei nicht exponiert genug, um eine Verfolgung befürchten zu lassen. Sie habe lediglich einmal an einer Demonstration teilgenommen und die Betätigung in der kurdischen Tanz- und Theatergruppe bewege sich im Bereich der Pflege von Sprache, Kultur und Brauchtum. Veranstaltungen, die der Pflege des kurdischen kulturellen Erbes dienten, würden bislang vom syrischen Staat zwar überwacht, meist jedoch toleriert. Es sei davon auszugehen, dass staatliche Maßnahmen erst dann ergriffen würden, wenn die Aktivitäten als politisch konkretes Handeln gegen die Integrität des syrischen Staates angesehen beziehungsweise als separatistische Bestrebungen eingeschätzt würden. Auch aufgrund der Asylantragstellung drohe der Klägerin bei ihrer Rückkehr keine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr. Bestimmte Aspekte, die die Wahrscheinlichkeit einer Festnahme erhöhen könnten, lägen bei ihr nicht vor.

Am 22.11.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie verweist auf ihren Folgeantrag und ergänzt, für Rückkehrer bestehe Foltergefahr, ohne dass ein Verfolgungsmodus erkennbar sei. Spätestens seit Beginn der Massenproteste im Frühjahr 2011 habe sich die Situation im Syrien noch weiter verschärft, die Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung sei unerträglich. Bei einer Abschiebung drohe ihr wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit, des langen Verbleibs und der Asylantragstellung im Ausland die Gefahr eingehender Befragung und Verhaftung mit menschenrechtswidriger Behandlung.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2011 festgestellt, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syriens vorliegt, und den Bescheid vom 09.11.2010 zu Ziffer 2 sowie die mit dem Bescheid vom 06.08.1996 erlassene Abschiebungsandrohung aufgehoben. Es führte aus, unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Klägerin und der vorliegenden Erkenntnisse, die zu einer Neubewertung ihrer exilpolitischen Tätigkeiten Anlass gäben, sei davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr nach Syrien die beachtliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung beziehungsweise Folter bestehe. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Hinsichtlich der zunächst ebenfalls begehrten Verpflichtung der Beklagten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, hat die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Die Klägerin meint, aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit müsse die Beklagte ihr die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Der in § 28 Abs. 2 AsylVfG normierte Regelausschluss greife bei ihr nicht. Sie sei bereits lange vor der Offenbarung ihrer syrischen Identität politisch tätig gewesen. Bei ihrem Engagement in den Gruppen "G. " und "H. " handele es sich nicht nur um die Pflege der Kultur, sondern die Auftritte auf Newroz-Festen politischer Parteien und Demonstrationen für die Rechte der Kurden hätten auch politischen Charakter. Wenn sie bei ihren Veranstaltungen die kurdische Fahne hochhielten und auf die Probleme der Kurden in Syrien hinwiesen, richte sich dies gegen das Regime. Sie sei keine politische Aktivistin, sondern komme gelegentlich mit auf Demonstrationen. Zuletzt habe sie an einer Demonstration am 24.03.2012 in Hannover teilgenommen, an weitere konkrete Daten habe sie keine Erinnerung. Ein Onkel väterlicherseits in Syrien sei seit dem Auftritt des ihres Bruders vor der syrischen Botschaft in Berlin regelmäßig vom Geheimdienst aufgesucht und auch mitgenommen und verhört worden. Er habe Einfluss auf den Bruder und ihren Vater nehmen sollen, dass sie ihre Aktivitäten beenden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2010 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und bezieht sich auf ihren angegriffenen Bescheid. Daneben führt sie aus, es bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin aufgrund der Demonstrationsteilnahmen ihres Vaters und Bruders von den syrischen Sicherheitskräften unter Druck gesetzt werden würde. Zwar könne Sippenhaft gegenüber Personen, die vom syrischen Regime als Gegner eingestuft würden, derzeit nicht ausgeschlossen werden. Angesichts des untergeordneten Charakters der exilpolitischen Tätigkeit der Angehörigen der Klägerin liege für sie aber keine ernstzunehmende Gefahr vor.

Mit Schriftsätzen vom 04.06.2012 und vom 28.06.2012 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 15.05.2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung kann ein Urteil ergehen, da sie gemäß § 102 Abs. 2 VwGO mit der rechtzeitigen Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann. Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht auch ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben.

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat und soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in direkter und entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Im Übrigen ist die Klage als Verpflichtungsklage zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der ablehnende Bescheid vom 09.11.2010 ist daher - soweit er nicht bereits durch den Bescheid vom 11.10.2011 gegenstandslos geworden ist - aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Danach muss sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder es müssen neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sein (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). § 51 Abs. 2 VwVfG bestimmt, dass der Antrag nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

Die behauptete Verfolgung in Syrien kann gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nicht berücksichtigt werden, da diese bereits im ersten Asylverfahren hätte thematisiert werden können.

Die von ihr vorgetragenen Demonstrationsteilnahmen und ihre Aktivitäten in der Gruppe "G. " hat die Klägerin hingegen fristgerecht geltend gemacht. Zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung und der Anhörung der Klägerin beim Bundesamt hatte sich die Erkenntnis, dass die Schwelle für ein Vorgehen des syrischen Staates soweit gesunken ist, dass selbst bei einfacher exilpolitischer Betätigung die beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung besteht, noch nicht durchgesetzt. Erst im Herbst 2011 veränderte sich die Entscheidungspraxis der Gerichte und des Bundesamtes entsprechend. Eine flüchtlingsrechtliche Relevanz der geschilderten Betätigungen ist somit erst ab dem zweiten Halbjahr 2011 zu konstatieren, so dass die Drei-Monats-Frist erst dann zu laufen begann und gewahrt wurde.

Die von der Klägerin dargelegten Änderungen der Sachlage tragen den von ihr verfolgten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) ergänzend anzuwenden. Da die Klägerin hier keine Vorverfolgung geltend machen kann, ist die in Artikel 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehene Beweiserleichterung nicht anwendbar. Maßgeblich ist daher, ob die Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011, 10 C 25/10, BVerwGE 140, 22ff, juris Rn. 22; Beschl. v. 07.02.2008, 10 C 33/07, ZAR 2008, 192ff., juris Rn. 37).

Anhand dieses Maßstabes ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung wegen der politischen Überzeugung der Klägerin zu bejahen. Ob diese bereits aufgrund der nicht durch Fotos belegten behaupteten Teilnahme an einer Demonstration am 24.03.2012 in Hannover anzunehmen ist, kann offen bleiben. Ihren Vortrag in der Anhörung beim Bundesamt, sie habe im März 2010 an einer Demonstration in Berlin teilgenommen, hat sie in der mündlichen Verhandlung selbst widerlegt mit der Äußerung, sie sei nicht auf Demonstrationen in Berlin gewesen, da sie dort mit der Duldung nicht hindürfe. Eine politische Verfolgung droht ihr unabhängig davon aufgrund ihres Engagements in der Gruppe "G. ". Deren Auftritte beschränkten sich zumindest bei den jährlichen Newroz-Festen nicht auf Tanzdarbietungen, sondern umfassten auch die Aufführung von Theaterstücken. Inhalt dieser Theaterstücke waren historische politische Ereignisse, bei denen es um den Aufstand der Kurden und die Reaktion der Unterdrücker in Syrien ging. Bei dieser politischen Thematik besteht die konkrete Gefahr, dass sie von den syrischen Behörden als regimekritisch verstanden wird. Hinzu kommt, dass bei Auftritten häufig die kurdische Fahne präsentiert wurde. Bereits aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010 (S. 9 f.) ergab sich, dass den Kurden im Gegensatz zu allen anderen ethnischen Minderheiten identitätsfördernde und -wahrende Aktivitäten weitgehend untersagt waren. Grund sei die Sorge vor separatistischen Tendenzen. Staatliche Repressionen gegen als separatistisch wahrgenommene politische Aktivitäten von Kurden hätten sich im letzten Jahr weiter verstärkt. Beispiele für staatliche Repressionen auch gegenüber kurdischen Künstlerinnen und Künstlern in Syrien schon vor Beginn der Unruhen im Frühjahr 2011 sind aus verschiedenen Quellen zusammengetragen in der Anfragebeantwortung des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Reserch and Documentation (ACCORD) "Vorgehensweise des Geheimdienstes gegen SängerInnen und Mitglieder der Partei 'Kurdische Fortschrittliche Demokratische Partei in Syrien' " vom 03.12.2010 auf ecoi.net. Nach Beginn der Unruhen hat sich das Vorgehen des Regimes gegen als oppositionell wahrgenommene Personen gravierend verschärft. Deshalb gehen die Gerichte ebenso wie das Bundesamt seit Herbst 2011 davon aus, dass schon bei einfacher, nicht exponierter exilpolitischer Betätigung die beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung besteht. Diese Wertung muss auch für entsprechende politisch gefärbte kulturelle Aktivitäten gelten. Für die Klägerin ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung unbeschadet des Umstandes anzunehmen, dass sie nicht als Schauspielerin, sondern lediglich als Tänzerin aufgetreten ist. Denn die verschiedenen Darsteller gehören derselben Gruppe an und treten gemeinsam auf. Angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen von Fotos und Filmen von Auftritten der Gruppe "G. " im Internet und der aktuellen Erkenntnisse über die hemmungslose Gewaltanwendung syrischer Sicherheitskräfte gegenüber Personen, die mit der Opposition in Verbindung gebracht werden, ist aus der Perspektive eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin die Furcht vor Verfolgung begründet.

Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Danach kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach der unanfechtbaren Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach der unanfechtbaren Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber die Berufung auf Nachfluchttatbestände, die nach negativem Abschluss des Asylverfahrens von dem Betreffenden selbst geschaffen werden, unter Missbrauchsverdacht gestellt. Sie verlagert die Substantiierungs- und objektive Beweislast auf den Ausländer, der die gesetzliche Vermutung widerlegen muss, er habe mit seinem Verhalten nur die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft herbeiführen wollen. Bleibt das Betätigungsprofil des Betroffenen nach Abschluss des Asylverfahrens unverändert, liegt die Annahme einer missbräuchlichen Verknüpfung von Nachfluchtaktivitäten und begehrtem Status eher fern. Wird der Asylbewerber jedoch nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmals exilpolitisch aktiv oder intensiviert er seine bisherigen Aktivitäten, muss er dafür gute Gründe anführen, um den Verdacht auszuräumen, dies geschehe in erster Linie, um die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen. Dazu hat der Tatrichter die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für seine erstmalig aufgenommenen oder intensivierten Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (BVerwG, Urt. v. 24.09.2009, 10 C 25/08, BVerwGE 135, 49ff.).

Der Klägerin ist es gelungen, die Regelvermutung zu entkräften. Sie war bereits viele Jahre bei "G. " aktiv, bevor sie ihre syrische Identität offenbarte und bevor diese Tätigkeit durch die Verschärfung der politischen Situation in Syrien flüchtlingsrechtlich relevant wurde. Im Verwaltungsverfahren hat sie Fotos auf einer DVD vorgelegt, die sie bei einem Auftritt der Gruppe zeigen und als Aufnahmedatum den 22.03.2009 ausweisen, also ungefähr ein Jahr vor der Stellung des Folgeantrags mit zutreffenden Personendaten entstanden sind. Eine asyltaktische Motivation für ihr langjähriges Engagement in der Gruppe "G. " kann damit ausgeschlossen werden.

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, die Kosten demjenigen aufzuerlegen, der im Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 161 Rn. 16). Das ist hier die Beklagte, die die Klägerin hinsichtlich der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 AufenthG klaglos gestellt hat. Im Übrigen folgt die Kostenentscheidung aus §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Für die Aufteilung der Kosten hat das Gericht die drei Streitgegenstände - Art. 16 a GG, § 60 Abs. 1 AufenthG und § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG - jeweils mit einem Drittel gewichtet (vgl. zur Kostenverteilung auch BVerwG, Beschl. v. 29.06.2009, 10 B 60/08 u.a., juris).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2 ZPO.

Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.